Entscheidungsdatum
19.01.2018Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VwGVG §32 Abs1 Z1Text
I)
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Eidlitz den
BESCHLUSS
gefasst:
I. Das Verfahren zur Zahl VGW-151/065/6271/2015 wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 und 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) von Amts wegen wieder aufgenommen.
II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
II)
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Eidlitz über die Beschwerde des Herrn M. P. vom 19.05.2015, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, MA 35 (Einwanderungsbehörde Wien), vom 22.04.2015, Zl. MA35-9/3017874-02, mit welchem der Antrag vom 19.03.2015 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 (Aufenthaltsehe) abgewiesen wurde, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.01.2018 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die serbische Sprache,
zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die Versagungsgründe § 2 Abs. 1 Z 9 in Verbindung mit § 47 Abs. 2 (kein Familienangehöriger) sowie § 11 Abs. 2 Z 1 (der Aufenthalt widerstreitet öffentlichen Interessen) NAG statt § 11 Abs. 1 Z 4 NAG (Aufenthaltsehe) zu lauten haben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Begründung ad I) „Verfügung der Wiederaufnahme“
Mit Schreiben vom 07.09.2017 der Einwanderungsbehörde Wien wurde angeregt, das im Zuge der Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid der Einwanderungsbehörde Wien zur Zahl MA35-9/3017874-2 geführte Verfahren, das in einer Bewilligung des Erstantrages vom 19.03.2015 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ mit 12 monatiger Gültigkeit mündete, von Amts wegen wieder aufzunehmen. Begründend führte die Einwanderungsbehörde aus, M. P. und seine nun Ex-Ehegattin, D. P., hätten Geständnisse betreffend des Eingehens einer Aufenthaltsehe, die in den Niederschriften der LPD Wien vom 09.06.2017 festgehalten und von den Beteiligten unterschrieben worden seien, abgelegt.
Vorgeschichte und festgestellter Sachverhalt:
1. Der am ... 1985 in O. geborene M. P., welcher serbischer Staatsangehöriger ist, ging am 03.04.2014 in Serbien die Ehe mit der am ... 1954 in O. geborenen serbischen Staatangehörigen D. P. ein, welche über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, gültig bis 22.04.2017, verfügte und stellte in Folge am 29.04.2014 persönlich bei der Einwanderungsbehörde Wien zur Zahl MA35-9/3017874-1 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“.
Am 07.05.2014 äußerte die Einwanderungsbehörde Wien ihren Verdacht auf Vorliegen einer Aufenthaltsehe und forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Überprüfung gemäß § 37 Abs. 4 NAG auf. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, die zusammenführende Ehegattin sei bereits einmal eine Aufenthaltsehe eingegangen, sie sei um 20 Jahre älter als der M. P. Der M. P. habe bereits mehr als 1 Jahr vor der Eheschließung einen Deutschkurs in Österreich absolviert und lege daher der Verdacht nahe, dass die gegenständliche Ehe lediglich geschlossen worden sei, um dem M. P. eine Aufenthaltsbewilligung für Österreich zu besorgen.
Am 12.09.2014 übermittelte die LPD Wien die Kopie eines „Abschluss-Berichts [Verdacht auf: Eingehen u. Vermittlung von Aufenthaltsehen u. -partnerschaften ohne Bereicherung (§ 117/1 FPG)]“, welcher zuvor mit Schreiben vom 11.08.2014 an die Staatsanwaltschaft Wien erging, an die Einwanderungsbehörde Wien zur Kenntnisnahme. Am 04.11.2014 stellte die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren gegen das Ehepaar mit der Begründung ein: „Tat in Serbien nicht strafbar, daher auch nicht in Österreich“ ein.
Am 25.11.2014 wurde der M. P. vom „Ergebnis der Beweisaufnahme“ der Einwanderungsbehörde Wien verständigt und wurde dieser zur Stellungnahme aufgefordert, worauf der Antrag vom 29.04.2014 vom M. P. durch Schriftsatz seines damaligen Rechtsvertreters am 10.12.2014 (einlangend bei der Einwanderungsbehörde Wien) zurückgezogen wurde.
