TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/1 W191 2139592-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.02.2018
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Entscheidungsdatum

01.02.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W191 2139592-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2016, Zahl 1098266805-151950280, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.01.2018 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführer (in der Folge BF), Frau XXXX , geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX geboren am XXXX (BF2), ihr gemeinsamer Sohn XXXX , geboren am XXXX (BF3), und ihre gemeinsame Tochter XXXX , geboren am XXXX (BF4), sind afghanische Staatsangehörige und reisten irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein. Sie stellten, die beiden minderjährigen Kinder vertreten durch ihre Eltern, am 08.12.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die BF am 27.11.2015 in Mytilini (Griechenland) erkennungsdienstlich behandelt worden waren.

1.2. In ihrer Erstbefragung am 08.12.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion (PI) Marchegg gaben die BF1, der BF2 und der BF3 im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari übereinstimmend im Wesentlichen Folgendes an:

Sie stammten aus der Provinz Ghazni (Afghanistan), seien Angehörige der Volksgruppe der Hazara und schiitische Moslems. Der älteste Sohn XXXX , ca. 18 Jahre alt, befinde sich ebenfalls in Europa; wo, wüssten sie nicht.

Sie hätten Afghanistan vor drei Jahren verlassen und seither in Warami (Teheran Umgebung, Iran) in einem Stall gelebt. Sie hätten dreimal versucht, vom Iran in die Türkei zu gelangen, seien aber jedes Mal von der Polizei aufgegriffen und nach Afghanistan abgeschoben worden. Beim vierten Mal sei die illegale Einreise in die Türkei gelungen und sie seien weiter mit einem Schlauchboot auf eine ihnen unbekannte griechische Insel gefahren, wo sie von der Polizei aufgegriffen und erkennungsdienstlich behandelt worden seien. Von dort seien sie schlepperunterstützt weiter bis nach Österreich gereist. Sie wollten in Österreich bleiben, da es angeblich ein gutes Land sei.

Zum Fluchtgrund befragt gaben die BF an, sie hätten in Afghanistan bis vor drei Jahren sehr gut gelebt. Sie hätten zwei Autos, ein Haus und ein Grundstück gehabt. Aber dann seien die Taliban gekommen und hätten ihnen alles weggenommen. Sie hätten die Familie durch "Köpfen" töten wollen. Deshalb hätten sie das Land verlassen.

1.3. Bei ihrer Einvernahme am 16.09.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, bestätigten die BF die Richtigkeit ihrer bisher gemachten Angaben. Allerdings sei der Dolmetscher bei der Erstbefragung ein Iraner gewesen und hätte die Niederschrift nicht rückübersetzt.

BF1 und BF2 gaben an, sie hätten vor ca. 25 oder 26 Jahren in Ghazni, Nauabad (auch Navabade, Nawabad) traditionell geheiratet. Die Mutter der BF1 sei gestorben, als sie ein kleines Kind gewesen sei. Der Vater der BF1 hätte sie verheiratet und sei dann mit seiner Frau weggezogen. Sie habe Nierensteine und stehe in ärztlicher Behandlung. Ihr Bruder sei von den Taliban getötet worden. Ihre Schwester lebe mit ihrem Ehemann in Kabul. Diese habe keine Kinder und habe ein künstliches Herz.

Afghanistan hätten sie verlassen, weil sie als Hazara von den Taliban verfolgt würden. Auslösend für die Flucht sei gewesen, dass der Cousin des BF2, ein Drogenhändler mit Beziehungen zur Regierung wie auch zu den Taliban, die BF4 mit seinem Sohn hätte verheiraten wollen. Dieser Sohn sei viel älter als die BF4 und hätte psychische Probleme. Da sich der BF2 dagegen gewehrt habe, sei er mehrmals geschlagen und mit dem Tod bedroht worden. Deswegen sei die Familie in den Iran geflohen, wo der BF2 erst der BF1 Details erzählt habe.

Die BF4 gab dazu im Wesentlichen lediglich an, sie habe den Sohn gesehen, als sie bei ihnen zuhause wegen ihr vorgesprochen hätten; er hätte "so wild" ausgesehen. Sie hätte diesen Mann nicht heiraten wollen, sondern ihren Partner selbst wählen wollen.

