TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/31 L519 2175714-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2018
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Entscheidungsdatum

31.01.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L519 2175714-1/4E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 04.01.2018 MÜNDLICH VERKÜNDETEN

ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Türkei, vertreten durch RA Dr. Enthofer, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 12.09.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.01.2018 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Türkei, brachte erstmalig am 18.01.2010 einen Asylantrag in Österreich ein.

Im Wesentlichen brachte der BF dazu vor, dass er nach seinem Militärdienst kurz als Koch, dann als Bauarbeiter und dann 2009 als Geschäftsführer seines eigenen Imbissstandes gearbeitet habe. Den Imbissstand habe er noch im Jahr 2009 schließen müssen, da keine Touristen (Auslandstürken) mehr im Heimatdorf gewesen wären. Zusätzlich hätte er in der familieneigenen Landwirtschaft mitgearbeitet. Er habe an sich mit den Behörden keine Probleme gehabt, nur mit dem Bürgermeister seines Heimatdorfes XXXX (idF auch: Z). Er hätte diesen nicht gewählt, daher habe er Probleme gehabt. Er habe vom Bürgermeister keinen Platz für seinen Imbissstand bekommen und sich daher entschlossen, bis zur Abwahl dieses Bürgermeisters die Heimat zu verlassen. Insgesamt habe er ihm das Leben schwer gemacht. Konkret befragt zu seinen Fluchtgründen erwähnte der BF zwar die Probleme mit dem Bürgermeister wiederum am Rande, weiters führte er aus: "Alle Menschen die die Türkei verlassen haben, haben dies aus wirtschaftlichen Gründen gemacht. Als Vater habe ich die moralische Pflicht, meine Kinder zu versorgen. Ich habe die Türkei aus wirtschaftlichen Gründen verlassen."

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 02.07.2010 wurde der erste Antrag des BF gemäß §§ 3, 8 abgewiesen und der BF gemäß § 10 AsylG in die Türkei ausgewiesen.

I.2. Am 01.10.2010 stellte der BF bei der belangten Behörde einen Antrag auf freiwillige Rückkehr.

Der BF ist am 19.10.2010 freiwillig unter Inanspruchnahme einer Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet ausgereist.

I.3. Am 02.07.2013 reiste der BF abermals in das Bundesgebiet ein und stellte einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

Befragt dazu, welche neuen Gründe er nach rechtskräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens geltend machen könne, gab der BF an:

"Ich bin zurückgekehrt, weil ich dieses Land liebe. Ist das eine Straftat?". Nachgefragt führte er aus, dass er sich an Österreich gewohnt hätte, sich in der Türkei nicht mehr wohl fühle und es dort nicht mehr schaffen könne. Nochmals nachgefragt, bejahte der BF, dass er seinen Heimatstaat ausschließlich aus dem Grund verlassen hat, da er sich dort nicht mehr wohlfühlen würde und es ihm dort nicht mehr gefällt.

Mit Bescheid vom 03.02.2015 wurde der zweite Antrag gemäß § 68 AVG zurückgewiesen, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen.

I.4. Am 16.02.2015 stellte der BF bei der belangten Behörde einen Antrag auf freiwillige Rückkehr.

Der BF ist am 27.10.2015 freiwillig unter Inanspruchnahme einer Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet ausgereist.

I.5. Wiederum nach nicht rechtmäßiger Einreise am 09.05.2016 brachte der BF bei der belangten Behörde gegenständlichen, dritten Antrag auf internationalen Schutz ein.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF am 09.05.2016 im Wesentlichen Folgendes vor:

In seiner Heimatstadt sei die Lage für Kurden noch schlimmer geworden. Er habe immer noch Angst um sein Leben. In der Türkei gäbe es keine Menschenrechte, Kurden wären Menschen zweiter Klasse. Es gäbe Bürgerkrieg, Türken und Kurden würden sich dort seit ca. 6 Monaten mit Bomben bekämpfen. In der Heimatstadt gäbe es zeitweise Ausgangssperren und sei sein Cousin XXXX in XXXX (idF: K) von der kurdischen Partei der Vorsitzende.

Am 27.05.2016 vor der belangten Behörde einvernommen gab der BF an, dass er Probleme mit der Gendarmerie gehabt hätte. Er würde bei einer Rückkehr ins Gefängnis kommen, da er Kurde ist und lange Zeit nicht mehr in der Türkei gewesen sei. Man würde glauben, dass er PKK Kämpfer gewesen ist.

Bei seiner Befragung vor der belangten Behörde am 11.09.2017 gab der BF zusammengefasst an:

Er habe vorerst als Koch gearbeitet in der Türkei und zuletzt von 2007/2008 bis 2009 eine kleine Imbissstube als Koch betrieben. Dies bis zu einer Diskussion mit dem Bürgermeister, wonach er keine Konzession mehr erhalten hätte. Er habe Probleme mit dem Bürgermeister, welcher der AKP zugehörig war, gehabt.

In der Türkei habe er seit seiner Kindheit als Kurde Probleme gehabt. Es gäbe auch ständig Explosionen. Seine Kinder gingen zwar zur Schule bzw. Uni, aber er mache sich große Sorgen um sie. Überall wo er hingekommen sei habe es Diskussionen bezüglich der Volksgruppenzugehörigkeit gegeben. Das hauptsächlich fluchtauslösende Ereignis sei die Auseinandersetzung mit dem Bürgermeister gewesen. Nachgefragt gab er an, dass es letztlich dasselbe Problem wie bei seiner ersten Ausreise 2010 mit dem Imbissstand gegebnen habe. Er habe keine Erlaubnis mehr für die Imbissbude bekommen und den Bürgermeister von XXXX gebeten, zu invtervenieren. Diese habe ihm nicht helfen können, weil der Bürgermeister des Heimatdorfes Anhänger der AKP gewesen sei. In Österreich fühle er sich wohl, "dort" habe er sich nicht mehr wohl gefühlt. Er sei auch mit dem Bürgermeister der HDP von XXXX verwandt und sei dies auch problematisch. Dieser sei bereits einmal festgenommen worden, ein Bruder des BF sei auch einmal "mitgenommen" worden. Nachgefragt wie diese Umstände sich auf ihn, der selbst nie aktiv war, ausgewirkt hätten, gab der BF an, dass sie denselben Familiennamen tragen würden und der Sohn ihm jedes Mal erzähle, dass "irgendjemand" mitgenommen worden sei.

