TE Bvwg Erkenntnis 2018/2/1 W260 2150198-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.02.2018
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Entscheidungsdatum

01.02.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W260 2150198-1/13E

W260 2150194-1/13E

W260 2150193-1/13E

W260 2150195-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerden von

1. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,

2. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,

3. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,

4. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch ihre Mutter, XXXX , als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,

alle vertreten durch DIAKONIE Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, jeweils gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom

1. XXXX , Zl. XXXX ,

2. XXXX , Zl. XXXX ,

3. XXXX , Zl. XXXX ,

4. XXXX , Zl. XXXX ,

nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.05.2017 und am 11.07.2017

zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde der XXXX wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Den Beschwerden der XXXX und des XXXX wird stattgegeben und XXXX und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Die Beschwerde des XXXX wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer reisten am 26.09.2015 gemeinsam nach Österreich ein und stellten am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 27.09.2015 erfolgte die Erstbefragung der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers in der Sprache Farsi.

XXXX (im Folgenden "BF1") führte ihren Fluchtgrund betreffend aus, sie selbst habe ihren Herkunftsstaat mit ihrem Vater wegen dem Krieg verlassen und sei in die Islamische Republik Iran (im Folgenden "Iran") geflohen. Den Iran hätte sie mit ihrem Mann und ihren Kindern verlassen, weil Afghanen im Iran kaum Rechte hätten; ihr Ehemann habe gesundheitliche Probleme und den gemeinsamen Sohn hätten die iranischen Beamten in den Syrienkrieg schicken wollen. Sie hätte Angst um ihre Familie und aus diesem Grund seien sie nach Österreich geflohen. Für ihre minderjährige Tochter XXXX (im Folgenden "BF4") gelten dieselben Fluchtgrunde.

XXXX (im Folgenden "BF2") führte seinen Fluchtgrund betreffend aus, dass er aufgrund des Krieges in Afghanistan mit seiner Familie in den Iran geflüchtet sei. Im Iran hätten die Afghanen keine Rechte gehabt und er sei trotz schwerer medizinischer Probleme nicht behandelt worden, bzw. hätte alles privat bezahlen müssen. Die iranischen Beamten hätten seinen Sohn XXXX (im Folgenden "BF3") in den Syrienkrieg schicken wollen, aus diesem Grund seien sie geflüchtet. Auf die Frage was der BF2 im Falle der Rückkehr nach Afghanistan befürchte, gab dieser gleichlautend wie die BF1 an, dass er Angst um seine Familie habe.

Der BF3 führte seinen Fluchtgrund betreffend aus, dass er im Iran geboren und aufgewachsen sei, im Iran hätten die Afghanen kaum Rechte gehabt. Er habe eine Universität besuchen wollen, dies sei aus finanziellen Gründen nicht möglich gewesen. Die iranischen Beamten hätten ihn in den Syrienkrieg schicken wollen. Er sei mit seiner Familie geflohen, da er Angst um sich selbst und seine Familie gehabt habe. Bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat habe er Angst um sein Leben ohne dies weiter in seiner Befragung zu präzisieren.

3. Am 12.10.2016 wurden die Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "BFA") im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.

Die BF1 sei im Alter von neun Jahren mit ihrem Vater aus der Provinz Daikundi in den Iran geflohen, zu diesem Zeitpunkt sei ihre Mutter bereits verstorben gewesen. Bis zu ihrer Heirat mit dem BF2 habe sie in Teheran, danach in Qom (beides: Iran) gelebt. Zu ihrem Fluchtgrund aus Afghanistan befragt gab die Beschwerdeführerin an, dass sie darüber nichts wisse. Den Iran hätten sie gemeinsam 2015 verlassen, weil ihr Sohn von den iranischen Behörden festgenommen und geschlagen worden sei. Der ausschlaggebende Grund für die Flucht sei die Zukunft der Kinder und die Krankheit ihres Ehemannes gewesen. Im Falle der Rückkehr in ihren Heimatstaat befürchte die BF1, dass sie als Schiitin umgebracht werde.

