TE OGH 2018/1/24 3Ob5/18h

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Veröffentlicht am 24.01.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Johannes Hirtzberger, Rechtsanwalt in Salzburg, als Insolvenzverwalter im Konkurs über das Vermögen der S***** GmbH, vertreten durch Lirk Spielbüchler Hirtzberger Rechtsanwälte OG in Salzburg, wider die beklagte Partei S***** Gebietskrankenkasse, *****, vertreten durch Dr. Reinhold Gsöllpointner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 65.614,46 EUR sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 5. Oktober 2017, GZ 1 R 131/17s-16, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. August 2017, GZ 4 Cg 16/17t-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Die Revision wird

im Umfang der angefochtenen Zahlung von 287,86 EUR vom 21. Juli 2016 zurückgewiesen.

II. Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie wie folgt zu lauten haben:

„Das Klagebegehren,

1. die Zahlungen der S***** GmbH an die beklagte Partei vom 12. Juli 2016 über 18.000 EUR und 4.833,06 EUR und vom 29. Juli 2016 über 42.493,54 EUR würden gegenüber den Gläubigern im Insolvenzverfahren der S***** GmbH für unwirksam erklärt;

2. die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 65.326,60 EUR samt 4 % Zinsen aus 22.833,06 EUR seit 13. Juli 2016 und aus 42.493,54 EUR seit 30. Juli 2016 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 9.622,32 EUR (darin enthalten 1.603,72 EUR USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die mit 5.305,72 EUR (darin enthalten 526,62 EUR USt und 2.146 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.137,10 EUR (darin enthalten 379,35 EUR USt und 2.861 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 19. Mai 2014 wurden ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung über das Vermögen der S***** GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) eröffnet und in der Folge Konkursforderungen von rund 5.360.000 EUR festgestellt, darunter eine von der Beklagten angemeldete Forderung von 72.905,50 EUR. Am 20. August 2014 nahmen die Gläubiger einen Sanierungsplan an, wonach die Schuldnerin 20 % der Forderungen in drei Teilquoten zu zahlen hatte. Die erste Teilquote (6 %) war im Oktober 2014 fällig, die zweite (7,5 %) im August 2015 und die dritte (6,5 %) im August 2016. Die Schuldnerin leistete die ersten beiden Teilquoten rechtzeitig an die Beklagte. Auch die laufenden Sozialversicherungsbeiträge bis einschließlich Februar 2015 sowie für die Monate Mai und Juli 2015 zahlte sie termingerecht.

Nach Zahlung der zweiten Teilquote verschlechterte sich allerdings die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin im Herbst 2015 aufgrund von massiven Umsatzrückgängen, wobei ihre Verbindlichkeiten sukzessive anstiegen.

Laufende Sozialversicherungsbeiträge sind jeweils spätestens am 15. des Folgemonats zur Zahlung fällig. Ist bis dahin keine Zahlung eingelangt, verschickt die Beklagte gegen Monatsende automationsunterstützt Mahnschreiben, in denen sie den Beitragsschuldner darüber informiert, welchen Betrag er samt gesetzlichen Verzugszinsen schuldet, und ihn unter Setzung einer 14-tägigen Nachfrist zur Nachzahlung auffordert. Langt auch innerhalb dieser Nachfrist keine Zahlung ein, wird automatisch eine sogenannte Exekutionsvorschlagsliste erstellt, die dem zuständigen Sachbearbeiter vorgelegt wird.

Ab Herbst 2015 leistete die Schuldnerin die laufenden Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr fristgerecht, sondern (allerdings jeweils vollständig) erst zu folgenden Zeitpunkten: die Beiträge für August 2015 am 13. Oktober 2015, jene für September 2015 am 10. November 2015, jene für Oktober 2015 nach Mahnung am 11. Dezember 2015, jene für November 2015 nach Mahnung am 12. Jänner 2016, jene für Dezember 2015 nach Mahnung am 10. Februar 2016, jene für Jänner 2016 am 15. März 2016, jene für Februar 2016 nach Mahnung am 12. April 2016, jene für März 2016 nach Mahnung am 13. Mai 2016 und jene für April 2016 nach Mahnung am 14. Juni 2016.

Die Sozialversicherungsbeiträge für Mai 2016 in Höhe von insgesamt 22.833,06 EUR zahlte die Schuldnerin nach Mahnung am 12. Juli 2016. Am 29. Juli 2016 beglich sie (erneut nach Mahnung) die Sozialversicherungsbeiträge für Juni 2016 in Höhe von 42.493,54 EUR. Darüber hinaus leistete sie am 21. Juli 2016 Verzugszinsen für die rückständigen Beiträge für Mai und Juni 2016 in Höhe von 287,86 EUR.

Im genannten Zeitraum ab Herbst 2015 schien die Schuldnerin nie auf einer Exekutionsvorschlagsliste der Beklagten auf. Dementsprechend stellte die Beklagte gegen diese auch keine Exekutionsanträge und es gab auch keine Ratenansuchen der Schuldnerin an die Beklagte.

Mit Beschluss vom 25. August 2016 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Ab Juli 2016 zahlte die Schuldnerin nur noch an jene Gläubiger, die sie mahnten und/oder deren Leistungen für die Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs unbedingt erforderlich waren. Sie war jedenfalls ab 12. Juli 2016 zahlungsunfähig und überschuldet.

Die Beklagte stellte zu keinem Zeitpunkt Nachforschungen über die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin an. Hätte die Beklagte am 12. Juli 2016 oder danach Kontakt mit den übrigen Gebietskrankenkassen aufgenommen, hätte sie erfahren, dass die Schuldnerin auch an insgesamt sechs andere Gebietskrankenkassen (unterschiedlich oft) fällige Sozialversicherungsbeiträge ab dem Jahreswechsel 2015/2016 erst nach Mahnung zahlte, wobei die Anzahl der betroffenen anderen Gebietskrankenkassen von einer im Dezember 2015 auf fünf im Juni 2016 anwuchs. Hätte sie von der Schuldnerin Auskunft über ihre offenen Verbindlichkeiten verlangt, hätte sie die bestehende Zahlungsunfähigkeit ebenso erkennen können wie den Umstand, dass nur mehr andrängende Gläubiger bezahlt werden.

Der Kläger ficht die Zahlungen vom 12., 21. und 29. Juli 2016 gemäß §§ 30 und 31 IO an und begehrt deren Rückzahlung an die Masse. Die Schuldnerin sei im Zeitpunkt dieser Zahlungen bereits überschuldet und zahlungsunfähig gewesen. Sie habe in der Absicht geleistet, die Beklagte gegenüber den anderen Gläubigern zu begünstigen. Diese Begünstigungsabsicht wie auch die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hätte die Beklagte erkennen müssen. Ihr sei nämlich aus dem (ersten) Insolvenzverfahren bekannt gewesen, dass sich die Schuldnerin in einer massiven wirtschaftlichen Krise befunden habe. Weiters habe sie gewusst, dass die Schuldnerin mit Fälligwerden der letzten Quote aus dem Sanierungsplan einer massiven Liquiditätsbelastung ausgesetzt sei. Da es der Schuldnerin nicht möglich gewesen sei, die laufenden Beiträge fristgerecht zu zahlen, hätte die Beklagte zumindest zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen Nachforschungen anstellen müssen. In diesem Fall hätte sie von der Zahlungsunfähigkeit und Begünstigungsabsicht Kenntnis erlangt. Auch eine Rückfrage bei den übrigen Sozialversicherungsträgern hätte ergeben, dass die Schuldnerin auch an diese nur nach Mahnungen Zahlungen geleistet habe und Rückstände aufgelaufen seien.