2. Der M. P. stellte in Folge am 19.03.2015 persönlich bei der Einwanderungsbehörde Wien zur Zahl MA35-9/3017874-2 abermals einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“. Der M. P. begehrte (nach wie vor) die Familienzusammenführung mit seiner in Österreich rechtmäßig niedergelassen Ehegattin, D. P.
Mit Bescheid vom 22.04.2015 wurde der Antrag vom 19.03.2015 wegen des Vorliegens eine Aufenthaltsehe abgewiesen.
Dagegen erhob der M. P. eine Bescheidbeschwerde.
3. Das Verwaltungsgericht Wien hat zur Zahl: VGW-151/065/6271/2015 ein Beschwerdeverfahren durchgeführt und im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 24.11.2015 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die serbische Sprache den M. P. und seine Ehegattin einvernommen. Trotz des großen Altersunterschieds und der bereits zweiten Ehe der zusammenführenden Ehegattin, konnte der Verdacht der belangten Behörde auf Vorliegen einer Aufenthaltsehe nicht erhärtet bzw. nachgewiesen werden. Da es sich um einen Erstantrag handelte und der M. P. als Staatsangehöriger von Serbien nur begrenzt Zeit in Wien verbringen konnte und durfte, bedurfte es doch gerade zur Familienzusammenführung des angestrebten Titels, welcher schließlich auch erteilt wurde.
Abschließend wurde allerdings bemerkt, dass die Beurteilung des erkennenden Verwaltungsgerichts, dass keine Scheinhandlung vorliegt, nur eine vorläufige ist. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels präjudiziere keinesfalls eine spätere, gegenteilige Feststellung. Das heißt, die Annahme, dass es sich um keine Aufenthaltsehe handelt ist widerlegbar und hindert keine Behörde diesen Sachverhalt in einem anderen Verfahren neuerlich aufzugreifen. Der Einwanderungsbehörde Wien bliebe somit bei der Stellung eines weiteren Antrages durch den M. P. eine neuerliche Überprüfung gemäß § 37 Abs. 4 NAG durchzuführen unbenommen, falls diese (erneut) den begründeten Verdacht hat, dass eine Aufenthaltsehe besteht.
In Folge wurde aufgrund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts Wien vom 24.02.2016 eine „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ mit Gültigkeit von 21.03.2016 bis 21.03.2017 am 02.06.2016 in Wien dem M. P. persönlich ausgefolgt.
4. Am 17.02.2017 stellte der M. P. einen Verlängerungsantrag bei der Einwanderungsbehörde Wien. Er gab an seit 15.06.2016 geschieden zu sein.
Mit Schreiben vom 14.03.2017 äußerte die Einwanderungsbehörde Wien ihren Verdacht auf eine Aufenthaltsehe und ersuchte die LPD Wien um Überprüfung gemäß § 37 Abs. 4 NAG.
Die LPD Wien lud die Beteiligten zur Niederschrift am 09.06.2017 ein. Diese haben jeweils ein Geständnis abgelegt, dass es sich bei der am 03.04.2014 in Serbien geschlossene Ehe um eine Aufenthaltsehe handelte.
Nach Verständigung über das Ergebnis der Beweisaufnahme am 17.07.2017 erging gegenständliche „Anregung“ der Einwanderungsbehörde Wien an das Verwaltungsgericht Wien, das Verfahren wieder aufzunehmen. Mit Stellungnahme vom 04.08.2017 bestritt der M. P., dass seine Ehe mit der D. P. eine Aufenthaltsehe gewesen sei.
Der gesamte Einwanderungsakt des M. P. langte am 15.09.2017 beim Verwaltungsgericht Wien ein.
