TE Vfgh Beschluss 2017/12/13 G111/2017

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Veröffentlicht am 13.12.2017
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Index

25/01 Strafprozess

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StPO §282 Abs2, §283 Abs3, Abs4

Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung und Ergänzung von Bestimmungen der StPO betreffend die unterschiedliche Behandlung von Privatbeteiligten und anderen Prozessparteien hinsichtlich möglicher Rechtsmittel mangels Zuständigkeit des VfGH bzw als zu eng gefasst

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Antrag

Die Antragstellerin begehrt, gestützt auf "Art140 B-VG" (auf Grund des Vorbringens und unter Einbeziehung der Angaben im Verfahrenshilfeantrag geht der Verfassungsgerichtshof von einem Parteiantrag iSd Art140 Abs1 litd B-VG aus), in §282 Abs2 Strafprozeßordnung 1975 (StPO) die Wortfolge "jedoch von diesem nur im Fall eines Freispruchs und aus dem Grund des §281 Abs1 Z4 ergriffen werden." sowie dessen zweiten Satz, ferner in §283 Abs2 StPO die Wortfolge "mit Ausnahme des Privatbeteiligten" und in §283 Abs4 StPO die Worte "nur" sowie "und" als verfassungswidrig aufzuheben, weiters, den ersten Satz des §283 Abs4 StPO (nach dem Wort "Erben") um die Wortfolge "sowie der Privatbeteiligte" zu ergänzen.

II.      Rechtslage

Die für die Beurteilung der Zulässigkeit des Antrages maßgeblichen Bestimm-ungen der StPO lauten (die mit dem Antrag angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben; die im Antrag begehrte Ergänzung ist kursiv gesetzt):

"§282. (1) Zugunsten des Angeklagten kann die Nichtigkeitsbeschwerde sowohl von ihm selbst als auch von seinem gesetzlichen Vertreter und von der Staatsanwaltschaft ergriffen werden. Soweit es sich um die Beurteilung der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe handelt, ist die zugunsten des Angeklagten von anderen ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde als von ihm selbst eingelegt anzusehen.

(2) Zum Nachteile des Angeklagten kann die Nichtigkeitsbeschwerde nur vom Staatsanwalt oder vom Privatankläger sowie vom Privatbeteiligten, jedoch von diesem nur im Fall eines Freispruchs und aus dem Grund des §281 Abs1 Z4 ergriffen werden. Der Privatbeteiligte kann den zuvor angeführten Nichtigkeitsgrund überdies nur insoweit geltend machen, als er wegen des Freispruchs auf den Zivilrechtsweg verwiesen wurde und erkennbar ist, dass die Abweisung eines von ihm in der Hauptverhandlung gestellten Antrags einen auf die Geltendmachung seiner privatrechtlichen Ansprüche nachteiligen Einfluss zu üben vermochte.

§283. (1) Die Berufung kann nur gegen den Ausspruch über die Strafe und gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche ergriffen werden.

(2) Wegen des Ausspruches über die Strafe kann die Berufung von allen zur Ergreifung der Nichtigkeitsbeschwerde Berechtigten mit Ausnahme des Privat-beteiligten ergriffen werden. Eine unterbliebene oder fehlerhafte Anrechnung einer Vorhaft oder einer im Ausland verbüßten Strafe kann mit Berufung nur dann geltend gemacht werden, wenn die Berufung zugleich aus anderen Gründen ergriffen wird.

(3) Die im §260 Abs2 erwähnte Feststellung kann zugunsten und zum Nachteil des Angeklagten mit Berufung angefochten werden.

(4) Gegen die Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche können nur der Angeklagte und dessen gesetzlicher Vertreter und Erben sowie der Privatbeteiligte Berufung einlegen. Gegen die Verweisung auf den Zivilrechtsweg können nach Maßgabe des §366 Abs3 der Privatbeteiligte und seine Erben Berufung einlegen."

"§465. […]

(3) Zum Nachteile des Angeklagten kann die Berufung nur vom Ankläger und vom Privatbeteiligten, von diesem aber nur wegen Nichtigkeit unter den in §282 Abs2 geregelten Voraussetzungen und wegen seiner privatrechtlichen Ansprüche ergriffen werden."

"§488. (1) Für das Hauptverfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter und für Rechtsmittel gegen dessen Urteile gelten die Bestimmungen für das Verfahren vor dem Landesgericht als Schöffengericht, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt wird. Der Einzelrichter erfüllt die Aufgaben des Vorsitzenden und des Schöffengerichts.

[…]

§489. (1) Gegen die vom Landesgericht als Einzelrichter ausgesprochenen Urteile kann außer dem Einspruch gemäß §427 Abs3 nur das Rechtsmittel der Berufung wegen der in §281 Abs1 Z1a bis 5 und 6 bis 11 und §468 Abs1 Z1 und 2 aufgezählten Nichtigkeitsgründe oder gegen die im §464 Z2 und 3 genannten Aussprüche ergriffen werden. Für das Verfahren gelten die §§281, 282 Abs2, 285 Abs2 bis Abs5, 465 bis 467, 469 bis 476 und 479 sinngemäß. Für den Nichtigkeitsgrund des §281 Abs1 Z3 gelten die in §468 Abs1 Z3 zitierten Bestimmungen.