Die Beklagte wendete ein, das Beitragszahlungsverhalten der Schuldnerin sei vollkommen unauffällig gewesen, es habe weder Ratenansuchen gegeben noch sei eine Exekutionsführung notwendig geworden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Die Beklagte sei iSd § 31 Abs 1 Z 2 IO in fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gewesen, weil sie trotz Vorliegens von Insolvenzindikatoren – und zwar der vorangegangenen Insolvenz, verbunden mit der Notwendigkeit, zusätzlich zum laufenden Betriebsaufwand die Mittel für die Quotenzahlung aufzubringen, des ab dem dritten Quartal 2015 durchgehend bestehenden Verzugs mit den Beitragszahlungen und außerdem des Umstands, dass die Schuldnerin zunehmend auch an die übrigen Gebietskrankenkassen erst nach Mahnung geleistet habe – keine Nachforschungen angestellt habe. Dass ein Beitragsschuldner es über einen Zeitraum von zehn Monaten kein einziges Mal schaffe, Sozialversicherungsbeiträge pünktlich zu zahlen, sei ein Indiz für seine Zahlungsunfähigkeit.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Beiträge seien gemäß § 44 Abs 2 iVm § 58 ASVG am Letzten des Kalendermonats fällig, in den das Ende des Beitragszeitraums falle. Mangels Begleichung innerhalb von 15 Tagen nach Fälligkeit seien die Beiträge rückständig. Damit entstehe die Verpflichtung zur Entrichtung von Verzugszinsen (§ 59 ASVG) und der rückständige Beitrag sei einzumahnen. Auch wenn der Beitragsschuldner in der Mahnung gemäß § 64 Abs 3 ASVG aufgefordert werde, den Rückstand binnen zwei Wochen ab Zustellung zu zahlen, habe doch die Schuldnerin die Beiträge nicht gemäß den Vorschriften des ASVG geleistet. Für die Frage der Indizwirkung sei an die Rückständigkeit der Beiträge anzuknüpfen, weil ein zahlungsfähiger Beitragsschuldner es gewöhnlich nicht in Kauf nehme, die hohen Verzugszinsen gemäß § 59 Abs 1 ASVG zu zahlen. Nichts anderes gelte hier, zumal kein Anhaltspunkt für eine schlechte Zahlungsmoral der Schuldnerin, Nachlässigkeit oder Unfähigkeit zu sorgfältigem Wirtschaften bestanden habe. Die ab Zahlung der zweiten Teilquote laut Sanierungsplan im August 2015 zu leistenden Beiträge (für August 2015 bis Mai 2016, also zehn Monate) seien rückständig gewesen. Im Zeitpunkt der ersten angefochtenen Zahlung sei der Beitrag für Juni 2016 fällig und im Zeitpunkt der zwei weiteren angefochtenen Zahlungen auch rückständig gewesen. Zahlungen seien jedenfalls für die Beiträge ab Oktober 2015 jeweils nur nach Mahnung erfolgt, und zwar meist am letzten Tag der Frist gemäß § 64 Abs 3 ASVG, rund drei bis vier Wochen nach ihrer Rückständigkeit. Damit seien aber bei zusammenschauender Betrachtung Krisentatsachen vorgelegen, die gewichtig genug gewesen seien, um eine Pflicht zur Nachforschung auszulösen. Dass das auffallend säumige Zahlungsverhalten der Schuldnerin der Beklagten nicht aufgefallen sei, weil die Schuldnerin nicht auf die Exekutionsvorschlagsliste gekommen sei, könne die Beklagte nicht entlasten: Diese habe nämlich, wenn sie das Verfahren zur Eintreibung der Beiträge automationsunterstützt führe, dafür zu sorgen, dass die rechtlich relevanten Informationen dem jeweiligen Sachbearbeiter zur Kenntnis gebracht würden, damit sich dieser eine Meinung über die Zahlungsfähigkeit bilden und gegebenenfalls weitere Nachforschungen anstellen könne.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision hinsichtlich der angefochtenen Zahlung vom 21. Juli 2016 in Höhe von 287,86 EUR jedenfalls unzulässig und hinsichtlich der beiden übrigen zulässig sei. Grundsätzlich hänge die Beurteilung, ob ausreichende Insolvenzindikatoren vorlägen, zwar von den Umständen des Einzelfalls ab. Hier komme es aber darauf an, welche Anforderungen an die Organisation der Überwachung der Zahlungsabläufe durch einen Krankenversicherungsträger im automatisierten Verfahren zur Eintreibung der Beiträge zu stellen seien. Dieser vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht behandelten Frage komme in Zeiten zunehmender Automatisierung zur Wahrung der Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des gesamten Klagebegehrens anstrebt, ist, soweit sie sich auf die angefochtene Zahlung vom 21. Juli 2016 bezieht, absolut unzulässig. Im Übrigen ist sie wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung der Vorinstanzen zulässig und berechtigt.

1.1.

 Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Revision gegen ein (zur Gänze) bestätigendes Berufungsurteil gemäß § 502 Abs 3 ZPO sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche nur dann zusammenzurechnen, wenn sie in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehen (§ 55 Abs 1 und 4 JN). Ein solcher Zusammenhang besteht bereits dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RIS-Justiz

RS0037648 [T11]). Dass für alle Rechtshandlungen der gleiche Anfechtungstatbestand behauptet wird, reicht – schon wegen der zeitlichen Komponente – nach ständiger Rechtsprechung zur Annahme eines rechtlichen Zusammenhangs nicht aus (

RIS-Justiz

RS0042521 [T2, T6]; RS0042938; König, Anfechtung5 Rz 18/12).

1.2. Soweit sich die Revision auf die angefochtene Zahlung in Höhe von 287,86 EUR bezieht, ist sie daher als absolut unzulässig zurückzuweisen.

2. Nach ständiger Rechtsprechung dienen die Anfechtungstatbestände der §§ 30 und 31 IO dem Schutz des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Gläubiger (par conditio creditorum): Der Anfechtungserfolg soll die Konkursmasse so stellen, als ob der Konkurs schon bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (der relevanten Überschuldung) eröffnet worden wäre. Dementsprechend soll ein Gläubiger jene Zahlung (oder Sicherstellung), die er von seinem Schuldner nach Eintritt der Insolvenzvoraussetzungen (aber noch vor Einleitung des gesetzlichen Verfahrens, das die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sicherstellen soll) erlangt hat, wieder in den der Befriedigung aller Gläubiger dienenden Fonds (die Konkursmasse) der Schuldnerin zurückstellen (RIS-Justiz

RS0064417 [T2]; jüngst 3 Ob 92/17a).

3. Dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen materiell insolvent war, ist unstrittig; nach den Feststellungen war der Beklagten dieser Umstand jedoch nicht positiv bekannt. Der in § 31 Abs 1 Z 2 IO normierte Tatbestand des Kennenmüssens der Zahlungsunfähigkeit ist dann erfüllt, wenn die Unkenntnis des Anfechtungsgegners auf einer Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt beruht; es genügt leichte Fahrlässigkeit des Anfechtungsgegners (RIS-Justiz

RS0064672;

RS0064379). Die Frage, ob dem Anfechtungsgegner fahrlässige Unkenntnis zur Last fällt, ist nach den ihm im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung zu Gebote stehenden Auskunftsmitteln, dem Maß ihrer ihm vernunftgemäß zuzumutenden Heranziehung und der Ordnungsmäßigkeit ihrer Bewertung zu beantworten (RIS-Justiz

RS0064794; König, Anfechtung5 Rz 11/25 mwN). Die Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise müssen Anlass sein, mit zumutbaren Mitteln Erkundigungen einzuziehen (RIS-Justiz

RS0064794 [T2]).

4. An die Sorgfaltspflicht bestimmter Großgläubiger, zu denen grundsätzlich auch die Krankenversicherungsträger gehören, ist ein strenger Maßstab anzulegen, weil sie über entsprechende Ressourcen zur Bonitätsüberwachung ihrer Schuldner verfügen (RIS-Justiz

RS0064682 [T12]). Sie sind nach der Rechtsprechung ua zu Nachforschungen verpflichtet, wenn getroffene Ratenvereinbarungen nicht mehr eingehalten werden (3 Ob 181/14k mwN). Liegen Insolvenzindikatoren vor, darf sich der Anfechtungsgegner nicht mit der Behauptung des Schuldners über eine bloße Zahlungsstockung zufrieden geben, sondern muss diese überprüfen (3 Ob 99/10w = RIS-Justiz

RS0126562 [zur Prüfpflicht von Sozialversicherungsträgern]). Als jedenfalls zumutbares Auskunftsmittel ist der Schuldner anzusehen, der zu seinen Behauptungen über eine bloße Zahlungsstockung, die offenen Kundenforderungen und die vorhandenen liquiden Mittel, die Liquiditätsplanung und insbesondere über den Stand der fälligen Schulden sowie auch zur Vorlage von Urkunden (insbesondere Liquiditätsbilanz, offene Postenlisten, allenfalls letzte Bilanz) aufgefordert werden kann (3 Ob 181/14k mwN).