Zur Klärung des Sachverhaltes wurde vor dem Verwaltungsgericht Wien am 18.01.2018 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der der M. P. und die D. P. ladungsgemäß erschienen sind.
In der Verhandlung gab der M. P. als Partei folgende Aussage zu Protokoll:
„Frau D. P. hat die Scheidung eingereicht. Am 15. Juni 2016 war die Scheidung, ich wusste nicht einmal, dass sie die Scheidung eingereicht hat. Ich habe eine Ladung im Mai 2016 bekommen.
Nach Erhalt meines Aufenthaltstitels im Juni 2016 habe ich ein bisschen bei D. P. gewohnt aber nur so lange bis ich mich zurecht gefunden habe. Zuerst habe ich eine kurze Zeit im 17. Bezirk gewohnt und jetzt im 20. Bezirk. Im 17. Bezirk habe ich bei einer Freundin gewohnt. Bei der Freundin war ich auch angemeldet. Auf Vorhalt das im ZMR keine Meldung im 17. Bezirk aufscheint gebe ich an, dass ich Zuhause eine Bestätigung über die An- und Abmeldung im 17. Bezirk habe. Ich habe dort nur einen Nebenwohnsitzmeldung gehabt, ich war dort nur Untermieter. Jetzt im 20. Bezirk habe ich die Wohnung von meiner Tante überschrieben bekommen da sie keine Kinder hat.
Wenn ich gefragt werde weshalb ich mein Geständnis, dass ich am 09.06.2017 vor der LPD Wien abgegeben habe widerrufen habe gebe ich an, dass ich dort nur 2-3 Minuten drinnen war, man hat mir gesagt, ich brauche nur zu unterschreiben und dann bin ich frei. Ich habe nicht verstanden was ich unterschrieb. Mir ist nur gesagt worden ich soll hier unterschreiben und dann wird alles in Ordnung sein. Zuerst war D. P. drinnen. Sie war länger dort. Anschließend wurde ich hereingerufen eben zur Unterschrift. Ich habe gefragt was ich da unterschreibe sie haben gesagt nichts Schlimmes das ist nur eine Überprüfung. Wenn ich gefragt werde ob ein Dolmetsch dabei war, so bejahe ich dies. Den Dolmetsch habe ich gefragt was ich unterschreibe und er hat mir gesagt nichts Dramatisches.“
In der Verhandlung gab die D. P. als Zeugin nach Rechtsbelehrung folgende Aussage zu Protokoll:
„Ich stehe mit dem Beschwerdeführer in folgender Beziehung: Ex-Gatte
Ich habe die Scheidung eingereicht. Der Scheidungsgrund war, dass ich böse war weil M. P. unangemeldet nach Hause gekommen ist. Ich glaube das war im November 2015 aber genau weiß ich es nicht. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon verheiratet. Als Ehemann muss er sich zwar nicht anmelden aber mir war es unangenehm das er unangemeldet gekommen ist und wir haben gestritten. Es war 07:00 Uhr morgens in der Früh es war ein anderer Mann da und wir haben Kaffee getrunken. M. P. hat mir unterstellt, dass ich mit diesem Mann etwas gehabt habe, daraus ist der Streit entstanden. Ich hab irgendwann im Jahr 2016 die Scheidung eingereicht, vielleicht war es Frühling. Ich habe M. P. davon nichts gesagt. Er hat erst mit der Ladung zum Scheidungstermin von der eingereichten Scheidung erfahren. Ich glaube das war im Mai/Juni 2016. M. P. ist zum Scheidungstermin hingegangen, ich nicht. Der Termin war beim Gericht in Z.. Ich war dort anwaltlich vertreten. Am Tag der rechtskräftigen Scheidung hat auch die Verhandlung stattgefunden. Wann die Ladung über den Scheidungstermin an meinen Anwalt zugestellt wurde das kann ich heute nicht mehr angeben.
