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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des M F I N, in K, vertreten durch Mag. Christian Bauer, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juni 2017, Zl. L504 2121136-1/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein aus dem Gaza-Streifen stammender staatenloser Palästinenser, stellte am 12. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, er sei mehrfach von Mitgliedern der Hamas festgenommen, inhaftiert und gefoltert worden. Bei einer Rückkehr fürchte er, erneuten Inhaftierungen und Folterungen durch die Hamas ausgesetzt zu sein.
2 Mit Bescheid vom 25. Jänner 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und begründete dies mit der mangelnden Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers. Mit der Begründung, aus den Länderfeststellungen der Staatendokumentation zu Gaza gehe hervor, dass sowohl die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Wasser als auch die medizinische Versorgung nicht gewährleistet seien, wodurch der Revisionswerber bei einer Rückkehr in sein Heimatgebiet in eine ausweglose Lage geraten würde und der konkreten Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt sei, erkannte das BFA dem Revisionswerber gemäß § 8 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung, welche zuletzt mit Bescheid des BFA vom 13. Jänner 2017 bis zum 24. Jänner 2019 verlängert wurde.
3 Die gegen die abweisende Asylentscheidung erhobene Beschwerde, in der der Revisionswerber unter anderem vorgebracht hatte, als palästinensischem Flüchtling aus Gaza, der unter dem Schutz von UNRWA gestanden sei, sei ihm ipso facto Asyl zuzuerkennen, weil der Schutz von UNRWA „aus irgendeinem Grund“ - nämlich der allgemeinen Lage in Gaza - weggefallen sei, wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 20. Juni 2017 gemäß § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
4 In seiner Begründung ging das BVwG von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers aus und stellte daher fest, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr in den Gaza-Streifen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgungsgefahr drohe. „Sohin“ könne auch nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber bei Rückkehr nicht den Beistand von UNRWA vor Ort in Anspruch nehmen könne, sofern er dies wolle. In der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG ferner aus, dass der Revisionswerber grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 1 Abschnitt D GFK bzw. Art. 12 Abs. 1 lit. a Satz 1 der Status-Richtlinie falle. Im Hinblick auf § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 und entsprechend der - näher zitierten - Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) sei daher vor dem Hintergrund, dass der Revisionswerber vor seiner Ausreise den Schutz von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen habe, zu prüfen, ob dieser Schutz „aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird“ und ihm bejahendenfalls ipso facto der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen sei, andernfalls aber sei er von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen.
5 Diesbezüglich stellte das BVwG (sofern entscheidungswesentlich) die folgenden Erwägungen an:
„Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dazu ausgesprochen, dass die nationalen Behörden für ‚die Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz im Sinne dieser Bestimmung [...] tatsächlich nicht länger gewährt wird, [...] zu prüfen [haben], ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets [zwangen] und somit daran [hinderten], den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen‘ (EuGH 19.12.2012, C-364/11, El Kott u. a., Rz 61).
Folglich war das Vorbringen des [Beschwerdeführers] hinsichtlich des Vorliegens solcher Gründe zu prüfen, wobei im Falle des Nichtzutreffens die durch Art 1 Abschnitt D GFK bzw. Art. 12 der Status-RL vorgenommene Privilegierung im Hinblick auf die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus ‚ipso facto‘ nicht zum Tragen käme.
[...] Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des erkennenden Gerichtes diese Voraussetzungen in Form der Feststellung von ‚nicht vom Beschwerdeführer zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen‘ jedoch nicht gegeben.
Der [Beschwerdeführer] hatte zur Begründung seines Schutzbegehrens behauptet, er sei zum Verlassen seiner Herkunftsregion und somit des Schutzbereichs der UNRWA gezwungen gewesen, weil er dort aus von ihm behaupteten Gründen durch Dritte, konkret der Hamas und ihrer Organe, mit gravierenden Eingriffen in seine Rechtssphäre, die seinen weiteren Aufenthalt unmöglich gemacht hätten, betroffen und pro futuro bedroht gewesen sei. Aus vom BVwG in seiner Beweiswürdigung näher dargestellten Gründen war diesem Vorbringen jedoch mangels glaubhafter Angaben dazu nicht zu folgen und damit schon diesbezüglich das Vorliegen von ‚nicht (vom Beschwerdeführer) zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen‘ nicht festzustellen.
