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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §17;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Dr. F M in B, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in 6780 Schruns, Gerichtsweg 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 22. Dezember 2016, Zl. LVwG-460-1/2016-R9, betreffend Ruhen eines Anspruchs auf Bezug einer Altersrente und Rückzahlung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gesamtausschuss der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 9. März 2016 stellte die belangte Behörde fest, dass der Anspruch des Revisionswerbers auf Bezug einer Altersrente aus der Versorgungseinrichtung Teil A der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer in näher genannten Zeiträumen gemäß § 6 Abs. 5 der Satzung ruhe und verpflichtete den Revisionswerber zur Rückzahlung entgegen diesem Ruhen ausbezahlter Altersrentenbeträge.
2 Mit dem nun in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG keine Folge; die Revision wurde für unzulässig erklärt.
3 Dem legte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes zu Grunde:
Der Revisionswerber beziehe - nach Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft - seit 1. Juni 2014 eine Altersrente aus der Versorgungseinrichtung Teil A der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer. Zu seinem mittlerweiligen Stellvertreter sei Rechtsanwalt Dr. Ba bestellt worden, der sämtliche noch offene Fälle vom Revisionswerber übernommen habe. Zwischen den beiden sei eine mündliche Abrechnungsvereinbarung getroffen worden, wonach Dr. Ba für seine Tätigkeit für die übernommenen Fälle 25 % des Honorars erhalte und der Revisionswerber 25 % der damit verbundenen Kanzleikosten zu bezahlen habe.
Der Revisionswerber habe zu näher genannten Zeitpunkten zwischen 16. März und 11. Dezember 2015 entgeltlich näher festgestellte rechtsanwaltliche Tätigkeiten verrichtet.
Der Entwurf des behördlichen Bescheids sei von Dr. Be als einem der Ausschussmitglieder vorbereitet worden; an der Beschlussfassung in der Ausschusssitzung am 9. März 2016 habe Dr. Be urlaubsbedingt nicht teilgenommen.
4 Dem Beschwerdeeinwand, der angefochtene Bescheid sei nichtig, weil der Gesamtausschuss als Ganzes befangen sei, entgegnete das Verwaltungsgericht (unter Hinweis auf näher zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs) damit, dass sich ein Befangenheitsgrund nach § 7 AVG nicht auf eine Behörde als solche oder auf eine juristische Person beziehen könne, sondern nur darauf, ob jene natürliche Person, die tatsächlich eine Amtshandlung vorgenommen habe, befangen sei. Hierfür genüge zwar das Vorliegen von Umständen, die bei objektiver Betrachtungsweise unter vernünftiger Würdigung aller konkreten Elemente die volle Unbefangenheit zweifelhaft erscheinen ließen, auch wenn der Entscheidungsträger tatsächlich nicht befangen sein sollte. Selbst die Mitwirkung eines befangenen Organs bewirke aber nicht die Nichtigkeit einer Entscheidung, sondern (bloß) gegebenenfalls einen Verfahrensmangel, sofern Bedenken gegen die sachliche Richtigkeit des Bescheids bestünden.
5 Der vom Revisionswerber geltend gemachte Umstand, Rechtsanwalt Dr. Be habe als Rechtsvertreter der belangten Kammer einen Prozess verloren, in dem der Revisionswerber als Vertreter der obsiegenden Partei aufgetreten sei, begründe - zumal Dr. Be nicht in eigener Sache, sondern als Rechtsvertreter tätig geworden sei - keine Anhaltspunkte einer Befangenheit.
6 Zum Ruhen des Anspruchs auf Altersrente und der Rückzahlungsverpflichtung des Revisionswerbers führte das Verwaltungsgericht Folgendes aus:
7 Gemäß § 6 Abs. 5 der Satzung ruhe der Rechtsanspruch auf Bezug einer Altersrente bei Ausübung einer entgeltlichen Tätigkeit, die in den beruflichen Aufgabenkreis von Rechtsanwälten (§ 8 RAO) falle, ab dem der Ausübung der Tätigkeit folgenden Kalendermonat für die Dauer der Tätigkeit, mindestens aber für drei Monate. Kein Ruhen werde bewirkt durch die Ausübung von Hilfstätigkeiten in einer Rechtsanwaltskanzlei, der der Rechtsanwalt vor seinem Verzicht angehört hat, wobei unter Hilfstätigkeiten nur administrative Tätigkeiten zu verstehen seien.
