Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** S*****, vertreten durch Dr. Stephan Duschel, Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei U***** Versicherungen AG, *****, vertreten durch Dr. Elisabeth Messner, Rechtsanwältin in Wien, wegen 149.762,32 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. Oktober 2017, GZ 13 R 130/17h-12, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. Juli 2017, GZ 6 Cg 2/17h-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Am 11. 4. 2010 ereignete sich auf der Westautobahn A1 bei Kilometer 9,570 ein Verkehrsunfall, bei dem die Ehegattin (damals noch Lebensgefährtin) des Klägers als Lenkerin mit einem vom Kläger gehaltenen und bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw in einen Baustellenbereich geriet, dort mit dem Fahrzeug auf eine 26 Meter lange freigelegte Betonplatte stürzte und dann gegen eine Erhöhung stieß. Durch den Aufprall wurden sowohl die Lenkerin als auch der Kläger als Beifahrer verletzt.
Mit der am 19. 1. 2017 eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Zahlung von 149.762,32 EUR (50.000 EUR Schmerzengeld, 5.000 EUR Verunstaltungs-entschädigung, 73.106,05 EUR Verdienstentgang von 2010 bis 2015, 9.240 EUR Pflegekosten und entgangene Beitragsleistungen im Haushalt, 9.525,84 EUR vermehrte Bedürfnisse, 2.104 EUR Fahrtkosten, 786,43 EUR Heilbehandlungskosten) und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden entsprechend dem Versicherungsvertrag. Er sei als Fahrzeughalter berechtigt, den eigenen Personenschaden gegen seinen Haftpflichtversicherer wegen eines vom mitversicherten Fahrzeuglenker verschuldeten Verkehrsunfalls geltend zu machen. Gegen die mitversicherte Fahrzeuglenkerin könne er sich zwar nicht auf das EKHG, aber auf das ABGB berufen, wofür die Beklagte Deckung zu gewähren habe. Er brachte vor, er sei bis kurz vor Klageeinbringung davon ausgegangen, dass der Unfall durch eine mangelnde Beschilderung und unzureichende Absperrung der Baustelle verursacht worden sei und hierfür die ASFINAG sowie das – mittlerweile in Konkurs befindliche – Bauunternehmen haftbar seien. Beide seien in je einem Prozess von ihm und seiner Ehefrau vor dem Handelsgericht Wien geklagt worden. Das von ihm angestrengte Verfahren sei bis zur rechtskräftigen Erledigung des von seiner Frau angestrengten Verfahrens (in der Folge als „Vorprozess“ bezeichnet) unterbrochen worden. In keinem dieser Vorverfahren sei ein Sachverständigengutachten über den Unfallhergang erstattet worden. Der Vorprozess habe 2016 im dritten Rechtsgang durch das rechtskräftige Berufungsurteil ergeben, dass ein Fehlverhalten der dort Beklagten nicht nachweisbar sei. Hieraus folge zwingend, dass ein von der Lenkerin schuldhaft zu verantwortender Aufmerksamkeitsfehler ursächlich gewesen sei. Erst damit habe der Kläger vom gesamten anspruchsbegründenden Sachverhalt, insbesondere zu den Umständen des Verschuldens, Kenntnis erlangt, weshalb Verjährung noch nicht eingetreten sei. Er sei deshalb bisher nicht von einem Fahrfehler der Lenkerin ausgegangen, weil er keine Absperrungseinrichtungen (zB Hütchen) gesehen habe und er durch den Aufprall auf dem Betonfeld überrascht worden sei. Die Lenkerin habe ihm damals zum Unfallhergang mitgeteilt, sie sei der beschilderten Abzweigung nach rechts Richtung Auhof gefolgt und ohne Kollision mit Hindernissen zur Unfallstelle gelangt. Im Hinblick darauf, dass der Kläger die ganze Zeit hindurch in einem aufrechten Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden sei, und diese ihm gegenüber umfassende Treue- und Sorgfaltspflichten treffen, sei der erhobene Verjährungseinwand arglistig und sittenwidrig. Der Kläger habe bei der Beklagten auch eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, die für den gegenständlichen Fall Deckung biete. Es sei daher auch der Kläger verhalten gewesen, den Ausgang der Vorprozesse beim Handelsgericht Wien abzuwarten. Dies entspreche einer dem Kläger im Jahr 2011 ausdrücklich erteilten Weisung des Leiters der Rechtsschutzabteilung der beklagten Partei. Andernfalls hätte die Beklagte den Kläger dahingehend beraten müssen, einen Verjährungsverzicht einzuholen oder den Kontakt mit dem Referenten der Haftpflichtabteilung zu suchen.