Im Verfahren vor dem BFA wurden seitens der BF keine Beweismittel oder Belege für ihre Identität oder ihr Fluchtvorbringen bezüglich der Verfolgung durch die Verwandten des BF2 und die drohende Verheiratung der BF4 vorgelegt. Sie legten Belege bezüglich angegebener gesundheitlicher Probleme sowie zu ihrer Integration in Österreich (Sprache, Wertekurse, Sport) vor.

1.4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheiden vom 28.09.2016 (BF3 und BF4) sowie 29.09.2016 (BF1 und BF2) die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 08.12.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte den BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 29.09.2016 (Spruchpunkt III.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Sie hätten keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die BF bezüglich ihrer behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Sprach- und Lokalkenntnisse – im Gegensatz zu ihrem Fluchtvorbringen – glaubwürdig wären. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Ihre Angaben bezüglich ihrer Fluchtgeschichte seien vage und teilweise widersprüchlich gewesen. Außerhalb der Einvernahme habe die BF1 ein Kopftuch getragen und es nur während der Einvernahme bewusst auf ihre Schultern gelegt. Die BF4 habe ein Kopftuch getragen, und beide hätten zu erkennen gegeben, dass sie durchaus gewillt und in der Lage seien, die für Frauen geltenden Normen und Traditionen in ihrem Heimatland nicht nur alleine auf ihre Kleidung bezogen zu beachten. Es stünde für die BF1 und die BF4 demnach nicht fest, dass sie die westliche Lebensweise verinnerlicht hätten und diese voll und ganz ausleben möchten.

Subsidiärer Schutz wurde ihnen zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der prekären Lage in ihrer Heimatprovinz gegeben sei und ihnen mangels Ortskenntnis und ausreichender sozialer Anknüpfungspunkte außerhalb ihrer Provinz keine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe.

1.5. Gegen diese Bescheide brachten die BF mit von ihrem Rechtsberater unterstützt erstelltem Schreiben fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

In der knappen Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen moniert, dass den BF "Wiedersprüche" zwischen Erstbefragung und Einvernahme vor dem BFA vorgeworfen worden seien, was im Hinblick auf § 19 AsylG nicht legitim sei, zumal sich der Dolmetscher bei der Parteieneinvernahme als nicht professionell erwiesen hätte.

Thematisiert wurden weiters die Lage der Hazara in Afghanistan, die zuwenig beachtet worden sei, sowie die Lage der Frauen. Diese seien in Afghanistan der Gefahr ausgesetzt, bei nonkonformem Verhalten (bei Verstößen gegen gesellschaftliche oder religiöse Normen, zB. Bekleidungsvorschriften, Schulbesuch der Kinder, Berufsausübung außerhalb des Hauses) einer "Bestrafung" ausgesetzt zu sein. Sie seien im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Ausübung grundlegender Menschenrechte beeinträchtigt.

Die BF1 sei eine Frau "persönlicher Wertehaltung", kleide sich modern und sei gegen das traditionell-religiöse Rollenbild der Frau in Afghanistan [eingestellt].

1.6. Mit Schreiben vom 10.03.2017 gaben die BF die Vertretungsvollmacht ihres nunmehrigen Vertreters bekannt und ersuchten – wie noch einmal am 25.04.2017 – um baldige Entscheidung oder Verhandlung.

1.7. Das BVwG führte am 04.01.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der die BF persönlich erschienen. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Dabei gaben die BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

" [ ] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Dari.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für die BF?

D: Dari.

RI befragt BF, ob sie D gut verstehen; dies wird bejaht.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF2: Meine Frau war letztes Jahr eine Woche lang im Krankenhaus in XXXX , sie hatte Nierensteine. Ich habe Rückenbeschwerden. Die Röntgenbilder von meinem Rücken und von meinen Füßen habe ich mit.

RI an BF1: Hatten Sie nicht auch psychische Probleme?

BF1: Nein, ich hatte nur Nierensteine. Diese wurden mit Medikamente behandelt. Mein Cholesterinspiegel ist hoch, ich befinde mich in Behandlung bei meinem Hausarzt und nehme Medikamente ein.

BFV legt ärztliche Belege bezüglich BF1 und BF2 vor, die in Kopie zum Akt genommen werden.

[ ]

Die BF haben bisher keine Bescheinigungsmittel zu ihrer Identität vorgelegt und haben auch heute keine bei sich.

