TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/31 W148 2139842-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

31.01.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W148 2139843-1/12E

W148 2139842-1/8E

Schriftliche Ausfertigung des am 16.01.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Stefan KEZNICKL als Einzelrichter über die Beschwerde von Frau XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vom 04.11.2016 vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.10.2016, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Stefan KEZNICKL als Einzelrichter über die Beschwerde der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vom 04.11.2016 vertreten durch XXXX , diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.10.2016, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

I.1. Verfahrensgang

1. Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) hat nach legaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet mit einem österreichischen Visum am 10.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der BF1 statt, bei der sie zu ihren Gründen für die Antragstellung angab, dass sie Probleme in Afghanistan habe. Sie würde den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz deswegen stellen, weil ihr Gatte XXXX , in Österreich den Status des "Asylberechtigten /" erlangt hätte und sie in Österreich denselben Schutz wie ihr Gatte beantrage.

3. Die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2) wurde am XXXX in Österreich geboren. Sie hat durch ihre gesetzliche Vertretung am 24.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 17 Abs. 3 AsylG gestellt.

3. Am 10.08.2016 wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz, (im Folgenden: BFA) im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Sie gab an, dass sie bei ihrer Erstbefragung ein paar Dinge aus Angst nicht korrekt angegeben hätte. Zunächst führte sie an, dass sie der Volksgruppe der Hazara zugehörig sei und schiitische Muslimin sei. Sie stamme aus dem Dorf XXXX , in dem Distrikt XXXX , in der Provinz Ghazni. Sie habe acht Jahre die Schule besucht, danach habe sie nicht mehr in die Schule gehen dürfen, weil ihr Cousin ihr gedroht hätte. Ihr Cousin hätte gewollt, dass sie ihn heiratet und nicht mehr zur Schule geht. Sie hätte auch nicht arbeiten können.

Zur BF2 gab sie an, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann das Sorgerecht für ihre Tochter hätte. Diese hätte keine Gesundheitsprobleme, ein Vitaminmangel sei inzwischen behoben worden.

Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die BF1 an, dass ihr Cousin XXXX sie heiraten hätte wollen, sie hätte dies aber nicht wollen, weil er ein sehr schlechter Mann gewesen sei. Er hätte viele negative Charakterzüge gehabt, sei ein Dieb gewesen und er hätte sie zwingen wollen, ihn zu heiraten. Ihr Cousin sei auch sehr viel älter gewesen und sie hätte ihn nicht heiraten wollen, aber ihr Vater hätte gewollt, dass sie ihn heiratet. Ihr Vater hätte sie auch einige Male geschlagen, weil sie sich geweigert hätte zu akzeptieren, was er entschieden hatte. Auch psychisch sei sie unter großem Druck gestanden und er hätte ihr gedroht, dass sie nie selber entscheiden dürfe, wen sie heiraten wolle. Es sei ihr sehr schlecht gegangen und die Familie ihres Cousins sei zu ihnen gekommen und ihr Vater hätte sie wieder geschlagen. Da hätte sie beschlossen sich das Leben zu nehmen, sie hätten ein Mäusegift gehabt und das hätte sie eingenommen. Sie sei dann eine Woche im Spital gewesen und in dieser Zeit hätte ihr Cousin gedroht, dass er sie töten werde, sobald er sie finde. Seitdem hätte sie nicht mehr rausgehen können und sei die ganze Zeit daheim gewesen. Sie hätte dann auch nochmal mit ihrem Vater geredet und ihm gesagt, wenn er weiter versuche, sie mit ihrem Cousin zu verheiraten, werde sie sich verbrennen. Ungefähr einen Monat später sei die Familie von XXXX bei ihnen gewesen und hätte um ihre Hand angehalten. Sie hätte gesagt, sie wolle ihn nur einmal treffen und zumindest sehen, dann hätte sie zugesagt. Dann hätte sie geheiratet und sei zu ihrem Mann nach XXXX gezogen und sei die ganze Zeit zu Hause geblieben. Ihr Mann sei ca. sieben Monate geblieben, dann hätte auch er fliehen müssen und danach sei sie noch größerem Stress ausgesetzt gewesen, weil sie sich auch vor den Feinden ihres Schwiegervaters und Mannes fürchten hätten müssen. Bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat würde sie wieder wie eine Gefangene leben müssen und sich nicht raustrauen.