Die Beklagte wendete ein, das Vorverfahren sei für das gegenständliche Verfahren irrelevant, weil dem Kläger habe klar sein müssen, dass eine Solidarhaftung gemäß § 8 EKHG der ASFINAG und der Beklagten nicht zum Tragen kommen könne, da am gegenständlichen Unfall nicht mehrere Fahrzeuge beteiligt gewesen seien. Als Halter des Unfallfahrzeugs sei der Kläger auch nicht außerhalb des Kreises der Beteiligten im Sinne des § 8 EKHG gestanden. Ein allfälliges Verschulden der Lenkerin habe er sich zurechnen zu lassen, weil § 19 Abs 2 EKHG nicht nur für Ansprüche des Unfallgegners, sondern auch für die Minderung eigener Ansprüche des Halters wegen eines Mitverschuldens des eigenen Lenkers maßgeblich sei. Die Geltendmachung von Ansprüchen des Klägers gegen sich selbst als Halter bei zuzurechnendem Verschulden scheide aus. Der Lenkerin sei aber auch kein Verschulden vorzuwerfen. Vielmehr stelle sich der Unfall als unabwendbares Ereignis dar. Die Ansprüche des Klägers seien verjährt, weil ihm alle relevanten Umstände des Unfalls naturgemäß seit dem Unfall bekannt gewesen seien. Dass in den Vorverfahren kein Sachverständigengutachten eingeholt worden sei, könne die Verjährung nicht hindern.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren schon aufgrund des dargestellten Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien ohne weiteres Beweisverfahren ab. Schadenersatzansprüche verjährten gemäß § 1489 ABGB innerhalb von drei Jahren ab Kenntnis des Schadens und des Schädigers. Es müssten die maßgeblichen Tatumstände so weit bekannt sein, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden könne. Bekannt sein müssten auch der Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und einem bestimmten vorwerfbaren Verhalten sowie die Umstände, die ein Verschulden begründeten. All diese Umstände seien dem Kläger schon am Unfalltag bekannt gewesen, insbesondere, dass möglicherweise auch ein Verschulden der Lenkerin in Frage komme. Dass allenfalls auch andere Schadensursachen und Schädiger denkbar gewesen seien, habe ein Verschulden der Lenkerin nicht ausgeschlossen. Davon ausgehend seien aber die geltend gemachten Ansprüche verjährt. Der Verjährungseinwand sei nicht arglistig oder sittenwidrig.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und billigte dessen Begründung. Besondere Umstände, weshalb die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB nicht schon ab dem Unfalldatum zu laufen beginne, habe der Kläger nicht behauptet. Wenn der Kläger nicht unmittelbar nach dem Unfall einen Sorgfaltsverstoß der Lenkerin erkannt habe, wären ihm einfache Erkundigungen wie die Durchführung eines Augenscheins an der Unfallstelle und Kenntnisnahme der tatsächlichen Beschilderung, der Absperrungen, Abweisbaken, Lichtleitanlagen, des freigelegten Betonfelds, der Bodenmarkierungen sowie der Baustellenein- und -ausfahrt zumutbar gewesen. Das Vorbringen des Klägers laufe darauf hinaus, dass er – bis zur rechtskräftigen Abweisung der Klage im Vorverfahren – Tatsachen unrichtig bewertet habe; nämlich, ob die leicht erkennbaren Sicherungen der Baustelle „ausreichend“ gewesen seien. Da rechtliche Schlussfolgerungen aber nicht zum rein tatsächlich zu verstehenden, den Beginn der Verjährung auslösenden Wissen gehörten, trage der Kläger als Geschädigter das Risiko der unrichtigen Beurteilung selbst. Arglist der Beklagten im Zusammenhang mit dem Verjährungseinwand liege schon deshalb nicht vor, weil der Kläger gar nicht behauptet habe, die Beklagte habe ihn arglistig von der Klageführung abgehalten.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag auf Klagestattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist wegen einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
Folgendes wurde erwogen:
1. Zum Grund der geltend gemachten Ansprüche
Für den Fall, dass die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche zu verneinen und ein Verschulden der Lenkerin zu bejahen wäre, wären die Ansprüche des Klägers dem Grunde nach berechtigt. Der Kläger hätte diesfalls Schadenersatzansprüche aus Verschulden nach ABGB gegen die Lenkerin, für die der Haftpflichtversicherer deckungspflichtig ist (vgl § 2 Abs 2 iVm § 4 Abs 1 Z 1 KHVG e contrario betreffend Personenschäden; vgl auch 7 Ob 196/99w = JBl 2000, 185 [zust Apathy]; 2 Ob 73/05g; 7 Ob 289/08p).
