TE Bvwg Beschluss 2018/1/30 W142 2166167-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.01.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.01.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W142 2166167-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2017, Zl. 1106327208-170630117, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt I des angefochtenen

Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine somalischer Staatsangehörige, stellte mit ihren Eltern und acht Geschwistern am 22.03.2016 bei der österreichischen Botschaft in Adis Abeba einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach Österreich gemäß § 35 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl I Nr. 70/2015, der sich auf den Bruder der Beschwerdeführerin, XXXX, geb. XXXX, bezog, dem in Österreich mit Bescheid des Bundesamtes vom 22.12.2014 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt worden war. Nach bewiesenem Verwandtschaftsverhältnis durch eine DNA-Analyse und positiver Wahrscheinlichkeitsprognose des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2017 wurde der Beschwerdeführerin samt Familie ein Visum ausgestellt.

2. In der Folge reiste die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie legal nach Österreich ein und stellte am 26.05.2017 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Am 26.05.2017 fand im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch die niederschriftliche Erstbefragung der Mutter als gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab diese an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben und den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz deswegen zu stellen, weil ihr Sohn bzw. der Bruder der Beschwerdeführerin in Österreich den Status des "subsidiär Schutzberechtigten" erlangt habe und sie in Österreich denselben Schutz wie dieser beantragen. Weiters führte die Mutter als gesetzliche Vertreterin an, mit einer Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Basis dieser Angaben einverstanden zu sein und auf eine weitere Einvernahme zu verzichten.

4. Mit Bescheid vom 20.06.2017 wies das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsgenehmigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 21.12.2017. Dabei stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl u. a. fest, dass die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe habe und nur nach Österreich gekommen sei, weil ihr Bruder in Österreich den Status des subsidiär Schutzberechtigten erlangt habe.

5. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 22.06.2017 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

6. Die Beschwerdeführerin erhob durch ihren Vertretungsbevollmächtigten gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 20.06.2017 fristgerecht Beschwerde.

7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.08.2017, Zl. W142 2166174-1/2E wurde Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 2.Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass das Bundesamt seine Entscheidung bezüglich der Frage des Vorliegens asylrelevanter Verfolgung ausschließlich auf die kurzen, formularhaften Angaben in der niederschriftlichen Erstbefragung stützte, in dem die Mutter als gesetzliche Vertreterin mittels ankreuzen einer standardisierten Antwort angab, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Das Bundesamt habe demnach weitere Erhebungen zu dem im vorliegenden Verfahren maßgebenden Sachverhalt unterlassen, indem es davon abgesehen habe, die Beschwerdeführerin bzw. ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin selbst über ihre eigenen Fluchtgründe zu befragen.

8. Am 06.10.2017 wurde die Mutter als gesetzliche Vertreterin vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie im Wesentlichen an, dass sie Angst habe, dass ihre Mutter nach Garowe komme und ihre Kinder beschneide. Der Vater der Beschwerdeführerin erklärte in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 06.10.2017, dass die Familie seiner Frau und auch die Nachbarn seine Töchter beschneiden wollten. Wenn er sich gegen die Beschneidung entschieden hätte, dann hätten die Mutter seiner Frau und ihre Cousinen seine Töchter geholt und beschnitten.

9. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid vom 16.11.2017 wies das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsgenehmigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 21.12.2017. Dabei stelle das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl u. a. fest, dass die Beschwerdeführerin in Saudi Arabien geboren wurde und dort aufgewachsen sei. Sie sei zusammen mit ihrer Familie im Jahr 2013 nach XXXX gezogen, wo sie für ca. zwei Monate gewohnt habe, dann habe sie ein Jahr in Garowe (Somaliland) gelebt, dann sieben Monate in Mogadischu, wieder in Garowe und zuletzt für 1,5 Jahre in Äthiopien. Zu den Gründen stellte es fest, dass die Beschwerdeführerin Garowe, wo sie zuletzt mit ihrer Familie gewohnt habe, aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Weiters wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin in Somalia keine persönlichen Probleme aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit gehabt habe. Fest stehe, dass ihr in Garowe, Somaliland keine weibliche Genitalbeschneidung gedroht habe. Es konnte nicht festgestellt werden, dass sie Garowe, Somaliland aus Gründen der Ethnie, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen habe. Es könne nicht festgestellt werden, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Garowe, Somaliland die Gefahr einer weiblichen Genitalbeschneidung drohe. Es könne nicht festgestellt werden, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Garowe, Somaliland eine Verfolgung aus Gründen der Ethnie, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sei. Beweiswürdigend wurde festgehalten, dass ihre Eltern zu deren Fluchtgründen und auch dezidiert zu den Fluchtgründen deren Kinder befragt worden seien. Beide Elternteile brachten, außer der befürchteten Beschneidung deren Töchter, keine Fluchtgründe zu deren Peron vor. Die drohende Gefahr der Beschneidung gehe ausdrücklich von ihrer Großmutter in Mogadischu aus. Dass ihre Großmutter von Mogadischu nach Garowe gereist wäre, um sie und ihre Schwestern dort zu beschneiden, obwohl diese nicht gewusst habe, dass sich ihre Familie überhaupt dort befinde, könne seitens der Behörde ausgeschlossen werden. Bei der Großmutter handle es sich um eine alte Frau und die beiden Elternteile haben sich ausdrücklich gegen die Beschneidung deren Töchter ausgesprochen. Sie habe in Garowe, Somaliland keine Verwandten - somit falle der soziale Druck der Beschneidung weg. Auch die Eltern haben beide nachgefragt angegeben, dass in Garowe ansonsten von keinen Personen die Gefahr der Beschneidung ausgehe. Somit könne nicht erkannt werden, dass die Beschwerdeführerin in Garowe einer Gefahr der Beschneidung ausgesetzt gewesen wäre. Diese Feststellung der Behörde decke sich mit den Informationen der Länderinformation.

10. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde seitens des Vertretungsbevollmächtigten erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Absatz 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Absatz 3 2. Satz VwVGV [(vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: Tatsachenbereich), Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f].

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt demnach die genannte Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlich meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzlich meritorische Entscheidungskompetenz. Vielmehr verlangt das in § 28 leg. cit. normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

Die verwaltungsgerichtliche meritorische Entscheidungszuständigkeit hält grundsätzlich hintan, dass die Erledigung eines von einer Verwaltungsbehörde eingeleiteten Verfahrens erst nach einem längeren Zeitraum hinweg in einer Art eines "Pingpongspiels" erfolgenden Wechsels zwischen verwaltungsgerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Entscheidungen erfolgen kann. Zudem wird nur ein solches Verständnis der mit der Etablierung der Verwaltungsgerichte erfolgenden Zielsetzung gerecht, den Anforderungen der EMRK sowie denen des Rechts der Europäischen Union im Bereich des Verwaltungsrechtsschutzes zu entsprechen. Zum einen ist aufgrund dieser Anforderungen bei der Interpretation der sich aus §28 Abs 3 VwGVG für die meritorische Entscheidungskompetenz ergebenden Ausnahmen ohnehin auch das grundsätzlich zu einer restriktiven Sicht dieser Ausnahmen führende Gebot einer angemessenen Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Zum anderen ist nicht zu übersehen, dass auf dem Boden der meritorischen Entscheidungskompetenz getroffene Entscheidungen der Verwaltungsgerichte grundsätzlich eine verlässliche Gewähr dafür bieten, dass den von diesen Vorgaben an die behördliche Entscheidungskompetenz gerichteten Anforderungen entsprochen wird (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Pflicht zur Durchführung notwendiger Ermittlungen des Sachverhalts nicht ausreichend nachgekommen. Dies aus folgenden Erwägungen:

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführerin keine Genitalbeschneidung in Garowe, Somaliland gedroht habe bzw. ihr keine Gentalbeschneidung bei einer Rückkehr nach Garowe, Somaliland drohe. Im erstinstanzlichen Bescheid des Vaters der Beschwerdeführerin wurde auch beweiswürdigend festgehalten, dass keine Berichte darüber bekannt seien, dass man in Somaliland von fremden Personen dazu gezwungen werde, seine Töchter zu beschneiden (siehe Seite 70/77, Zl. 1106326200-170630065). In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die belangte Behörde davon ausgegangen ist, dass Garowe in Somaliland liegt. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen, zumal Garowe die Hauptstadt von Puntland ist. Daraus ist ersichtlich, dass sich die belangte Behörde mit dem Sachverhalt nicht hinreichend vertraut gemacht hat und diesen somit grob mangelhaft ermittelt hat. Dazu kommt noch, dass das Bundesamt in der Beweiswürdigung davon ausging, dass die drohende Gefahr der Beschneidung ausdrücklich von der Großmutter in Mogadishu ausgegangen sei. Dabei hat die belangte Behörde jedoch völlig außer Acht gelassen, dass der Vater der Beschwerdeführerin in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 06.10.2017 mitteilte, dass auch wenn er sich gegen die Beschneidung entschieden hätte, nicht nur die Mutter seiner Frau, sondern auch die Cousinen die Beschwerdeführerin und ihre Schwestern geholt und beschnitten hätten. Die Familie seiner Frau und auch die Nachbarn hätten die Beschneidung gewollt.

Die Behörde hat daher im konkreten Fall gegen die in § 18 Abs. 1 AsylG 2005 (idF BGBl I Nr. 4/2008) determinierten Ermittlungspflichten verstoßen (vgl. dazu die inhaltlich nahezu unveränderte Fassung des § 18 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 68/2013). Mit § 18 Abs. 1 AsylG 2005 (wie auch schon mit der nahezu wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 28 AsylG 1997) wurde die aus § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, speziell für das Asylverfahren weiter konkretisiert (vgl. dazu VwGH 08.04.2003, Zl. 2002/01/0522). So verpflichtet § 18 Abs. 1 AsylG 2005 idgF das Bundesamt (zuvor Bundesasylamt), in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen (zum Umfang der Ermittlungspflichten vgl. VwGH 14.12.2000, Zl. 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0222; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0599).

Der Verfassungsgerichtshof hat, in nunmehr ständiger Rechtsprechung (vgl. Erkenntnis vom 24.02.2009, Zl. U 179/08-14 u.a.), ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit dem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg.15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Vor diesem Hintergrund muss damit nun zusätzlich berücksichtigt werden, dass sich nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes beweiswürdigende Überlegungen zur Stichhaltigkeit einer Fluchtgeschichte regelmäßig nicht auf das Vorbringen eines Asylwerbers beschränken dürfen. Vielmehr bedarf es auch einer Betrachtung der konkreten Lage im Herkunftsstaat des Betreffenden, weil seine Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich sind (VwGH 18.04.2002, 2001/01/0023).

Unter Zugrundelegung dieser Judikatur ist das Bundesverwaltungsgericht der Ansicht, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den maßgeblichen Sachverhalt nicht korrekt ermittelt, sondern die notwendige Ermittlung des Sachverhalts unterlassen hat. Das Bundesamt ist somit im vorliegenden Fall insgesamt von einer ungenügenden Sachverhaltsgrundlage ausgegangen, was nach Lage des Falles ergänzende Ermittlungen erforderlich macht.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren unter Heranziehung von entsprechendem, aktuellem Länderdokumentationsmaterial, insbesondere im Zusammenhang mit Puntland, eingehend mit den aktuellen individuellen Verhältnissen der Beschwerdeführerin auseinanderzusetzen haben. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden mit ihren Eltern zu erörtern und einer neuerlichen inhaltlichen Auseinandersetzung seitens der belangten Behörde zugrunde zu legen sein. Die von der erstinstanzlichen Behörde getätigten Schlussfolgerungen sind schlüssig und in nachvollziehbarer Weise zu begründen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Ausgehend von diesen Überlegungen war in den vorliegenden Fällen das dem Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W142.2166167.2.00

Zuletzt aktualisiert am

09.02.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten