TE Vfgh Erkenntnis 2017/12/13 E940/2017

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Veröffentlicht am 13.12.2017
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §55, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags einer tunesischen Staatsbürgerin auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung mangels hinreichender Auseinandersetzung mit den für die Beweiswürdigung maßgeblichen Argumenten betreffend die Belästigung und Bedrohung durch ihren Vater und Bruder

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Tunesiens, gehört der arabischen Volksgruppe an und bekennt sich nicht zum Islam. Sie reiste am 8. Dezember 2016 rechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 6. Jänner 2017 (am letzten Tag der Gültigkeit ihres Visums), einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen führte sie im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) Folgendes aus: Sie mache sich Sorgen wegen ihrer persönlichen Sicherheit, da sie sich in einen christlichen Mann verliebt habe. Sie hätte vorgehabt diesen Mann in der Türkei zu heiraten, jedoch hätte sie ihr Vater daran gehindert in die Türkei zu reisen. Da die Beschwerdeführerin sich nicht zum islamischen Glauben bekenne, werde sie in ihrem Herkunftsbezirk in Tunis von IS-Kämpfern belästigt, indem sie sie auffordern würden, als Sexkämpferin für den IS zu arbeiten; ferner würde sie auch körperlich belästigt, da sie kein Kopftuch trage. Sie habe aus diesen Gründen sieben Monate lang ihr Haus nicht verlassen. Ihr Vater und ihr Bruder hätten sie aufgefordert, eine Burka zu tragen, das Studium abzubrechen und hätten einen "Jungfrauencheck" an ihr durchführen lassen. Ihr Vater habe ihr auch die Haare geschnitten, damit sie ein Kopftuch trage. Im April 2016 sei sie auch von IS-Anhägern auf der Straße geschlagen worden. Diesen Vorfall habe sie der Polizei gemeldet, jedoch habe die Polizei nichts unternommen. Die Mutter der Beschwerdeführerin sei bereits gestorben. Ihr Vater und ihr Bruder hätten sie auch geschlagen und ihr gedroht, damit sie auf ihren Erbteil verzichte. Sie hätte sich jedoch ihrem Vater und Bruder gegenüber nicht gebeugt, sondern habe einen Weg gefunden, Tunesien legal zu verlassen. Prinzipiell könnten Frauen unter 36 Jahren ohne Erlaubnis ihres Vaters das Land nicht verlassen.

2.       Mit Bescheid vom 25. Jänner 2017 wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005 (in der Folge: AsylG 2005) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab. Der Beschwerdeführerin wurde ein Aufenthaltstitel gemäß §§57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge: FPG) erlassen und weiters festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß §46 FPG nach Tunesien zulässig sei.

3.       Mit dem Erkenntnis des Bundverwaltungsgerichtes vom 22. Februar 2017 wurde die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß §3 Abs1, §8 Abs1, §§55 und 57, §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG sowie §52 Abs2 Z2 und Abs9, §46 und §55 Abs1a FPG als unbegründet abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht führte Folgendes wörtlich aus:

"A) 1.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist volljährig, ledig, kinderlos, gesund, arbeitsfähig und Staatsangehörige von Tunesien und bekennt sich nicht zum moslemischen Glauben. Sie verfügt über umfangreiche schulische Bildung.

Am 8. Dezember 2016 ist die Beschwerdeführerin legal in das Bundesgebiet eingereist; sie verfügt — schon angesichts ihres kurzen Aufenthaltes im Bundesgebiet — in Österreich über keine privaten Beziehungen und auch über keine familiären Anknüpfungspunkte.

Es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in den sicheren Herkunftsstaat Tunesien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

[…]

A) 2. Beweiswürdigung

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser, in den bekämpften Bescheid sowie in den Beschwerdeschriftsatz.

A) 2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen, ihrer Herkunft und ihrer Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin aufkommen lässt.

Die Beschwerdeführerin hat den österreichischen Behörden identitätsbezeugende Dokumente vorgelegt, ihre Identität steht damit fest.

[…]

A) 3. Rechtliche Beurteilung

[…]

1.2. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass sie Tunesien auf Grund ihrer Lebenssituation in Tunis und ihrer familiären Gesamtsituation im Speziellen verlassen habe. Diesem Vorbringen kommt keine Asylrelevanz zu. Eine darüber hinausgehende Verfolgung war für das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennbar.

2. Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides gemäß §28 Abs2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.

A) 3.2.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides):

1. Der Beschwerdeführerin droht in Tunesien – wie eben unter Punkt A) 3.2.1. dargelegt wurde – keine asylrelevante Verfolgung.

2.1. Auch dafür, dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Tunesien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art3 EMRK überschritten wäre (zur 'Schwelle' des Art3 EMRK vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juli 2003, Zl. 2003/01/0059), gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Immerhin war die Beschwerdeführerin als Studentin auf der Universität, der Großvater kam für den Lebensunterhalt auf und sie hatte ausreichend Geldmittel für die legale Einreise nach Österreich und den Aufenthalt. Dazu kommt, dass sich ihre Familie in Tunesien aufhält, sodass sie bei ihrer Rückkehr auch nicht auf sich allein gestellt ist."

4.       In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde, wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend gemacht (Art2, 3 und 8 EMRK) und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.      Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Das Bundesverwaltungsgericht geht in der angefochtenen Entscheidung im Ergebnis davon aus, dass dem Vorbringen der Beschwerdeführerin keine Asylrelevanz zukomme und es im Fall der Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Tunesien keine Anhaltspunkte gebe, dass ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art3 EMRK überschritten wäre.

2.2.    Obwohl die Beschwerdeführerin vor dem BFA ausführlich dargelegt hat, dass sie sich nicht zum Islam bekenne und daher von IS-Anhängern in ihrem Herkunftsbezirk und insbesondere auch von ihrem Vater und Bruder belästigt, unter Druck gesetzt und bedroht werde, finden sich im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes weder beweiswürdigende Elemente hinsichtlich des Fluchtvorbringens der Beschwerdeführerin noch hinsichtlich der Frage, ob der Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr nach Tunesien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK drohe.

2.3.    Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass "die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen […] aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen" müssen, "da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist" (vgl. VfSlg 18.632/2008 mwN; VfGH 19.2.2015, E1045/2014). Diesen Anforderungen entspricht die angefochtene Entscheidung nicht: Das Bundesverwaltungsgericht hat sich darauf beschränkt, das Ergebnis seiner rechtlichen Beurteilung auszuführen und bleibt eine nachvollziehbare Begründung seiner allgemeinen und knappen rechtlichen Ausführungen schuldig. Die im Zusammenhang mit der Nichtgewährung von subsidiären Schutz gegebene Begründung, die Familie der Beschwerdeführerin halte sich in Tunesien auf, sodass sie im Fall ihrer Rückkehr nicht auf sich allein gestellt sei, erweist sich vor dem Hintergrund des Fluchtvorbringens als nicht nachvollziehbar und entbehrt jeglichen Begründungswertes.

2.4.    Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes ist sohin wegen des Fehlens einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den für die Beweiswürdigung maßgeblichen Argumenten nicht in einer Weise nachvollziehbar, dass es den verfassungsrechtlichen Erfordernissen genügen kann (vgl. VfSlg 18.799/2009).

III.    Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E940.2017

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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