BF2: Wir haben keine Identitätsdokumente. Wenn wir welche hätten, hätten wir diese schon vorgelegt. Wir hatten nie Tazkiras. Wir mussten fliehen und hatten keine Zeit, uns welche ausstellen zu lassen.

Der BFV [Vertreter der BF] legt weiters Bescheinigungsmittel zur Integration der BF (Deutschkurse, Schulbesuchsbestätigungen, Werte- und Orientierungskurs) vor, die in Kopie zum Akt genommen werden.

[ ]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Ja, aber das Alter der BF1 ist nicht richtig.

BF1: Ich kenne mein Geburtsdatum nicht genau, und bei der Erstbefragung habe ich auf die Frage irgendein Datum angegeben.

RI: Wie alt sind Sie wirklich?

BF1: Ich habe drei Kinder. Mein ältester Sohn XXXX ist ca. 20 Jahre alt, und wir haben ca. neun Jahre vorher geheiratet. Ich wurde von meinem Vater verheiratet. Bei meiner Heirat war ich ca. 14 Jahre alt. Mein Geburtsjahr müsste daher 1974 sein.

RI: Sind Sie mit der Verheiratung heute zufrieden?

BF1: Ja.

RI an BF2: Stimmen diese Angaben?

BF2: Ja.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Wir sind Hazara.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Wir sind schiitische Moslems.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: BF1 und BF2 sind seit ca. 1988 verheiratet. Wir haben in Ghazni, XXXX geheiratet. Wir sind von dort zu Fuß ca. 35 Minuten nach Ghazni gegangen.

BF2: Der nächst gelegene Ort war XXXX .

Anmerkung: Das ist laut Distriktskarte von Ghazni zutreffend.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF1 und BF2: Wir haben keine Schule besucht.

BF3: Ich habe zwei Jahre lang die Schule besucht.

BF4: Ich habe vier Jahre lang die Schule besucht. Wenn die Sicherheitslage in Afghanistan gut war, habe ich die Schule besucht, sonst nicht. Ich habe ca. ein oder zwei Tage in der Woche die Schule besucht.

BF1 bestätigt dies.

RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF2: Wir hatten ein Auto in Afghanistan. Mit meinem LKW haben wir Waren geliefert. Ich war auch manchmal als Taxifahrer tätig und habe auch als Bauarbeiter gearbeitet.

RI an BF2: Wie ging das vor sich, dass Ihnen die Taliban alles weggenommen haben?

BF2: Mein Cousin, von meinem Onkel väterlicherseits, gehörte der Mafia an und hatte Macht. Er wollte, dass meine Tochter seinen Sohn heiratet. Wir haben alles zurückgelassen und sind geflohen.

RI: Wann war das?

BF2: Vor ca. fünf Jahren, an das genaue Datum kann ich mich nicht erinnern.

RI: Sie haben angegeben, dass Sie dreimal von der Türkei nach Afghanistan zurückgeschoben worden sind. Wohin sind Sie da gebracht worden?

BF2: Wir wurden drei Mal an der Grenze zwischen Iran und Türkei festgenommen und wurden jedes Mal nach Herat abgeschoben. Die iranischen Polizisten haben uns zur Grenze gebracht, und von dort sind wir selbst nach Herat gereist. Von Herat aus haben wir immer wieder unsere Reise begonnen.

RI: War XXXX auch dabei?

BF2: Nein, als wir nach Herat geflohen sind, wurde mein Sohn vom Schlepper in ein Auto gesetzt und wir in ein anderes Auto. Seither haben wir ihn aus den Augen verloren. Ich vermute, dass er sich in einem europäischen Nachbarland aufhält.

BF3: Ich habe Facebook, und ich vermute das auch.

RI an BF1: Wie waren Ihre Lebensumstände in Afghanistan?

BF1: Ich hatte in Afghanistan ein gutes Leben. Als die Probleme entstanden, mussten wir fliehen. Es bestand die Möglichkeit, dass meine Tochter gesteinigt wird. Man wollte sie mit einem anderen Jungen verheiraten. Diese Person gehört den Taliban an, wir waren machtlos. Da meine Tochter sehr jung war und nicht diesen Mann heiraten wollten, hatten wir Angst, dass sie dort gesteinigt oder geköpft wird. Sie wissen ja, wie es in Afghanistan ist und wie mit Frauen umgegangen wird.