Auch aus den vom BVwG getroffenen Feststellungen zur aktuellen allgemeinen Lage im Gaza-Streifen ergaben sich keine stichhaltigen Hinweise darauf, dass dies konkret auf den [Beschwerdeführer] zutreffen würde.
Anderweitige außerhalb des Einflussbereichs des [Beschwerdeführers] liegende Gründe für die Unmöglichkeit einer Inanspruchnahme des Beistands der UNRWA wurden weder behauptet noch waren sie von Amts wegen festzustellen, zumal auch die länderkundlichen Informationen zur Herkunftsregion des [Beschwerdeführers] nicht aufzeigten, dass eine Ausreise dorthin grundsätzlich unmöglich wäre oder die UNRWA dort ihre Aktivitäten eingestellt hätte.
Aus der sohin für den [Beschwerdeführer] bei einer Rückkehr in die Herkunftsregion bestehenden Möglichkeit den Beistand der UNRWA (neuerlich) in Anspruch nehmen können war folgerichtig zu schließen, dass damit auch nicht den privilegierten Schutz von Art 1 Abschnitt D GFK bzw. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Status-RL genießt.
[...] Der Vollständigkeit halber ist im Hinblick auf den [dem Beschwerdeführer] erstinstanzlich zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten anzumerken, dass derartige Gründe, die zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen, nicht als Ursache für den Wegfall des Beistands angesehen werden können. Bei einer Interpretation des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 in dem Sinne, dass eine Situation, die die Gewährung von subsidiären Schutz erfordert, ‚als irgendein Grund‘ im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren wäre, würde dies im Ergebnis dazu führen, dass es zu einer Asylgewährung aus Gründen kommt, die aber in Wahrheit lediglich die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen.
Dementsprechend wird im Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19.12.2012, C-364/11 (Mostafa Abed El Karem El Kott u.a.) auch klargestellt, dass die Richtlinie 2004/83 - im Gegensatz zur Genfer Konvention, die nur die Flüchtlingseigenschaft regelt - zwei unterschiedliche Schutzregelungen vorsieht, nämlich zum einen die Flüchtlingseigenschaft und zum anderen den durch den subsidiären Schutz gewährten Status. Daher sei die Wendung ‚genießt den Schutz dieser Richtlinie‘ in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 als Verweis allein auf die Flüchtlingseigenschaft aufzufassen, da sonst dieser Unterschied zwischen dem durch die Genfer Konvention und dem durch diese Richtlinie gewährten Schutz verkannt würde; diese Bestimmung geht nämlich auf Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention zurück, in deren Licht diese Richtlinie auszulegen ist. Jedenfalls schließt Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 dadurch, dass er sich allein auf die Flüchtlingseigenschaft bezieht, niemanden vom subsidiären Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie aus, und deren Art. 17, der die Gründe für den Ausschluss vom subsidiären Schutz aufführt, nimmt in keiner Weise auf die Gewährung des Schutzes oder Beistands einer Organisation wie des UNRWA Bezug (Rn 66 - 68). Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass vom europäischen Gesetzgeber eine Vermengung der einzelnen Schutzformen (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutzstatus) beabsichtigt war und sind daher Gründe für die Gewährung subsidiären Schutzes gesondert zu prüfen. [...]“
6 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das BVwG damit, dass seine Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, noch eine solche Rechtsprechung fehle oder als uneinheitlich zu beurteilen sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit unter anderem die Rechtsfrage geltend gemacht wird, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes der Beistand von UNRWA mit der Konsequenz wegfalle, dass dem Revisionswerber ipso facto Asyl zuzuerkennen sei.
8 Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Die Revision ist zulässig, weil zu dieser maßgeblichen Rechtsfrage Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt; sie ist auch begründet.
