TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/6 W132 2001086-2

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Veröffentlicht am 06.02.2018
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Entscheidungsdatum

06.02.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
VOG §1 Abs1
VOG §1 Abs3
VOG §10
VOG §3
VOG §4 Abs1
VOG §4 Abs2

Spruch

W132 2001086-2/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und den Richter Mag. Christian DÖLLINGER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, bevollmächtigt vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Hilfeleistungen in Form von Ersatz des Verdienstentganges sowie Heilfürsorge in Form der Übernahme eines krankenversicherungsrechtlichen Schutzes, gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 3, § 4 Abs. 1 und 2 sowie § 10 Abs. 1 Verbrechensopfergesetz (VOG), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid

aufgehoben.

I. Hilfeleistungen in Form von Ersatz des Verdienstentganges werden - vorbehaltlich der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - ab 01.10.2012 dem Grunde nach bewilligt.

II. Ab 01.10.2012 gebührt der Beschwerdeführerin Heilfürsorge in Form der Übernahme eines krankenversicherungsrechtlichen Schutzes für den Zeitraum in welchem sie keiner gesetzlichen Krankenversicherung unterlag bzw. unterliegt.

Die Berechnung der Hilfeleistung und die Durchführung obliegen dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin hat am 27.09.2012 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung nunmehr:

Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem VOG in Form von Ersatz des Verdienstentganges sowie Heilfürsorge in Form der Übernahme eines krankenversicherungsrechtlichen Schutzes gestellt. Im Wesentlichen wurde begründend ausgeführt, sie sei während der Unterbringung im Julius Tandlerheim von einem Insaßen vergewaltigt und von den Erzieherinnen körperlich und psychisch misshandelt worden. Da die Beschwerdeführerin aufgrund der dadurch erlittenen Schädigungen nie einer Beschäftigung nachgehen habe können, hätte sie einen Verdienstentgang erlitten und sei nicht krankenversichert.

1.1. Nachstehend angeführte Beweismittel wurden in Vorlage gebracht bzw. von der belangten Behörde eingeholt:

-

Anzeige der Vergewaltigung

-

Strafbehördliche Erhebungen zur angezeigten Vergewaltigung

-

Zeugeneinvernahme zur angezeigten Vergewaltigung der Beschwerdeführerin, ihrer Mutter und ihres Adoptivvaters, jeweils am 04.11.1986

-

Zeitungsartikel aus den Jahren 1990 und 2010 betreffend die Anschuldigungen der Mutter der Beschwerdeführerin gegen die Jugendwohlfahrt

-

Korrespondenz der Mutter der Beschwerdeführerin mit Organen der öffentlichen Verwaltung betreffend Missstände in Kinder- und Jugendheimen aus 2010

-

Ausführliche schriftliche Darstellung der Beschwerdeführerin über die angeschuldigten Vorfälle

-

Bestätigung der Vienna Business School über die von der Beschwerdeführerin erfolgreich absolvierte Aufnahmeprüfung und deren Besuch der Handelsschule vom 07.09.1994 bis 10.10.1994

-

Klinisch-psychologischer Bericht Dris. XXXX vom 06.06.2012

-

Bestätigung Weißer Ring vom Juli 2012 über die in Höhe von €

25.000,-- zuerkannte Entschädigung der Stadt Wien

-

Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung zum Stichtag 20.03.2013

1.2. Zur Überprüfung des Antrages wurden von der belangten Behörde Sachverständigengutachten von Mag. XXXX, Klinische Psychologin, und Dr. XXXX, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, basierend auf den persönlichen Untersuchungen der Beschwerdeführerin am 15.02.2013, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Beschwerdeführerin an einer schwerwiegenden psychiatrischen Gesundheitsschädigung leide, welche mit Wahrscheinlichkeit auf die erlittenen Missbrauchserlebnisse zurückzuführen sei, die Verbrechen jedoch nicht als alleinige Ursache anzuschuldigen seien, das Leiden eine nachvollziehbare und verständliche Folge des Verbrechens sei, einer psychotherapeutischen Behandlung bedürfe und Berufsunfähigkeit bewirke sowie den beruflichen Werdegang in einem solchen Maße beeinträchtigt habe, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sei, eine berufliche Ausbildung abzuschließen und kontinuierlich eine berufliche Tätigkeit auszuüben, wobei dieser Umstand zu 50% den erlittenen Traumata und zu 50% der familiären Situation zuzuordnen sei.

1.3. Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 28.03.2013 gemäß § 45 Abs. 3 AVG das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

Mit dem Schreiben vom 17.04.2013 hat die Beschwerdeführerin Einwendungen erhoben.

Am 25.04.2013 hat die Beschwerdeführerin mitgeteilt, den Rechtsanwalt Dr. XXXX zur Vertretung im Verfahren bevollmächtigt zu haben.