RI an BF4: Wann war das?

BF4: Als ich ca. neun oder zehn Jahre alt war.

RI an BF1: Was hat Ihnen am Leben in Afghanistan gefallen?

Anmerkung: BF1 erzählt lange und ausführlich und gibt an:

BF1: Ich musste außer Haus eine Burka tragen, die Taliban hätten mir nicht erlaubt, ohne Burka das Haus zu verlassen. Ich möchte, dass meine Tochter frei lebt, hier in Österreich führt sie auch ein freies Leben. Sie besucht die Schule und hat viele Freiheiten. In Afghanistan hätte sie diese nicht. Frauen und Mädchen in Afghanistan haben kein gutes Leben. Hier ist es anders. Ich möchte, dass meine Tochter ihren zukünftigen Ehemann selber aussucht und ein freies Leben lebt. Wir sind seit zwei Jahren in Österreich, und wir sind darum bemüht, uns aus- und weiterzubilden. Ich bin hier sehr glücklich und freue mich, diese Freiheiten hier genießen zu können. Wenn wir in Afghanistan geblieben wären, dann hätten sie meinen Mann und mich getötet, damit sie meine Tochter verheiraten können. Frauen in Afghanistan haben sehr viele Probleme, sie können sich nicht frei bewegen, und viele werden zwangsverheiratet.

RI an BF1: Wollen Sie einmal in Österreich erwerbstätig sein?

BF1: Ich möchte entweder als Schneiderin oder Köchin tätig sein. Zunächst muss ich die deutsche Sprache erlernen. Ich habe auch vor, mit meinem Ehemann einen Laden zu eröffnen. Dort möchte ich Bolani kochen, Kuchen und Torten backen. Mein Mann soll diese dann verkaufen.

RI an BF2: Sind Sie auch damit einverstanden, dass Ihre Tochter ihren Partner selber wählt?

BF2: Ja, aus diesem Grund sind wir ja geflohen. Ich möchte, dass meine Tochter ihren Partner frei wählen kann. Sie kann einen Österreicher oder einen anderen Landsmann heiraten.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF3 und BF4: Wir verstehen einiges.

BF1 und BF2: Wir verstehen ein wenig.

RI stellt fest, dass die BF1 die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen wenig verstanden und nach Übersetzung gebrochen auf Deutsch beantwortet hat.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF1, BF2 und BF3 sind in einem Deutschkurs, und BF4 besucht die Schule.

RI an BF3: Was wollen Sie einmal beruflich machen?

BF3 (in Deutsch): Bis vor einem Jahr habe ich die Schule besucht, jetzt mache ich den Deutschkurs B1, danach mache ich den Schulabschluss und dann suche ich mir eine Lehrstelle.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF1: Mein Sohn geht ins Fitnesscenter und spielt Fußball. Meine Tochter nimmt an allen Schulaktivitäten teil. Mein Mann und ich besuchen einen Deutschkurs. Von 17:00-20:00 Uhr gehen wir in ein Sprachcafe. In unserer Freizeit gehen wir spazieren. In den zwei Monaten in den Sommerferien habe ich einen Sprachkurs im 10. Bezirk besucht. Ich gehe Einkaufen und kenne die Preise, ich kann auch alleine Einkaufen gehen.

BF3: Ich bin in einem Verein. Dort lerne ich andere Menschen kennen und höre Musik. Mein Berater hat mich zwei oder drei Mal dorthin begleitet, damit ich den Zugang finde. Jetzt kann ich alleine dorthin gehen.

BF4: Ich besuche fünf Mal die Woche die Schule. Ich bin an diesen Tagen immer von 07:00-18:00 Uhr draußen. Samstangs treffe ich mich mit meinen Freundinnen und sonntags bin ich zu Hause.

[ ]

RI an BF1: Was haben Sie gestern getragen?

BF1: Gestern hatte ich eine Bluse und eine Hose an. Ich war ähnlich wie heute gekleidet. Meine Bluse hatte eine andere Farbe.

BF1 trägt eine weiße Bluse, eine modische Kette, goldene Ohrringe, eine schwarze enge Hose und Stiefeletten, die Haare trägt sie offen und gebunden.

RI: Seit wann tragen Sie kein Kopftuch mehr?