Rechtlicher Rahmen
10 Die für den Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, lauten (auszugsweise):
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
[...]
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.“
„Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn
1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;
2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;
3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder
4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl Nr. 60/1974 entspricht.
(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt.“
11 Art. 1 Abschnitt D der Konvention über die Rechtstellung der Flüchtlinge lautet:
„D. Dieses Abkommen wird auf Personen keine Anwendung finden, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten.
Wenn dieser Schutz oder diese Hilfe aus irgendeinem Grunde wegfällt, ohne dass die Stellung dieser Personen gemäß den bezüglichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geregelt ist, so werden diese Personen ipso facto der Vorteile dieses Abkommens teilhaftig.“
12 Die gegenständlich relevanten Bestimmungen der RL 2011/95/EU des Europäischen Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status-RL) lauten:
„Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) [...]
b) [...]
c) ‚Genfer Flüchtlingskonvention‘ das in Genf abgeschlossene Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der durch das New Yorker Protokoll vom 31. Januar 1967 geänderten Fassung;
d) ‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;
[...]“
„Artikel 12
Ausschluss
(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er
a) den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie;
[...]“
Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt
13 Der Revisionswerber bescheinigte im Asylverfahren seine Registrierung bei UNRWA - einer Organisation der Vereinten Nationen iSd Art. 1 Abschnitt D GFK, auf den sowohl Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL als auch § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 Bezug nehmen. Primärer Zweck von UNRWA ist es, Palästina-Flüchtlingen, insbesondere im Hinblick auf die (auch medizinische) Versorgungslage und Ausbildungsmöglichkeiten, einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen.
14 Es ist somit unbestritten, dass der Revisionswerber ausreichend nachgewiesen hat, dass er die Hilfe von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen hat (vgl. zu dieser Anwendungsvoraussetzung für Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL EuGH 17.6.2010, Nawras Bolbol, C-31/09, Rn. 52).
15 Der EuGH hat klargestellt, dass mit Art. 1 Abschnitt D GFK, auf den Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL verweist, in Anbetracht der besonderen Situation der palästinensischen Flüchtlinge für diese gezielt eine privilegierte Rechtsstellung geschaffen wurde. Asylwerber, welche unter dem Schutz einer von Art. 1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation oder Institution stehen, sind im Gegensatz zu anderen Asylwerbern gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, genießen jedoch bei Wegfall ebendieses Schutzes oder Beistands „aus irgendeinem Grund“ „ipso facto“ den Schutz der Status-RL (EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 80).
16 Dabei bezieht sich die Wendung „genießt [...] den Schutz dieser Richtlinie“ in Art. 12 Abs. 1 lit. a zweiter Satz der Status-RL als Verweis allein auf die Flüchtlingseigenschaft und nicht auf die Eigenschaft eines subsidiär Schutzberechtigten (EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 66 ff); eine Verfolgung im Sinne des Art. 2 lit. c Status-RL muss in diesem Fall gerade nicht dargetan werden. Voraussetzungen für den ipso-facto Schutz sind lediglich die Stellung eines Asylantrags sowie die Prüfung durch die Asylbehörden, ob der Beistand von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen wurde, dieser nicht länger gewährt wird und keiner der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 und 3 Status-RL vorliegt.
17 Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 29. Juni 2013, U 706/2012, aus, dass Österreich Art. 12 der Status-RL zwar insoweit in innerstaatliches Recht umgesetzt hat, als § 6 AsylG 2005 normiert, dass ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen ist, wenn und solange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der GFK genießt, es jedoch unterlassen hat, eine ausdrückliche innerstaatliche Regelung, welche die „ipso facto“-Zuerkennung von Asyl an Personen, denen gegenüber der Beistand einer Organisation wie von UNRWA „aus irgendeinem Grund“ weggefallen ist, anordnen würde, zu treffen. Der Verfassungsgerichtshof schlussfolgerte, dass es sich bei Art. 12 Abs. 1 lit. a zweiter Satz Status-RL um eine den Einzelnen begünstigende unionsrechtliche Regelung handle, welche mangels innerstaatlicher Umsetzung innerhalb der am 10. Oktober 2006 abgelaufenen Umsetzungsfrist unmittelbar anzuwenden sei.
