TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/26 W182 1429974-3

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Veröffentlicht am 26.01.2018
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Entscheidungsdatum

26.01.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9

Spruch

W182 1429974-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2017, Zl. 566941702/170324975, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I. Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines

Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF, sowie §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9, 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an, war im Herkunftsstaat zuletzt in einer Ortschaft in Dagestan wohnhaft, reiste am 28.09.2011 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.09.2011 sowie in einer Einvernahme beim Bundesasylamt am 07.02.2012 und am 30.07.2012 brachte der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass er in Dagestan seit 2007 oder 2008 etwa 50 Mal von russischen Uniformierten mitgenommen, geschlagen und misshandelt worden sei, da sie ihn verdächtigen würden, tschetschenische Wahhabiten zu unterstützen. Zuletzt sei er nach einer Festnahme im Mai 2011 aus einem Krankenhaus geflüchtet. Ein Bruder habe etwa 2005 das Herkunftsland verlassen und halte sich im Bundesgebiet auf. Der BF wohne bei ihm. Die Eltern, ein Bruder sowie eine jüngere Schwester würden nach wie vor im Heimatort in Dagestan leben. Der BF stehe im Kontakt mit ihnen und gehe es ihnen gut. Zwei weitere Brüder des BF hätten die gleichen Probleme wie er und würden sich irgendwo geheim in Russland aufhalten.

Am 29.11.2011 wurde ein ärztliches Schreiben, datiert mit 28.11.2011, in Vorlage gebracht, wonach beim BF "XXXX" diagnostiziert wurden.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.10.2012, Zl. 11 11.310-BAI, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), weiters der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der BF gem. § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der vom BF zur Begründung des Asylantrages vorgebrachte Fluchtgrund mangels Glaubhaftmachung nicht als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden habe können.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.08.2014, Zl. W121 1429974-1/12E, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.04.2014 hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). Hinsichtlich Spruchpunkt III. wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zurückverwiesen (Spruchpunkt II.). In der Beschwerdeverhandlung wurde der BF unter anderem zu einem allfälligen Wehrdienst im Herkunftsland befragt, wobei er einen solchen verneinte und dazu ausdrücklich erklärte, wegen Problemen mit der Wirbelsäule nicht einberufen worden zu sein (vgl. zitiertes Erkenntnis vom 08.08.2014, S. 10). Wegen seiner Wirbelsäulenprobleme sei er auch in Österreich in Behandlung.

Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wurde vom BF laut Rückschein am 13.08.2014 übernommen und wurde sohin rechtskräftig.

1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vom 23.06.2015, Zl. 13-566941702/1408369, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation (Dagestan) zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

1.3. Dagegen erhob der BF innerhalb offener Frist Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die belangte Behörde neuerlich mit dem Gesundheitszustand des BF beweiswürdigend auseinandersetzen hätte müssen, da nach einem Jahr mit einer veränderten Sachlage gerechnet werden müsse. Der BF stehe entgegen der Ansicht der belangten Behörde nach wie vor in ärztlicher Behandlung und müsse sich im August 2015 einer Operation am Ohr unterziehen. Eine Bestätigung des Operationstermines werde nachgereicht. Der BF verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich und liege daher ein schützenswertes Familienleben vor. Der Bruder des BF lebe mit seiner Familie in Österreich und habe die Familie eine Aufenthaltsberechtigung. Der BF habe ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Bruder und sehe ihn nahezu täglich. Eine Abschiebung des BF ins Herkunftsland und die damit einhergehende Trennung von seinem Bruder würde unverhältnismäßig in das Recht des BF auf Familienleben eingreifen. Der BF habe sich um die Teilnahme an einem Deutschkurs bemüht, die Umsetzung sei aufgrund organisatorischer Probleme gescheitert. In Anbetracht der Tatsache, dass Asylwerber keiner regulären Beschäftigung nachgehen dürfen, sei der Vorhalt, der BF sei nicht selbsterhaltungsfähig und von staatlicher Unterstützung abhängig, substanzlos.