BF1: Seitdem ich in Österreich eingereist bin, trage ich kein Kopftuch. Ich besuche einen Deutschkurs in einer iranischen Moschee, dort trage ich aus Respekt ein Kopftuch, und ansonsten trage ich keines. Ich bin simpel geschminkt und trage einen Kajal (Lidstrich), meine Augenbrauen habe ich nachgezogen.

BF2 und BF3 tragen modische Anzüge in grau bzw. burgund.

Die BF4 trägt eine weiße Bluse und einen alt-rosa Blazer, eine silberne Kette und einen silbernen Ring, modische Ohrringe, eine weiße enge Hose und kurze schwarze Stiefel. Sie trägt ihr Haar lang und offen und ist geschminkt.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF1: Nein, ich habe auch mit meiner Schwester keinen Kontakt. Sie hat keine Kinder und daher kein Handy, sodass ich mit ihr nicht in Kontakt treten kann. Sie hat Herzprobleme, und ich weiß nicht, wo sie ist.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens der BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden [ ] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

Der RI folgt dem BFV Kopien dieser Berichte aus und gibt ihm die Möglichkeit, dazu eine Stellungnahme abzugeben sowie Fragen an die BF zu stellen, worauf dieser verzichtet.

RI befragt BF, ob sie noch von sich aus eine Stellungnahme abgeben wollen.

BF1: Wir bedanken uns dafür, dass wir die Möglichkeit haben, weiter in diesem Land zu leben. Wir leben gerne hier und ich gebe auch Männern die Hand.

RI befragt BF, ob sie D gut verstanden haben; dies wird bejaht. [ ]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragungen von BF1, BF2 und BF3 am 08.12.2015 und der Einvernahmen von BF1, BF2 und BF4 vor dem BFA am 16.09.2016, vorgelegte Belege zur Gesundheit und zur Integration der BF, die angefochtenen Bescheide vom 28.09.2016 (BF3, BF4) und 29.09.2016 (BF1, BF2) sowie die Beschwerde vom 07.11.2016

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 137 bis 225 im Verwaltungsakt der BF1)

* Einvernahme der BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 04.01.2018 sowie Einsichtnahme in folgende in der Verhandlung vorgelegten Dokumente:

? Deutschkurs-Bestätigungen

? Schulbesuchsbestätigungen

? Bestätigungen Werte- und Orientierungskurs

* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in der Provinz Ghazni (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 21.12.2017)

o Feststellungen zur Situation der Frauen in Afghanistan (Auszug aus dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 06.11.2015 vom Deutschen Auswärtigen Amt)

o eine Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016 sowie zur maßgeblichen Situation der Frauen in Afghanistan und Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person der BF:

3.1.1. Die BF führen die Namen XXXX , geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX geboren am XXXX (BF2), ihr gemeinsamer Sohn XXXX geboren am XXXX (BF3), und ihre gemeinsame Tochter XXXX geboren am XXXX (BF4), sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Dari. Sie lebten von der Erwerbstätigkeit des BF2 (Warenlieferungen per LKW, Taxifahrer, Bauarbeiter).

3.1.2. Die BF stammen aus XXXX (auch XXXX , Provinz Ghazni, Afghanistan) und reisten aus angegebenen Gründen im Jahr 2012 in den Iran, von wo sie zunächst dreimal beim Versuch, in die Türkei zu reisen, nach Afghanistan zurückgeschoben worden waren, im Jahr 2015 über die Türkei, Griechenland (wo sie am 27.11.2015 erkennungsdienstlich erfasst wurden) und mehrere weitere europäische Länder nach Österreich weiter, wo sie am 08.12.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Der älteste Sohn von BF1 und BF2, XXXX , wurde bei der Flucht von den Schleppern von den BF getrennt und hält sich nach ihrer Vermutung in einem benachbarten europäischen Land auf.

3.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

3.2.1. Die BF haben Afghanistan wegen der Lebensumstände für Frauen, die selbstbestimmt leben möchten (so wurde die Gefahr der Zwangsverheiratung der BF4 durch einen Cousin des BF2 mit dessen Sohn angegeben), sowie wegen der Lebensumstände von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara in ihrer Herkunftsregion, verlassen.

3.2.2. Die BF1 hat keine Schulbildung. Die BF4 hat vier Jahre lang die Schule besucht, konnte allerdings wegen der schlechten Sicherheitslage in ihrem Herkunftsort nur unregelmäßig dem Unterricht beiwohnen. Sie waren im Haushalt tätig. Der BF2 sorgte für den Unterhalt der Familie.