Der bevollmächtigte Vertreter hat mit dem Schriftsatz vom 13.05.2013 ergänzende Einwendungen vorgebracht.

1.4. Zur Überprüfung hat die belangte Behörde eine mit 12.08.2013 datierte, auf der Aktenlage basierende, Stellungnahme von der bereits befassten Sachverständigen Mag. XXXX, Klinische Psychologin, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die erhobenen Einwendungen nicht geeignet seien, eine geänderte Beurteilung zu begründen.

Mit dem Schreiben vom 27.08.2013 wurde das eingeholte Ergänzungsgutachten der bevollmächtigten Vertretung übermittelt.

Der bevollmächtigte Vertreter hat mit dem Schriftsatz vom 16.09.2013 - unter Vorlage des Klinisch-psychologischen Berichtes Dris. XXXX vom 06.06.2012 - Einwendungen erhoben.

1.5. Mit dem Bescheid vom 02.10.2013 hat die belangte Behörde den Antrag auf Hilfeleistungen in Form von Ersatz des Verdienstentganges sowie Heilfürsorge in Form der Übernahme eines krankenversicherungsrechtlichen Schutzes, gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 3, § 4 Abs. 1 sowie § 10 Abs. 1 VOG abgewiesen.

Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass die angeschuldigten Vorfälle die festgestellten Gesundheitsschädigungen nicht überwiegend verursacht hätten.

2. Gegen diesen Bescheid hat die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin unter Vorlage von Zeitungsartikeln betreffend Vorwürfe gegen die XXXX aus dem Jahr 1984 fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde) erhoben.

2.1 Mit Wirksamkeit 01.01.2014 wurde das nunmehr zur Behandlung der Beschwerde zuständige Bundesverwaltungsgericht eingerichtet und die Rechtssache zugewiesen.

3. Mit dem Beschluss vom XXXX, hat das Bundesverwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid behoben und gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

3.1. Die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin hat mit dem Schriftsatz vom 09.07.2014 unter Vorlage von Beweismitteln ein ergänzendes Vorbringen zum Lebenslauf der Beschwerdeführerin erstattet.

Nachstehend angeführte Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:

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Eidesstattliche Erklärungen der Mutter der Beschwerdeführerin vom 03.07.2014 und 04.07.2014

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Zeitungsartikel betreffend Vorwürfe gegen die XXXX aus dem Jahr 1984

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Erläuterung der Mutter der Beschwerdeführerin vom 05.07.2014 zum Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung zum Stichtag 02.07.2014

3.2. Am 12.08.2014 hat die Mutter der Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde vorgesprochen.

Nachstehend angeführte Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:

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Auszug aus dem Österreichischen Lexikon des Austria-Forum betreffend uneheliche Kinder

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Kopie des Reisepasses der Beschwerdeführerin

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Bewilligung der Annahme der Beschwerdeführerin an Kindesstatt durch ihre Mutter und deren Ehemann vom 08.06.1989

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Meldung eines sanitätspolizeilichen und hygienischen Übelstandes in der Wohnung der Mutter der Beschwerdeführerin am 13.04.1985

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Klinisch-psychologischer Bericht Dris. XXXX vom 06.06.2012

-

Bestätigung Weißer Ring vom Juli 2012 über die in Höhe von €

25.000,-- zuerkannte Entschädigung der Stadt Wien

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Unterlagen aus dem Akt der Jugendwohlfahrt

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Benachrichtigung der Staatanwaltschaft Wien vom 03.09.2013 über die Einstellung des Verfahrens gegen E.K., Mitarbeiterin des Amtes für Jugend und Familie Wien, wegen § 302 Abs. 1 StGB

-

Bestätigung der Vienna Business School über die von der Beschwerdeführerin erfolgreich absolvierte Aufnahmeprüfung und deren Besuch der Handelsschule vom 07.09.1994 bis 10.10.1994

-

Zeugeneinvernahme zur angezeigten Vergewaltigung der Beschwerdeführerin, am 04.11.1986

3.3. In der Folge hat die belangte Behörde den Pflegschaftsakt der Beschwerdeführerin und den Strafakt zur 1986 angezeigten Vergewaltigung eingeholt sowie, erfolglos, Erhebungen zum der Vergewaltigung Beschuldigten gepflogen.

3.4. Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 28.11.2014 gemäß § 45 Abs. 3 AVG das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

Mit dem Schriftsatz vom 05.01.2015 hat die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin Einwendungen erhoben.

3.5. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag auf Hilfeleistungen in Form von Ersatz des Verdienstentganges sowie Heilfürsorge in Form der Übernahme eines krankenversicherungsrechtlichen Schutzes gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 3, § 4 Abs. 1 und 2 sowie § 10 Abs. 1 VOG abgewiesen.

Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne, dass die Beschwerdeführerin Opfer eines Vorsatzdeliktes im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG geworden sei.

