Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Jänner 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafvollzugssache des Richard M***** wegen bedingter Entlassung, AZ 46 BE 107/17z des Landesgerichts Salzburg, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Beschwerdegericht vom 19. September 2017, AZ 9 Bs 283/17g (ON 13 der BE-Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Dr. Hubmer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 19. September 2017, AZ 9 Bs 283/17g, verletzt § 48 Abs 1 dritter Satz zweiter Fall StGB und § 50 Abs 2 Z 2a StGB.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 11. August 2016, GZ 64 Hv 67/16b-105, wurde der junge Erwachsene Richard M***** der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB unter Anwendung von § 28 Abs 1 StGB sowie §§ 19 Abs 1 und 5 Z 4 JGG nach § 206 Abs 1 StGB schuldig erkannt und über ihn eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Nach § 43a Abs 4 StGB iVm § 5 Z 9 JGG wurde der Vollzug eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 20 Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen und gemäß §§ 50 Abs 1, 52 StGB Bewährungshilfe angeordnet.
Errechnetes Strafende aus dem Vollzug des unbedingten Teils war der 10. April 2018; die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach § 46 Abs 1 StGB lagen am 10. November 2017 vor.
Mit Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Vollzugsgericht vom 10. August 2017, GZ 46 BE 107/17z-8, wurde diese bedingte Entlassung aufgrund des Gewichts der der Verurteilung zu Grunde liegenden Verbrechen aus spezialpräventiven Gründen abgelehnt.
Der dagegen erhobenen Beschwerde des Strafgefangenen gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom 19. September 2017, AZ 9 Bs 283/17g (GZ 46 BE 107/17z-13 des Landesgerichts Salzburg), Folge und verfügte die bedingte Entlassung des M***** aus dem Vollzug des unbedingten Strafteils gemäß §§ 17, 19 Abs 2 JGG iVm § 46 Abs 1 StGB am 10. November 2017. Gemäß § 48 Abs 1 StGB wurde die Probezeit mit drei Jahren bestimmt. Die Anordnung der Bewährungshilfe im Sinn des § 50 Abs 2 Z 2 StGB unterblieb, weil dies nach Ansicht des Beschwerdegerichts wegen der diesbezüglichen Entscheidung bereits des dem Strafvollzug zu Grunde liegenden Urteils entbehrlich wäre.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1./ Nach § 48 Abs 1 dritter Satz zweiter Fall StGB erfordert die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung von mehr als einem Jahr (ErläutRV 678 BlgNR 23. GP 22; 15 Os 133/17y) unabhängig vom Strafrest zwingend die Anordnung einer Probezeit von fünf Jahren. Bei Konkurrenz strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität bzw Selbstbestimmung und anderen strafbaren Handlungen kommt es – in die Strafbarkeit nicht ausweitender Schließung einer planwidrigen Lücke in der in Rede stehenden Norm – darauf an, ob die zur aktuellen Strafe führenden Schuldsprüche auch einen solchen wegen einer im zehnten Abschnitt des Strafgesetzbuches enthaltenen strafbaren Handlung enthalten, die eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr androht, und die insgesamt verhängte Freiheitsstrafe ein Jahr übersteigt, wodurch die auf strenger bestrafte Sexualtäter abstellende längere Überwachungsmöglichkeit einen objektiven Bezugspunkt erhält (ähnlich Jerabek in WK2 StGB § 48 Rz 1/1).
2./ Nach § 50 Abs 2 Z 2a StGB ist Bewährungshilfe stets anzuordnen, wenn ein Verurteilter aus einer Freiheitsstrafe wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung bedingt entlassen wird. Ein spezialpräventiv motiviertes (§ 50 Abs 2 letzter Satz StGB) Absehen davon sieht das Gesetz – anders als in den Fällen des § 50 Abs 2 Z 1, Z 2 StGB – nicht vor (Schroll in WK2 StGB § 50 Rz 6b f).
Mangels Anordnung der Bewährungshilfe aus Anlass der bedingten Entlassung bliebe nicht nur der Bruch der Bewährungsaufsicht in Bezug auf den Vollzug des Strafrests folgenlos, sondern wäre auch die in den Fällen des § 50 Abs 2 Z 1 bis Z 3 StGB nach § 52 Abs 3 letzter Satz StGB normierte verpflichtende Überprüfung der weiteren Notwendigkeit der Bewährungshilfe jedenfalls nach Ablauf eines Jahres seit der Entlassung mangels Anordnung derselben aus Anlass der bedingten Entlassung nicht wirksam statuiert.
Entgegen den Ausführungen des Oberlandesgerichts Linz stellt darüber hinaus die Regelung des § 49 StGB keine tragfähige Grundlage für die Abstandnahme von der (neuerlichen – BS 3) Anordnung der Bewährungshilfe (in verkürzter Betrachtung nur mit Bezug auf § 50 Abs 2 Z 2 StGB – BS 3) aus Anlass der bedingten Entlassung dar, weil diese Bestimmung ausschließlich einen gemeinsamen Ablauf von mit bedingt nachgesehenem Strafteil und bedingter Entlassung verknüpften Probezeiten durch ex lege wirkende Verlängerung der früher endenden Probezeit normiert (Jerabek in WK2 StGB § 49 Rz 2/1).
Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen wirken sich nicht zum Nachteil des bedingt Entlassenen aus, sie waren demnach lediglich festzustellen (§ 292 letzter Satz StPO).
Textnummer
E120609European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00154.17G.0130.000Im RIS seit
15.02.2018Zuletzt aktualisiert am
22.07.2021