3.2.3. Die BF1 und die BF4 sind auf Eigenständigkeit bedachte Frauen, die nicht mehr nach der konservativ-afghanischen Tradition leben. Sie kleiden, frisieren und schminken sich nach westlicher Mode, tragen ihr Haar offen (zum Teil gefärbt) und tragen Schmuck. Beide tragen seit ihrer Einreise in Österreich kein Kopftuch mehr.

Die BF1 will die deutsche Sprache besser lernen und dann einen Beruf (als Schneiderin oder Köchin) erlernen. Die BF4 ist ein junges Mädchen, das in Österreich in die Schule geht und schon recht gut Deutsch spricht und hier einen Freundeskreis hat.

Die BF1 und die BF4 wollen weiterhin so leben, wie sie hier in Österreich leben, und lehnen die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und können sich nicht vorstellen, wieder nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Sie würden im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frauen angesehen werden.

Die persönliche Haltung der BF1 und der BF4 über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft steht nunmehr im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind.

Die BF1 und die BF4 sind von ihrer persönlichen Wertehaltung her überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert.

Das von den BF zu Beginn des Verfahrens erstattete Vorbringen bezüglich der drohenden Zwangsverheiratung der BF4, das weder belegt noch sonst hinreichend konkret glaubhaft gemacht werden konnte, haben die BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG nicht weiter ausgeführt bzw. thematisiert. Inhalt und Vortrag dieses Vorbringens sind aber geeignet, die Glaubwürdigkeit der behaupteten Wertehaltung der BF zu unterstützen.

3.2.4. Der BF2 ist der Ehemann der BF1, und der BF3 ist ihr gemeinsamer minderjähriger Sohn. Für den BF2 und den BF3 wurden letztlich keine über jene der BF1 und BF4 hinausgehenden eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Die BF leben im gemeinsamen Haushalt. Der Beschwerde der BF1 und der BF4 gegen die Bescheide des BFA wird mit Erkenntnis vom heutigen Tag stattgegeben, ihnen gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt und gleichzeitig gemäß § 3 Abs. 5 AsylG festgestellt, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der BF2 und der BF3 schließen sich als Familienangehörige der BF1 und der BF4 im Verfahren an.

3.3. Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

3.4. Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF von der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten auszuschließen sind.

3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.5.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 21.12.2017, Schreibfehler teilweise korrigiert):

Politische Lage:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.01.2017), nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017).

Parlament und Parlamentswahlen:

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.01.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.04.2016 vgl. auch: CRS 12.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.04.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge zum Teil über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien:

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einigen von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, das von allen Parteien verlangte, sich neu zu registrieren, und zum Ziel hatte, ihre Anzahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber anscheinend nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder ein Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.09.2016) unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.09.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.09.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 04.02.2017).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.01.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.02.2017).

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.01.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen – ausgeführt durch die Polizei und das Militär – landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 05.01.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.08. – 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen:

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im dritten Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.01.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. –einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal an: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit fünf von sechs Distrikten und Helmand mit acht von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.01.2017).

Rebellengruppen:

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistische Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan – gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive:

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstützte Regierung zu vertreiben (Reuters 12.04.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD 12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitige Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz – größtenteils unter Talibankontrolle – liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand wie einst Mansour (Reuters 27.01.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.05.2016; vgl. auch: The National 13.01.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt – ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter – der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.05.2016; vgl. auch:

The National 13.01.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.01.2017), und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.05.2016).

Haqqani-Netzwerk:

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.01.2017).

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban – dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.05.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.01.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig – speziell in der Stadt Kabul –,Operationen durchzuführen; es finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus – wahrscheinlich, um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.01.2017).

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit, eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.01.2017).

Al-Qaida:

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.01.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Camp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.01.2017; vgl. auch: FP 02.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 02.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.01.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzentrierte und nicht, wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.04.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

Siehe oben unter "Friedens- und Versöhnungsprozess".

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh – Islamischer Staat:

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan – in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 03.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 03.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen, die Gruppe wird von den Ansäßigen jedoch großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansäßigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch – dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.10.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch – dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.01.2017).

Drogenanbau und Gegenmaßnahmen:

Einkünfte aus dem Drogenschmuggel verso

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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