8 Gemäß § 16 Abs. 7 der Satzung habe der Leistungsempfänger zu Unrecht bezogene Leistungen zurückzubezahlen, insbesondere wenn die Leistungen durch unrichtige Angaben oder Nichtmeldung maßgeblicher Tatsachen zu Unrecht bezogen worden seien.
9 Gemäß § 8 Abs. 1 RAO erstrecke sich das Vertretungsrecht eines Rechtsanwalts auf alle Gerichte und Behörden der Republik Österreich und umfasse die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen und in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten.
10 Bei den festgestellten Tätigkeiten des Revisionswerbers habe es sich um Tätigkeiten i.S.d. § 8 Abs. 1 RAO gehandelt: Bei den Terminen am 16. und 17. März 2015 (Vorbereitung einer Miteigentümerversammlung und Teilnahme an dieser, wobei der Revisionswerber jeweils eine Honorarnote mit eigener UID-Nummer ausgestellt habe) habe der Revisionswerber fremde Interessen wahrgenommen und sei rechtsberatend eingeschritten. Auch bei den Terminen am 27. August 2015 und ca. eine Woche später (Besprechung bei einem Sachverständigen bzw. einem Hausverwalter im Auftrag eines Mandanten) habe der Revisionswerber fremde Interessen vertreten. Gleiches gelte für die beiden Befundaufnahmen im Rahmen eines vom Landesgericht F in Auftrag gegebenen Ortsaugenscheins:
Die Teilnahme an Befundaufnahmen stelle (unabhängig vom im konkreten Fall nicht gegebenen absoluten Anwaltszwang) eine typische anwaltliche Tätigkeit dar, zumal der Mandant ein Interesse an der konkreten Befundaufnahme habe. Dass die Teilnahme des Revisionswerbers zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich gewesen sei, ergebe sich zudem aus der Verrechnung dieser Teilnahme. Auch bei der Tagsatzung am 11. Dezember 2015 in einem Außerstreitverfahren vor dem Bezirksgericht M sei der Revisionswerber nicht, wie er geltend gemacht habe, bloß "als Bote" für seinen erkrankten ehemaligen Kollegen tätig geworden, sondern habe erst nach Relevierung seiner fehlenden Vertretungsbefugnis durch die Gegenseite den Umstand, dass er nicht mehr Rechtsanwalt war, offengelegt.
11 Gemäß § 61 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters (RL-BA 1977) bzw. - seit 1. Jänner 2016 - § 56 RL-BA 2015 sei der emeritierte Rechtsanwalt dazu angehalten, bei den noch offenen Akten "mitzuwirken". Diese Regelung enthalte eine demonstrative Aufzählung zulässiger Tätigkeiten, worunter nur administrative Tätigkeiten zu verstehen seien, woraus sich zeige, dass ein emeritierter Rechtsanwalt nicht mehr befugt sei, anwaltlich tätig zu werden.
12 Die festgestellten anwaltlichen Tätigkeiten des Revisionswerbers seien daher unzulässig gewesen und hätten zum Ruhen des Anspruchs auf Bezug einer Altersrente und damit zur Rückersatzverpflichtung geführt.
13 Zur Verweigerung der Akteneinsicht in die Ausschusssitzungsprotokolle der belangten Behörde führte das Verwaltungsgericht Folgendes aus: Gemäß § 21 Abs. 2 VwGVG könne die Behörde bei der Vorlage von Akten an das Verwaltungsgericht verlangen, dass bestimmte Akten oder Aktenbestandteile im öffentlichen Interesse von der Akteneinsicht ausgenommen werden. In Aktenbestandteile, die im Verwaltungsverfahren von der Akteneinsicht ausgenommen gewesen seien, dürfe Akteneinsicht nicht gewährt werden. Es bestehe - zwecks Wahrung der Unabhängigkeit der Mitglieder des Ausschusses - ein öffentliches Interesse daran, dass die Protokolle über die Ausschusssitzungen von der Akteneinsicht ausgenommen würden. Müsste ein Mitglied einer Kollegialbehörde befürchten, dass sein Beitrag zur Willensbildung an die Öffentlichkeit dringe, wäre eine Beeinflussung seines Stimmverhaltens und damit eine Gefährdung seiner Unabhängigkeit nicht ausgeschlossen. Die belangte Behörde habe daher zu Recht die Protokolle von der Akteneinsicht ausgenommen.