1.5. Anlässlich der mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht am 23.02.2016 brachte der BF zu seinen Verhältnissen im Herkunftsland im Wesentlichen vor, dass sich seine Eltern nach wie vor in der Heimatortschaft in Dagestan aufhalten würden. Sie seien bereits in Pension. Außer dem Bruder in Österreich habe der BF noch zwei weitere Brüder, doch wisse der BF nicht, wo sich diese aufhalten würden, da er keinen Kontakt zu ihnen habe und seine Brüder Probleme mit Russen haben würden. Seine beiden Schwestern seien verheiratet und würden in XXXX leben. Der BF habe neun Klassen Grundschule im Herkunftsland absolviert. Er habe im Herkunftsland meistens trainiert und in der Landwirtschaft bzw. auf Baustellen gearbeitet. In Österreich lebe der BF von der Unterstützung XXXX. Der BF habe im Jahr 2011 einen Deutschkurs besucht, habe aber wegen der Hörprobleme aufgehört. Seit zwei Monaten besuche er jetzt wieder einen Deutschkurs, da er unbedingt Deutsch lernen wolle. Einen anderen Kurs habe er bislang nicht besucht. Der BF habe in Österreich einen Kreis an Freunden und Kollegen. Darunter seien sowohl Ausländer als auch Österreicher. Er spiele in Österreich auch Fußball. Weiters sei er ehrenamtlich Trainer beim Ringen. Dies erfolge aber nicht im Rahmen eines offiziellen Vereins. Der BF lebe nicht mit seinem Bruder zusammen, sondern allein in einer Pension. Er sehe seinen Bruder etwa zwei Mal in der Woche. Der BF habe in Österreich auch eine Freundin, sie sei eine Tschetschenin, die seit 9 bis 10 Jahren in Österreich sei. Sie wohne in XXXX und der BF in XXXX. Er würde sie persönlich etwa zwei Mal im Jahr sehen, sonst würden sie über Skype in Kontakt stehen. Auf Nachfragen konnte der BF weder den Familiennamen der Freundin, noch deren Adresse nennen. Zu einem vorgelegten Schreiben in russischer Sprache befragt, gab der BF an, dass dies ein Brief sei, wonach er vom russischen Militär gesucht werde. Er sei etwa ein Jahr und zwei Monate beim Militär in XXXX gewesen und dann weggelaufen, da es ständig Schlägereien gegeben habe. Er habe dies bisher noch nicht erwähnt, da er Angst gehabt habe. Eine Übersetzung des Schreibens durch den Dolmetscher ergab im Wesentlichen, dass es sich um ein Schreiben der Militärkommandantur in XXXX vom 15.07.2015 an den Leiter der Polizeidirektion in XXXX (in Dagestan) handle, in dem dieser aufgefordert werde, den Aufenthaltsort des BF zu ermitteln. Zu seinen gesundheitlichen Beschwerden brachte der BF vor, dass er seit Geburt Probleme mit dem Hören habe. Er sei in Österreich diesbezüglich operiert worden. Nach der Operation sei er nicht mehr weiter behandelt worden. Die Ärzte hätten gesagt, dass er kommen soll, wenn er Schmerzen habe. Auf Nachfragen erklärte der BF, dass er bisweilen Schmerzen habe, wenn die Ohren nass werden würden, etwa nach dem Baden. Er sei deswegen lediglich beim Hausarzt gewesen und habe Schmerzmittel erhalten. Eine weitere Behandlung seiner Ohren sei nicht angedacht. Der BF legte dazu einen ärztlichen Bericht eines Landeskrankenhauses vom 21.08.2015 vor, wonach bei ihm eine "XXXX" und "XXXX" diagnostiziert wird. Diesbezüglich sei beim BF am 17.08.2015 in "XXXX" eine "XXXX" durchgeführt worden. Der postoperative Verlauf sei regelrecht gewesen und habe der BF am 21.08.2015 in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden können. Für den 31.08.2015 sei ein Kontrolltermin vereinbart. Zur Schmerztherapie werde XXXX empfohlen. Der BF sei auch schon im Herkunftsland wegen seiner Ohrenprobleme behandelt worden.

Der BF konnte bei der Beantwortung von einfachen Fragen bescheidene Grundkenntnisse in Deutsch dartun.

In einer fortgesetzten Verhandlung am 06.12.2016 beim Bundesverwaltungsgericht brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er immer noch im selben Heim in Österreich wohne und Leistungen aus der Grundversorgung beziehe. Er gehe keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und sei auch nicht in gemeinnützigen Organisationen oder Vereinen aktiv. Der BF habe in der Zwischenzeit auch keinen Deutschkurs absolviert, er besuche aber einmal in der Woche mit Kollegen eine Veranstaltung, wo Deutsch gesprochen werde. In Österreich würden sich außer seinem Bruder und dessen Familie keine weiteren Familienangehörigen oder Verwandten aufhalten. Der BF gehe einmal in der Woche mit den Kindern seines Bruders spazieren, dies auch einfach, um die Familie zu sehen. Er helfe auch der Familie seines Bruders, wenn diese etwas benötige, wie z.B. die Kinder zur Schule zu bringen und von dort abzuholen oder im Haus etwas zu machen. Der BF sei weiterhin ledig und kinderlos. Er beabsichtige aber seine tschetschenische Freundin, die seit 11 oder 12 Jahren in Österreich sei, zu heiraten. Seit der letzten Verhandlung habe er sie zwei Mal gesehen. Bezüglich seiner Ohrenprobleme gab der BF an, vor ca. eineinhalb Jahren am Ohr operiert worden zu sein, immer noch Schmerzen zu haben und schlecht zu hören. Er habe auch eine Behandlung wegen Magen und Rückenproblemen. Wegen der Magenprobleme nehme er Medikamente. Außer wegen des Magens und des Rückens stehe er in keiner Behandlung. Der BF legte keine weiteren Bescheinigungsmittel vor, gab dazu aber an, dass seine Eltern weitere Ladungen der Militärbehörden erhalten hätten und dass die Behördenvertreter alle zwei Monate oder öfters zu seinen Eltern kommen würden.

Der BF wurde in weiterer Folge zu seinen Problemen mit den Militärbehörden befragt. Die diesbezügliche Befragung gestaltete sich wie folgt:

"[ .]

RI: Wann sind Sie zum Militär gegangen. Wann und wie lange?

BF: Von 2006 bis Anfang 2008 war ich dort.

