Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Beklagte K***** KG, *****, vertreten durch Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 34.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 26. September 2017, GZ 5 R 110/17h-10, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 7. Juli 2017, GZ 43 Cg 43/17x-6, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss zu lauten hat:
„Der Antrag der Klägerin, zur Sicherung ihres Anspruchs auf Unterlassung unlauterer Geschäftspraktiken wird der Beklagten geboten, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, eine zeitliche Spitzenstellung der Berichterstattung, insbesondere eine 'zuerst' erfolgte Berichterstattung der 'K***** Zeitung' zu behaupten, wenn dies nicht den Tatsachen entspricht, insbesondere, wenn 'Ö*****' zeitgleich mit der 'K***** Zeitung' über ein bestimmtes Thema berichtet hat, diese einstweilige Verfügung gilt bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils,
wird abgewiesen.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 1.415,88 EUR (darin enthalten 235,98 EUR USt) bestimmten Äußerungskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die Klägerin ist weiters schuldig, der Beklagten die mit 5.144,80 EUR (darin enthalten 647,55 EUR USt und 1.259,50 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Am 13. 5. 2017 veröffentlichte die Klägerin in ihrer Tageszeitung einen Artikel mit der Schlagzeile „F***** ließ im Häfen seinen Namen ändern“. Ebenfalls am 13. 5. 2017 veröffentlichte die Beklagte in ihrer Tageszeitung einen Artikel, aus dem gleichfalls hervorgeht, dass J***** F***** seinen Nachnamen ändern habe lassen. Die Ausgabe der Zeitung der Beklagten erschien in Teilen Österreichs bereits am 12. 5. 2017 als eine am Vorabend erhältliche „Abendausgabe“, die jedoch das Erscheinungsdatum des Folgetags trug.
Am 17. 5. 2017 veröffentlichte die Beklagte in ihrer Tageszeitung einen Artikel, in dem es auszugsweise lautete: „Wie die [Tageszeitung der Beklagten] zuerst berichtete, hat sich der inhaftierte Inzestvater […] ganz offiziell umbenannt …“
Zur Sicherung ihres mit Klage geltend gemachten gleichlautenden Unterlassungsanspruchs erhob die Klägerin den Provisorialantrag, der Beklagten zu gebieten, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, eine zeitliche Spitzenstellung der Berichterstattung, insbesondere eine „zuerst“ erfolgte Berichterstattung ihrer Tageszeitung zu behaupten, wenn dies nicht den Tatsachen entspricht, insbesondere wenn die Tageszeitung der Klägerin zeitgleich mit jener der Beklagten über ein bestimmtes Thema berichtet hat. Die Beklagte bediene sich irreführender Geschäftspraktiken, wenn sie unzutreffende Spitzenstellungswerbung betreibe. Das unzutreffende Behaupten eines zeitlichen Vorsprungs sei unlauter (§§ 1, 2 UWG).
Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung unter Hinweis auf die Entscheidung 3 Ob 12/14g.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Dass die Zeitung der Beklagten mit der Datierung „Samstag, 13. 5. 2017“ an manchen Orten bereits am Vortag kolportiert worden sei, ändere nichts daran, dass es sich um eine Samstagsausgabe vom genannten Tag handle. Hätten andere Medien an diesem Samstag ebenfalls über das selbe Thema berichtet, sei aus der Sicht des unbefangenen Durchschnittslesers die Behauptung eines zeitlichen Vorsprungs der Information in der Ausgabe der Zeitung der Beklagten vom 13. 5. 2017 nicht nachvollziehbar und irreführend. Dieser Durchschnittsleser werde vielmehr annehmen, dass die betreffende Information von der Zeitung der Beklagten bereits in einer Ausgabe mit einem früheren Erscheinungsdatum als dem 13. 5. 2017 veröffentlicht worden sei und nicht mitbedenken, dass sich der zeitliche Vorsprung im Vertriebsweg auch nur auf die Abendkolportage am Vorabend beziehen könne. Die Vorgehensweise der Beklagten sei deshalb eine irreführende Geschäftspraktik iSd § 2 Abs 1 Z 2 UWG. Das Rekursgericht sprach zudem aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, den Sicherungsantrag abzuweisen; in eventu stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
1. Beim Irreführungstatbestand ist zu prüfen, (a) wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, (b) ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob (c) eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Kaufinteressenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (RIS-Justiz RS0123292).