Jene von der Beklagten in der Revisionsbeantwortung ins Treffen geführte Judikatur, wonach sich der Geschädigte als Insasse des von ihm gehaltenen Kfz das Verschulden des Lenkers gemäß § 19 Abs 2 EKHG zurechnen lassen muss (RIS-Justiz RS0122953; RS0058406; 8 Ob 68/85; 2 Ob 251/08p), ist nicht einschlägig, weil sie Fälle betraf, in denen – anders als hier – der Haftpflichtversicherer des (hier nicht existenten) Gegners belangt wurde.
2. Zur Verjährung
2.1. Gesetzeslage
Gemäß § 1489 ABGB ist jede Entschädigungsklage in drei Jahren von der Zeit an verjährt, zu welcher der Schade und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt wurde.
2.2. Rechtsprechung
2.2.1. Allgemein
Die Kenntnis des Sachverhalts, der den Grund des Entschädigungsanspruchs darstellt, beginnt erst, wenn dem Geschädigten der Sachverhalt soweit bekannt wurde, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg einbringen hätte können (RIS-Justiz RS0034524). Bei Schadenersatzansprüchen ist mangels abweichender Behauptungen die Kenntnis vom Ersatzpflichtigen mit dem Unfalldatum gleichzusetzen, sofern nicht im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände Abweichendes zu gelten hat (1 Ob 85/10x = RIS-Justiz RS0034198 [T5]). Eine solche Erfolgsaussicht besteht aber nur im Falle der Erhebung einer schlüssigen Klage, also einer Klage, bei der aus dem Sachvorbringen das Begehren abgeleitet werden kann. Die Kenntnis des Geschädigten muss daher den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RIS-Justiz RS0034524 [T14, T27, T29]). Nur ab tatsächlichem Bekanntsein von Umständen, die die Annahme eines Verschuldens des Schädigers rechtfertigen, ist die Einbringung der Klage mit Aussicht auf Erfolg möglich (RIS-Justiz RS0034686 [T8]). Der Kläger muss Klarheit über das Verschulden des Schädigers haben (RIS-Justiz RS0034374 [T1]). Bei einem diese strittigen Tatfragen und Rechtsfragen behandelnden Prozess darf dessen Ausgang oder zumindest das Vorliegen gesicherter Verfahrensergebnisse abgewartet werden. Der Geschädigte setzt sich also bis zu diesem Zeitpunkt nicht der Gefahr der Verjährung seines Schadenersatzanspruchs aus (RIS-Justiz RS0034524 [T28]). Eine ausreichende Kenntnis vom Schaden kann allerdings im Einzelfall auch gegeben sein, wenn bereits vorher gesicherte Verfahrensergebnisse vorliegen oder der Geschädigte erdrückende Beweise ignoriert (RIS-Justiz RS0034908 [T14, T20]). Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Dabei ist auf die Umstände des konkreten Falls abzustellen. Die Erkundigungspflicht des Geschädigten darf nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0034327).