RI: War das im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht oder sind sie dort freiwillig hingegangen?

BF: Das vor 2006 bis Anfang 2008. Ich bin nicht freiwillig hingegangen, sondern im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht wurde ich dazu aufgefordert. Damals waren die Tschetschenen in der Republik Tschetschenen von der allgemeinen Wehrpflicht ausgenommen. Da ich in Dagestan gelebt habe musste ich im Wehrdienst leisten. Ich war in XXXX. Ich wurde dort nicht in Ruhe gelassen. Mir wurde alles angehängt, was sie wollten.

RI: Bei welcher Einheit waren sie da?

BF: Ich war ein einfacher Soldat. Die Russen machen gar nichts korrekt, dort haben Sie sich mir gegenüber nicht anständig verhalten und mich als Terrorist bezeichnet und das nur weil ich Tschetschene bin. Ich hatte nie mit Terrorismus oder Kämpfer etwas zu tun.

RI: Wie hat die Einheit geheißen?

BF: XXXX. So hat die Einheit geheißen

RI: Das war auch keine Nummer?

BF: Ja es gab eine Nummer. Es kann sein das manche den Militärdienst leisten können, ich wurde nicht in Ruhe gelassen und bei diesem Militärdienst habe ich Probleme bekommen.

RI: Wie lange musste man in Russland damals die Wehrpflicht absolvieren?

BF: Man musste zwei Jahre dienen. Ich war allerdings nur ein Jahr.

RI: Waren Sie die ganze Zeit am selben Ort stationiert?

BF: Nein ich musste die Plätze sechs oder siebenmal wechseln.

RI: Wo waren Sie da überall?

BF: In der selben Stadt habe ich den Platz gewechselt. Das ist eine große Stadt und sie heißt: XXXX.

RI: Das heißt sie waren in verschiedenen Kasernen?

BF: Ja.

RI: Waren Sie immer bei der gleichen Einheit?

BF: Ja.

RI: Welche Ausbildung haben Sie da erhalten?

BF: Wir haben nichts gelernt, ich habe nur meine Gesundheit dort verloren.

RI: Einen genauen Namen können Sie mir von der Einheit nicht sagen?

BF: Es waren verschiedene Einheiten. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ich weiß nur das ich in der Einheit XXXX war.

RI: Warum gerade XXXX?

BF: Ich konnte es mir nicht aussuchen. Sie bringen ihn hin wohin sie in wollen

RI: Wissen Sie wo XXXX ist?

BF: An der Grenze von XXXX.

R: Wieso waren sie dann nur ein Jahr.

BF: Da ich nicht in Ruhe gelassen wurde bin ich bei der ersten Möglichkeit geflohen und nach einiger Zeit haben Sie mir auch zuhause Probleme gemacht. Ich wurde mehrmals mitgenommen, beleidigt und erniedrigt. Ich hatte eine sehr gute Arbeit und habe gut gelebt, wenn ich keine Probleme gehabt hätte wäre ich nicht nach Österreich gekommen.

R: Wurden Sie mitgenommen weil sie von der Armee geflüchtet sind oder waren das andere Gründe.

BF: Auch das. Außerdem wurde mir die Unterstützung von Widerstandskämpfern vorgeworfen, obwohl ich nie mit ihnen zu tun gehabt habe. Es kamen teilweise maskierte Personen zu uns und nahmen mich mehrmals mit.

R: Wann haben Sie nach Ihrer Flucht von Ihrer Heimat erstmals wieder deswegen (gemeint wegen der Flucht aus Ihrer Einheit) Probleme gehabt?

BF: Seit Ende 2008 habe ich die Probleme, ich habe mich fast 2 Jahre versteckt gehalten. Sie haben nicht nur für mich auch für meine Familienangehörige Probleme. Als es mir möglich war bin ich nach Österreich gekommen.

RI: Warum haben Sie die Probleme mit dem Militär nicht schon beim Bundesasylamt bzw. beim Bundesverwaltungsgericht, wo über Ihre Sache auch verhandelt wurde, genannt.

BF: Ich hatte Angst diese Probleme anzugeben.

RI: Wieso?

BF: Ich hatte Angst abgeschoben zu werden und in dem Fall wieder Probleme zu bekommen, ich würde gerne in Österreich bleiben und hier arbeiten und ein normales Leben führen.

RI: Sie sind einmal beim Bundesasylamt erstbefragt worden und dann zweimal einvernommen, dann beim BVWG 2014 befragt worden und dann nochmal. Da hatten sie jetzt viermal die Möglichkeit und bei der gegenständlichen Beschwerde haben Sie diese Probleme auch nicht vorgebracht.

BF: Aus Angst habe ich das nicht erwähnt. Weiters habe ich befürchtet, dass mir die Frage gestellt wird, warum, wenn die Russen so schlecht sind, warum ich dann zum Militärdienst gegangen bin, aber ich bin ja nicht freiwillig gegangen, sondern wurde dazu gezwungen.

R: Die Angst hat über eine solche lange Zeit, wo sie Erfahrung mit der Polizei, dem Bundesamt und dem BVWG gemacht haben, angehalten, sie wurden doch mehrmals belehrt, dass sie alles sagen müssen?