14 Die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S.d. Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
15 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.
16 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
17 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
18 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
19 Die für die Beurteilung ihrer Zulässigkeit allein maßgebende Zulässigkeitsbegründung der Revision macht Folgendes geltend:
20 Der Verwaltungsgerichtshof habe sich in seiner bisherigen Rechtsprechung noch nicht mit der - im Revisionsfall geltend gemachten - Befangenheit eines gesamten Kollegialorgans befasst. Es fehle auch Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur vom Verwaltungsgericht unter Hinweis auf § 21 VwGVG und § 17 AVG ausgesprochenen, als "tragende Begründung seiner abweisenden Entscheidung herangezogenen" Verweigerung der Akteneinsicht in Teile der Ausschussprotokolle der belangten Behörde. Schließlich gehe es im Revisionsfall auch um die Auslegung der §§ 61 ff RL-BA i. V.m. § 6 Abs. 5 der Satzung, weil der Umfang der zulässigerweise vom emeritierten Rechtsanwalt durchzuführenden Hilfstätigkeiten zu klären sei.
21 Mit diesem Vorbringen wird nicht dargelegt, dass der Verwaltungsgerichtshof bei Entscheidung über die vorliegende Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S.d. Art. 133 Abs. 4 B-VG zu lösen hätte:
22 Mit den in der Revision ins Treffen geführten Überlegungen zum Vorliegen einer Befangenheit nach § 7 AVG übersieht der Revisionswerber, dass allfällige Verfahrensmängel infolge Mitwirkung befangener Organwalter im verwaltungsbehördlichen Verfahren durch ein vor dem Verwaltungsgericht geführtes Verfahren saniert werden (vgl. VwGH 21.11.2017, Ra 2016/05/0092, und 24.10.2017, Ra 2016/06/0051, je m.w.N.).
23 Was die angesprochene Verweigerung der Akteneinsicht (in Teile des Protokolls der belangten Behörde) anlangt, geht schon die Prämisse der Revision, die betreffenden Teile seien als tragende Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts herangezogen worden, fehl: Vielmehr hat das Verwaltungsgericht selbst, im Rahmen zweier mündlicher Verhandlungen, eine Beweisaufnahme samt Einvernahme des Revisionswerbers durchgeführt und auf dieser Basis die entscheidenden Feststellungen getroffen. Die Frage, ob Akteneinsicht zu Recht verweigert wurde, ist vom Verwaltungsgerichtshof ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften zu behandeln (VwGH 21.1.2016, Ra 2015/12/0048, m.w.N.). Von der Revision wird aber nicht dargelegt, welche Relevanz dem geltend gemachten Verfahrensmangel zukommen solle.
24 Ein durch die Verzichtsleistung nach § 34 RAO emeritierter Rechtsanwalt ist zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft nicht berechtigt (vgl. nur etwa VwGH 19.12.2012, 2012/01/0114; 28.3.2006, 2005/06/0274). Zur Abgrenzung der i.S.d. § 56 RL-BA 2015 (vormals § 61 RL-BA 1977) zulässigen Hilfstätigkeiten eines emeritierten Rechtsanwalts von den i.S.d. § 6 Abs. 5 der Satzung in den beruflichen Aufgabenkreis von Rechtsanwälten fallenden Tätigkeiten besteht bereits Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. VwGH 28.3.2006, 2005/06/0274, zur insoweit vergleichbaren Satzungsbestimmung der Tiroler Rechtsanwaltskammer). Dass das Verwaltungsgericht mit der in Revision gezogenen Entscheidung von den damit gezogenen Leitlinien abgewichen wäre, wird von der Revision nicht geltend gemacht.
25 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 5. Februar 2018
Schlagworte
Verhältnis zu anderen Materien und Normen Befangenheit (siehe auch Heilung von Verfahrensmängeln der Vorinstanz im Berufungsverfahren)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017030091.L00Im RIS seit
15.02.2018Zuletzt aktualisiert am
01.03.2018