Vor der belangten Behörde legte der BF einen Personalausweis, einen Beschluss über die Eintragung einer Firma in Österreich und einen Bescheid des AMS XXXX vor.

I.6. Der dritte Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

I.6.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die vom BF angegebenen Fluchtgründe nicht glaubwürdig wären, da er insbesondere nicht in der Lage war, diese chronologisch und in sich stimmig zu schildern.

I.6.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.6.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam.

Es hätten sich weiter keine Hinweise für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.

I.7. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen der Eckdaten zu den Fluchtgründen Angaben dazu gemacht, dass seitdem die Türkei von Erdogan regiert werde, jedwede Rechtsstaatlichkeit verloren gegangen sei.

Der BF legte vor:

* Firmenbuchauszug

* Gesellschaftsvertrag

* AMS Bescheid

* Schreiben Helferkreis für Flüchtlinge der Pfarre XXXX

* Schreiben Landesregierung über Einstellung der Grundversorgung, da er die Zustimmung zu einem Bundesländerwechsel (Wohnsitz) nicht vorweg eingeholt hat

* Mietverträge Gatstronomie / Privatwohnung

* Meldezettel

I.8. Für den 04.01.2018 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, an der der BF teilnahm. Der Rechtsvertreter ist unentschuldigt nicht erschienen.

Der BF legte in der Verhandlung vor:

* Mietvertrag

* Auszahlungsliste vom 31.12.2017

I.9. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer:

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen türkischen Staatsangehörigen, welcher zur Volksgruppe Kurden gehört und sich zum sunnitischen Islam bekennt. Der BF ist damit Drittstaatsangehöriger.

Der BF ist ein geschiedener, junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann mit einer in der Türkei - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Der BF stammt aus der Provinz Konya und hat die Grundschule besucht. Er spricht neben Türkisch auch Kurdisch. Der BF hat den Militärdienst in der Türkei abgeleistet und davor sowie danach gearbeitet.

In der Türkei leben nach wie vor die Mutter des BF und zwei Brüder. Die Mutter lebt bei einem Bruder im Heimatdorf XXXX im Bezirk XXXX. Die zwei Söhne des BF im Alter von 17 und 19 Jahren leben in XXXX und besuchen dort die Schule bzw Universität. Die Kinder werden vom BF und einem in der Türkei lebenden Bruder des BF finanziell unterstützt.

Der BF ist strafrechtlich bislang unbescholten und ist Geschäftsführer einer seit Juni 2017 im österreichischen Firmenbuch eingetragenen Firma im Gastgewerbe. Dennoch lebte der BF den überwiegenden Teil seines Aufenthalts in Österreich von der Grundversorgung. Der BF hat bislang weder einen offiziellen Deutschkurs besucht noch eine Deutschprüfung abgelegt. Er hat in einem Sprachcafe eines Helferkreises für Flüchtlinge Deutsch gelernt und von August 2016 bis Mai 2017 einen privaten Deutschkurs besucht.

Ein Onkel des BF lebt seit ca. 20 Jahren in Österreich und verfügt über einen Aufenthaltstitel.

Die Identität des BF steht nicht fest.

Er reiste unrechtmäßig in die Europäische Union und in weiterer Folge in das österreichische Bundesgebiet ein.

Der BF hält sich lediglich aufgrund der Bestimmungen des Asylgesetzes vorübergehend legal in Österreich auf und besteht kein Aufenthaltsrecht nach anderen gesetzlichen Bestimmungen.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Türkei

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen getroffen:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 31.8.2017, Geheimdienst unter Kontrolle des Staatspräsidenten, Verlängerung der maximalen Untersuchungshaft (relevant für die Abschnitte: . 4. Rechtsschutz/Justizwesen und 5. Sicherheitsbehörden)

Mit dem Dekret 694, das am 25.8.2017 in Kraft trat, wurde der Geheimdienst MIT, der bisher dem Ministerpräsidenten unterstand, dem Präsidenten unterstellt. Auch wurde eine neue Institution namens Nationales Geheimdienstkoordinierungskomitee (MIKK) ins Leben gerufen, das vom Präsidenten geleitet wird. Der Geheimdienst erhält erstmals das Recht, gegen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und der Streitkräfte nach Belieben zu ermitteln. Laut dem Dekret muss der Präsident künftig Ermittlungen gegen den Geheimdienstchef genehmigen (Focus 25.8.2017; vgl. AM 30.8.2017). Der Geheimdienst kann überdies zu jederzeit seine Mitarbeiter entlassen. Hierzu war bislang eine komplexe Prozedur von Nöten (AM 30.8.2017)

Per Dekret wurde gleichzeitig die maximale Untersuchungshaft von fünf auf sieben Jahre ausgeweitet. Das gilt für Beschuldigte, denen die Unterstützung von Terrororganisationen, Spionage oder eine Beteiligung an dem Putschversuch vom Juli 2016 vorgeworfen werden. Staatspräsident Erdogan ermächtigte sich überdies, ausländische Gefangene ohne Einschaltung der Justiz in deren Heimatländer abzuschieben oder gegen türkische Staatsbürger auszutauschen (HB 28.8.2017). Dies geschieht auf Antrag des Außenministers. Somit kann die Türkei festgehaltene Ausländer in diplomatischen Verhandlungen nützen (AL 30.8.2017)

Quellen:

-

AM - Al Monitor (30.8.2017): Erdogan hastens executive presidency with new decree,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/08/turkey-emergency-decree-redesigns-vital-intstitutions.html, Zugriff 31.8.2017

-

Focus (25.8.2017): Geheimdienst und neue Entlassungwelle: Erdogan baut per Dekret seine Macht aus, http://www.focus.de/politik/ausland/erdogan-im-groessenwahn-geheimdienst-und-neue-entlassungwelle-erdogan-baut-per-dekret-seine-macht-aus_id_7516131.html, Zugriff 31.8.2017

-

HB - Handelsblatt (28.8.2017): Sieben Jahre Haft - ohne Urteil, http://www.handelsblatt.com/politik/international/neues-dekret-von-erdogan-sieben-jahre-haft-ohne-urteil/20247280.html, Zugriff 31.8.2017

KI vom 9.8.2017, Beschwerden an die Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen (relevant für Abschnitt: 4. Rechtsschutz/Justizwesen)

Die Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen (the Commission on Examination of the State of Emergency Procedures), die am 23.1.2017 gegründet wurde, hat am 17.7.2017 begonnen, Einsprüche von aufgrund der Notstandsdekrete entlassenen Personen, Vereine und Firmen entgegenzunehmen. Innerhalb von drei Wochen [Stand 7.8.2017] wurden bislang rund 38.500 Beschwerden bei der Kommission eingereicht (HDN 8.8.2017). Das Verfassungsgericht hatte zuvor rund

70.800 Individualbeschwerden in Zusammenhang mit Handlungen auf der Basis der Notstandsdekrete zurückgewiesen, da die Beschwerden nicht der Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen vorgelegt, und somit nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft wurden (bianet 7.8.2017). Nebst den direkt bei der Kommission eingereichten Beschwerden werden auch jene, die vor der Gründung der Kommission bei den Verwaltungsgerichten und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht wurden, übernommen. Der EGMR hatte zuvor 24.000 Beschwerden abgelehnt. Negative Bescheide der Kommission können bei den Verwaltungsgerichten beeinsprucht werden (HDN 8.8.2017).

Quellen:

-

Bianet - BIA News Desk (7.8.2017): Constitutional Court Rejects 70,771 Applications Regarding State of Emergency, http://bianet.org/english/law/188906-constitutional-court-rejects-70-771-applications-regarding-state-of-emergency, Zugriff 9.8.2017

-

HDN - Hürriyet Daily News (8.8.2017): Turkish state of emergency commission receives over 38,000 appeals, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-state-of-emergency-commission-receives-over-38000-appeals-.aspx?pageID=238&nID=116469&NewsCatID=338, Zugriff 9.8.2017

KI vom 19.7.2017, Verlängerung des Ausnahmezustandes (relevant für Abschnitt: 2. Politische Lage)

Am 17.7.2017 wurde der Ausnahmezustand ein viertes Mal verlängert. Eine Mehrheit im Parlament in Ankara stimmte dem Beschluss der Regierung über eine Verlängerung um weitere drei Monate zu. Damit gilt der nach dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres verhängte Ausnahmezustand mindestens bis zum 19.10.2017. Dies ermöglicht Staatspräsident Erdogan weiterhin per Dekret zu regieren. Die beiden größten Oppositionsparteien - die kemalistische CHP und die pro-kurdische HDP - forderten sofortige Aufhebung des Ausnahmezustandes, da dieser ansonsten drohe zum Dauerzustand zu werden (TS 17.7.2017, vgl. FAZ 17.7.2017).

Quellen:

? FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (17.7.2017): Türkisches Parlament verlängert abermals Ausnahmezustand, http://www.faz.net/aktuell/politik/tuerkei/seit-putschversuch-tuerkisches-parlament-verlaengert-abermals-ausnahmezustand-15110851.html, Zugriff 19.7.2017

? tagesschau.de (17.7.2017): Türkei verlängert Ausnahmezustand, http://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-865.html, Zugriff 19.7.2017

KI vom 19.7.2017, Verhaftung von Mitarbeitern von Amnesty International - wachsender Druck auf NGOs (relevant für Abschnitt: 8. 8. Nichtregierungsorganisationen)

Am 18.7.2017 verhängte ein Gericht über sechs Menschenrechtsaktivisten, darunter die Direktorin von Amnesty International -Türkei die Untersuchungshaft, nachdem diese am 5.7.2017 festgenommen worden waren. Die Staatsanwaltschaft bezichtigte die Aktivisten der Unterstützung und Begünstigung einer terroristischen Organisation. Welche Terrororganisation gemeint war, blieb unklar. Untersuchungen wegen Terrorfinanzierung und Spionage wären laut Staatsanwaltschaft ebenfalls im Gange. Bereits im Juni 2017 wurde der Vorsitzende von Amnesty International -Türkei, Taner Kiliç, wegen vermeintlicher Unterstützung der Gülen-Bewegung inhaftiert (HDN 18.7.2017, Standard 18.7.2017). Seit dem Putschversuch wurden mehr als 1.000 NGOs verboten. Überdies berichteten auch internationale NGOs, wie Human Rights Watch, über Schmierkampagnen der staatlich kontrollierten Medien und Einschüchterung von Mitarbeitern. Auch die deutschen politischen Stiftungen, welche in der Türkei aktiv sind, melden einen zunehmenden Druck seitens der Behörden (Zeit 18.7.2017).

Quellen:

? HDN - Hürriyet Daily News (13.7.2017): Turkish court arrests six human rights activists on terror charges, http://www.hurriyetdailynews.com/turkish-court-arrests-six-human-rights-activists-on-terror-charges-.aspx?pageID=238&nID=115634&NewsCatID=339, Zugriff 19.7.2017

? Standard Online (18.7.2017): Türkei verhängt Untersuchungshaft über Amnesty-Landeschefin,

http://derstandard.at/2000061432083/Tuerkei-Sechs-Menschenrechtsaktivisten-in-Untersuchungshaft, Zugriff 19.7.2017

? Zeit online (18.7.2017): Erdogans Kampf gegen Menschenrechtler, http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/tuerkei-amnesty-international-festnahme-recep-tayyip-erdogan, Zugriff 19.7.2017

KI vom 19.7.2017, Stand der Massenverhaftungen und Entlassungen wegen vermeintlicher Unterstützung der Gülen-Bewegung (relevant für Abschnitt: 2. Politische Lage)

Am Vorabend des Jahrestages des gescheiterten Putschversuches vom 15.7.2016 verlautete das türkische Justizministerium, dass bis dato

50.510 Personen wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert wurden, darunter 7.267 Militärangehörige, 8.815 Angestellte der Polizei, rund 100 Gouverneure und deren Stellvertreter und über 2.000 MitarbeiterInnen der Justiz. 169.013 Personen hätten laut Ministerium noch rechtliche Verfahren zu erwarten und nach rund

8.100 wird wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung noch gefahndet. Über 43.000 Personen wurden nach vorläufiger Festnahme wieder entlassen (HDN 13.7.2017, bianet 13.7.2017). Mit der Notstandsverordnung vom 14.7.2017 wurden zusätzlich 7.395 öffentlich Bedienstete entlassen (HDN 15.7.2017). Die regierungskritische Internetplattform "Turkey Purge" zählte mit Stand 19.7.2017 rund

145.700 Entlassungen, darunter über 4.400 Richter und Staatsanwälte, sowie 56.100 Inhaftierungen (TP 19.7.2017).

In der Türkei nahm am 17.7.2017 eine von der Regierung eingerichtete Kommission ihre Arbeit auf, die Beschwerden gegen Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst im Zusammenhang mit dem Putschversuch prüfen soll. Betroffene hätten nun zwei Monate Zeit, ihre Beschwerden einzureichen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat sich bislang nicht mit den Entlassungen beschäftigt, sondern Kläger aus der Türkei aufgefordert, sich zunächst an die neue Kommission zu wenden (Zeit 17.7.2017).

Quellen:

? Bianet (13.7.2017): Ministry of Justice: 50,510 People Arrested in Coup Attempt Investigations,

https://bianet.org/english/politics/188268-ministry-of-justice-50-510-people-arrested-in-coup-attempt-investigations, Zugriff 19.7.2017

? HDN - Hürriyet Daily News (13.7.2017): 50,510 people arrested in Gülen probe since coup attempt: Ministry, http://www.hurriyetdailynews.com/50510-people-arrested-in-gulen-probe-since-coup-attempt-ministry.aspx?pageID=238&nID=115486&NewsCatID=509, Zugriff 19.7.2017

? HDN - Hürriyet Daily News (15.7.2017): Turkey dismisses over 7,000 police, soldiers, ministry officials with new emergency decree, http://www.hurriyetdailynews.com/turkey-dismisses-over-7000-police-soldiers-ministry-officials-with-new-emergency-decree-.aspx?pageID=238&nID=115540&NewsCatID=341, Zugriff 19.7.2017

? TP - TurkeyPurge (19.7.2017): Turkey widens post-coup purge, https://turkeypurge.com/, Zugriff 19.7.2017

? Zeit Online (17.7.2017): Türkei verlängert erneut Ausnahmezustand, http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/tuerkei-parlament-ausnahmezustand-verlaengerung, Zugriff 19.7.2017

KI vom 27.4.2017, Massenverhaftungen und Entlassungen innerhalb der Polizei (relevant für Abschnitt: 5. Sicherheitsbehörden)

In der Türkei sind am 26.4.2017 9.103 Polizisten wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung entlassen worden. Bei Razzien gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger in allen 81 Provinzen des Landes war es im Laufe des Tages bereits zu 1.120 Festnahmen gekommen. Ziel der Suspendierungen und der Verhaftungen sei es gewesen, die geheime Struktur der Gülen-Bewegung innerhalb der Polizei zu zerschlagen.

8.500 Sicherheitskräfte unter Beteiligung des Geheimdienstes MIT seien an den Operationen beteiligt gewesen (HDN 26.4.2017; vgl. Zeit 27.4.2017). Wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung hat die Türkei gleichzeitig 9.103 Polizisten entlassen (Zeit 26.4.2017; vgl. HDN 27.4.2017).

Laut "TurkeyPurge" wurden somit (Stand 27.4.2017) seit dem Putschversuch vom 15.7.2016 über 134.000 Personen wegen vermeintlicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung entlassen, knapp über 100.000 festgenommen, und von letzteren 50.000 inhaftiert (TP 27.4.2017).

Quellen:

? Die Zeit (26.4.2017): Mehr als 9.000 Polizisten suspendiert, http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/tuerkei-razzia-9000-polizisten-guelen-bewegung-suspendierung-2, Zugriff 27.4.2017

? HDN - Hürriyet Daily News (27.4.2017): Over 9,000 Turkish police officers suspended over suspected links to Gülen, http://www.hurriyetdailynews.com/over-9000-turkish-police-officers-suspended-over-suspected-links-to-gulen.aspx?pageID=238&nID=112475&NewsCatID=509, Zugriff 27.4.2017

? HDN - Hürriyet Daily News (26.4.2017): Police detain 1,120 in operation on Gülen's 'secret imams', http://www.hurriyetdailynews.com/police-detain-1120-in-operation-on-gulens-secret-imams.aspx?PageID=238&NID=112437&NewsCatID=509, Zugriff 27.4.2017

? TP - TurkeyPurge (27.4.2017): Turkey widens post-coup purge, https://turkeypurge.com/, Zugriff 27.4.2017

KI vom 26.4.2017, Aufnahme des Monitoring-Verfahrens durch den Europarat (relevant für die Abschnitte: 4. Rechtsschutz/Justizwesen und 11. Allgemeine Menschenrechte)

Die Türkei steht künftig unter der Beobachtung des Europarates, dessen Mitglied es ist. Der Europarat wird das umstrittene Verfassungsreferendum in der Türkei und das Vorgehen von Präsident Erdogan gegen Oppositionelle genauer untersuchen. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) stimmte mit großer Mehrheit dafür, ein Verfahren gegen die Türkei zu eröffnen und das Land unter Beobachtung zu stellen. Die Wiederaufnahme des sogenannten Monitorings bedeutet, dass zwei Berichterstatter regelmäßig in die Türkei fahren, um die Einhaltung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in dem Land zu überprüfen. In der Resolution wird der Schritt vor allem mit Blick auf den anhaltenden Ausnahmezustand, kollektive Entlassungen von Staatsbediensteten wie Lehrer, Wissenschaftler und Richter, sowie Festnahmen von Parlamentariern und Journalisten begründet (Zeit 25.4.2017).

Die PACE verlangt u.a. den Ausnahmezustand aufzuheben, die Erlassung von Notstandsverordnungen, außer wenn absolut nötig, einzustellen, und alle inhaftierten Parlamentarier und Journalisten freizulassen. Die Versammlung beschloss das Monitoring solange durchzuführen, bis der ernsthaften Sorge um die Einhaltung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in einer zufriedenstellenden Art und Weise Rechnung getragen wird. Zudem warnte die PACE vor der Wiedereinführung der Todesstrafe, die mit der Mitgliedschaft der Türkei im Europarat unvereinbar ist. Die PACE bedauert auch den Gesetzesbruch beim Verfassungsreferendum vom 16.4.2017, bei dem Stimmzettel ohne Amtssiegel gezählt wurden, was ernsthafte Fragen hinsichtlich der Legitimität des Ausgangs des Referendums aufwirft (PACE 25.4.2017).

Das türkische Außenministerium bezeichnete die Entscheidung als Schande, hinter der böswillige Kreise innerhalb der PACE stünden, beeinflusst von Islamo- und Xenophobie (DS 25.4.2017). Das türkische Außenministerium kündigte an, die Mitgliedschaft in der Institution überdenken zu wollen (Zeit 25.4.2017).

Quellen:

-

Die Zeit (25.4.2017): Europarat eröffnet Verfahren gegen Türkei, http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/verfassungsreferendum-tuerkei-europarat-menschenrechte-beobachtung, Zugriff 26.4.2017

-

DS - Daily Sabah (25.4.2017): Turkey-EU relations hit historic low after controversial PACE decision, https://www.dailysabah.com/eu-affairs/2017/04/26/turkey-eu-relations-hit-historic-low-after-controversial-pace-decision, Zugriff 26.4.2017

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PACE - Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.4.2017): PACE reopens monitoring procedure in respect of Turkey, http://assembly.coe.int/nw/xml/News/News-View-EN.asp?newsid=6603&lang=2&cat=8, Zugriff 26.4.2017

KI vom 19.4.2017, Verfassungsreferendum (relevant für Abschnitt: 2. Politische Lage)

Am 16.4.2017 stimmten nach vorläufigen Ergebnissen bei einer Wahlbeteiligung von 84% 51,3% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechtsnationalistischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsieht (HDN 16.4.2017).

Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte in einer Stellungnahme am 17.4.2017 sowohl die Kampagne als auch die Mängel des Referendums. Das Referendum sei unter ungleichen Wettbewerbsbedingungen von statten gegangen. Der Staat habe nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hätten negative Auswirkungen gehabt (OSCE/PACE 17.4.2017). Cezar Florin Preda, der Leiter der PACE-Delegation sagte, dass das Referendum nicht die Standards des Europarates erfüllte und die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht adäquat für die Durchführung eines genuinen demokratischen Prozesses waren (PACE 17.4.2017). Laut OSZE wurden im Vorfeld des Referendums Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützer des Putschversuchens vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017). Noch während des Referendums entschied die Oberste Wahlbehörde überraschend, auch von ihr nicht gekennzeichnete Stimmzettel und Umschläge gelten zu lassen. Die Beobachtungsmission der OSZE und des Europarates bezeichneten dies als Verstoß gegen das Wahlgesetz, wodurch Schutzvorkehrungen gegen Wahlbetrug beseitigt wurden (Zeit 17.4.2017; vgl. PACE 17.7.2017).

Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, wonach 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet wurden. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen. Der Vize-Vorsitzende der CHP, Bülent Tezcan bezeichnete das Referendum als "organisierten Diebstahl" und kündigte an, den Fall vor das türkische Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, so nötig (AM 18.7.2017). Die EU-Kommission hat die türkische Regierung aufgefordert, die mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten zu untersuchen (Zeit 18.4.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen, denn laut Michael Georg Link, Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte stand fest, dass die Entscheidung der Wahlkommission, falsch oder gar nicht gestempelte Wahlzettel als gültig zu werten, ein Verstoß gegen türkisches Recht darstellte (FAZ 19.4.2017). Daraufhin kündigte die Oberste Wahlkommission eine Prüfung der Vorwürfe an (Spiegel 19.4.2017).

Quellen:

? AM - Al Monitor (17.4.2017): Where does Erdogan's referendum win leave Turkey?

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/04/turkey-erdogan-referendum-victory-further-uncertainty.html, Zugriff 19.4.2017

? AM - Al Monitor (18.4.2017): Calls for referendum annulment rise in Turkey,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/04/turkey-referendum-fraud.html, Zugriff 19.4.2017

? Die Zeit (17.4.2017): Beobachter bemängeln Unregelmäßigkeiten im Wahlablauf,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/osze-tuerkei-referendum-wahlbeobachter-kritik, Zugriff 19.4.2017

? Die Zeit (18.4.2017): EU fordert Untersuchung von Manipulationsvorwürfen,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/tuerkei-eu-kommission-untersuchung-referendum-wahlbeobachter, zugriff 19.4.2017

? FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.4.2017): OSZE kritisiert Erdogans Umgang mit Manipulationsvorwürfen, http://www.faz.net/aktuell/tuerkei-referendum-osze-kritisiert-erdogans-umgang-mit-manipulationsvorwuerfen-14977732.html, Zugriff 19.4.2017

? HDN - Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential-system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338, Zugriff 19.4.2017

? OSCE/PACE - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017):

INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey - Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions,

https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true, Zugriff 19.4.2017.

? PACE - Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017): Turkey's constitutional referendum: an unlevel playing field,

http://assembly.coe.int/nw/xml/News/News-View-EN.asp?newsid=6596&lang=2&cat=31, Zugriff 19.4.2017

? Spiegel Online (19.4.2017): Wahlkommission prüft Beschwerden über Manipulationen,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-referendum-wahlkommission-prueft-beschwerden-ueber-manipulationen-a-1143822.html, Zugriff 19.4.2017

KI vom 9.3.2017, Parlamentarische Versammlung des Europarates und UN-Hochkommissar für Menschenrechte zur Lage in der Türkei (relevant für die Abschnitte: 3. Sicherheitslage, 11. Allgemeine Menschenrechtslage, 12. Meinungs- und Pressefreiheit)

Das Monitoring-Komitee der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) rief am 8.3.2017 zur Wiederaufnahme des Monitoring-Verfahrens in Bezug auf die Türkei auf. Das Monitoring-Komitee zeigte sich besorgt, dass es im Zuge des Ausnahmezustandes zu einer ernsthaften Verschlechterung der Funktionsfähigkeit der demokratischen Institutionen gekommen ist. Die türkische Regierung hätte überdies unverhältnismäßige Maßnahmen ergriffen, die jenseits dessen gehen, was die türkische Verfassung und das Völkerrecht erlauben. Das Komitee zeigte sich wegen des Ausmaßes der durchgeführten Säuberungen in der Verwaltung, der Armee, der Justiz und des Bildungswesens besorgt. Es zeigte sich angesichts der wiederholten Verletzungen der Medienfreiheit und der Anzahl der inhaftierten Journalisten alarmiert, und bezeichnete dies als "inakzeptabel in einer demokratischen Gesellschaft". Die Aufhebung der parlamentarischen Immunität, insbesondere der Abgeordneten der pro-kurdischen HDP, die mit 93% überproportional betroffen waren, führe laut Komitee zu ernsthaften Einschränkungen der demokratischen Debatte am Vorabend des Verfassungsreferendums, das für den 16. April 2017 vorgesehen ist. Das Komitee fordert die Aufhebung des Ausnahmezustandes, den Stopp der Notstandsverordnungen sowie die Freilassung aller Parlamentarier und Journalisten bis zu deren Prozessende (PACE 8.3.2017).

Am 8.3.2017 zeigte sich der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Zeid Ra'ad Al Hussein, in seiner Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat besorgt, dass die unter dem Ausnahmezustand ergriffenen Maßnahmen scheinbar die Kritik und nicht den Terrorismus im Visier haben. Die Tatsache, dass Zehntausende nach dem versuchten Putsch entlassen, verhaftet, inhaftiert oder verfolgt worden sind - darunter auch zahlreiche demokratisch gewählte Volksvertreter, Richter und Journalisten - wecken die ernsthafte Besorgnis, ob ordentliche Gerichtsverfahren garantiert werden können. Die Menschenrechtssituation in der Südosttürkei ist laut Hochkommissar nach wie vor zutiefst beunruhigend. Ohne Zugang zum Gebiet hat das Fernüberwachungsverfahren des Büros des Hochkommissars glaubwürdige Hinweise auf hunderte von Todesfällen erhalten, was auf unverhältnismäßige Sicherheitsmaßnahmen als Reaktion auf gewalttätige Angriffe hindeutet (UN-OHCHR 8.3.2017).

Quellen:

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PACE - Parliamentary Assembly of the Council of Europe / Monitoring Committee (8.3.2017): The Monitoring Committee calls for the monitoring procedure in respect of Turkey to be re-opened, http://assembly.coe.int/nw/xml/News/News-View-EN.asp?newsid=6538&lang=2&cat=3, Zugriff 9.3.2017

-

UN-OHCHR - UN-Office of the High Commissioner for Human Rights (8.3.2017): High Commissioner for Human Rights presents Annual Report to the Human Rights Council, http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=21316&LangID=E, Zugriff 9.3.2017

KI vom 22.2.2017, Verurteilung von Parlamentariern der pro-kurdischen HDP (relevant für die Abschnitte: 2. Politische Lage, 13.1. Opposition und 17.1. Kurden)

Am 20.2.2017 hat die Demokratische Partei der Völker (HDP) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) eine Beschwerde wegen der andauernden Inhaftierung ihrer beiden Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag eingereicht. Die HDP begründete dies u.a. mit dem Umstand, dass das Verfassungsgericht seit 95 Tagen keine Untersuchungen durchgeführt habe, und dadurch die beiden Parlamentarier ihren legislativen Aufgaben nicht nachkommen können (HDN 20.2.2017).

Die Staatsanwaltschaft in Diyarbakir fordert seit Jänner 2017 bis zu 142 Jahre Haft für Demirtas. Ihm werden unter anderem die Leitung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und Terrorpropaganda vorgeworfen (TS 17.1.2017). Ein Gericht im osttürkischen Dogubeyazit befand inzwischen am 21.2.2017 Selahattin Demirtas der "Herabwürdigung der türkischen Nation, des türkischen Staates und seiner Institutionen " schuldig und verurteilte ihn zu fünf Monaten Haft. Zudem wurde am 21.2.2017 Figen Yüksekdag ihr Parlamentsmandat aberkannt. Grund ist das Urteil des obersten Verwaltungsgerichts, das eine vorherige Verurteilung der Politikerin zu einer zehnmonatigen Haftstrafe wegen Terrorpropaganda bestätigt hatte (AM 21.2.2017; vgl. Zeit 21.2.2017). Idris Baluken, ein weiterer HDP-Abgeordneter, der eng mit den damaligen Friedensgesprächen zwischen der Regierung und dem inhaftierten PKK-Führer, Abdullah Öcalan, engagiert war, wurde nach Beanstandungen eines Appellationsgerichts erneut verhaftet (AM 21.2.2017).

Quellen:

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AM - Al Monitor (21.2.2017): Pro-Kurdish HDP leader kicked out of Turkish parliament,

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/02/turkey-unseats-figen-yuksedag-kurdish-bloc-leader.html, Zugriff 22.2.2017

-

Die Zeit (21.2.2017): Gericht verurteilt HDP-Chef zu fünf Monaten Gefängnis,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-02/tuerkei-selahattin-demirtas-haftstrafe-figen-yueksekdag-mandat, Zugriff 22.2.2017

-

HDN (20.2.2017): Opposition HDP applies to Euro court over arrest of co-leaders,

http://www.hurriyetdailynews.com/opposition-hdp-applies-to-euro-court-over-arrest-of-co-leaders.aspx?pageID=238&nID=109967&NewsCatID=338, Zugriff 22.2.2017

-

TS - tagesschau.de (17.1.2017): 142 Jahre Haft für Demirtas? http://www.tagesschau.de/ausland/haftstrafe-demirtas-101.html, Zugriff 22.2.2017

KI vom 16.2.2017, Menschenrechtskommissar des Europarates zur Presse- und Meinungsfreiheit (relevant für Abschnitt 12/ Meinungs- und Pressefreiheit)

Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muižnieks bedauert, dass konkrete Fortschritte in Bezug auf die Medienfreiheit und die Meinungsfreiheit, die die Türkei in Zusammenarbeit mit dem Europarat sorgfältig verwirklicht hat, in den letzten Jahren gestoppt und rückgängig gemacht wurden. Insbesondere die übermäßige Anwendung des Konzepts der terroristischen Propaganda bzw. der Unterstützung einer terroristischen Organisation, einschließlich von Aussagen, die eindeutig nicht zu Gewaltanwendung führen, und die Kombination mit einer übermäßigen Interpretation des Begriffes der Verleumdung haben die Türkei auf einen gefährlichen Weg gebracht. Laut Muižnieks wird die legitime Ablehnung und Kritik der Regierungspolitik verunglimpft und unterdrückt, wodurch einerseits das Ausmaß der demokratischen öffentlichen Debatte schrumpft und andererseits die gesellschaftliche Polarisierung wächst. Diese Situation habe sich unter dem anhaltenden Ausnahmezustand deutlich verschlechtert. Die türkischen Exekutive verfügt laut Menschenrechtskommissar über nahezu grenzenlose Ermessensbefugnisse, auch was das Vorgehen gegen die Medien und NGOs betrifft, nämlich ohne über ausreichende Beweise zu verfügen, und ohne dass zuvor eine gerichtliche Entscheidung getroffen wurde. Es wird auf der Grundlage vager Kriterien der angeblichen Verbindung zu einer terroristischen Organisation vorgegangen. Insbesondere der Pluralismus der Medien und ihre Unabhängigkeit sind Opfer dieser Entwicklungen geworden. Dazu gehören die Verwendung staatlicher Mittel zur Förderung von Regierungsmedien, eine durchdringende Internetzensur, willkürliche Ausgrenzung von Medien und Journalisten, die Übernahme oder Schließung von für die Behörden kritischen Medien, die Gewalt und die Repressalien gegen Medienarbeiter und die Inhaftierung von über 150 Journalisten (CoE-CHR 15.2.2017).

In einem Interview mit der Tageszeitung "Der Standard" vom 15.2.2017 zeigte sich Muižnieks besorgt und allarmiert. Die Probleme habe es bereits vor dem Ausnahmezustand und dem Putschversuch gegeben. Doch jetzt, wo mehr als 150 Medienorganisationen geschlossen, mehr als 150 Journalisten im Gefängnis sind, sei es höchste Zeit für die Verantwortlichen in der Türkei, den Kurs zu korrigieren. Der Menschenrechtskommissar äußerte auch Zweifel, ob eine öffentliche Debatte über das am 2.4.2017 anstehende Verfassungsreferendum unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes und der düsteren Situation für die Medien überhaupt geführt werden kann. Muižnieks sah es als inakzeptabel, Medienorganisationen ohne Gerichtsverfahren zu schließen. Diese Medienhäuser sollten wieder geöffnet und ihre Vermögenswerte zurückerstattet werden, solange noch ein Rechtsverfahren anhängig ist (Standard 15.2.2017).

Quellen:

-

Der Standard (15.2.2017): "Höchste Zeit für Türkei, den Kurs zu korrigieren",

http://derstandard.at/2000052648774/Hoechste-Zeit-fuer-die-Tuerkei-den-Kurs-zu-korrigieren, Zugriff 16.2.2017

-

CoE-CHR - Council of Europe / Commissioner for Human Rights (15.2.2017): Urgent measures are needed to restore freedom of expression in Turkey,

http://www.coe.int/en/web/commissioner/-/urgent-measures-are-needed-to-restore-freedom-of-expression-in-turkey, Zugriff 16.2.2017

Politische Lage

Die Türkei ist eine parlamentarische Republik, deren rechtliche Grundlage auf der Verfassung von 1982 basiert. In dieser durch das Militär initiierten und vom Volk angenommenen Verfassung wird das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung verankert. Die Türkei ist laut Verfassung eine demokratische, laizistische, soziale und rechtsstaatliche Republik, welche die Menschenrechte achtet und sich dem Nationalismus Atatürks verbunden fühlt (bpb 11.8.2014). Oberhaupt des Staates ist der Staatspräsident (IFES 2016a). Recep Tayyip Erdogan, der zuvor zwölf Jahre lang Premierminister war, gewann am 10.8.2014 die erstmalige direkte Präsidentschaftswahl, bei der auch zum ersten Mal im Ausland lebende türkische Staatsbürger an nationalen Wahlen teilnahmen (bpb 11.8.2014; vgl. BBC 8.12.2015; vgl. Presse 10.8.2014).

Nach einer Unterredung mit Staatspräsident Erdogan kündigte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am 5.5.2016 seinen Rücktritt als Partei- und Regierungschef an. Davutoglu galt zuletzt als Erdogans Widersacher auf dem Weg zu einem Umbau der Türkei zur Präsidialrepublik (WZ 5.5.2016; vgl. SD 5.5.2016). Die Spannungen zwischen Davutoglu und seiner Partei erreichten am 29.4.2016 einen Höhepunkt, als das Zentrale Exekutivkomitee der AKP beschloss, Davutoglu die Befugnis zur Ernennung der lokalen Parteiführer zu entziehen (HDN 5.5.2016). Neuer Ministerpräsident wurde Ende Mai Binali Yildirim, der sich durch eine besondere, selbstbekundete Loyalität zu Staatspräsident Erdogan auszeichnet (NZZ 29.5.2016).

Der Ministerpräsident und die auf seinen Vorschlag hin vom Staatspräsidenten ernannten Minister bzw. Staatsminister bilden den Ministerrat, der die Regierungsgeschäfte führt. Überdies ernennt der Staatspräsident 14 von 17 Mitglieder des Verfassungsgerichtes für zwölf Jahre. In der Verfassung wird die Einheit des Staates festgeschrieben, wodurch die türkische Verwaltung zentralistisch aufgebaut ist. Es gibt mit den Provinzen, den Landkreisen und den Gemeinden (belediye/mahalle) drei Verwaltungsebenen. Die Gouverneure der 81 Provinzen werden vom Innenminister ernannt und vom Staatspräsidenten bestätigt. Den Landkreisen steht ein vom Innenminister ernannter Regierungsvertreter vor. Die Bürgermeister und Dorfvorsteher werden vom Volk direkt gewählt, doch ist die politische Autonomie auf der kommunalen Ebene stark eingeschränkt (bpb 11.8.2014).

Das türkische Parlament, die Große Türkische Nationalversammlung, wird für vier Jahre gewählt. Gewählt wird nach dem Verhältniswahlrecht in 85 Wahlkreisen. Im Unterschied zu unabhängigen KandidatInnen gilt für politische Parteien landesweit eine Zehn-Prozent-Hürde (OSCE 18.8.2015).

2015 fanden zweimal Parlamentswahlen statt. Die Wahlen vom 7.6.2015 veränderten die bisherigen Machtverhältnisse in der Legislative. Die seit 2002 alleinregierende AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) verlor zehn Prozent der Wählerstimmen und ihre bisherige absolute Mehrheit. Dies war auch auf den Einzug der pro-kurdischen HDP (Demokratische Partei der Völker) zurückzuführen, die deutlich die nötige Zehn-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament schaffte (AM 8.6.2015; vgl. HDN 9.6.2015). Der Wahlkampf war überschattet von zahlreichen Attacken auf Parteilokale und physischen Übergriffen auch mit Todesopfern. Die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) kritisierte überdies den Druck auf regierungskritische Medien sowie die unausgewogene Berichterstattung, insbesondere des staatlichen Fernsehens zugunsten der regierenden AKP. Überdies hat Staatspräsident Erdogan im Wahlkampf eine aktive Rolle zugunsten seiner eigenen Partei eingenommen, obwohl die Verfassung den Staatspräsidenten zur Neutralität verpflichtet (OSCE 8.6.2015).

Die Parlamentswahlen vom 1.11.2015, die als Folge der gescheiterten Regierungsbildung abgehalten wurden, endeten mit einem unerwartet deutlichen Wahlsieg der seit 2002 alleinregierenden AKP. Die AKP gewann fast die Hälfte der abgegebenen Stimmen, was einen Zuwachs von rund neun Prozent im Vergleich zu den Juni-Wahlen bedeutete. Da die pro-kurdische HDP, zwar unter Verlusten, die nötige Zehn-Prozenthürde für den Einzug ins Parlament schaffte, verfehlte die AKP die Verfassungsmehrheit, um das von ihrem Vorsitzenden und gegenwärtigen Staatspräsident, Recep Tayyip Erdogan, angestrebte Präsidialsystem zu errichten (Guardian 2.11.2015; vgl. Standard 2.11.2015).

Im 550-köpfigen Parlament sind vier Parteien vertreten: die islamisch-konservative AKP mit 49,5 Prozent der Wählerstimmen und 317 Mandaten (Juni 2015: 258), die sozialdemokratische CHP (Republikanische Volkspartei) mit 25,3 Prozent und 134 Sitzen (bislang 132), die rechts-nationalistische MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) mit 11,9 Prozent und 40 Sitzen (bislang 80) sowie die pro-kurdische HDP mit 10,8 Prozent und 59 (bislang 80) Mandaten (IFES 2016b).

Der polarisierte Wahlkampf war überschattet von einer Gewalteskalation, insbesondere durch das Attentat vom 10.10.2015 in Ankara, bei welchem über 100 Menschen starben. Nebst Attacken vor allem auf Mitglieder und Parteilokale der pro-kurdischen HDP wurden mehrere HDP-Mitglieder festgenommen. Überdies wurden Mitglieder aller drei parlamentarischen Oppositionsparteien wegen Verunglimpfung von Amtsvertretern und Beleidigung des Staatspräsidenten angezeigt. Insbesondere im Südosten des Landes war infolge der verschlechterten Sicherheitslage und der darauf folgenden Errichtung von speziellen Sicherheitszonen und der Verhängung von Ausgangssperre

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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