Zu den Fluchtgründen der BF2 befragt gab sie an, dass diese nie in Afghanistan gewesen sei, sondern in Österreich auf die Welt gekommen sei. Im Allgemeinen sei es für eine Frau schwer in Afghanistan und ihre Tochter würde unter denselben Verhältnissen leben müssen. Die BF1 hätte ihre Bildung in Afghanistan nicht fortsetzen und nur ein paar Jahre zur Schule gehen können. Ihre Tochter würde in Afghanistan unterdrückt werden und keine Rechte haben.

Weiters gab die BF1 an, dass sie in Österreich gerne lernen und arbeiten möchte. Sie würde selbstständig und ein Vorbild für ihre Kinder sein wollen. Sie erledige alles selber, bringe ihre Tochter zum Arzt und gehe einkaufen.

4. Das BFA hat mit Bescheiden vom 08.10.2016, Zl. XXXX (BF1), Zl. XXXX (BF2), die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), den Anträgen bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG stattgegeben (Spruchpunkt II.) und den Beschwerdeführerinnen (im Folgenden: BF) eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 06.07.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten der BF1 begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass keine Verfolgung in ihrem Heimatland Afghanistan festgestellt werden hätte können, da sie zu keiner Zeit eine tatsächlich verwirklichte personenbezogene, asylrelevante Verfolgung ihrer Person vorgebracht hätte. Die vermeintliche Bedrohung durch den Cousin werde als nicht selbst erlebt gewertet. Sie hätte weder in ihrem Befragungsformular im Familienverfahren noch in der Erstbefragung eine Bedrohung durch einen Cousin erwähnt, sondern hätte angegeben, denselben Schutz wie ihr Mann genießen zu wollen, weshalb auch zu diesem Zeitpunkt von keiner gegen sie persönlich gerichteten Bedrohung oder Verfolgung ausgegangen werden könne. Die Aufenthaltsberechtigung ihres Ehemannes sei bereits im Jahr 2010 erstmals verlängert worden und ein Nachzug sei früher möglich gewesen. Hätte es eine tatsächliche Bedrohung gegen die BF1 in Afghanistan gegeben, so hätte sie möglichst schnell einen Einreiseantrag gestellt und nicht bis Jänner 2015 damit zugewartet. Außerdem hätte ihr Ehemann eine Bedrohung gegen sie, gerade da sie in telefonischem Kontakt zu ihm gestanden sei, auch in der Befragung geschildert. Der Asylgerichtshof habe im Verfahren ihres Ehemannes durch sein Erkenntnis eine asylrelevante Verfolgung seiner Person verneint, weshalb davon auszugehen sei, dass er die BF1, bei seiner Ausreise, nicht in einer vermeintlichen Gefahrensituation zurückgelassen hätte. Die von ihr geschilderte Verfolgung wäre auch bei einer tatsächlichen Verwirklichung mangels Intensität nicht asylrelevant. Sie hätte in der Einvernahme dezidiert gesagt, dass sie niemals selbst bedroht worden sei, sondern es nur ihrem Vater mitgeteilt worden sei. Weiters gab sie an, dass die letzte Bedrohung einen Monat vor ihrer Hochzeit stattgefunden hätte. Auch von ihrem Vater, der sie misshandelt haben soll, wäre für sie zum Zeitpunkt der Flucht keine Gefahr mehr ausgegangen, da dieser einerseits mit der Heirat ihres jetzigen Ehemannes einverstanden gewesen sei , andererseits würde sie seit 2008 bei der Familie ihres Ehemannes leben. Die alleinige Tatsache, dass die BF1 eine Frau sei, genüge nicht den Ansprüchen, die für eine Asylgewährung notwendig seien. Aus den Schilderungen der BF1 sei keine Asylrelevanz ersichtlich, da sie sich nur auf die allgemeine Lage der Frau in Afghanistan beziehe.

Zur Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten an die BF2 führte das BFA im Wesentlichen aus, dass für sie zu keiner Zeit eine tatsächlich verwirklichte personenbezogene, asylrelevante Verfolgung ihrer Person vorgebracht worden sei. Ihre Mutter hätte für die BF2 als Fluchtgrund keinen sie persönlich treffenden Sachverhalt vorgebracht, sondern hätte sich lediglich auf die Tatsache bezogen, dass sie weiblich sei und so in Afghanistan Probleme hätte. Die Tatsache weiblich zu sein stelle, jedoch keinen asylrelevanten Sachverhalt dar.

Auch die Tatsache, dass die BF1 und BF2 Schiitinnen und Hazara seien, erfülle nicht die Voraussetzungen einer asylrelevanten Verfolgung, solange keine individuellen Gründe vorliegen würden.

