TE Vfgh Beschluss 2017/11/23 G166/2017 ua

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Veröffentlicht am 23.11.2017
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Index

60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
MutterschutzG 1979 §2b, §14

Leitsatz

Zurückweisung der Individualanträge von Dienstgebern zweier schwangerer Tierärztinnen auf Aufhebung von Bestimmungen des MutterschutzG 1979 betreffend die Verpflichtung des Dienstgebers zur Dienstfreistellung und Entgeltfortzahlung bei Fehlen eines geeigneten Arbeitsplatzes als zu eng gefasst

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Anträge

Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG begehren die Antragstellerinnen mit gleichlautenden Anträgen, §2b Abs2 letzter Satz sowie die Wortfolge "des §2b," in §14 Abs2 Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG) als verfassungswidrig aufzuheben.

II.      Rechtslage

1.       Die maßgeblichen Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes 1979 (MSchG), BGBl 221, lauten idF BGBl I 40/2017 wie folgt (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

"Maßnahmen bei Gefährdung

§2b. (1) Ergibt die Beurteilung Gefahren für die Sicherheit oder Gesundheit von werdenden oder stillenden Müttern oder mögliche nachteilige Auswirkungen auf die Schwangerschaft oder das Stillen, so hat der Dienstgeber diese Gefahren und Auswirkungen durch Änderung der Beschäftigung auszuschließen.

(2) Ist eine Änderung der Arbeitsbedingungen aus objektiven Gründen nicht möglich oder dem Dienstgeber oder der Dienstnehmerin nicht zumutbar, so ist die Dienstnehmerin auf einem anderen Arbeitsplatz zu beschäftigen. Besteht kein geeigneter Arbeitsplatz, so ist die Dienstnehmerin von der Arbeit freizustellen.

Abschnitt 3

Beschäftigungsverbote

Beschäftigungsverbote für werdende Mütter

§3. (1) Werdende Mütter dürfen in den letzten acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung (Achtwochenfrist) nicht beschäftigt werden.

(2) Die Achtwochenfrist (Abs1) ist auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses zu berechnen. Erfolgt die Entbindung früher oder später als im Zeugnis angegeben, so verkürzt oder verlängert sich diese Frist entsprechend.

(3) Über die Achtwochenfrist (Abs1) hinaus darf eine werdende Mutter auch dann nicht beschäftigt werden, wenn nach einem von ihr vorgelegten Zeugnis eines Arbeitsinspektionsarztes oder eines Amtsarztes Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet wäre.

(4) - (8) […]

§4. (1) Werdende Mütter dürfen keinesfalls mit schweren körperlichen Arbeiten oder mit Arbeiten oder in Arbeitsverfahren beschäftigt werden, die nach der Art des Arbeitsvorganges oder der verwendeten Arbeitsstoffe oder -geräte für ihren Organismus oder für das werdende Kind schädlich sind.

(2) Als Arbeiten im Sinne des Abs1 sind insbesondere anzusehen:

1. Arbeiten, bei denen regelmäßig Lasten von mehr als 5 kg Gewicht oder gelegentlich Lasten von mehr als 10 kg Gewicht ohne mechanische Hilfsmittel von Hand gehoben oder regelmäßig Lasten von mehr als 8 kg Gewicht oder gelegentlich Lasten von mehr als 15 kg Gewicht ohne mechanische Hilfsmittel von Hand bewegt oder befördert werden; wenn größere Lasten mit mechanischen Hilfsmitteln gehoben, bewegt oder befördert werden, darf die körperliche Beanspruchung nicht größer sein als bei vorstehend angeführten Arbeiten;

2. Arbeiten, die von werdenden Müttern überwiegend im Stehen verrichtet werden müssen, sowie Arbeiten, die diesen in ihrer statischen Belastung gleichkommen, es sei denn, daß Sitzgelegenheiten zum kurzen Ausruhen benützt werden können; nach Ablauf der 20. Schwangerschaftswoche alle derartigen Arbeiten, sofern sie länger als vier Stunden verrichtet werden, auch dann, wenn Sitzgelegenheiten zum kurzen Ausruhen benützt werden können;

3. Arbeiten, bei denen die Gefahr einer Berufserkrankung im Sinne der einschlägigen Vorschriften des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl Nr 189/1955, gegeben ist;

4. Arbeiten, bei denen werdende Mütter Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen, gleich ob in festem, flüssigem, staub-, gas- oder dampfförmigem Zustand, gesundheitsgefährdenden Strahlen oder schädlichen Einwirkungen von Hitze, Kälte oder Nässe ausgesetzt sind, bei denen eine Schädigung nicht ausgeschlossen werden kann;