Der BF2 gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er mit seinem Vater im Alter von neun Jahren nach Kabul gezogen sei und von dort im Alter von 13 Jahren in den Iran geflüchtet sei. Befragt warum die Familie Afghanistan verlassen habe, konnte der BF2 keine Angaben machen. Sein Vater habe ihm erzählt, dass es in Afghanistan Krieg gäbe; welche Probleme sein Vater gehabt haben könnte, wisse er ebenfalls nicht. Der ausschlaggebende Grund für die Flucht aus dem Iran sei die Androhung der iranischen Behörden gewesen, den BF4 in den Syrienkrieg zu schicken. Der BF2 führte auf die Frage was ihnen passieren würde, wenn sie wieder nach Afghanistan zurückkehren müssten aus, dass sein Vater in Ghor Probleme mit den Reichen, für die er gearbeitet habe, gehabt hätte. Damals sei ein Sohn "von denen" umgebracht worden und sein Vater sei beschuldigt worden. Nähere Angaben zu diesem Vorbringen wurden vom BF2 nicht getätigt, insbesondere nicht was seine Familie zu befürchten hätte.

Der BF4 gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er zu Afghanistan keine Fluchtgründe habe. Im Iran seien die Afghanen jedoch wie Tiere behandelt worden. Im Jahr 2015 habe er versucht den Iran zu verlassen, sei jedoch von der iranischen Polizei verhaftet worden. Man habe ihm vorgeworfen, dass er in die Türkei reisen hätte wollen, um sich dem "Islamischen Staat" anzuschließen. Er sei von der Polizei eine Woche lang geschlagen und eingesperrt gewesen, nach Vorlage von Papieren durch seinen Vater hätte ihn die Polizei freigelassen. Der BF4 führte auf die Frage was ihm passieren würde, wenn er wieder nach Afghanistan zurückkehren müsste aus, dass sein Vater in Afghanistan Probleme hätte, es dort keine Sicherheit gäbe und er dort niemanden hätte.

4. Das BFA wies den Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit den beschwerdegegenständlichen Bescheiden vom 06.02.2017, Zl. 1088905603-151436241, Zl. 1088904606-151436225, Zl. 1088906001-151436268 und Zl. 1088894107-151436276 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab, erkannte aber jeweils gemäß § 8 Abs. 1 den Status der/des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt II.) und erteilte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 06.02.2018 (Spruchpunkt III.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten begründete das BFA zusammengefasst damit, dass die Beschwerdeführer keine relevanten Asylgründe im Verfahren vorgebracht hätten.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 08.02.2017 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

6. Die Beschwerdeführer erhoben gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht Beschwerde. In dieser gemeinsamen Beschwerde wurde zusammengefasst vorgebracht, dass sämtlichen Beschwerdeführern Verfolgung wegen einer Blutfehde im Herkunftsstaat drohe, da der Ehemann der Beschwerdeführerin beschuldigt werde, vor vielen Jahren den Sohn des Dorfältesten ermordet zu haben. Das BFA habe es weiters unterlassen die Beschwerdeführer ausführlich wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara zu befragen, dies obwohl den Beschwerdeführern Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit drohe.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom BFA vorgelegt und sind am 15.03.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.05.2017 und 11.07.2017 in den gemäß § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Beschwerdeverfahren durch den erkennenden Richter in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und der bevollmächtigten Vertreterin der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher diese ausführlich zu ihren Fluchtgründen und Beschwerdevorbringen befragt wurden. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

Die Verhandlungsschrift wurde dem BFA übermittelt.

9. In der mündlichen Verhandlung wurden folgende Unterlagen in das gegenständliche Verfahren eingebracht: das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 mitsamt einer aktualisierten Version zur Sicherheitslage vom 11.05.2017 und vom 22.06.2017; ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016: Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen und Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen; ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 (Risikogruppen in Afghanistan) und die ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 18.11.2015 (a-9413): Werden traditionell geschlossene, nicht registrierte Ehen als rechtsgültig anerkannt.

Den Beschwerdeführern wurde die Bedeutung dieser Berichte erklärt, insbesondere, dass auf Grund dieser Berichte Feststellungen zu seinem Herkunftsstaat getroffen werden können, sowie deren Zustandekommen. Ihnen wurde die Möglichkeit gegeben, in die Länderberichte Einsicht zu nehmen und allenfalls dazu Stellung zu nehmen. Seitens der Beschwerdeführer wurden in der Verhandlung mehrere Unterlagen zum Nachweis der Integrationsverfestigung in Österreich vorgelegt.

10. Am 13.06.2017 langte eine gemeinsame Stellungnahme der Rechtsberatung der Beschwerdeführer ein, in welcher zusammengefasst ausgeführt wurde, dass die BF1 und BF4 aufgrund der in Österreich erlernten Lebensweise gegen die gesellschaftlichen Sitten in Afghanistan verstoßen würden und ihnen deshalb der Flüchtlingsstatus für Frauen zu erteilen sei. Weiters seien die Beschwerdeführer als Angehörige der Volksgruppe der Hazara, bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt, da sie ihr beinahe ganzes Leben im Iran verbracht hätten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des eingebrachten Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen die im Spruch genannten Bescheide des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt und der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an.

Die Beschwerdeführer haben zuletzt in Qom, Iran gelebt.

Die BF 1 ist in der Provinz Daikundi, Afghanistan, am 15.02.1965 geboren und hat im Alter von 10 Jahren Afghanistan verlassen und seit diesem Zeitpunkt bis zu ihrer Ausreise nach Österreich im Iran gelebt. Die BF1 hat keine schulische oder berufliche Ausbildung. Die BF1 spricht kein Deutsch und hat keinen Deutschkurs absolviert. Die BF1 pflegt wenige soziale Kontakte. Die BF1 war in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht westlich gekleidet und trug ein traditionelles Kopftuch, wie es nach ihren Angaben im Iran getragen wird.

Der BF 2 ist in der Provinz Ghor, Afghanistan, am 24.12.1960 geboren. Der BF2 hat keine schulische oder berufliche Ausbildung. Der BF2 hat im Alter von 13 Jahren Afghanistan verlassen und ist mit seiner Familie in den Iran gereist, wo er bis zu seiner Ausreise nach Österreich gelebt hat.

Die BF1 und der BF2 haben im Jahr 1988 in Teheran, Iran, geheiratet. Der Ehe entstammen der BF3 und die minderjährige BF4.

Die BF1, der BF2 und der BF3 haben am 28.03.2017 am Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds teilgenommen.

Der BF3 ist am 13.03.1996 in Qom, Iran, geboren und hat ebendort 12 Jahre lang die Schule mit Matura-Abschluss besucht und bis zu seiner Ausreise nach Österreich im Iran gelebt. Der BF3 war zu keinem Zeitpunkt seines Lebens in seinem Herkunftsstaat Afghanistan aufhältig. Der BF3 ist in Österreich Mitglied eines Volleyballvereins, besucht keine Schule und hat den Sprachkurs BF1 absolviert. Im Jahr 2016 hat er auf freiwilliger Basis in der Stadtgemeinde Schwechat an gemeinnützigen Tätigkeiten teilgenommen. Der BF3 unterstützt auf freiwilliger Basis laufend den Samariterbund NÖ, Haus XXXX und das Haus XXXX mit Übersetzungstätigkeiten für Asylwerber, dies aufgrund seiner Deutschkenntnisse, die auch vom erkennenden Richter nach Befragung des BF3 in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht als sehr gut bezeichnet werden können. Der BF3 ist Gasthörer an der Fachhochschule Technikum Wien.