5. Als Insolvenzindikatoren, die Großgläubiger wie Sozialversicherungsträger zu Nachforschungen verpflichten, wurden in der Rechtsprechung insbesondere angesehen: eine Mitteilung der Schuldnerin über die Fälligstellung ihrer Bankkredite in Verbindung mit einem Ratengesuch (3 Ob 99/10w);

ein rasches Ansteigen der Höhe des Rückstands, wobei Zahlungen nur noch im exekutiven Weg einbringlich gemacht werden konnten bzw getroffene Ratenvereinbarungen nicht mehr eingehalten wurden (8 Ob 37/00z; 10 Ob 90/04i = RIS-Justiz

 

RS0064682 [T10]);

generell die über mehrere Monate reichende Unfähigkeit, betriebene Forderungen selbst nach Gewährung von Stundung oder Ratenzahlung zu erfüllen (4 Ob 93/06i = RIS-Justiz RS0064682 [T11]; 3 Ob 181/14k); weiters

übereinstimmende Medienberichte über die massive wirtschaftliche Krise eines Unternehmens (RIS-Justiz

 

RS0118049; jüngst 3 Ob 92/16z).

6. Im vorliegenden Fall lag allerdings kein solcher Insolvenzindikator vor: Die laufenden Beiträge wurden zwar immer verspätet, aber dann doch innerhalb der nach Mahnung gesetzten Nachfrist in voller Höhe beglichen; die Schuldnerin stellte niemals ein Ratengesuch an die Beklagte und Letztere musste auch nie ein Exekutionsverfahren gegen die Schuldnerin einleiten.

7.

 In einem mit dem vorliegenden durchaus vergleichbaren Fall hat der erkennende Senat jüngst ausgesprochen, dass weder ein vorangegangenes Sanierungsverfahren, in dem die (dortige) Schuldnerin ihre Verpflichtungen aus dem Sanierungsplan gegenüber der dort beklagten Gebietskrankenkasse erfüllte, noch der Umstand, dass die Schuldnerin mit den laufenden Beiträgen stets in Rückstand geriet, weshalb die Beklagte zwei Exekutionsanträge stellte, – für sich allein oder auch in Kombination – ein ausreichendes Indiz für eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin darstellte, aufgrund dessen die Beklagte Nachforschungen anstellen hätte müssen (3 Ob 92/17a). Daran ist festzuhalten.

8. Die von den Vorinstanzen vermissten Anfragen der Beklagten an andere Gebietskrankenkassen, aufgrund derer sie erfahren hätte können, dass die Schuldnerin auch gegenüber anderen Sozialversicherungsträgern mit Beitragszahlungen in Rückstand geraten war, waren schon mangels Vorliegens von Insolvenzindikatoren nicht geboten. Es muss hier deshalb nicht näher untersucht werden, ob solche Anfragen aus den in der Revision angeführten datenschutzrechtlichen Gründen überhaupt zulässig gewesen wären.

9. Da also entgegen der Ansicht der Vorinstanzen keine Umstände vorlagen, aufgrund derer die Beklagte im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen gehalten gewesen wäre, Nachforschungen im Hinblick auf eine allfällige Zahlungsunfähigkeit (oder auch Begünstigungsabsicht) der Schuldnerin anzustellen, ist das Klagebegehren im Umfang der angefochtenen Zahlungen vom 12. Juli und vom 29. Juli 2016 abzuweisen.

10. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 43 Abs 2 iVm § 54 Abs 1a ZPO und jener des Rechtsmittelverfahrens auf § 43 Abs 2, § 50 ZPO. Die Beklagte ist nur bezüglich der angefochtenen Forderung von 287,86 EUR, also eines ganz geringfügigen Teils der Klageforderung, unterlegen; die Klägerin hat ihr daher vollen Kostenersatz (auf Basis eines Streitwerts von 65.326,60 EUR) zu leisten. Der ERV-Erhöhungsbetrag gemäß § 23a RATG für die Berufung und die Revision beträgt nur jeweils 2,10 EUR, weil ein Rechtsmittel kein das Verfahren einleitender Schriftsatz ist.

Textnummer

E120577

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00005.18H.0124.000

Im RIS seit

08.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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