Auf Grund der zugrunde gelegten Länderberichte, denen die aktuelle prekäre Sicherheitslage in ihrer Heimatprovinz Ghazni unstreitig zu entnehmen sei, sei bei der BF1 und der BF2 von einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes auszugehen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in sicherere Provinzen Afghanistans werde im Fall der BF1 verneint, da es durch ihre Ausbildung, Berufserfahrung und das nicht vorhandene soziale Netz als durchaus wahrscheinlich anzunehmen sei, dass sie dort in eine ausweglose Lage geraten würde.

5. Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG, vom 11.10.2016 wurden den BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnen Betreuung als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

6. Gegen Spruchpunkt I. der oben genannten Bescheide richten sich die am 04.11.2016 erhobenen Beschwerden, welche fristgerecht beim BFA eingelangt sind. Die Bescheide wurden wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft. Darin wurden die Angaben der BF1 in ihren Einvernahmen im Wesentlichen wiedergegeben und ausgeführt, dass die Behörde den BF auf Grund des geschilderten Sachverhaltes die Flüchtlingseigenschaft aus Gründen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen zuerkennen hätte müssen, insbesondere der BF1, da diese dem in der afghanischen Gesellschaft vorherrschenden traditionell-konservativen Rollenbild nicht entspreche. Ergänzend wurde auf Erkenntnisse des BVwG und des VwGH verwiesen. Der Beschwerde war die Vollmachtserteilung der BF1 an die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe beigefügt.

7. Die gegenständlichen Beschwerden und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.11.2016 vom BFA vorgelegt.

8. Das BFA teilte mit Schriftsatz vom 07.11.2017 mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Ungeachtet dessen werde auf Grund der gegebenen Aktenlage die Abweisung gegenständlicher Beschwerde beantragt und um die Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls ersucht. Weiters beantragte das BFA die Einholung einer aktuellen Stellungnahme der Staatendokumentation, falls das Bundesverwaltungsgericht davon ausgehe, dass die von der Behörde verwendeten Quellen zwischenzeitig nicht mehr als aktuell zu betrachten wären bzw. weitere Quellen herangezogen werden würden, welche am Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens Zweifel aufkommen lassen würden.

9. Am 10.11.2017 langte eine Stellungnahme der BF zum, mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ein. Darin wurde insbesondere bemängelt, dass die Ausführungen zur Situationen von Frauen und Kindern nicht den tatsächlichen Alltag von Frauen und Mädchen in Afghanistan, vor allem in den ländlicheren Regionen, wiederspiegeln würden. Die afghanische Regierung habe seit dem Jahr 2011 rechtliche Schritte zur Verbesserung der Situation unternommen, doch die tatsächlichen praktischen Veränderungen seien bestenfalls marginal. Aus den Länderberichten ergebe sich unzweifelhaft, dass Frauen und Mädchen im gesamten Land von Rechtsverletzungen und Diskriminierung betroffen seien. Die Ausübung von, auch sexueller, Gewalt sei nach wie vor weit verbreitet. Die überwiegende Anzahl der Gewalttaten werde nach wie vor im Rahmen der traditionellen Streitbeilegung gelöst und nicht zur Anzeige gebracht, die Täter würden straffrei ausgehen. Außerdem würden unbegleitete Frauen auf der Straße bzw. Frauen, die außerhalb des Hauses arbeiten, oft Opfer von Belästigungen und Übergriffen werden. In dem verfügbaren Berichtsmaterial fänden sich keinerlei Aussagen dahingehend, dass Frauen aus bescheidenen Verhältnissen, insbesondere in ländlichen Gebieten, tatsächlich ein auch nur annähernd selbstbestimmtes Leben führen können. Auch der UNHCR gehe in seinen Richtlinien davon aus, dass Frauen die eine grundrechtsgeprägte, mit den traditionellen afghanischen Normen unvereinbare Lebensweise wählen, besonders gefährdet seien, Opfer von Verfolgung zu werden. Es wurde weiters auf Berichte der Schweizer Flüchtlingshilfe verwiesen. Als Anhang waren der Stellungnahme ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 und eine Analyse der Staatendokumentation zu "Frauen in Afghanistan" vom 02.07.2014 beigefügt.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 16.01.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die BF im Beisein eines bevollmächtigten Vertreters persönlich teilnahmen. Die BF1 brachte im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine Heiratsurkunde, sowie deren Übersetzung in die englische Sprache (beides im Original) in Vorlage. Sie brachte im Wesentlichen mündlich vor, dass sie in Österreich die Sprache lernen und eine Ausbildung zur Krankenschwester machen wolle. Sie wolle gerne arbeiten und auf eigenen Beinen stehen. Für die BF2 wünsche sie sich, dass sie in Österreich eine Ausbildung erhält. Der Ladung zur öffentlich mündlichen Verhandlung wurden Länderfeststellungen zur maßgeblichen Lage im Herkunftsstaat beigelegt.