BF: Ich hab bei meinen ersten Einvernahmen und jetzt die Wahrheit gesagt, bei meinen ersten Einvernahmen wurde ich auch über den Militärdienst nicht befragt. Über diese Probleme habe ich aus Angst nicht gesprochen. Da die Behörden einmal im Monat oder alle zwei Monate zu meinen Eltern kommen, die schon ziemlich alt sind und Ladungen geschickt werden habe ich mir überlegt das alles hier zu erzählen.

RI: Haben Ihre Eltern schon Ladungen erhalten, vor dieser Ladung, die sie mir vorgelegt haben, (vom Juli 2015)?

BF: Es kamen davor auch Ladungen auch als in Dagestan war. Sie haben mich nicht erwischt weil ich mich bei meinen Verwandten versteckt habe und außer Ladungen kommen die Behördenvertreter und schreien sie an und machen was sie wollen.

5 – 10 Minuten Pause.

RI: Wieso sind in Russland nie verurteil worden wegen dieser Militärgeschichte, obwohl Sie so oft festgenommen wurden?

BF: Es ist nicht dazu gekommen, weil ich geflüchtet bin.

RI: Aber Sie haben gerade vorhin erzählt, dass Sie mitgenommen sind und misshandelt worden sind. Offenbar von russischen oder behördlichen Kräften. Warum haben Sie die immer freigelassen?

BF: Ich hatte Glück über Bekannte über Lösegeld frei zu kommen.

RI: Das so oft?

BF: Nein nicht jedes Mal, nach der letzten Freilassung habe ich bei meinen Verwandten und Bekannten versteckt. Danach bin ich ausgereist. Sie haben mich nicht erwischt.

[ ]"

Dem BF wurde in der Verhandlung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes zur Russische Föderation vom 01.06.2016 (Update 17.11.2016) zu Kenntnis gebracht.

Der BF wurde in der Verhandlung am 06.12.2016 auch befragt, ob er in der Zwischenzeit einen Asylantrag gestellt habe. Dazu erklärte der BF: "Ich war dort und sie haben gesagt, dass mein Verfahren noch nicht abgeschlossen ist." Dieser Umstand sowie die behaupteten neuen Fluchtgründe des BF im Zusammenhang mit einem angeblichen Militärdienst wurden mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.01.2017 dem BF sowie dem Bundesamt zu Kenntnis gebracht und mitgeteilt, dass das Bundesveraltungsgericht hinsichtlich der Wertung dieses Vorbringens (vorläufig) von einem neuen Antrag auf internationalen Schutz ausgehe. Den Verfahrensparteien wurde im Rahmen des Parteiengehörs Gelegenheit geben, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens Stellung zu nehmen.

In einer Stellungnahme des Bundesamtes, Regionalstelle XXXX, vom 09.02.2017 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass ein zweiter Asylantrag bzw. Folgeantrag vom BF nicht "eingebracht" worden sei. Auch würden der Behörde keine Kenntnisse über eine persönliche Asylantragstellung des BF in der Regionalstelle XXXX vorliegen. Aufgrund der Meldeadresse könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass der BF bei der Regionalstelle XXXX vorstellig geworden sei.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.03.2017, Zl. W182 1429974-2/20E, wurde der Beschwerde stattgegeben und der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG behoben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es dem Bundesverwaltungsgericht unter Zugrundelegung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwehrt gewesen sei, im gegenständlichen Verfahren über die Rückkehrentscheidung eine Prüfung der Glaubwürdigkeit des Gefährdungsvorbringen im Zusammenhang mit dem neu vorgelegten Schreiben einer Militärkommandantur vom 15.07.2015 vorzunehmen (vgl. VwGH 20.12.2016, Zl. Ra 2016/21/0109-5 und Ra 2016/21/0247-7), wobei unabhängig davon die diesbezüglich erfolgte neuerliche Asylantragstellung des BF nunmehr jedenfalls der Erlassung einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe (vgl. VwGH 04.08.2016, Zl. Ra 2016/21/0162, Rz 12 – 15). Das Bundesamt werde sich im Rahmen des neuen Asylverfahrens sohin mit dem Vorbringen des BF hinsichtlich einer Verfolgung durch Militärbehörden auseinandersetzen zu haben.

2.1. Zuvor hatte der BF am 14.03.2017 neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz (1. Folgeantrag) gestellt, wobei am selben Tag eine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in der XXXX stattgefunden hat. Diesen begründete der BF wie folgt: "Meine damals angegebenen Fluchtgründe und Probleme in Dagestan bleiben weiterhin aufrecht. Außerdem habe ich am 09.03.2017 einen negativen Asylbescheid bekommen. Die XXXX hat mir geraten, dass ich neuerlich einen Asylantrag stellen solle. Andere Gründe habe ich nicht."