5. die Bedienung von Geräten und Maschinen aller Art, sofern damit eine hohe Fußbeanspruchung verbunden ist;

6. die Bedienung von Geräten und Maschinen mit Fußantrieb, sofern damit eine hohe Fußbeanspruchung verbunden ist;

7. die Beschäftigung auf Beförderungsmitteln;

8. das Schälen von Holz mit Handmessern;

9. Akkordarbeiten, akkordähnliche Arbeiten, Fließarbeiten mit vorgeschriebenem Arbeitstempo, leistungsbezogene Prämienarbeiten und sonstige Arbeiten, bei denen durch gesteigertes Arbeitstempo ein höheres Entgelt erzielt werden kann, wie beispielsweise Arbeiten, für die Entgelt gebührt, das auf Arbeits(Persönlichkeits)bewertungsverfahren, statistischen Verfahren, Datenerfassungsverfahren, Kleinstzeitverfahren oder ähnlichen Entgeltfindungsmethoden beruht, wenn die damit verbundene durchschnittliche Arbeitsleistung die Kräfte der werdenden Mutter übersteigt. Nach Ablauf der 20. Schwangerschaftswoche sind Akkordarbeiten, akkordähnliche Arbeiten, leistungsbezogene Prämienarbeiten sowie Fließarbeiten mit vorgeschriebenem Arbeitstempo jedenfalls untersagt; Arbeiten, für die Entgelt gebührt, das auf Arbeits(Persönlichkeits)bewertungsverfahren, statistischen Verfahren, Datenerfassungsverfahren, Kleinstzeitverfahren oder ähnlichen Entgeltfindungsmethoden beruht, können im Einzelfall vom zuständigen Arbeitsinspektorat untersagt werden;

10. Arbeiten, die von werdenden Müttern ständig im Sitzen verrichtet werden müssen, es sei denn, daß ihnen Gelegenheit zu kurzen Unterbrechungen ihrer Arbeit gegeben wird;

11. Arbeiten mit biologischen Arbeitsstoffen im Sinne des §40 Abs5 Z2 bis 4 ASchG, soweit bekannt ist, daß diese Stoffe oder die im Falle einer durch sie hervorgerufenen Schädigung anzuwendenden therapeutischen Maßnahmen die Gesundheit der werdenden Mutter oder des werdenden Kindes gefährden;

12. Bergbauarbeiten unter Tage;

13. Arbeiten in Druckluft (Luft mit einem Überdruck von mehr als 0,1 bar), insbesondere in Druckkammern und beim Tauchen.

(3) Werdende Mütter dürfen nicht mit Arbeiten beschäftigt werden, bei denen sie mit Rücksicht auf ihre Schwangerschaft besonderen Unfallsgefahren ausgesetzt sind.

(4) Im Zweifelsfall entscheidet das Arbeitsinspektorat, ob eine Arbeit unter ein Verbot gemäß den Abs1 bis 3 fällt.

(5) Werdende Mütter dürfen mit Arbeiten,

1. bei denen sie sich häufig übermäßig strecken oder beugen oder bei denen sie häufig hocken oder sich gebückt halten müssen, sowie

2. bei denen der Körper übermäßigen Erschütterungen oder

3. bei denen die Dienstnehmerin sie besonders belästigenden Gerüchen oder besonderen psychischen Belastungen ausgesetzt ist,

nicht beschäftigt werden, wenn das Arbeitsinspektorat auf Antrag der Dienstnehmerin oder von Amts wegen entscheidet, daß diese Arbeiten für den Organismus der werdenden Mutter oder für das werdende Kind schädlich sind und im Fall der Z3 dies auch von einem Gutachten eines Arbeitsinspektions- oder Amtsarztes bestätigt wird.

(6) Werdende Mütter, die selbst nicht rauchen, dürfen, soweit es die Art des Betriebes gestattet, nicht an Arbeitsplätzen beschäftigt werden, bei denen sie der Einwirkung von Tabakrauch ausgesetzt werden. Wenn eine räumliche Trennung nicht möglich ist, hat der Dienstgeber durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, daß andere Dienstnehmer, die im selben Raum wie die werdende Mutter beschäftigt sind, diese nicht der Einwirkung von Tabakrauch aussetzen.