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhalt)

Das Bundesverwaltungsgericht geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

a) Zu den Personen und zum Vorbringen der BF

1. Der Name der BF1 ist XXXX , sie wurde am XXXX im Dorf XXXX , in dem Distrikt XXXX , in der Provinz Ghazni geboren. Sie ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Weiters ist sie Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Dari.

2. Die BF1 ist im Dorf XXXX , in dem Distrikt XXXX , in der Provinz Ghazni geboren und aufgewachsen. Sie hat sechs Jahre lang die Schule besucht. Ihren Ehemann, XXXX , geboren am XXXX , hat sie vor mehr als neuneinhalb Jahren in Afghanistan geheiratet (ca. 2008). Nach der Heirat ist ihr Ehemann für den Lebensunterhalt der BF1 aufgekommen, aber nach seiner Ausreise hat die BF1 gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter und Schwägerin zu Hause Teppiche geknüpft, die der Schwager ihres Ehemannes im Bazar verkaufte.

3. Die BF1 hat im Juli des Jahres 2015 Afghanistan über den Luftweg verlassen. Sie ist legal, im Besitz eines österreichischen Visums, über Tadschikistan, Kasachstan und die Türkei nach Österreich eingereist, wo sie am 10.08.2015 den gegenständlichen Antrag gestellt hat.

4. Die BF2, XXXX , ist die leibliche Tochter der BF1. Sie wurde am

XXXX in Österreich geboren und stellte am 24.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Weiters ist sie Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF2 ist Dari.

5. Den BF wurde von der belangten Behörde mit Bescheiden vom 08.10.2016 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, sowie befristete Aufenthaltsberechtigungen erteilt, die Anträge wurden in Bezug auf die Zuerkennung von Asyl abgewiesen.

Der Ehegatte der BF1 bzw. Vater der BF2 hält sich seit April 2009 in Österreich auf und hat im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts den aufrechten Status eines subsidiär Schutzberechtigten, sein Antrag hinsichtlich der Gewährung von Asyl wurde rechtskräftig abgewiesen.

6. Die BF1 organisiert ihren Alltag selbstständig. Sie erledigt die alltäglichen Besorgungen, nimmt die Termine bezüglich ihrer Tochter war und trifft sich mit Freunden. Sie entscheidet selber über ihren Kleidungsstil und ihre Freizeitgestaltung. Der BF1 ist Bildung für sich selbst und ihre Tochter sehr wichtig, vor allem ist es ihr ein Anliegen, dass sie selbstständig werden und ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Der Berufswunsch der BF1 ist Krankenschwester. Sie möchte die Matura machen.

Bis zur Geburt ihrer Tochter in Österreich hat die BF1 einen Alphabetisierungskurs besucht. Derzeit ist die BF1 auf Grund der Betreuung ihrer Tochter im Kleinkindalter (ein Jahr und neun Monate) in ihrem Bestreben nach Weiterbildung eingeschränkt. Sobald sie sich nicht mehr ganztätig der Betreuung ihrer Tochter widmen muss, möchte die BF1 sich auf die Verwirklichung ihres Bildungs- und Berufswunsches konzentrieren. Die BF1 ist auch erkennbar bestrebt ihre Bekanntschaften zu österreichischen Personen zukünftig, durch entsprechende Deutschkenntnisse, zu vertiefen.

7. Mit ihrem Verhalten und Auftreten hat die BF1 gezeigt, dass ihre persönliche Haltung über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort, vor allem in den ländlichen Gebieten wie ihrem Heimatort, mehrheitlich unterworfen sind, steht.

Die BF1 ist nunmehr von ihrer persönlichen Wertehaltung her überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (nämlich selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition und lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab. Sie bewältigt ihren Alltag, mit Bedacht auf die Betreuung ihrer Tochter im Kleinkindalter, in Österreich selbständig, strebt nach Bildung und wirtschaftlicher Selbständigkeit, und will in Österreich einen Beruf ergreifen, wobei sie von ihrem Ehemann in diesen Bestrebungen unterstützt wird. Auch ihr Erscheinungsbild entspricht nicht den in Afghanistan für Frauen bestehenden Vorschriften.