In einer Einvernahme beim Bundesamt am 20.11.2017 brachte der BF hinsichtlich Änderungen seiner Fluchtgründe im Wesentlichen vor, dass er seine damals getätigten Fluchtgründe aufrechterhalte, wobei er vor ca. einem Jahr bei Gericht Unterlagen vorgelegt habe, aus denen hervorgehe, dass er im Herkunftsland gesucht werde. Seine Eltern würden ständig von den Behörden unterdrückt und belästigt werden. Sie würden fast täglich nach dem BF und seinen Brüdern befragt werden. Der BF selbst könne keinen Kontakt mit seinen Eltern aufnehmen. Jetzt sitze er im Gefängnis und alles was er getan habe, habe er getan, damit er nicht ins Heimatland abgeschoben werde. Was er getan habe, sei halb so schlimm, aber für ihn die einzige Möglichkeit gewesen. Er wolle nicht, dass seine Verwandten erfahren, dass er noch am Leben sei. Dazu befragt, ob sich etwas an seiner Situation geändert habe, seitdem er bei Gericht gewesen sei, gab der BF an: "Ja ich habe gesagt, meine Eltern werden belästigt." Auf die Frage, ob der BF persönlich noch Kontakt mit Personen aus dem Herkunftsland gehabt habe, gab dieser an: "Wenn ich meine Mutter anrufe, erfahren die Leute das sofort. Deswegen nehme ich ganz selten mit meiner Mutter Kontakt auf. Zuerst wurde mein ältester Bruder gesucht als er nach Österreich kam, dann wurden wir belästigt und von den Behörden gequält. Wir mussten deshalb ausreisen."

Befragt, ob seinen Eltern etwas geschehen sei, gab der BF an: "Meine Eltern haben Probleme, wenn maskierte Männer vom Militär vorbeikommen und zu Hause machen, was sie möchten." Erneut befragt, ob seinen Eltern persönlich etwas geschehen wäre, gab er an, dass sein Vater 72 Jahre alt sei, einmal von den Behörden mitgenommen und verhört und dann nach 2-3 Wochen wieder freigelassen worden sei. Die Behörden hätten wissen wollen, wo sich seine Söhne aufhalten würden. Auf die Frage, weshalb diese Leute nach fünf Jahren immer noch zu seinen Eltern kommen sollten, erklärte der BF: "Vielleicht brauchen die Behörden mich, es ist in Russland üblich, dass die Behörden und die Polizei junge Männer festnehmen und ins Gefängnis stecken." Auf die Frage, weshalb die Behörden immer noch zu seinen Eltern kommen sollten, wenn er schon seit fünf Jahren nicht mehr im Herkunftsland lebe, gab der BF an: "Ich weiß es nicht, aber meine Eltern werden immer noch belästigt. Ich will nicht, dass sie erfahren, dass ich am Leben bin." Er habe in Österreich Straftaten begangen, um nicht abgeschoben zu werden. Wenn er abgeschoben werde, werde er vom Militär getötet werden. Den Folgeantrag habe er gestellt, damit er nicht abgeschoben werde. Er wolle nicht sterben. Wenn nur er alleine diese Probleme hätte, wäre dies kein Problem, aber seine Eltern würden ständig belästigt werden. Auf Vorhalt, dass nach seinen eigenen Aussagen seine Eltern auch belästigt werden, wenn er sich nicht im Herkunftsland befinde, gab der BF an: "Ich habe die Unterlagen vorgelegt. Ich möchte als normaler Mensch in Österreich bleiben, arbeiten und etwas Gutes tun." Er sei bereit, 15 Jahre im Gefängnis zu bleiben, statt ins Heimatland zurückzukehren. Es sei nicht richtig, dass er auf Anraten XXXX einen Folgeantrag gestellt habe. Er sei zwar bei XXXX gewesen, doch sei ihm dort gesagt worden, dass sie ihm nicht weiterhelfen könnten. Weitere Gründe, weshalb er sein Heimatland verlassen habe, habe er nicht. Zu seiner Gesundheit befragt, gab der BF im Wesentlichen an, vor einem Jahr am Ohr operiert worden zu sein, immer noch schlecht zu hören, wobei es ihm es nach der Operation besser gehe. Er sei auch am Rücken operiert worden, als er sich beim Training verletzt habe. Der BF sei kinderlos, jedoch verheiratet gewesen. Er wisse allerdings nicht, wo sich seine Exfrau aufhalte. Der BF habe im Herkunftsland vor seiner Ausreise in Dagestan gewohnt. Ein Bruder des BF lebe mit seiner Familie schon seit zwölf Jahren in Österreich. Seine Eltern seien schon alt und würden sich im Herkunftsland in Dagestan aufhalten. Seine Schwester und seine Brüder würden nicht in Tschetschenien leben, sie müssten sich ständig verstecken. Der BF habe keinen Kontakt zu ihnen.

Dem BF wurde die Möglichkeit eingeräumt, in die allgemeinen Länderfeststellungen des Bundesamtes zum Herkunftsstaat samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht zu nehmen und gegebenenfalls schriftlich dazu Stellung zu nehmen. Der BF verzichtete darauf.

2.2. Mit dem nunmehr angefochtenen, oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes vom 18.12.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF vom 14.03.2017 gemäß § 68 Abs. 1 AVG idgF wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 idgF nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.), wobei gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt III.).