[…]

Weiterzahlung des Arbeitsentgelts

§14. (1) Macht die Anwendung des §2b, des §4, des §4a, des §5 Abs3 und 4 oder des §6, soweit §10a Abs3 nicht anderes bestimmt, eine Änderung der Beschäftigung im Betrieb erforderlich, so hat die Dienstnehmerin Anspruch auf das Entgelt, das dem Durchschnittsverdienst gleichkommt, den sie während der letzten 13 Wochen des Dienstverhältnisses vor dieser Änderung bezogen hat. Fallen in diesen Zeitraum Zeiten, während derer die Dienstnehmerin infolge Erkrankung oder Kurzarbeit nicht das volle Entgelt bezogen hat, so verlängert sich der Zeitraum von dreizehn Wochen um diese Zeiten; diese Zeiten bleiben bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes außer Betracht. Die vorstehende Regelung gilt auch, wenn sich durch die Änderung der Beschäftigung der Dienstnehmerin eine Verkürzung der Arbeitszeit ergibt, mit der Maßgabe, daß der Berechnung des Entgelts die Arbeitszeit zugrunde zu legen ist, die für die Dienstnehmerin ohne Änderung der Beschäftigung gelten würde. Bei Saisonarbeit in einer im §4 Abs2 Z9 bezeichneten Art ist der Durchschnittsverdienst der letzten dreizehn Wochen nur für die Zeit weiterzugewähren, während der solche Arbeiten im Betrieb verrichtet werden; für die übrige Zeit ist das Entgelt weiterzugewähren, das die Dienstnehmerin ohne Vorliegen der Schwangerschaft erhalten hätte.

(2) Dienstnehmerinnen, die gemäß §3 Abs3 nicht beschäftigt werden dürfen, und Dienstnehmerinnen, für die auf Grund des §2b, des §4, des §4a, des §5 Abs3 und 4 oder des §6 keine Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb besteht, haben Anspruch auf ein Entgelt, für dessen Berechnung Abs1 mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass im Falle des §3 Abs3 der Durchschnittsverdienst nach den letzten 13 Wochen vor Eintritt des Beschäftigungsverbotes zu berechnen ist.

(3) Der Anspruch nach Abs1 und 2 besteht nicht für Zeiten, während derer Wochengeld oder Krankengeld nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz bezogen werden kann; ein Anspruch auf einen Zuschuß des Dienstgebers zum Krankengeld wird hiedurch nicht berührt.

(4) Die Dienstnehmerin behält den Anspruch auf sonstige, insbesondere einmalige Bezüge im Sinne des §67 Abs1 des Einkommensteuergesetzes 1988, BGBl Nr 400, in den Kalenderjahren, in die Zeiten des Bezuges von Wochengeld nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz fallen, in dem Ausmaß, das dem Teil des Kalenderjahres entspricht, in den keine derartigen Zeiten fallen."

2.       Mit BGBl I 126/2017 wurde in §4 Abs2 Z4 MSchG nach dem Wort "Strahlen" ein Beistrich und der Ausdruck "gesundheitsgefährdenden elektromagnetischen Feldern" eingefügt. Die Bestimmung trat in der Fassung BGBl I 126/2017 mit 1. August 2017 in Kraft.

3.       §162 Abs1 und §166 Abs1 Z2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl 189/1955 idF BGBl I 30/2017, lauten:

"Wochengeld

§162. (1) Weiblichen Versicherten gebührt für die letzten acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung, für den Tag der Entbindung und für die ersten acht Wochen nach der Entbindung ein tägliches Wochengeld. Weibliche Versicherte nach Frühgeburten, Mehrlingsgeburten oder Kaiserschnittentbindungen erhalten das Wochengeld nach der Entbindung durch zwölf Wochen. Über die vorstehenden Fristen vor und nach der Entbindung hinaus gebührt das Wochengeld ferner für jenen Zeitraum, während dessen Dienstnehmerinnen und Bezieherinnen einer Leistung nach dem AlVG oder KBGG im Einzelfall bei Dienstnehmerinnen nach §4 Abs2 auf Grund eines arbeitsinspektions- oder amtsärztlichen, bei Dienstnehmerinnen nach §4 Abs4 auf Grund eines amtsärztlichen Zeugnisses nachgewiesen wird, dass das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung oder Aufnahme einer Beschäftigung gefährdet wäre. Dienstnehmerinnen nach §4 Abs2 und 4 haben weiters für den Zeitraum eines Beschäftigungsverbotes für werdende Mütter nach §13a Abs5 Tabakgesetz Anspruch auf Wochengeld."

"Ruhen des Wochengeldes

§166. (1) Der Anspruch auf Wochengeld ruht,

2. solange die Versicherte auf Grund gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen Anspruch auf Fortbezug von mehr als 50 v. H. der vollen Geld- und Sachbezüge (§49 Abs1) hat; besteht ein Anspruch auf Weiterleistung von 50 v. H. dieser Bezüge; so ruht das Wochengeld zur Hälfte. […]"

III.    Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.       Die Antragstellerinnen sind Dienstgeberinnen zweier in ihren jeweiligen Betrieben angestellter Tierärztinnen. Zur Zulässigkeit ihrer Anträge führen die Antragstellerinnen auf das Wesentliche zusammengefasst übereinstimmend aus, nach Mitteilung der angestellten Tierärztinnen, dass sie schwanger seien, hätten die Antragstellerinnen umgehend das Arbeitsinspektorat informiert und eine Arbeitsplatzevaluierung vorgenommen. Dabei hätten sie feststellen müssen, dass auf Grund der Tätigkeit der angestellten Tierärztinnen eine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit gegeben sei und mögliche nachteilige Auswirkungen auf die Schwangerschaft gegeben sein könnten. Per E-Mail sei der rechtsfreundlichen Vertretung der Antragstellerinnen vom Arbeitsinspektorat mitgeteilt worden, dass die mit geringem Risiko in der Arbeitsplatzevaluierung der Antragstellerinnen vom (jeweils) 10. Mai 2017 eingeschätzten Tätigkeiten der graviden Tierärztinnen unter die Beschäftigungsverbote des §4 Abs1 bis 3 MSchG fielen und eine Beschäftigung der werdenden Mütter mit Tieren somit nicht zulässig sei. Die Antragstellerinnen bringen vor, in den Tierkliniken fielen keine Tätigkeiten an, die keine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit einer werdenden Mutter darstellten. Nicht-tierärztliche Tätigkeiten würden durch andere Mitarbeiter durchgeführt und wären auch nicht vom Arbeitsvertrag der angestellten Tierärztinnen gedeckt.

1.1.    Folgende Umstände, die generell in Tierarztordinationen vorlägen, führten zur notwendigen Freistellung, um mögliche schädliche Auswirkungen auf die Schwangerschaft der Tierärztinnen zu vermeiden:

"- Bei der Untersuchung von Tieren sind Tierärztinnen ständig der Gefahr von Stößen, Erschütterungen und Bewegungen ausgesetzt.

- Zur fachgerechten Untersuchung von kranken und verletzten Tieren gehört eine Röntgenuntersuchung, auf die aus Gründen von Sorgfaltspflichten dem Tier gegenüber nicht verzichtet werden kann. Die damit verbundenen Bestrahlungen stellen eine Gefahr dar.

- Bei der Manipulation von Tieren ist auch nach Anwendung geeigneter Schutzmaßnahmen mit Verletzungen durch Bisse und Kratzer, die zu Infektion führen können, zu rechnen. Außerdem ist durch das Hantieren mit biologischen Stoffen wie Blut, Kot, Harn, usw. eine Infektion immer möglich, sodass auch deshalb zum Schutze der Dienstnehmerin eine Freistellung erfolgen musste. "

1.2.    Auf Grund dieser Umstände seien die angestellten Tierärztinnen gemäß §2b MSchG freigestellt worden, weil kein anderer geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden habe.

1.3.    Den Antragstellerinnen stehe auch kein zumutbarer Umweg zur Verfügung, um die behauptete Verfassungswidrigkeit geltend zu machen, weil es nur den beiden angestellten Tierärztinnen, nicht aber den Antragstellerinnen, zustehe, beim zuständigen Sozialversicherungsträger einen Antrag auf Wochengeld zu stellen, der nach geltender Rechtslage jedoch abzuweisen wäre. Eine Klage gegen diesen Bescheid beim Arbeits- und Sozialgericht könne nur abgewiesen werden, weil der zuständige Sozialversicherungsträger Wochengeld erst ab dem Eintritt des individuellen Beschäftigungsverbotes nach §3 Abs3 MSchG, sohin erst mit Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses, zu entrichten hätte. Für diesen Fall sehe §14 Abs2 MSchG aber ausdrücklich einen Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber vor. Nach §14 Abs2 leg.cit. hätten Dienstnehmerinnen, welche aufgrund eines Beschäftigungsverbotes nach §2b MSchG überhaupt nicht im Betrieb weiter beschäftigt werden dürfen, Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Der Dienstgeber (und damit die Antragstellerinnen), den die Entgeltfortzahlungspflicht trifft, habe jedoch, da es sich beim Wochengeld um eine reine Versicherungsleistung zwischen Gebietskrankenkasse und Versicherungsnehmerin handle, keine Möglichkeit, Teil des Verfahrens zu werden.