Diese Prüfung führt im vorliegenden Fall zu folgendem Ergebnis:
1.1. Die Behauptung der Beklagten, ihre Zeitung habe zuerst berichtet, ist objektiv richtig, zumal der Leser die Nachricht tatsächlich zuerst in der Abendausgabe der Zeitung der Beklagten lesen konnte und die Klägerin erst am nächsten Tag berichtete. Dass die Abendausgabe der Beklagten das Datum des nächsten Tags trug, ändert nichts an der Tatsache, dass der Leser jedenfalls zuerst von der Zeitung der Beklagten informiert wurde. Die von der Klägerin beanstandete Aussage der Beklagten ist daher wahr.
1.2.1. Aber auch dann, wenn die beanstandete Aussage bei isolierter Betrachtung wahr ist, kann das Verschweigen wesentlicher Umstände eine irreführende Geschäftspraktik begründen (vgl RIS-Justiz RS0121669 [T9]).
1.2.2. Es ist daher zu prüfen, ob die Adressaten des Zeitungsberichts ohne den Hinweis, dass die frühere Berichterstattung (nur) in der Abendausgabe des Vortags erfolgte, annehmen mussten, die Beklagte habe die „Story“ schon in der Morgenausgabe des Vortags gebracht, bzw ob sie unter zuerst einen Zeitvorsprung von einem ganzen Tag sehen mussten.
1.2.3. Nach allgemeinem Verständnis setzt die Aussage, eine Zeitung habe zuerst berichtet, keinen Vorsprung von 24 Stunden voraus, sondern umfasst auch den Zeitraum zwischen Abend- und Morgenausgabe. Das Verschweigen des (wahren) Umstands, dass der Vorsprung darin begründet lag, dass die Zeitung der Beklagten schon in ihrer Abendausgabe und noch vor dem Erscheinen anderer Medien am nächsten Tag berichtete, ist deshalb nicht geeignet, beim angesprochenen Publikum einen unrichtigen Eindruck zu erwecken und ist deshalb keine irreführende Geschäftspraktik.
2. Auch die von der Klägerin zitierte Entscheidung 3 Ob 12/14g vermag ihre Rechtsansicht nicht zu stützen:
2.1. Die genannte Entscheidung behandelt einen Sachverhalt, in dem die Beklagte in ihrer unter dem Erscheinungsdatum des Folgetags verbreiteten Abendausgabe einen Bericht als exklusiv bezeichnete, und sprach aus, dass die angesprochenen Leser aufgrund des aufgedruckten Erscheinungsdatums die Exklusivitätsbehauptung auf eben diesen Tag beziehen würden und dass der zeitliche Vorsprung durch die frühere Kolportage am Vortag nicht ausreiche, den Artikel auch weiterhin als exklusiv bezeichnen zu dürfen, weil dies durch die zwischenzeitlich erfolgte Berichterstattung anderer Zeitungen unrichtig geworden sei. Hingegen wäre es der Beklagten frei gestanden, „wahrheitsgemäße Exklusivbehauptungen zu verbreiten, etwa dahin, dass im Text des Folgetages auf den zeitlichen Vorsprung am Vortag verwiesen wird ('Wie wir in der gestrigen Abendausgabe ... exklusiv berichtet haben ...')“.
2.2. Genau dies ist aber hier der Fall: Die Beklagte hat hier (bezogen auf die Vergangenheit) behauptet, dass sie zuerst berichtet hat und damit – wie von 3 Ob 12/14g grundsätzlich gebilligt – auf den damals bestehenden zeitlichen Vorsprung hingewiesen. Ein Sachverhalt, der diese Aussage im Nachhinein als unrichtig erscheinen lassen könnte, liegt hier nicht vor.
3. Die beanstandete Aussage der Beklagten erfüllt daher nicht den Irreführungstatbestand des § 2 UWG.
Dem Revisionsrekurs ist somit Folge zu geben und die Beschlüsse der Vorinstanzen sind im Sinne der Abweisung des Sicherungsantrags abzuändern.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen beruht auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41, 50 ZPO.
Schlagworte
zuerst berichtet,Textnummer
E120573European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00198.17X.0123.000Im RIS seit
08.02.2018Zuletzt aktualisiert am
21.08.2018