Im bekämpften Bescheid wurde festgestellt, dass die Identität des BF nicht feststehe, er Staatsangehöriger der Russischen Föderation sei, Muslim sei, ledig sei und abgesehen davon, dass er angegeben habe, schlecht zu hören, gesund sei. Bei seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz vom 28.09.2011 habe er sein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft darstellen können. Feststehe, dass die von ihm im Vorverfahren vorgebrachten Gründe nicht glaubhaft gewesen seien. Feststehe weiters, dass über diesen Antrag bereits negativ entschieden worden sei und diese Entscheidung am 13.08.2014 in zweiter Instanz in Rechtskraft erwachsen sei. Den gegenständlichen Folgeantrag vom 14.03.2017 habe der BF mit keinem neuen Fluchtvorbringen begründet. Feststehe, dass keine glaubhafte oder maßgebliche Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes eingetreten sei. Die Behörde gehe davon aus, dass der BF den nunmehr zweiten Antrag zur Verhinderung seiner Abschiebung gestellt habe. Er sei ledig und befinde sich seit seiner ersten Asylantragstellung vom September 2011 in Österreich. Er habe keinen aufrechten Wohnsitz mehr in Österreich und habe sich seinem Asylverfahren entzogen. Momentan befinde er sich in Haft. Als Beweismittel wurde u.a. auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes zur Russischen Föderation vom 21.07.2017 verwiesen. Dazu wurden Feststellungen zur aktuellen Situation im Herkunftsland des BF getroffen. Beweiswürdigend wurde zu den Gründen für den neuen Antrag des BF Im Wesentlichen ausgeführt, dass sich aus seiner Einvernahme zu den nunmehrigen zweiten Antrag zweifelsfrei ergebe, dass der BF keine neuen Gründe vorgebracht habe und auch keine solchen festgestellt werden haben können. Verfolgungsgründe, welche eine neuerliche inhaltliche Prüfung rechtfertigen würden, habe er keine vorgebracht. In einer Gesamtbetrachtung des Sachverhalts stehe zweifelsfrei fest, dass der BF den nunmehr zweiten Antrag ausschließlich zur Verhinderung seiner Abschiebung gestellt habe. Da der BF keine neuerlichen Gründe zu seiner Ausreise vorgebracht habe, könne auch nicht festgestellt werden, dass er einer Bedrohung oder Verfolgung in der Russischen Föderation ausgesetzt sei. Diese Bedrohungssituation sei bereits im Erstverfahren nicht geglaubt worden. Der BF habe in seiner Einvernahme angegeben, dass seine Geschwister und seine Eltern in der Russischen Föderation leben würden. Er habe angeführt, seine Eltern würden immer noch im Elternhaus leben, indem auch der BF gelebt habe. Der BF habe die Möglichkeit in sein Elternhaus zu seinen Eltern zurückzukehren. Die Behörde gehe nicht davon aus, dass dem BF in der Russischen Föderation die Existenzgrundlage komplett entzogen würde. Er habe nahe Angehörige und ein familiäres Netzwerk, diese könnten ihm bei seinem Neuanfang in der Russischen Föderation helfen. Zu Spruchpunkt I. wurde in der rechtlichen Begründung weiter ausgeführt, dass dem Vorbringen des BF kein glaubhafter Kern zukomme.