4. Gegen diesen Bescheid hat die nunmehr bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Ohne Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt widersprüchlich und die rechtliche Beurteilung unzutreffend sei. Der Sachverhalt sei auch unvollständig erhoben worden und die erforderliche Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens unterblieben.

4.1. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.03.2017 wurden die Beschwerdeführerin, deren bevollmächtigte Vertretung und die belangte Behörde sowie die Mutter der Beschwerdeführerin zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.05.2017 geladen.

Am 27.04.2017 hat die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin Einsicht in den Verwaltungsakt genommen.

Mit dem Schriftsatz vom 27.04.2017 hat die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin einen Klinisch-psychologischen Befund Dris. XXXX vom 31.03.2017 vorgelegt, vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage sei, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und die Einvernahme von Dr. Binder-Krieglstein beantragt.

4.2. Am 10.05.2017 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin teilnahm. Die belangte Behörde hat nicht an der Verhandlung teilgenommen. Die Mutter der Beschwerdeführerin wurde als Zeugin ausführlich zum Lebenslauf der Beschwerdeführerin und ihren Wahrnehmungen zu den angeschuldigten Ereignissen befragt. Die Verhandlung wurde zur Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Psychiatrie vertagt.

4.3. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, basierend auf der Aktenlage, eingeholt.

4.4. Im Rahmen des vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs wurden die Fragestellungen an die medizinische Sachverständige inklusive der diesen vorangestellten Feststellungen des Senates zum Sachverhalt sowie die im verwaltungsbehördlichen und das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt dazu Stellung zu nehmen.

Die belangte Behörde hat keine Einwendungen erhoben.

Die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin hat mit dem Schriftsatz vom 08.09.2017 vorgebracht, das Sachverständigengutachten Dris. XXXX sei fehlerhaft, unschlüssig und unvollständig. Einwendungen zu den Feststellungen des Senates wurden nicht erhoben.

4.5. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.09.2017 wurden die Beschwerdeführerin, deren bevollmächtigte Vertretung, die medizinische Sachverständige Dr. XXXX und die belangte Behörde zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.11.2017 geladen.

Mit dem Schriftsatz vom 29.09.2017 hat die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin unter Hinweis auf den Klinisch-psychologischen Befund Dris. XXXX vom 31.03.2017 vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage sei, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Es sei lediglich in Begleitung ihres Hundes und dann für nicht länger als 10 Minuten möglich zu erscheinen. Ergänzend wurde angeregt, die Mutter der Beschwerdeführerin neuerlich als Zeugin vorzuladen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin informiert, dass das Erscheinen zur mündlichen Verhandlung in Begleitung ihres Hundes zugestanden wird und der Beschwerdeführerin gestattet wird die Verhandlung zu verlassen, sobald ihr eine weitere Anwesenheit nicht mehr möglich ist.

4.6. Am 14.11.2017 setzte das Bundesverwaltungsgericht die öffentliche mündliche Verhandlung fort. Es nahmen die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführerin sowie die medizinische Sachverständige Dr. XXXX teil. Die belangte Behörde hat nicht an der Verhandlung teilgenommen.

Eingangs wurde die Beschwerdeführerin zu ihrem Lebenslauf nach Ende der Heimunterbringung befragt. Danach hat sie die Verhandlung verlassen. In der Folge hat die medizinische Sachverständige den eingeholten Sachverständigenbeweis erörtert und zum Beschwerdebild der Beschwerdeführerin, allfälligen Therapieoptionen und dem Kausalitätsverlauf Stellung genommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin wurde am XXXX geboren, ihre Mutter war damals 27 Jahre alt und hat vom Kindsvater getrennt gelebt. Mutter und Kind haben gemeinsam mit der Großmutter in einer Wohnung gelebt. Die Mutter der Beschwerdeführerin hat, außer der Zeit des Mutterschutzes Vollzeit, wechselweise untertags oder abends als Kellnerin gearbeitet. Die Großmutter war bereits in Pension und hat sich um die Beschwerdeführerin gekümmert.

Im September 1977 vermutet die Mutter der Beschwerdeführerin, dass auf der Kinderstation des AKH Wien eine Fehldiagnose gestellt worden und eine die Beschwerdeführerin schädigende Fehlbehandlung zu befürchten ist. Daher hat sie die Beschwerdeführerin aus der Spitalsbetreuung genommen und ist ca. neun Monate lang "untergetaucht". Um nicht aufgefunden zu werden, hat die Mutter der Beschwerdeführerin neun verschiedene Wohnungen parallel zueinander gemietet und wurde (Beschwerdeführerin, deren Mutter und Großmutter) jeweils die Wohnung gewechselt. Die Beschwerdeführerin war damals das einzige Kind. Die Mutter der Beschwerdeführerin hat den Lebensunterhalt bestritten, in deren Abwesenheit hat die Großmutter die Beschwerdeführerin betreut. Die Polizei hat einem Hinweis nachgehend die Mutter der Beschwerdeführerin an der Arbeitsstelle aufgegriffen und verhaftet. Während der ca. zehntägigen Untersuchungshaft war die Beschwerdeführerin bei der Großmutter untergebracht.