Die BF4 ist am 20.02.2004 in Qom, Iran, geboren. Die BF4 besucht in Österreich die Mittelschule in der zweiten Schulstufe. Die BF4 hat zahlreiche österreichische Freunde und besucht diese auch Zuhause und mit diesen unter anderem auch ein öffentliches Schwimmbad. Die BF4 hat bereits konkrete Berufswünsche und möchte Zahnärztin werden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 11.07.2017 war die BF4 ihrem Alter entsprechend jugendlich gekleidet und trug kein Kopftuch. Die BF4 hat sämtliche vom erkennenden Richter gestellten Fragen flüssig und umgehend auf Deutsch beantworten können.

Die Beschwerdeführer haben am 27.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF1, der BF2 und die BF4 von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen sind oder nach denen ein Ausschluss der BF1, des BF2 und der BF4 zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die BF1 konnte keine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 seit ihrer Einreise in Österreich im Jahr 2015 ein selbstbestimmtes, auch als "westlich" bezeichnetes Verhalten oder eine selbstbestimmte Lebensführung in einem Ausmaß angenommen hat, dass dadurch eine so intensive "westliche Orientierung" vorliegen würde, deren Aufgabe für sie entweder unmöglich wäre, oder ihr einen unzumutbaren Leidensdruck auferlegen würde.

Das vom BF2 ins Treffen geführte Fluchtvorbringen (Bedrohung wegen Blutfehde) kann nicht festgestellt werden. Eine lebensbedrohliche Krankheit des BF2 kann nicht festgestellt werden und wurde im Verfahren auch nicht vorgebracht.

Das vom BF3 ins Treffen geführte Fluchtvorbringen (Bedrohung wegen Blutfehde, Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu der bestimmten sozialen Gruppe der Familie) kann nicht festgestellt werden. Die vom BF3 vorgebrachten Misshandlungen im Iran durch iranische Behörden und die Drohung in den Syrienkrieg geschickt zu werden, begründet keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat.

Die BF4 ist eine junge Frau, welche in ihrer Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, besucht mit ihren zahlreichen österreichischen Freundinnen ein öffentliches Schwimmbad und lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Die BF4 trägt ihr Haar offen und unbedeckt und kleidet sich der westlichen Mode entsprechend. Die BF4 beabsichtigt, in Österreich ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen und hat sich zum Ziel gesetzt, Zahnärztin zu werden. Diese Einstellung steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sämtlichen Beschwerdeführern wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Es kann ebenfalls nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Volksgruppe der Hazara aufgrund der Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe in Afghanistan mit physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht werden.

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern aufgrund der Tatsache, dass sie im Iran gelebt haben, konkret und individuell bzw. dass jedem afghanischen Rückkehrer aus dem Iran physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 02.03.2017:

"15. Religionsfreiheit (s.S.128 ff)

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10–19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Blasphemie – welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

16. Ethnische Minderheiten (SS 137 ff)

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

16.1 Hazara (SS 138 ff)

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. (CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (az?raj?t) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert (AA 9.2016); sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert (CRS 12.1.2015). In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist (AA 9.2016). In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, auch Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2015 kam es zu mehreren Entführungen von Angehörigen der Hazara (AA 9.2016; vgl. auch: UDOS 13.4.2016; NYT 21.11.2015; World Hazara Council 10.11.2016; RFE/RL 25.2.2016). Im Jahr 2016 registrierte die UNAMA einen Rückgang von Entführungen von Hazara. Im Jahr 2016 dokumentierte die UNAMA 15 Vorfälle in denen 82 Hazara entführt wurden. Im Jahr 2015 wurden 25 Vorfälle von 224 entführten Hazara dokumentiert. Die Entführungen fanden in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor statt (UNAMA 6.2.2017). Im Juli 2016 sprengten sich mehrere Selbstmordattentäter bei einem großen Protest der Hazara in die Luft, dabei wurden mindestens 80 getötet und 250 verletzt; mit dem IS verbundene Gruppen bekannten sich zu dem Attentat (HRW 12.1.2017).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

17. Frauen (SS 143 ff)

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Bildung:

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung – auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 – 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

Frauenuniversität in Kabul:

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vgl. auch:

MORAA 31.5.2016).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vgl. auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

Berufstätigkeit:

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vgl. auch: AF 7.12.2016).

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alphabetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vgl. auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen – manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

Frauen im öffentlichen Dienst:

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9.2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women‘s Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften:

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften:

Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vgl. auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vgl. auch:

SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen – womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).

Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

Strafverfolgung und Unterstützung:

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen – inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurden Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: UNAMA 4.2015).

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission – AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 – März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täter bei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vgl. auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt – in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9.2016).

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).

Frauenhäuser

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

Medizinische Versorgung – Gynäkologie

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 9.2016). Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 9.2016)."

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Feststellung zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer und zu ihrer ethnischen Zugehörigkeit ergibt sich aus dem jeweils glaubhaften Vorbringen der Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme beim BFA und in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit den Beschwerdeführern im Asylverfahren ein Namen und ein Geburtsdatum zugeordnet werden, dienen diese Angaben lediglich der Individualisierung der Beschwerdeführer als Verfahrensparteien, nicht jedoch der Identitätsfeststellung.

Die Feststellung zur aufrechten Ehe der BF1 und des BF2 und deren Elternschaft zu BF3 und B4 ergeben sich aus den vorgelegten Akten und aus den glaubhaften Aussagen der Beschwerdeführer anlässlich der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zur jeweiligen Antragstellung auf internationalen Schutz ergeben sich aus den dem Bundesverwaltungsgerichtshof vorliegenden Aktenunterlagen.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführer ergibt sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Abfragen aus dem Strafregister der Republik Österreich vom 10.07.2017.

Im gesamten Verfahren sind keine Gründe zu Tage getreten, welche die BF1, den BF2 und die mj. BF4 von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausschließen.

2.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

2.2.1. Zu den Fluchtgründen der BF1:

Zunächst ist festzuhalten, dass die BF1 weder im Verfahren vor dem BFA, noch in der Beschwerdeschrift ein Vorbringen getätigt habe, welches darauf schließen ließe, dass sie ein "westliches Verhalten oder einer westliche Lebensführung angenommen habe, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frau geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung (in ihrer Heimat) bedeuten würde, dieses Verhalten daher unterdrücken zu müssen" (vgl. zur Indizwirkung dieser konkreten Empfehlung VwGH vom 16.01.2008, 2006/19/0182 mwN), sondern wurde diesbezügliches Vorbringen erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und der schriftlich eingeräumten Stellungnahme erstattet.

Die BF1 gab im Verfahren an, dass sie sich den Fluchtgründen ihres Ehemannes, dem BF2 anschließen würde, war jedoch während der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht in der Lage, konkrete Angaben zu diesem Fluchtvorbringen der behaupteten Verfolgung wegen Blutrache zu tätigen, was für den erkennenden Richter in der Gesamtschau ebenfalls ein Indiz für die Unglaubwürdigkeit der Angaben des BF2 gewesen ist. Auf die konkrete Frage, was die BF1 bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte, konnte die BF1 lediglich auf die Ausführungen ihres Mannes verweisen, als sie angab: "Ich persönlich wurde nicht bedroht, mein Mann kann dazu nähere Angaben machen" (vgl. Aussage der BF1 in der mündlichen Verhandlung am 30.05.2017, Niederschrift Seite 15). Die BF1 konnte auch keine Angaben zu einer konkreten ihre Familie betreffenden Verfolgungsgründe aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara machen und beschränkte sich auf allgemeine Angaben die sie, wie sie es selbst ausführte "im Fernsehen gesehen habe" (vgl. Aussage der BF1 in der mündlichen Verhandlung am 30.05.2017, Niederschrift Seite 16).

Die BF1 hält sich seit September 2015 in Österreich auf (zur Berücksichtigung einer erst kurzen Aufenthaltsdauer siehe etwa AsylGH 15.02.2013, C1 422494-1/2011). Diese sehr kurze Aufenthaltsdauer in Österreich (bzw. im "westlichen" Europa) fand demgemäß – im Gegensatz zur BF4 – ihren Niederschlag im Auftreten (samt Auskünften) i

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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