2.3. Mit Verfahrensanordnung vom 18.12.2017 wurde dem BF ein Rechtsberater zugewiesen.

2.4. Gegen den Bescheid wurde binnen offener Frist in vollem Umfang Beschwerde erhoben. Darin wurden im Wesentlichen inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Dazu wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht am 06.12.2016 zu seiner Integration befragt worden sei, und im Zuge dieser Verhandlung neue Beweismittel vorgelegt habe, die die Asylrelevanz seines Vorbringens beweisen würden. Da die Spruchpunkte I. und II. der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zur Zl. W121 1429974-1/12E bereits in Rechtskraft erwachsen seien, habe der BF am 14.03.2017 einen Folgeantrag gestellt und diesem mit den vorgelegten Beweismittel begründet. Im Zuge der Folgeantragstellung habe der BF sein bisheriges Vorbringen hinsichtlich der Verfolgung seitens des Staates aufgrund der Flucht aus dem Militärdienst, der Unterstellung des Terrorismus und der Verfolgung aufgrund der Volksgruppe aufrechterhalten. Zum Beweis dafür habe er Ladungen der Militärbehörden bei Gericht vorgelegt, die seine Eltern bekommen hätten. Die Eltern des BF würden aktuell alle zwei Monate von Behördenvertretern aufgesucht, die nach dem BF suchen würden. Die neu vorgelegten Beweismittel würden immer noch die aktuelle Verfolgung des BF aufzeigen. Im Zuge der Einvernahme am 22.11.2017 habe der BF vorgebracht, dass er bereits bei Gericht Papiere vorgelegt habe, dennoch habe die Behörde ausgeführt, dass der BF keine neuen Beweismittel vorgebracht hätte. Dies stelle einen groben Verfahrensmangel dar, da diese Beweismittel der zentrale Aspekt bei der Folgeantragstellung des BF seien. Der BF sei der Meinung gewesen, dass er die Beweise bereits bei Gericht vorgelegt habe und diese daher ausreichen würden. Die Beweise würden die immer noch aktuelle Bedrohung des BF durch die russischen Behörden aufzeigen. Da die Beweise keine entschiedene Sache darstellen würden, hätte die Behörde die Beweismittel beachten und beiziehen müssen. Die diesbezügliche Feststellung des Bundesamtes, es würden keine neuen Beweise vorliegen, entziehe sich der Nachvollziehbarkeit und sei daher aktenwidrig. Das Bundesamt habe sich bei der Beweiswürdigung auf die Angaben des BF im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme gestützt, worin der BF sich zwar auf die alten Fluchtgründe, über welche bereits negativ abgesprochen worden sei, stütze, jedoch mit Hinweis auf das Vorliegen neuer Beweismittel. Diese Beweismittel hätten dem BF nach rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens hinsichtlich der Punkte I. und II. erreicht, und würden diese sohin neue Beweismittel darstellen. Zudem habe der BF vorgebracht, dass seine Eltern von den Behörden ständig unterdrückt werden würden und diese fast täglich Fragen nach dem BF stellen würden. Diesbezüglich habe die Behörde keine weiteren Fragen gestellt, weshalb auch diesbezüglich der Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt worden sei. Zudem habe der BF vorgebracht, dass er vom Militär geschlagen worden sei und daher seine Schmerzen im Rücken habe und bei einer Rückkehr vom Militär getötet werde, auch diesbezüglich habe die Behörde keine Ermittlungen durchgeführt. Weiters würden die vom Bundesamt getroffenen Länderfeststellungen nur unzureichend Bezug auf die Verfolgung von vermeintlichen Regierungsgegnern nehmen, weshalb sie nicht geeignet seien, das Ausmaß der Gefährdung, die eine Rückkehr für den BF in seinen Heimatstaat bedeuten würde, entsprechend beurteilen zu können. Dazu wurden ergänzend Berichte zur Verfolgung von vermeintlichen Regierungsgegnern und deren Familien in Tschetschenien aus einem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2016 zitiert. Weiters wurden Berichte zur Menschenrechtssituation in der Russischen Föderation zitiert, wonach die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtverletzungen in Tschetschenien völlig unzureichend sei, in ganz Russland Fälle von Folter und Todesfälle von Häftlingen gemeldet werden würden, in Tschetschenien vermeintliche Gegner durch Verschwindenlassen, erniedrigende Behandlung und Todesdrohungen verfolgt werden würden und im Nordkaukasus – und speziell in Tschetschenien - Gesetzlosigkeit herrschen würde. Weiters wurde neuerlich auf den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe verwiesen, wonach einer Person mit anerkannten Expertenwissen zu Tschetschenien verschiedene Fälle von Rückkehrenden, die verhaftet, gefoltert, verschwunden oder getötet worden seien, bekannt seien. Weiters würden laut einer E-Mail-Auskunft eines Historikers vom Mai 2016 Tschetschenen, die sich gegenwärtig im Ausland aufhalten, wohin sie meist während des zweiten Tschetschenienkriegs geflohen seien, unter Generalverdacht stehen, gegen die Regierung zu konspirieren. Weiters wurde ausgeführt, dass die Behörde argumentiere, dem BF wäre es möglich, in sein Elternhaus zurückzukehren. Dabei habe der BF jedoch ausgeführt, dass sich fast täglich Personen von der Militärbehörde nach ihm erkundigen würden. Daher wäre er im Elternhaus jedenfalls einer Verfolgung ausgesetzt. Dies zeige auch die Ladung der Militärbehörde, die der BF bei Gericht vorgelegt habe. Die Behörde erkundige sich regelmäßig nach dem Aufenthalt des BF, was jedenfalls zeige, dass er nach wie vor Verfolgung ausgesetzt sei. Nach weiteren rechtlichen Ausführungen zu Spruchpunkt I. wurde auf die Ausführungen zum neuen Vorbringen des BF hinsichtlich einer Verfolgung durch Militärbehörden wegen einer Desertation in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.03.2017, Zl. W182 1429974-2/20E, verwiesen und dazu ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht, bei dem der BF die neuen Beweismittel vorgelegt habe, der Ansicht sei, dass ein geänderter Sachverhalt vorliege. Zu Spruchpunkt II. wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der BF seit 6 Jahren im Bundesgebiet aufhalte und bereits gut Deutsch spreche. Dem öffentlichen Interesse komme in einer Interessensabwägung kein absoluter Charakter zu, wobei bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung auch die aktuelle Situation im Herkunftsland zu berücksichtigen sei. Wie aus den vorgelegten Länderberichten sowie aus den Länderfeststellungen der belangten Behörde hervorgehe, könne eine Verletzung der Rechte des BF im Hinblick auf Art. 2 und 3 EMRK nicht ausgeschlossen werden, zumal Verwandte des BF regelmäßig von Männern der Militärbehörde aufgesucht und nach dem BF befragt werden würden. Es bestehe sohin eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass der BF festgenommen werde. Weiters wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, da der Sachverhalt mangelhaft ermittelt worden sei und sich gerade zur Frage der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung der entscheidungswesentliche Sachverhalt sich nahezu täglich ändern könne. Weiter wurde beantragt, der Beschwerde aufschiebenden Wirkung zuzuerkennen.

2.5. Der BF wurde zuletzt mit Urteil eines Landesgerichtes vom 07.12.2017, Zl. 50 Hv 79/17z, wegen des Vergehens des teils durch Einbruch, teils gewerbsmäßig begangenen Diebstahls nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 3, 130 erster Fall StGB, des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 41 Abs. 3 StGB sowie dem Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 29 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Monaten, wobei 10 Monate unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden, rechtskräftig verurteilt. Als erschwerend wurden die einschlägigen Vorstrafen, das Zusammentreffen von mehreren Vergehen, der rasche Rückfall, die Tatwiederholung und die Begehung während der Probezeit/anhängigem Verfahren gewertet.

Der BF wurde davor im Zeitraum von März 2013 bis Juli 2017 mit Urteilen von Bezirksgerichten bereits 7-mal wegen des Vergehens des Diebstahles nach § 127 StGB zu Geldstrafen und zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat rechtskräftig verurteilt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und nicht österreichischer Staatsbürger. Er ist illegal nach Österreich eingereist und hält sich hier seit über 6 Jahren auf. Er hat nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens verfügt.

Er stellte am 28.09.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er seit 2007 oder 2008 etwa 50 Mal von russischen Uniformierten mitgenommen, geschlagen und misshandelt worden wäre, da sie ihn verdächtigen würden, tschetschenische Wahhabiten zu unterstützen, wobei er zuletzt nach einer Festnahme im Mai 2011 aus einem Krankenhaus geflüchtet wäre.

Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde letztlich durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.08.2014 (zugestellt am 13.08.2014), Zl. W121 1429974-1/12E, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.04.2014 rechtskräftig abgewiesen. Begründend wurde von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des BF ausgegangen. Hinsichtlich der Prüfung der Rückkehrentscheidung wurde das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das Bundesamt zurückverwiesen.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 23.06.2015, Zl. 13-566941702/1408369, wurde im Wesentlichen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei.

Dagegen erhob der BF fristgerecht Beschwerde und brachte in der Beschwerdeverhandlung beim Bundesverwaltungsgericht am 23.02.2016 vor dem erkennenden Richter erstmals vor, dass er aktuell von den Militärbehörden des Herkunftslandes gesucht werden würde, weil er (im Jahr 2008) vom Militärdienst desertiert wäre. Dazu legte er in Kopie ein Schreiben einer russischen Militärkommandantur vom 15.07.2015 an einen Leiter einer Polizeidirektion in der Heimatregion des BF vor, in dem dieser aufgefordert werde, den Aufenthaltsort des BF zu ermitteln. In einer fortgesetzten Verhandlung am 06.12.2016 beim Bundesverwaltungsgericht wurde der BF vom erkennenden Richter sowohl zu seiner Integration als auch zu den Vorfällen und Befürchtungen in Zusammenhang mit den als Beweismittel vorgelegten Schreiben vom 15.07.2015 und zu seinem angeblichen Militärdienst befragt.

Dem Vorbringen des BF, von den Militärbehörden des Herkunftslandes wegen Desertierens verfolgt zu werden, kommt kein glaubwürdiger Kern zu.

Am 14.03.2017 stellte der BF neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz (1. Folgeantrag), den er im Wesentlichen mit dem beim Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Beweismittel und der Behauptung, dass die Behörden wegen seiner bisherigen Fluchtgründe im Herkunftsland nach wie vor nach ihm suchen und deswegen seine Eltern unter Druck setzen würden, begründete.

Der BF ist ledig und kinderlos. Im Herkunftsland leben die Eltern, zwei verheiratete Schwestern und zwei Brüder des BF. Der BF hat im Herkunftsland seine gesamte Schulbildung abgeschlossen. In Österreich lebt ein verheirateter Bruder des BF mit seiner Frau und drei minderjährigen Töchtern. Deren Aufenthalt stützt sich auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Der BF geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, sondern bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Der BF konnte bis dato kein Deutsch-Sprachdiplom vorlegen bzw. einen erfolgreich absolvierten Deutschkurs nachweisen, verfügt aber über Deutschkenntnisse.

Der BF ist arbeitsfähig und im Wesentlichen gesund, leidet jedoch an einer angeborenen Hörstörung, deren medizinische Behandlung bereits im Herkunftsland erfolgte und in Österreich – zuletzt durch eine erfolgreich verlaufene Operation im August 2015 - abgeschlossen wurde, sowie Rückenproblemen.

Der BF wurde zuletzt mit Urteil eines Landesgerichtes vom Dezember 2017 nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 3, 130 erster Fall, 135 Abs. 1, § 41 Abs. 3 und § 29 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Monaten, wobei 10 Monate unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden, rechtskräftig verurteilt. Der BF wurde davor im Zeitraum von März 2013 bis Juli 2017 mit Urteilen von Bezirksgerichten bereits 7-mal wegen des Vergehens des Diebstahles nach § 127 StGB zu Geldstrafen und zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat rechtskräftig verurteilt.

Nicht festgestellt werden kann, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten sind, wonach dem BF allein aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage ohne Hinzutreten individueller Faktoren in der Russischen Föderation aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder dass ihm im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Der BF leidet an keinen zwischenzeitlich aufgetretenen akut lebensbedrohlichen oder im Herkunftsland nicht behandelbaren Krankheiten und befindet sich aktuell auch in keiner medizinischen Behandlung.

In der Beschwerde wurde kein neuer Sachverhalt dargetan.

1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird festgestellt:

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind – wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat – also Teufelsstaat – übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens‘, bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS – v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats – festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen – der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia – hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.7.2017b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 21.7.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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