TE Vfgh Erkenntnis 2017/12/1 E907/2017

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Veröffentlicht am 01.12.2017
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Index

L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im Anlassfall

Spruch

I. Die beschwerdeführende Partei ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1.       Mit Beschluss vom 23. Oktober 2014, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit von 29. Oktober bis 13. November 2014, erließ der Gemeinderat der Stadtgemeinde Leonding die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Leonding vom 23.10.2014 betreffend die Erklärung zum Neuplanungsgebiet über das Planungsgebiet zur Erstellung eines Bebauungsplanes "St. Isidor" (im Folgenden: "Neuplanungsgebietsverordnung 2014"), welche neben näher umschriebenen Bebauungsbestimmungen ein "Zu- und Abfahrtsverbot entsprechend dem beiliegenden Bebauungsplanentwurf […]" vorsah. Zur Begründung der Neuplanungsgebietsverordnung 2014 führte der Gemeinderat der Stadtgemeinde Leonding im Wesentlichen das Interesse der Sicherung einer zweckmäßigen und geordneten Bebauung im Zusammenhang mit der sukzessiven "Umnutzung" des näher bezeichneten Kinderdorfes in Richtung Wohnbau und den damit verbundenen Auswirkungen auf die näher umschriebene städtebaulich sensible verkehrstechnische Lage an.

2.       Mit Bescheid vom 24. November 2015 wies der Bürgermeister der Stadtgemeinde Leonding den am 6. Juli 2015 gestellten – auf Grundlage der am 11. Mai 2005 erteilten Bauplatzbewilligung gestellten – Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung einer Wohnanlage bestehend aus zwei Wohngebäuden mit Tiefgarage, einem Müllgebäude und einer Hauskanalanlage auf Grundstück Nr 2101/29, KG Leonding, mit geplanter Aufschließung über die Herderstraße wegen des Widerspruchs zu dem in der Neuplanungsgebietsverordnung 2014 normierten Zu- und Abfahrtsverbot gemäß §30 Abs6 OÖ BauO 1994 ab.

3.       Die gegen den Bescheid des Bürgermeisters erhobene Berufung der einschreitenden Gesellschaft wies der Gemeinderat der Stadtgemeinde Leonding nach Beschlussfassung am 17. Mai 2016 mit Bescheid vom 31. Mai 2016 im Wesentlichen wegen des Widerspruchs gegen die Neuplanungsgebietsverordnung 2014 gemäß §30 Abs6 OÖ BauO 1994 ab.

4.       Mit Beschluss vom 20. Oktober 2016, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 8. November bis 24. November 2016, erließ der Gemeinderat der Stadtgemeinde Leonding die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Leonding vom 20. Oktober 2016 betreffend die 1. Verlängerung der Erklärung zum Neuplanungsgebiet über das Planungsgebiet zur Erstellung eines Bebauungsplanes "St. Isidor" (im Folgenden: "Neuplanungsgebietsverordnung 2016").

5.       Mit Erkenntnis vom 9. Februar 2017 wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die von der einschreitenden Gesellschaft erhobene Beschwerde gegen den Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Leonding vom 31. Mai 2016 als unbegründet ab. Da das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgebliche Rechtslage anzuwenden habe, sei – wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10. Dezember 2013, 2010/05/0138, hinsichtlich Neuplanungsgebieten ausgesprochen habe – ungeachtet der rechtskräftigen Bauplatzbewilligung die seit 23. November 2016 rechtswirksame (verlängerte) Neuplanungsgebietsverordnung anzuwenden. Gemäß den vom Landesverwaltungsgericht beigeschafften Verordnungsakten habe die formale Prüfung der (verlängerten) Neuplanungsgebietsverordnung durch die Aufsichtsbehörde keine Gesetzwidrigkeit ergeben. Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei eine Bausperre auch in einem bereits anhängigen Baubewilligungsverfahren zu beachten. Im Verfahren betreffend die Erlassung einer Neuplanungsgebietsverordnung reiche es aus, wenn der Verordnungsgeber eine entsprechend konkretisierte Änderungsabsicht darlege. Eine Grundlagenforschung oder Interessenabwägung iSd §36 OÖ ROG 1994 habe nicht zu erfolgen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die beabsichtigte Neuplanung seien gemäß der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bei der Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Bausperre noch nicht zu beurteilen. Die Änderungsabsicht habe der Verordnungsgeber in Grundzügen in Worten unter Anschluss einer Planbeilage entsprechend konkretisiert umschrieben. §45 OÖ BauO 1994 sehe anders als die Bestimmung des §36 OÖ ROG 1994 keine Stellungnahmeverfahren nach §33 OÖ ROG 1994 vor, weshalb nicht relevant sei, ob die einschreitende Gesellschaft vor Erlassung der Neuplanungsgebietsverordnung verständigt worden sei. Da das Bauvorhaben im Hinblick auf die unzulässige Aufschließung über die Herderstraße der (verlängerten) Neuplanungsgebietsverordnung widerspreche, sei die Abweisung gemäß §30 Abs6 OÖ BauO 1994 zu Recht erfolgt.

6.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die beschwerdeführende Gesellschaft die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B-VG und auf Unverletzlichkeit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK sowie in Rechten wegen Anwendung der ihrer Ansicht nach gesetzwidrigen (verlängerten) Neuplanungsgebietsverordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

7.       Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof mit Be-schluss vom 21. September 2017, E907/2017-13, gemäß Art139 Abs1 Z2 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Neuplanungsgebietsverordnung 2016 ein. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Prüfungsbeschluss vorläufig davon aus, dass die Verlängerung bzw. das Hinausschieben der Geltungsdauer einer Verordnung betreffend die Erklärung zum Neuplanungsgebiet iSd §45 Abs1 OÖ BauO 1994 deren Geltung bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Verordnung iSd §45 Abs5 OÖ BauO 1994 betreffend die Verlängerung der Erklärung zum Neuplanungsgebiet iSd Abs1 leg.cit. – folglich deren Einheit (auch) in Form eines lückenlosen zeitlichen Geltungsbereiches – voraussetze. Die Neuplanungsgebietsverordnung 2016 schiene diese gesetzliche Voraussetzung nicht zu erfüllen.

8.       Mit Erkenntnis vom 1. Dezember 2017, V107/2017-8, stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass die mit Ablauf des 23. November 2017 außer Kraft getretene Neuplanungsgebietsverordnung 2016 wegen Verstoßes gegen §45 Abs5 OÖ BauO 1994 gesetzwidrig war.

9.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

10.      Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat eine gesetzwidrige Verord-nung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985; VfGH 12.10.2017, E1242/2016-20).

11.      Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

12.      Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

13.      Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E907.2017

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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