18 Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsansicht an und geht ebenso von einer unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 12 Abs. 1 lit. a zweiter Satz Status-RL aus.
19 Wie das BVwG zutreffend erkannt hat, ist vorliegend für die fragliche Zuerkennung des ipso facto-Schutzes maßgeblich - zumal alle anderen Voraussetzungen unstrittig erfüllt sind -, ob der Beistand von UNRWA im Sinne der Status-RL als weggefallen anzusehen ist.
20 Für die dafür erforderliche Feststellung, ob dieser Beistand oder der Schutz tatsächlich nicht länger gewährt wird, haben die nationalen Behörden und Gerichte zu prüfen, ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebietes zwingen und somit daran hindern, den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen (EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 61).
21 Das BVwG verneinte das Vorliegen von nicht vom Revisionswerber zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen - maßgeblich - mit der Unglaubwürdigkeit dessen Fluchtvorbringens. Zur aktuellen Lage im Herkunftsgebiet führte es lediglich kursorisch aus, dass sich aus den getroffenen Feststellungen zur aktuellen allgemeinen Lage im Gaza-Streifen keine stichhaltigen Hinweise darauf ergeben hätten, „dass dies konkret auf den Beschwerdeführer zutreffen würde“ und anderweitige, außerhalb des Einflussbereichs des Revisionswerbers liegende Gründe für die Unmöglichkeit einer Inanspruchnahme des Beistands von UNRWA weder behauptet worden noch von Amts wegen festzustellen gewesen seien.
22 Diese kursorische Begründung greift zu kurz. Sie übersieht nämlich, dass ein Zwang, das Einsatzgebiet von UNRWA zu verlassen, und somit ein Wegfall des Schutzes von UNRWA, nicht vom Vorliegen individueller Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A GFK abhängt, sondern vielmehr auch gegeben ist, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es von UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe im Einklang stehen (EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 63, 65).
23 Eine in Folge bewaffneter Konflikte entstandene unzureichende Versorgungslage, wie sie das BFA im gegenständlichen Fall in seiner rechtskräftigen Entscheidung als Art. 3 EMRK widrig gewertet und dem Revisionswerber daher subsidiären Schutz gewährt hat, stellt folglich einen nicht vom Revisionswerber zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Grund für seinen Wegzug dar. Sie ist damit auch als Grund für den Wegfall des Schutzes oder Beistandes von UNRWA anzusehen, der zur ipso facto-Zuerkennung von Asyl führen muss.
24 Die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz an den Revisionswerber und damit die Bejahung der Voraussetzungen zur Zuerkennung dieses Schutzstatus durch das BFA waren auch vom BVwG im Beschwerdeverfahren betreffend den Status eines Asylberechtigten zu beachten. Sie standen nach dem bisher Gesagten der Annahme, der Revisionswerber könne weiterhin den Schutz durch UNRWA genießen, entgegen (vgl. auch VfGH 22.9.2017, E 1965/2017).
25 Eine Durchberechnung dieser Rechtskraftwirkung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sich nach Erlassung der Entscheidung des BFA der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert hätten, also eine neue Sache vorgelegen wäre, für die die Rechtskraftwirkung der ursprünglichen Entscheidung nicht mehr gelten würde. Von einer nachträglichen Änderung der Sache ist aber der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden („nova reperta“). Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheides erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (vgl. zum Ganzen VwGH 18.1.2017, Ra 2016/18/0293, mwN).
26 Eine relevante Sachverhaltsveränderung in diesem Sinne lässt sich den Feststellungen des BVwG im angefochtenen Erkenntnis allerdings nicht entnehmen.
27 Ausgehend davon war das angefochtene Erkenntnis wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
28 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
29 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Jänner 2018
Gerichtsentscheidung
EuGH 62011CJ0364 Abed El Karem El Kott VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017180274.L00Im RIS seit
20.08.2021Zuletzt aktualisiert am
20.08.2021