In der Zeit danach hat die Beschwerdeführerin wieder mit ihrer Mutter und Großmutter zusammengelebt. Ihre Mutter ist dann wieder schwanger geworden, der Bruder ist auf die Welt gekommen als die Beschwerdeführerin zwei Jahre alt war. Der Vater dieses Kindes hat nicht mit der Familie zusammengelebt. Die Mutter der Beschwerdeführerin war teilzeitbeschäftigt und hat Sozialhilfe bezogen, weil der Sohn zu früh geboren wurde, eine Bewegungsstörung aufwies und der Betreuung bedurfte.

Die Beschwerdeführerin hat nicht den Kindergarten besucht, soziale Kontakte hatte sie am Spielplatz und unter Bekannten der Familie.

Die Beschwerdeführerin wurde mit sechs Jahren in der Vorschule eingeschult. Bis zur Heimunterbringung hat die Beschwerdeführerin dieselbe Schule besucht.

Bei der Geburt des zweiten Bruders war die Beschwerdeführerin sieben Jahre alt. Dessen Vater hat getrennt von der Familie gelebt. Die Mutter der Beschwerdeführerin musste nach der schwierigen Geburt des zweiten Sohnes notoperiert werden. Die Großmutter hat sich zu dieser Zeit in Spitalsbehandlung befunden, weshalb der jüngste Bruder bei einer Pflegefamilie, der ältere Bruder im Zentralkinderheim und die Beschwerdeführerin bei einer ihrer Mutter bekannten Studentenwohngemeinschaft untergebracht wurden. Nachdem die Mutter der Beschwerdeführerin aus der Spitalspflege entlassen wurde, hat sie ihre Söhne nicht zurückerhalten. Die Beschwerdeführerin hat in der Folge mit ihrer Mutter und der pflegebedürftigen Großmutter zusammengelebt.

Es kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin in der Zeit vom zweiten bis zum achten Lebensjahr verwahrlost war. Die Mutter der Beschwerdeführerin war teilzeitbeschäftigt und hat am 23.06.1986 geheiratet. Der Ehemann hat die Beschwerdeführerin 1989 adoptiert.

Die Beschwerdeführerin wurde von Fürsorgebeamtinnen direkt von der Schule in das Julius Tandler Heim gebracht. Die Beschwerdeführerin hat diese Trennung von der Mutter als sehr dramatisch erlebt.

Es ist mit Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin während des Heimaufenthaltes im Julius Tandler Heim vom 26.06.1985 - 12.09.1985 und hernach im Kinderheim Stiefern vom 12.09.1985 - 23.12.1986 Opfer nachstehender Handlungen geworden ist:

Die Beschwerdeführerin wurde von Aufsichtspersonen mehrmals bzw. regelmäßig an den Haaren gezogen und mit der Hand ins Gesicht geschlagen, wurde gezwungen mitten in der Nacht aufzustehen und bis zu drei Stunden lang stumm am Gang zu stehen, wurde gezwungen auch Erbrochenes zu essen, der Beschwerdeführerin wurden auch nicht kindgerechte Horrorfilme gezeigt.

Die Beschwerdeführerin wurde im August 1985 von einem Jugendlichen vergewaltigt.

Die Mutter der Beschwerdeführerin hat laufend - auch bei Gericht -, jedoch erfolglos, versucht die Beschwerdeführerin zurückzubekommen, weil sie den Eindruck hatte, dass die Beschwerdeführerin im Heim sehr unglücklich ist.

Der Mutter der Beschwerdeführerin wurde nur selten der Besuch gestattet, die Beschwerdeführerin hat sehr unter der geringen Besuchsfrequenz gelitten.

In der Folge ist es der Mutter der Beschwerdeführerin gelungen einen "Freigang" zu erwirken, mit der Beschwerdeführerin und deren Adoptivvater in einem zu diesem Zweck gemieteten Haus "unterzutauchen", medialen Druck zu erzeugen und die Beschwerdeführerin letztendlich in häuslicher Obhut behalten zu dürfen.

Die Brüder der Beschwerdeführerin haben weiter bei der Pflegefamilie gelebt.

Ab Jänner 1987 lebte die Beschwerdeführerin bei ihrer Mutter und dem Adoptivvater.

Ca. drei Jahre hat die Familie in einem Haus in Wr. Neustadt gelebt.

Die Beschwerdeführerin hat in Wr. Neustadt die Volks- und dann die Hauptschule besucht.

Dann (ca. 1990), nach dem Tod der Mutter des Adoptivvaters, ist die Familie in das Haus der Mutter des Adoptivvaters in Erlach übersiedelt.

Der Adoptivvater war Uhrmachermeister und hat einen Familienbetrieb geführt. Er wurde nach dem Tod seiner Mutter alkoholkrank, weshalb er das Geschäft nicht weiterführen konnte und die Familie in finanzielle Schwierigkeiten geriet und das Geschäft und das Haus verkaufen musste, um die Schulden zu begleichen.

Nach dem Verkauf des Hauses ist die Familie in eine Mietwohnung in Wr. Neustadt gezogen.

1991 ist die Familie nach Wien übersiedelt.

Die Persönlichkeit des Adoptivvaters hat sich aufgrund der Alkoholkrankheit zum Schlechten verändert. Einmal wurde er gewalttätig gegen die Mutter der Beschwerdeführerin, weshalb diese für zwei bis drei Wochen in ein Frauenhaus, dann in eine eigene Wohnung, gezogen ist und sich hat scheiden lassen.

1992, im letzten Schuljahr, hat die Mutter der Beschwerdeführerin befürchtet, dass der Adoptivvater die Beschwerdeführerin entführt oder ihr sonst Leid zufügt, und diese daher nicht mehr in die Schule gehen lassen.

1993 bis 1994 hat die Beschwerdeführerin die Hauptschule in einem externen Kurs ohne Anwesenheitspflicht nachgeholt, die Beschwerdeführerin musste nur zu den Prüfungen erscheinen.

Die Beschwerdeführerin hat im Jahr 1994 die Aufnahmeprüfung der Vienna Business School bestanden, der Versuch die Handelsschule zu besuchen ist nach einem Monat jedoch gescheitert.

Die Beschwerdeführerin hat keine Berufsausbildung abgeschlossen und ging nie einer Erwerbstätigkeit nach.

Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Beschwerdeführerin aufgrund einer Intelligenzminderung daran gehindert war, eine Ausbildung abzuschließen und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Zum Krankheitsbild der Beschwerdeführerin wird festgestellt, dass diese nach den Heimaufenthalten eine anhaltende Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend sozialer Phobie nach posttraumatischer Belastungsstörung entwickelte.

Die Beschwerdeführerin konnte dem Unterricht bis zum letzten Schuljahr trotz krankheitsbedingt häufiger Fehlzeiten gut folgen. Die Wesensveränderung im Sinne von sozialem Rückzug hat sich im Laufe der Jahre jedoch verstärkt.

Die Beschwerdeführerin lebt aktuell zurückgezogen bei ihrer Mutter, ohne soziale Kontakte. Sie wendet sich außer ihrer Mutter nur ihrem Hund zu.

Die festgestellte psychiatrische Gesundheitsschädigung schweren Ausmaßes ist überwiegend auf die erlittenen Verbrechen zurückzuführen und hat die Beschwerdeführerin daran gehindert, eine berufliche Ausbildung in ihrem Sinne abzuschließen und kontinuierlich eine berufliche Tätigkeit auszuüben. Die Beschwerdeführerin hätte bei schadensfreiem Verlauf eine Lehre zur Bürokauffrau im Regelalter abgeschlossen und eine dieser Ausbildung entsprechende Beschäftigung gefunden und ausgeübt.

Die Beschwerdeführerin wurde nie nervenfachärztlich betreut und hat keine Psychopharmaka eingenommen. Außer einem gescheiterten Versuch 2010 hat die Beschwerdeführerin nie Psychotherapie in Anspruch genommen.

Die grundsätzlichen Anspruchsvoraussetzungen liegen insofern vor, als die Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin ist und mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass sie Opfer einer mit einer zum Entscheidungszeitpunkt mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung geworden ist und eine schwere Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung erlitten hat.

Ein Ausschlussgrund gemäß § 8 VOG liegt nicht vor.

Der Antrag auf Hilfeleistungen nach dem VOG ist am 27.09.2012 bei der belangten Behörde eingelangt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten und eingeholten Unterlagen zur angezeigten Vergewaltigung, den Auszügen aus dem Akt der Jugendwohlfahrt, den Klinisch-psychologischen Berichten Dris. XXXX, dem Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung, den Angaben der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter sowie dem eingeholten Sachverständigenbeweis. Die Feststellungen des Senates zum Lebenslauf der Beschwerdeführerin wurden nicht bestritten.

Die Unterlagen der Jugendwohlfahrt ergeben zweifelsfrei, dass die Beschwerdeführerin vom 26.06.1985 - 12.09.1985 im Julius Tandler Heim und vom 12.09.1985 - 23.12.1986 im Kinderheim Stiefern untergebracht war. Die erlittenen Misshandlungen sind nachvollziehbar, plausibel und wurden von der Beschwerdeführerin im Zuge des verwaltungsbehördlichen Verfahrens sowie im Verfahren betreffend Entschädigungsleistungen der Stadt Wien im Wesentlichen gleichlautend beschrieben. Die vorgebrachte Vergewaltigung ist zwar nicht erwiesen, jedoch sind die im Rahmen der Strafanzeige erstatteten Zeugenaussagen der Beschwerdeführerin, ihrer Mutter und ihres Adoptivvaters glaubwürdig. Dass der Beschuldigte nicht ausgeforscht werden konnte, reicht nicht aus, die Angaben zu erschüttern.

Die Sachverständigengutachten Mag. XXXX und Dris. XXXX sind hinsichtlich des erhobenen Befundes und der Beurteilung des psychiatrischen Beschwerdebildes der Beschwerdeführerin sowie der Therapieoptionen vollständig, schlüssig und frei von Widersprüchen. Diese stehen auch im Einklang mit der Beurteilung Dris. XXXX. Beweismittel, welche dazu im Widerspruch stehen, liegen nicht vor.

Die Sachverständigengutachten Mag. XXXX und Dris. XXXX stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens wurden im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert. Die Beschwerdeführerin und ihre bevollmächtigte Vertretung hatten die Möglichkeit, Fragen an die Sachverständige zu richten. Dr. XXXX hat diese ausführlich, umfassend und für einen Laien verständlich sowie widerspruchsfrei und fachärztlich überzeugend beantwortet.

Es ist auch festzuhalten, dass die belangte Behörde zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist und auch sonst kein Vorbringen erstattet hat, welches geeignet wäre, die Angaben der Beschwerdeführerin allenfalls in Zweifel zu ziehen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht haben die Beschwerdeführerin und ihre Mutter den Lebensweg und die empfundenen Leidenszustände der Beschwerdeführerin nach der Heimunterbringung glaubhaft und übereinstimmend beschrieben. Im Hinblick auf das psychiatrische Krankheitsbild hat die Beschwerdeführerin nachvollziehbar ausgeführt, nach der Heimunterbringung weiter in Angst gelebt zu haben, ihrer Mutter weggenommen zu werden, zwar keine Lernschwierigkeiten gehabt aber zurückgezogen gelebt zu haben. Überzeugend war insbesondere die Schilderung eines Vorfalles in der Schule, bei dem die Beschwerdeführerin Anlass hatte zu glauben, dass das Jugendamt im Hause sei und sie abholen würde. Die festgestellte soziale Phobie steht auch im Einklang mit dem Verhalten der Beschwerdeführerin im Rahmen der persönlichen Untersuchungen und der mündlichen Verhandlung. Dr. XXXX beschreibt das Verhalten der Beschwerdeführerin im Rahmen der persönlichen Untersuchung wie folgt: Cognitiv vermutlich unauffällig. Gibt keine Denkstörungen und keine produktive Symptomatik an. Im Verhalten und bezüglich Befindlichkeit sehr auffällig. Nimmt während des gesamten Gesprächs nicht ein einziges Mal Blickkontakt auf. Lässt ausnahmslos die Mutter reden. Auf direktes Befragen kaum eine Antwort. Scheu, schüchtern, gehemmt. Ängstlich und verhalten. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit dem persönlichen Eindruck, den der Senat von der Beschwerdeführerin gewonnen hat. Sie konnte kaum Blickkontakt halten und war nur mit Mühe in der Lage Fragen zu beantworte, nach Aussage der Sachverständigen, hat die Befragung die Fähigkeiten der Beschwerdeführerin fast überstiegen.

Zur Kausalität führt Dr. XXXX fachärztlich überzeugend aus, dass die Verbrechen nicht als alleinige Ursache für die psychiatrischen Gesundheitsschädigungen anzuschuldigen sind. Auf die Frage, ob die Verbrechen als Ursache in den Hintergrund treten oder ob sich der Krankheitsverlauf der Beschwerdeführerin bei schadensfreiem Verlauf deutlich anders gestaltet hätte und es der Beschwerdeführerin möglich gewesen wäre, eine Ausbildung zu beginnen und abzuschließen bzw. die Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit deutlich geringer gewesen wären, erläutert die Sachverständige, dass die Schädigungen teils durch die Vorgeschichte und teils durch die Heimgeschichte erfolgten. Allerdings betont Dr. XXXX, dass eine zu den Verbrechen zeitnahe Therapie den Eintritt der schweren psychiatrischen Gesundheitsschädigung in einem Ausmaß verhindert hätte, dass die Beschwerdeführerin in der Lage gewesen wäre, eine Ausbildung zu machen und zu arbeiten.

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens erörternd führt Dr. XXXX nachvollziehbar aus, dass nach Rückkehr der Beschwerdeführerin zur Mutter die Erforderlichkeit und Möglichkeit bestanden haben, therapeutische Hilfe zu suchen und zu erhalten und Vermeidungsverhalten nicht zielführend ist. Die Inanspruchnahme von Behandlung bzw. Therapie war damals erfolgversprechend und zumutbar. Dass von der Mutter der Beschwerdeführerin keine diesbezügliche Hilfe gewünscht war bzw. nicht in Erwägung gezogen worden ist, wurde von der Mutter ausdrücklich angegeben.

Betreffend die Verantwortung der Beschwerdeführerin nach Erreichen der Volljährigkeit Therapieoptionen in Anspruch zu nehmen, gesteht die Sachverständige zu, dass die Beschwerdeführerin vor dem Hintergrund des Krankheitsbildes und des ausgeprägten sozialen Rückzuges nicht in der Lage war, ohne Unterstützung einen Hilfsprozess einzuleiten.

Zur Beurteilung der Kausalität und der Therapieoptionen im Rahmen der Schadensminderungspflicht, siehe die rechtlichen Erwägungen dazu unter Punkt II 3.1.

Die Angaben zum hypothetischen Ausbildungs- und Beschäftigungsverlauf sind plausibel und nachvollziehbar. Die Beschwerdeführerin hat die Hauptschule besucht, die Aufnahmeprüfung der Vienna Business School bestanden und die Handelsschule begonnen. Es liegen keine Anhaltspunkte für intellektuelle oder körperliche Einschränkungen vor.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 9d Abs. 1 VOG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des VOG durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)

1. Zur Entscheidung in der Sache:

Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.

(§ 1 Abs. 1 VOG auszugsweise)

Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn

2. die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder

3. der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.

(§ 1 Abs. 2 VOG auszugsweise)

Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn

1. dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder

2. durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.

(§ 1 Abs. 3 VOG)

Als Hilfeleistungen sind u.a. vorgesehen:

1. Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;

2. Heilfürsorge

9. einkommensabhängige Zusatzleistung;

(§ 2 VOG auszugsweise)

Hilfe nach § 2 Z 1 ist monatlich jeweils in Höhe des Betrages zu erbringen, der dem Opfer durch die erlittene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 3) als Verdienst entgangen ist oder künftighin entgeht. (§ 3 Abs. 1 VOG auszugsweise)

Zum Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges gebührt eine einkommensabhängige Zusatzleistung in dem Ausmaß, als die Ersatzleistung und das Einkommen im Sinne des § 292 ASVG die Höhe des jeweiligen dem Familienstand des Antragstellers entsprechenden aktuellen Richtsatzes gemäß § 293 ASVG nicht erreicht, sofern kein Anspruch auf eine Ausgleichszulage besteht. Bei der Ermittlung des Einkommens aus Land- und Forstwirtschaft gilt als Stichtag bei Opfern der auf die Antragstellung auf Ersatz des Verdienstentganges folgende Monatserste, bei Hinterbliebenen der dem Todestag des Opfers folgende Monatserste. Die Sachbezugswerte sind auch dann heranzuziehen, wenn Ausfertigungen der maßgeblichen Einheitswertbescheide nicht mehr verfügbar sind. (§ 3a VOG)

Hilfe nach § 2 Z 2 ist nur für Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 zu leisten. Opfer, die infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 eine zumutbare Beschäftigung, die den krankenversicherungsrechtlichen Schutz gewährleistet, nicht mehr ausüben können, sowie Hinterbliebene (§ 1 Abs. 4) erhalten Heilfürsorge bei jeder Gesundheitsstörung. (§ 4 Abs. 1 VOG)

Die Hilfe nach § 2 Z 2 hat,

1. wenn das Opfer oder der Hinterbliebene einer gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt, freiwillig krankenversichert ist oder für ihn ein Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung besteht, der für ihn zuständige Träger der Krankenversicherung,

2. sonst die örtlich zuständige Gebietskrankenkasse zu erbringen. Die im § 2 Z 2 angeführten Leistungen gebühren in dem Umfang, in dem sie einem bei der örtlich zuständigen Gebietskrankenkasse Pflichtversicherten auf Grund des Gesetzes und der Satzung zustehen.

Für Schädigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 zu entrichtende gesetz- und satzungsmäßige Kostenbeteiligungen einschließlich Rezeptgebühren sind nach diesem Bundesgesetz zu übernehmen. (§ 4 Abs. 2 VOG)

Leistungen nach § 2 Z 1 dürfen nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen sechs Monaten nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) gestellt wird. Wird ein Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen nach § 2 Z 1 mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monates zu erbringen. (§ 10 Abs. 1 VOG auszugsweise idF des BGBl. I Nr. 58/2013)

Der § 10 Abs. 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 tritt mit 1. April 2013 in Kraft. § 10 Abs. 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 ist hinsichtlich § 2 Z 1 auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes begangen wurden. (§ 16 Abs. 13 VOG auszugsweise)

Schwere Körperverletzung

Hat die Tat eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge oder ist die Verletzung oder Gesundheitsschädigung an sich schwer, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. (§ 84 Abs. 1 StGB)