2.2.2. Behauptungs- und Beweislast
Für den Beginn der Verjährungsfrist ist der Beklagte beweispflichtig (RIS-Justiz RS0034456). Derjenige, der die Verjährung einwendet, hat jene Tatsachen, die seine Einrede zunächst einmal schlüssig begründen, vorzubringen und zu beweisen (RIS-Justiz RS0034326 [T3]); RS0034198 [T1, T4]). Den Schadenersatzpflichtigen trifft also die Behauptungs- und Beweislast für den Beginn der Verjährungsfrist und die relevante Kenntnis des Geschädigten zu einem bestimmten Zeitpunkt (RIS-Justiz RS0034326 [T9]).
2.3. Eine Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zur Beurteilung, dass die Beklagte bisher dieser ihrer Behauptungslast nicht nachkam.
2.3.1. Der Kläger hat vorausgesehen, dass die Beklagte Verjährung einwenden werde. Er hat schon in der Klage ausgeführt, warum er abweichend vom Normalfall (Verjährungsbeginn mit Unfalldatum) erst mit Zustellung des Berufungsurteils im dritten Rechtsgang im Vorprozess (2016) hinreichende Kenntnis vom Verschulden der Lenkerin und somit erst dadurch von allen anspruchsbegründenden Umständen erlangt hat. Sein Vorbringen steht auch mit dem Akteninhalt nicht in Widerspruch.
2.3.2. Ausgehend von diesem Vorbringen des Klägers kann der Eintritt der Verjährung nicht damit begründet werden, dass die Klage nicht innerhalb von drei Jahren ab dem Unfalltag eingebracht wurde. Es wäre vielmehr nach der zitierten Rechtsprechung an der Beklagten gelegen, Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, warum dem Kläger bereits ab dem Unfalltag der Sachverhalt so weit bekannt war, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg hätte einbringen können. Dazu haben die Beklagten nur behauptet, dem Kläger seien „alle relevanten Umstände des Unfalls naturgemäß“ seit dem Unfall bekannt gewesen. Der Bezug auf „alle relevanten Umstände“ ist kein Tatsachenvorbringen und kann konkrete Behauptungen, aufgrund welcher Tatsachen dem Kläger ab dem Unfall auch bekannt gewesen sei, dass die Lenkerin ein Verschulden treffe, nicht ersetzen.
2.3.3. Dass – wie das Erstgericht annimmt – dem Kläger seit dem Schadensereignis bekannt gewesen sei, dass möglicherweise auch ein Verschulden der Lenkerin in Frage gekommen sei, heißt nur, dass es aus Sicht des Klägers ebenso möglich gewesen ist, dass die Lenkerin kein Verschulden traf, oder anders gewendet, dass der Kläger über ein Verschulden der Lenkerin eben nicht Bescheid wusste. Dies reicht nach der unter 2.2.1. angeführten Rechtsprechung aber nicht aus, um die Verjährungsfrist in Gang zu setzen.
2.3.4. Auch die vom Berufungsgericht ins Treffen geführte Erkundigungsobliegenheit (Ortsaugenschein an der Baustelle auf der Autobahn) ist zu verneinen. Zum Einen darf nach der unter 2.2.1. zitierten Rechtsprechung die Erkundigungspflicht des Geschädigten jedenfalls nicht überspannt werden, zumal solche Erkundigungspflichten in § 1489 ABGB, der nur auf Kenntnis abstellt, keine Grundlage haben. Zum Anderen ist zu bedenken, dass nach der in ihrer Echtheit nicht bestrittenen Krankengeschichte (Beilage ./F) der Kläger vom Unfallstag (11. 4. 2010) bis 10. 5. 2010, also fast ein Monat, aufgrund der unfallkausalen Verletzungen stationär im Spital war; während dieser Zeit wäre ein Ortsaugenschein unzumutbar gewesen. Im Übrigen wäre ein Ortsaugenschein auch nur schwer durchführbar gewesen: Zu Fuß hätte er auf der Autobahn nicht erfolgen dürfen (§ 46 Abs 1 StVO). Mit dem Pkw wäre zur näheren Wahrnehmung und zur fotografischen Dokumentation der Baustellenbereiche dort wohl ein Halten nötig, was aber auf der Autobahn ebenfalls verboten ist (§ 46 Abs 4 lit e StVO). Schließlich wäre ein Ortsaugenschein auch nicht geeignet gewesen, Klarheit über ein Verschulden der Lenkerin zu gewinnen: Baustellen sind temporäre Einrichtungen, weshalb der Kläger, hätte er auch nur einige Tage nach dem Unfall einen Augenschein durchgeführt, nicht sicher sein hätte können, dass er die Baustellenbereiche genau so vorfinden würde, wie sie sich im Unfallzeitpunkt darstellten. Wäre im Unfallzeitpunkt die Baustelle tatsächlich mangelhaft abgesichert gewesen, hätte nämlich gerade der gegenständliche Unfall das Bauunternehmen oder die ASFINAG veranlassen können, zur Verhinderung weiterer Unfälle möglichst rasch für eine ausreichende Absicherung zu sorgen und solchermaßen den Baustellenbereich gegenüber dem Unfallzeitpunkt zu verändern. Ob für den Geschädigten eines Verkehrsunfalls überhaupt eine „Erkundungsobliegenheit“ durch Vornahme eines Ortsaugenscheins zu bejahen wäre, kann daher hier dahinstehen.
3. Folgerungen für das vom Erstgericht zu ergänzende Verfahren
3.1. Auf Basis der bisherigen Verhandlungsergebnisse und Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob die geltend gemachten Ansprüche verjährt sind. Das Erstgericht wird zunächst mit der Beklagten ihren Verjährungseinwand zu erörtern und sie aufzufordern haben, dazu ein schlüssiges Vorbringen zu erstatten (vgl oben 2.3.2.). Wird ein solches schlüssiges Vorbringen nicht erstattet, ist davon auszugehen, dass die geltend gemachten Ansprüche nicht verjährt sind. Wird ein schlüssiges Vorbringen erstattet, wird das Erstgericht die beantragten relevanten Beweise aufzunehmen und sodann Feststellungen zu treffen haben, die im Licht der zitierten Rechtsprechung (oben 2.1.1.) eine Beurteilung der Verjährungsfrage ermöglichen.
3.2. Für den Fall, dass sich die Ansprüche dann als verjährt herausstellen sollten, kann aber jetzt schon der Einwand des Klägers, der Verjährungseinwand sei arglistig und sittenwidrig, als unberechtigt verworfen werden. Der Umstand, dass der Kläger in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten steht, verpflichtete diese nicht zu besonderer Treue und Sorgfalt gegenüber dem Kläger im Hinblick auf den Unfall, der mit dem Arbeitsverhältnis in keinem rechtlichen Zusammenhang steht. Ob die Beklagte aufgrund der behaupteten Rechtsschutzversicherung verpflichtet war, dem Kläger den nunmehrigen Prozess zu finanzieren, hätte der Kläger bei Weigerung der Beklagten unter Umständen durch eine Klage auf Rechtsschutzdeckung klären müssen. Davon abgesehen hat die Frage der Rechtsschutzdeckung auf die Verjährung keinen Einfluss. Dies gilt auch für die vom Kläger behauptete Weisung des Leiters der Rechtsschutzabteilung, den Vorprozess abzuwarten. Eine Rechtsgrundlage für die Verbindlichkeit einer solchen „Weisung“ ist nicht ersichtlich. Auch eine solche „Weisung“ hätte somit den Kläger nicht daran hindern können, dennoch schon vor Beendigung des Vorprozesses die Klage einzubringen.
3.3. Erweist sich der Verjährungseinwand als unberechtigt, wird zunächst zu prüfen sein, ob die Lenkerin ein Verschulden traf. Die Beklagte hat dazu in erster Instanz auch vorgebracht, das sei nicht der Fall. Traf die Lenkerin ein Verschulden, hat das Erstgericht eine Prüfung der – bestrittenen – Höhe der geltend gemachten Ansprüche vorzunehmen.
4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Textnummer
E120613European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00214.17K.0130.000Im RIS seit
15.02.2018Zuletzt aktualisiert am
13.05.2019