2.       Gegen die angefochtenen Bestimmungen hegen die Antragstellerinnen das Bedenken, sie verstießen gegen den Gleichheitssatz, weil sie zu einer verfassungswidrigen Mehrbelastung von Tierärzten führten, Begründend führen sie aus, dass auf Grund der typischen Gegebenheiten einer Tierklinik/tierärztlichen Ordination niemals ein geeigneter Arbeitsplatz iSd §2b Abs2 MSchG bereitgestellt werden könne, weil dort für eine werdende Mutter stets gefährliche Tätigkeiten zu verrichten seien. Dies habe zur Konsequenz, dass Dienstgeber in diesem Tätigkeitsfeld regelmäßig zur Entgeltfortzahlung verpflichtet und damit in unsachlicher Weise gegenüber anderen Berufsgruppen benachteiligt würden. Dies seien einerseits jene Dienstgeber, bei denen kein vorheriges Vorgehen nach §2b MSchG nötig sei, sowie Fälle eines individuellen Beschäftigungsverbotes nach §13a Abs5 TNRSG, für die §120 Abs1 Z3 letzter Satz ASVG einen Anspruch auf Wochengeld unabhängig von einer konkreten Gefährdung für Mutter oder Kind vorsehe. Aus denselben Gründen liege auch ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Eigentumsfreiheit vor. Nach Ansicht der Antragstellerinnen sei nur eine Lösung verfassungskonform, bei der der zuständige Versicherungsträger dazu verpflichtet würde, der werdenden Mutter ab dem Zeitpunkt der Dienstfreistellung Wochengeld zu gewähren.

3.       Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den von den Antragstellerinnen erhobenen Bedenken entgegentritt. Zur Zulässigkeit der Anträge führt die Bundesregierung aus, die Antragstellerinnen würden den Sitz der behaupteten Verfassungswidrigkeit verkennen: Wenn sie eine Verletzung des Gleichheitssatzes und des Eigentumsgrundrechtes dadurch behaupteten, dass im Fall einer Freistellung einer Dienstnehmerin gemäß §2b Abs2 MSchG im Unterschied zu einem individuellen Beschäftigungsverbot nach §3 Abs3 MSchG und einem Arbeitsverbot nach §13a Abs5 TNRSG kein Anspruch auf Wochengeld bestehe, hätten sie zur Beseitigung der behaupteten Verfassungswidrigkeit (zumindest auch) §162 Abs1 ASVG anfechten müssen, der den Anspruch auf Wochengeld regle.

IV.      Erwägungen

1.       Die Anträge sind unzulässig.

1.1.    Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist also, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

1.2.    Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015; VfGH 15.10.2016, G339/2015).

2.       Die Antragstellerinnen weisen in ihren Anträgen darauf hin, dass zu den Umständen, die eine Freistellung der angestellten Tierärztinnen erforderlich machten, insbesondere auch die Gefahr von Stößen, Erschütterungen und Bewegungen, die Gefahr einer Strahlenbelastung durch die Durchführung von Röntgenuntersuchungen sowie von Infektionen auf Grund von Verletzungen durch Bisse oder Kratzer oder das Hantieren mit biologischen Stoffen gehörten. Diese (schädlichen) Einwirkungen zählen nach den Bestimmungen des §4 Abs2 Z4 und 11 bzw. §5 Z2 MSchG zu den verbotenen Arbeiten, mit denen werdende Mütter nicht beschäftigt werden dürfen. Nach dem Vorbringen im Antrag hätten auch die jeweils befassten Arbeitsinspektorate die Unzulässigkeit der Beschäftigung der werdenden Mütter mit Beschäftigungsverboten nach §4 Abs1 bis 3 MSchG begründet. Durch den Verweis auf §4 leg.cit. sieht §14 Abs1 erster Satz MSchG aber auch für diese Fälle einen Anspruch der Dienstnehmerinnen auf Entgeltfortzahlung vor. Daraus folgt, dass mit der (bloßen) Aufhebung der Wendung "des §2b," in §14 Abs1 MSchG die behauptete Verfassungswidrigkeit, die in der unsachlichen Belastung des Dienstgebers durch die Verpflichtung zur Dienstfreistellung und Entgeltfortzahlung gesehen wird, nicht beseitigt würde.

Die Anträge sind bereits insoweit zu eng gefasst und daher schon aus diesem Grund unzulässig.

V.       Ergebnis

1. Die Anträge sind als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsumfang, Arbeitnehmerschutz, Mutterschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:G166.2017

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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