8. Es liegen keine Gründe vor, nach denen ein Ausschluss der BF1 hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

9. Es ist auch kein Verfahren gegen die BF1 zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten anhängig.

10. Der BF1 steht, wie aus der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten durch die belangte Behörde abzuleiten ist, eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative nicht zur Verfügung.

11. Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

12. Bezüglich der BF2 sind keine eigenen und in ihrer Person liegende Gründe einer asylrelevanten Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat hervorgekommen. Sie wäre im Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrem Bildungswunsch oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

b) Zur Lage im Herkunftsstaat

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 25.09.2017 [Schreibfehler teilweise korrigiert]; Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 (HCR/EG/AFG/16/02)):

1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 25.09.2017 [Schreibfehler teilweise korrigiert]:

KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan – Q3.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab – auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert – eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5%

erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs – improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen – nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 8 von 201

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer – speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound – auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul – dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll – in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army – ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police – ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban – im Gegensatz zum Jahr 2016 – keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt – nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten – dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

KI vom 27.6.2017: Afghanische Flüchtlinge im Iran (betrifft: Abschnitt 23 Rückkehrer)

Aus gegebenem Anlass darf auf folgendes hingewiesen werden:

Informationen zur Situationen afghanischer Flüchtlinge im Iran können dem Länderinformationsblatt Iran entnommen werden (LIB Iran – Abschnitt 21/Flüchtlinge).

Länderkundliche Informationen, die Afghanistan als Herkunftsstaat betreffen, sind auch weiterhin dem Länderinformationsblatt Afghanistan zu entnehmen.

KI vom 22.6.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan – Q2.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert – eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten – gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF – Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA – Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP – Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten– den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten – kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal‘ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha’ al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan – teilweise bekannt als IS Khorasan – ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

KI vom 11.5.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan – Q1.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017).

INSO berichtet für den Zeitraum Jänner – März 2017 von insgesamt

6.799 sicherheitsrelevanten Vorfällen in ganz Afghanistan (INSO o. D.):

Im Jahr 2016 hat sich die Zahl der Gefechte zwischen Taliban und Regierungskräften (meist Angriffe der Taliban) um 22% erhöht und machen damit 63% der sicherheitsrelevanten Vorfälle aus. Die Anzahl der IED-Vorfälle war 2016 um 25% niedriger als im Jahr davor und ist damit weiterhin rückläufig (UN GASC 3.3.2017).

ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die afghanischen Sicherheitskräfte sind auch weiterhin signifikanten Herausforderungen ausgesetzt – speziell was ihre operative Leistungsfähigkeit betrifft: Schwächen in den Bereichen Führung und Kontrolle, Leitung und Logistik, sowie hohe Ausfallsraten, haben maßgebliche Auswirkungen auf Moral, Rekrutierung und Leistungsfähigkeit (UN GASC 3.3.2017). Dennoch haben die afghanischen Sicherheitskräfte hart gegen den Talibanaufstand und terroristische Gruppierungen gekämpft und mussten dabei hohe Verluste hinnehmen. Gleichzeitig wurden qualitativ hochwertige Spezialeinheiten entwickelt und Aufständische davon abgehalten Bevölkerungszentren einzunehmen oder zu halten (SIGAR 30.4.2017).

Der sich intensivierende Konflikt hat zunehmend Opfer bei Sicherheitskräften und Taliban gefordert. Die Rate der Neu- bzw. Weiterverpflichtungen ist zu niedrig, um die zunehmenden Desertionen und Ausfälle zu kompensieren. Bis Februar 2016 war die Truppenstärke des afghanischen Heeres bei 86% und die der afghanischen Nationalpolizei auf 94% ihres geplanten Mannschaftsstandes (UN GASC 3.3.2017).

Berichtszeitraum 18.11.2016 bis 14.2.2017

Im Berichtszeitraum wurden von den Vereinten Nationen 5.160 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert; dies bedeutet eine Erhöhung von 10% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 (UN GASC 3.3.2017).

Im Jänner 2017 wurden 1.877 bewaffnete Zusammenstöße registriert; die Anzahl hatte sich gegenüber dem vorigen Vergleichszeitraum um 30 erhöht. Im Berichtszeitraum haben sich IED-Angriffe im Vergleich zum Vorjahr um 11% verstärkt (UN GASC 3.3.2017).

High-profile Angriffe:

Nahe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif in der afghanischen Nordprovinz Balkh, sind bei einem Angriff der Taliban auf eine Militärbasis mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: al-Jazeera 29.4.2017, Reuters 23.4.2017). Balkh gehört zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans; dort ist die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes (FAZ 21.4.2017). Dies war afghanischen Regierungskreisen zufolge, der bislang folgenschwerste Angriff auf einen Militärstützpunkt. Laut dem Sprecher der Taliban war der Angriff die Vergeltung für die Tötung mehrerer ranghoher Rebellenführer. Vier der Angreifer seien in die Armee eingeschleust worden. Sie hätten dort einige Zeit ihren Dienst verrichtet. Das wurde aber von der afghanischen Armee nicht bestätigt (Reuters 23.4.2017).

Dies ist der zweite Angriff auf eine Militäreinrichtung innerhalb weniger Monate, nach dem Angriff auf ein Militärkrankenhaus in Kabul Anfang März, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte. Damals kamen mindestens 49 Menschen ums Leben und 76 weitere wurden verletzt (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017, NYT 7.5.2017, Dawn 7.5.2017, SIGAR 30.4.2017, FAZ 8.3.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Angaben, welche Gebiete von den Aufständischen in Afghanistan kontrolliert werden, sind unterschiedlich: Schätzungen der BBC zufolge, wird bis zu ein Drittel des Landes von den Taliban kontrolliert (BBC 9.5.2017). Einer US-amerikanischen Quelle zufolge stehen 59,7% der Distrikte unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Sicherkräfte (Stand: 20.2.2017); was eine Steigerung von 2,5% gegenüber dem letzten Quartal wäre; jedoch einen Rückgang von 11% gegenüber dem Vergleichswert des Jahres 2016. Die Anzahl der Distrikte, die unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen sind, hat sich in diesem Quartal um 4 Distrikte vermehrt: es sind dies 45 Distrikte in 15 Provinzen (SIGAR 30.4.2017). Die ANDSF konnten die Taliban davon abhalten Provinzhauptstädte einzunehmen oder zu halten; die Aufständischen haben die Kontrolle über gewisse ländliche Gebiete behalten. (SIGAR 30.4.2017).

Taliban

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive Ende April 2017 eröffnet; seitdem kommt es zu verstärkten Gefechtshandlungen in Nordafghanistan (BBC 7.5.2017). Bisher haben die Taliban ihre alljährliche Kampfsaison durch die Frühjahrsoffensive eingeläutet; allerdings haben dieses Jahr die Taliban-Aufständischen auch in den Wintermonaten weitergekämpft (BBC 28.4.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan – teilweise bekannt als IS Khorasan – ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie auch gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017). Der IS verliert weiterhin Gebiete, die zuvor von ihm kontrolliert wurden; Verantwortlich dafür sind hauptsächlich die Aktivitäten der afghanischen Luftstreitkräfte mit Unterstützung der Luftangriffe der NATO (SCR 28.2.2017).

Abdul Hasib, der IS-Anführer in Afghanistan, wurde im Rahmen einer militärischen Operation in Nangarhar getötet (BBC 8.5.2017; vgl. auch: NYT 7.5.2017); von Hasib wird angenommen für viele high-profile Angriffe verantwortlich zu sein – so auch für den Angriff gegen das Militärkrankenhaus in Kabul (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017).

In diesem Jahr wurden hunderte IS-Aufständische entweder getötet oder gefangen genommen (BBC 8.5.2017). Im April 2017 wurde die größte nicht-nukleare Bombe, in einer Region in Ostafghanistan eingesetzt, die dafür bekannt ist von IS-Aufständischen bewohnt zu sein (Independent 13.4.2017). Netzwerke bestehend aus Höhlen und Tunnels wurden zerstört und 94 IS-Kämpfer, sowie vier Kommandanten, getötet (Dawn 7.5.2017). Quellen zufolge waren keine Zivilisten von dieser Explosion betroffen (BBC 14.4.2017; vgl. auch: The Guardian 13.4.2017, al-Jazeera 14.4.2017).

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.01.2017), nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.01.2017).

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.04.2016 vgl. auch: CRS 12.01.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.04.2016).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge zum Teil über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einigen von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, das von allen Parteien verlangte, sich neu zu registrieren, und zum Ziel hatte, ihre Anzahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 M

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten