TE Vwgh Beschluss 2018/1/12 Ra 2017/08/0035

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Veröffentlicht am 12.01.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §1297;
AlVG 1977 §25 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der M M in Wien, vertreten durch Mag. Franjo Schruiff, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 14/7a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Februar 2017, W229 2127924-1/9E, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien, Huttengasse), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - den Widerruf bzw. die Berichtigung der der Revisionswerberin im Zeitraum von 1. Juli 2015 bis 11. Februar 2016 gewährten Notstandshilfe gemäß § 24 AlVG mangels Notlage und die Rückforderung des zu Unrecht Empfangenen in der Höhe von EUR 4.283,28 gemäß § 25 AlVG (jeweils iVm § 38 AlVG). Dem legte das Bundesverwaltungsgericht zugrunde, dass die Revisionswerberin im Sinn des dritten Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG erkennen habe müssen, dass ihr aufgrund des Einkommens ihres Ehegatten die ausbezahlte Notstandshilfe nicht mehr gebühre.

5 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision vor, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Der dritte Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG erfordere, dass der Bezieher der Leistung "schlechtgläubig" gewesen sei. Die Revisionswerberin sei ihrer Verpflichtung zur Meldung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gegenüber dem Arbeitsmarktservice (AMS) nachgekommen. Die Anrechnung eines Partnereinkommens stelle einen "hochkomplexen Sachverhalt" dar. Für die Revisionswerberin sei daher, zumal sich ihre "familiäre Situation" auch mehrfach geändert habe, nicht erkennbar gewesen, dass ihr die ausbezahlte Notstandshilfe nicht zustehe.

6 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der dritte Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG schon nach dem isolierten Wortlaut der Wendung "wenn er erkennen musste, dass ..." nicht erst dann erfüllt, wenn der Leistungsempfänger die Ungebührlichkeit der Leistung an sich oder ihrer Höhe nach erkannt hat; das Gesetz stellt vielmehr auf das bloße Erkennenmüssen ab und statuiert dadurch eine (freilich zunächst nicht näher bestimmte) Diligenzpflicht. Aus der Gegenüberstellung mit den zwei anderen in § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG genannten Rückforderungstatbeständen (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen) wird jedoch deutlich, dass für die Anwendung des dritten Rückforderungstatbestandes eine gegenüber den beiden anderen Tatbeständen abgeschwächte Verschuldensform, nämlich Fahrlässigkeit, genügt. Fahrlässige Unkenntnis davon, dass die Geldleistung nicht oder nicht in der konkreten Höhe gebührt, setzt voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (im Sinne des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen ist. Ob dies zutrifft, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen (VwGH 7.4.2016, Ra 2016/08/0037; 16.3.2011, 2009/08/0260).

7 Die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes im vorliegenden Fall steht im Einklang mit dieser Rechtsprechung. Nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis wusste die Revisionswerberin, dass ihr Notstandshilfebezug von der Höhe des Einkommens ihres Ehepartners abhing, und fiel es ihr auch auf, dass - trotz ihrer mündlichen Mitteilung gegenüber einer AMS-Beraterin, dass ihr Ehegatte eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe - keine Änderung des Bezuges eintrat. Entgegen den Ausführungen in der Revision gab es auch keine damit zeitlich zusammenfallenden Änderungen ihrer "familiären Situation", die eine Annahme der Revisionswerberin, die Notstandshilfe stehe ihr auch unter Berücksichtigung des Einkommens ihres vormals erwerbslosen Ehegatten von monatlich rund EUR 2000,-- netto weiterhin in unveränderter Höhe zu, hätte rechtfertigen können.

8 Das weitere Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision, die Revisionswerberin sei "in einem anderen Rechts- und Sozialsystem groß geworden" und habe erst vor zehn Jahren Deutsch gelernt, weshalb sie auf die Richtigkeit des Handelns des AMS vertraut habe, wurde erstmals in der Revision erstattet und stellt eine im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbeachtliche Neuerung (§ 41 VwGG) dar.

9 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 12. Jänner 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017080035.L00

Im RIS seit

08.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

30.03.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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