Im Lichte der Gesetzesmaterialien (GP XIII RV 40. S. 8) zum VOG 1972, die auf das Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG) verweisen, ist es nicht rechtswidrig, wenn sich die Behörde auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum KOVG 1957 beruft und davon ausgeht, dass eine ausreichende Wahrscheinlichkeit iSd. § 1 Abs. 1 VOG 1972 erst gegeben ist, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (Hinweis E vom 19. Oktober 2005, 2002/09/0132, zu § 4 Abs. 1 KVOG 1957, demzufolge "Wahrscheinlichkeit" dafür, dass die festgestellte Gesundheitsschädigung auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist, dann gegeben ist, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht). (VwGH vom 21.11.2013, Zl. 2011/11/0205, vom 26.04.2013, Zl. 2012/11/0001)

Die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Bedingung ist jedoch keine Sachverhalts-, sondern eine Rechtsfrage. (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse zu § 2 HVG vom 23.5. 2002, Zl. 99/09/0013 und vom 26.01.2012, Zl. 2011/09/0113)

Es kann mit der nach dem VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Gesundheitsschädigung im Ausmaß einer schweren Körperverletzung erlitten hat.

Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, konnten die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens diesen Grad der geforderten Wahrscheinlichkeit begründen. Die vorgelegten und eingeholten Beweismittel sowie die Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sprechen überwiegend für die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von Handlungen im Sinne des § 1 VOG sowie dass bei der Beschwerdeführerin ein schweres psychiatrisches Krankheitsbild vorliegt.

Wegen der inhaltsgleichen Rechtslage sind die in der Kriegsopferversorgung zur Kausalitätsbeurteilung entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch im Bereich des VOG heranzuziehen. (VwGH vom 30.09.2011, Zl. 2008/11/0100 zu VOG)

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse zu § 2 HVG vom 23.5. 2002, Zl. 99/09/0013 und vom 26.01.2012, Zl. 2011/09/0113) ausgeführt hat, ist bei der Kausalitätsbeurteilung im Bereich der Sozialentschädigungsgesetze von der Theorie der "wesentlichen Bedingung" auszugehen. Danach ist es für eine solche Bedingtheit - dann, wenn die festgestellte Gesundheitsschädigung auf mehrere Ursachen, darunter auch ein vom Gesetz erfasstes schädigendes Ereignis zurückgehen könnte - erforderlich, dass das in Betracht kommende schädigende Ereignis eine wesentliche Ursache der Schädigung ist. Dies ist das Ereignis dann, wenn es nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umfang eingetreten wäre, ist wesentliche Bedingung. Die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Bedingung (mittels der genannten Theorie) ist keine Sachverhalts-, sondern eine Rechtsfrage. Die Zurechnung ist im Wesentlichen davon abhängig, dass die aus dem geschützten Bereich stammende Ursache zu einer Verfrühung oder Erschwerung des Schadens führte.

Das bei der Beschwerdeführerin festgestellte schwere psychiatrische Krankheitsbild wurde, wie im eingeholten Sachverständigenbeweis dargelegt und durch die sonstigen Ermittlungsergebnisse bekräftigt, durch die festgestellten Verbrechen in Verbindung mit den sonst objektivierten, die Beschwerdeführerin belastenden, Lebensumstände vor und nach der Heimunterbringung verursacht. Die während der Heimunterbringung erlittenen Misshandlungen und die Vergewaltigung haben die Beschwerdeführerin jedoch in einem Ausmaß traumatisiert, dass diese Handlungen als Ursache nicht in den Hintergrund treten, sondern vielmehr den Leidenszustand erheblich verschlimmerten und dazu führten, dass das psychiatrische Leiden der Beschwerdeführerin ein Ausmaß erreichte, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage war, eine Ausbildung abzuschließen und einer kontinuierlichen Berufstätigkeit nachzugehen. Ohne die Verbrechen wäre der seelische Schaden der Beschwerdeführerin in deutlich geringerem Umfang eingetreten.

Die sachverständige Beurteilung des Kausalanteiles in Höhe von 50% steht dazu nicht im Widerspruch, sondern wird unter anderem dadurch die Wesentlichkeit der Verbrechen als Ursache für die erlittene Gesundheitsschädigung deutlich.

Die Verbrechen haben mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit als wesentliche Ursache zum derzeitigen Leidenszustand der Beschwerdeführerin beigetragen.

Gemäß § 8 Abs. 4 VOG sind Personen on Hilfeleistungen nach § 2 Z 1, Z 5 lit. c, Z 6 und Z 7 ausgeschlossen, die ein ihnen zumutbares Heil- oder Rehabilitationsverfahren ablehnen oder durch ihr Verhalten den Erfolg eines solchen Verfahrens gefährden oder vereiteln. Opfer im Sinne des § 1 VOG trifft sohin eine Schadensminderungspflicht.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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