[…]"

III.    Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 28. März 2017, Z 512 Hv 92/16z-59, wurde der Ehemann der Antragstellerin wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach §107b Strafgesetzbuch (StGB) sowie ihr Schwiegervater wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach §107 Abs1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung schuldig erkannt; über beide wurden jeweils bedingt nachgesehene Freiheitsstrafen verhängt. Der Schwiegervater wurde vom weiteren Anklagevorwurf, die Antragstellerin am Körper verletzt zu haben, gemäß §259 Z3 StPO freigesprochen.

Die Antragstellerin hatte sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen und den Zuspruch von Schmerzengeld in der Höhe von € 3.000,– (vom Ehemann) bzw. von € 300,– (vom Schwiegervater) begehrt. Im Adhäsions-erkenntnis wurde dem verurteilten Ehemann gemäß §366 Abs2 StPO die Zahlung von € 100,– Schmerzengeld auferlegt, mit ihren darüber hinausgehenden Ansprüchen wurde die Antragstellerin auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

2. Gegen dieses Urteil erhob die Antragstellerin als Privatbeteiligte offenkundig rechtzeitig Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche; unter einem stellte sie beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe zur Einbringung eines Parteiantrages nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG (zur Überprüfung der eingeschränkten Rechtsmittelmöglichkeit von Privatbeteiligen im Strafverfahren); der in der Folge bestellte Verfahrenshelfer führte den vorliegenden Parteiantrag fristgerecht aus.

3. Zusammengefasst moniert die Antragstellerin, dass die sachlich nicht gerechtfertigte Privilegierung des Staatsanwaltes und des Beschuldigten gegenüber sonstigen Verfahrensbeteiligten wie Privatbeteiligten gegen den Grundsatz der Waffengleichheit nach Art6 Abs1 EMRK verstoße, weil nicht alle Parteien bei der Bekämpfung eines Urteils verfahrensrechtlich gleichgestellt seien. Unter diesem Aspekt seien die bekämpften Normen unsachlich (Art7 B-VG) und verwehrten – zufolge Einschränkung der Rechtsmittelmöglichkeiten des Privatbeteiligten – den erforderlichen Rechtschutz nach Art13 EMRK.

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie vorbringt, dass das Anfechtungsbegehren zu eng gefasst und der Parteiantrag daher unzulässig sei. In der Sache tritt sie den geltend gemachten Bedenken mit näherer Begründung entgegen.

IV.      Erwägungen

1.1. Mit dem vorliegenden Parteiantrag wird nicht nur die Aufhebung einzelner, näher bezeichneter (s. Pkt. I.) Gesetzesstellen (vgl. §62 Abs1 erster Satz VfGG), sondern auch die Einfügung der Wortfolge "sowie der Privatbeteiligte" in §283 Abs4 erster Satz StPO und damit eine (aktive) Abänderung bzw. Ergänzung des Inhalts dieser Norm, also ein positiv gesetzgebendes Tätigwerden, begehrt.

1.2. Ein Akt positiver Gesetzgebung ist dem Verfassungsgerichtshof jedoch verwehrt: Weder Art140 B-VG noch eine andere (Verfassungs-)Bestimmung räumt ihm die Befugnis ein, Rechtsvorschriften anders als durch Aufhebung zu verändern (vgl. zB VfGH 21.11.2013, B1055/2013, G81/2013).

Der (nicht nur auf Aufhebung einzelner Bestimmungen gerichtete) Parteiantrag erweist sich daher schon aus diesem Grund als unzulässig.

2. Aber auch in Ansehung der zur Aufhebung begehrten Bestimmungen ist der Antrag mangels richtiger Abgrenzung des konkreten Aufhebungsbegehrens nicht zulässig:

2.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt erhält und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Be-stimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Der Antragsteller hat daher all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

In Fällen, in denen sich die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht gegen eine Verweisung, sondern gegen die verwiesene Norm richten, muss geprüft werden, ob den Bedenken – sofern sie zutreffen – durch Aufhebung der verweisenden oder der verwiesenen Norm Rechnung zu tragen ist. Im Allgemeinen wird dabei mit der Aufhebung der verweisenden Norm vorzugehen sein, weil damit die Bedeutung der verwiesenen Norm in ihrem "eigenen" Rechtsgebiet oder in anderem Sachzusammenhang unangetastet bleibt (vgl. VfSlg 18.033/2006; VfGH 13.10.2016, G640/2015 ua.).

2.2. Mit Blick darauf, dass hier Gegenstand ein einzelrichterliches Verfahren ist, sowie vor dem Hintergrund der Bedenken der Antragstellerin gegen die unterschiedliche Behandlung von Privatbeteiligten und anderen Prozessparteien in den – auf schöffengerichtliche Verfahren bezogenen – §§282 und 283 StPO hätte die Antragstellerin jedenfalls auch die auf §282 Abs1 StPO verweisenden Bestimmungen der §§465 Abs3 und 489 Abs1 zweiter Satz leg.cit. sowie §488 Abs1 StPO anfechten müssen, ergibt sich doch ausschließlich aus diesen Vorschriften, dass für das Verfahren vor dem Landesgericht als Einzelrichter der verwiesene §282 Abs1 StPO gilt.

Das Aufhebungsbegehren ist daher (auch) zu eng gewählt.

V.       Ergebnis

1. Der Parteiantrag ist zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Kosten sind nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG Sache des zuständigen ordentlichen Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfGH 15.10.2016, G339/2015; 2.12.2016, G497/2015).

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsumfang, Strafprozessrecht, Verweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:G111.2017

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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