Nach Erhalt des Aufenthaltstitels im Juni 2016 hat M. P. ein- zwei Monate bei mir gewohnt. Ich habe ihm aber gesagt, dass er was Neues suchen muss. Ich konnte mit ihm nicht mehr leben. Er war nicht die ganze Zeit da, jedoch bei mir gemeldet bis er sich zurecht gefunden hat.
Nach dem Vorfall im November 2015 haben wir es zwar miteinander versucht es ging aber nicht mehr. Eigentlich wollte ich keine Scheidung. Es war nicht nur eine Ehe auf dem Papier. Wir haben es versucht aber es hat nicht geklappt. Was ich bei der Polizei unterschrieben hab das weiß ich nicht. Es war schon ein Dolmetscher da der aber nur von seiner eigenen Frau und der schlechten Situation da unten erzählt hat.“
Es steht für das erkennende Gericht nun fest, dass die Ehe zwischen dem M. P. und der D. P. nur zum Schein geschlossen wurde. Der M. P. und die D. P. haben ein beabsichtigtes bzw. tatsächliches Ehe- und Familienleben der Einwanderungsbehörde Wien und dem Verwaltungsgericht Wien gegenüber nur vorgetäuscht, um den M. P. zu einem Aufenthaltstitel für die Republik Österreich zu verhelfen. Der wahre Aufenthaltszweck war die erleichterte Möglichkeit eine legale Erwerbstätigkeit in Österreich aufzunehmen. Mag sein, dass die D. P. dem M. P. nur „helfen“ wollte. Spätestens seit November 2015, somit während des offenen Beschwerdeverfahrens, wollte die D. P. jedenfalls ihre „Ruhe“ vom M. P. wieder haben, weshalb sie in Folge im Frühjahr 2016, nachdem der M. P. seinen begehrten Aufenthaltstitel im Beschwerdeweg im Februar 2016 erhielt, in Serbien die Scheidung einreichte. Zum Zeitpunkt der Ausfolgung des Aufenthaltstitels am 02.06.2016 durch die Einwanderungsbehörde Wien, war es dem M. P. klar, dass ein Familienleben mit der D. P. nicht einmal mehr zum Schein aufnehmen wird können.
Beweiswürdigung:
Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Einwanderungsbehörde zur Zahl: MA35-9/3017874-1, MA35-9/3017874-2 und MA35-9/3017874-3, in den Beschwerdeakt des Verwaltungsgerichts Wien zur Zahl: VGW-151/065/6271/2015 und die Versicherungsdatenbank des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger.
Die Feststellungen zur Aufenthaltsehe gründen sich auf den persönlichen Eindruck, den die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 18.01.2018 auf das erkennende Gericht machten. Die Beteiligten haben insbesondere das Gericht nicht überzeugen können, dass die vor der LPD Wien abgelegten Geständnisse nur aufgrund von Sprachschwierigkeiten erfolgten. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass die D. P. tatsächlich nur aus „Gefälligkeit“ die Ehe mit dem M. P. eingegangen war.
Die übrigen Feststellungen gründen sich auf den insoweit unstrittigen Akteninhalt, die Einsichtnahme in die genannte Datenbank sowie die Ergebnisse der am 18.01.2018 durchgeführten mündlichen Verhandlung.
Maßgebliche Rechtsvorschriften:
§ 32 VwGVG lautet auszugsweise:
Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn
1.
das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2.
…
(2) …
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Rechtliche Beurteilung:
Das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme des Verfahrens ermöglicht es dem Verwaltungsgericht Wien, ein durch Erkenntnis abgeschlossenes Verfahren neu aufzurollen. [Fister/Fuchs/Sachs, § 32 VwGVG Anm 1]
Die amtswegige Wiederaufnahme kann auch zur Last der Partei verfügt werden.
[Fister/Fuchs/Sachs, § 32 VwGVG Anm 17]
Die amtswegige Wiederaufnahme kann im Falle einer Wiederaufnahme nach § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG jederzeit, somit ohne zeitliche Beschränkung, verfügt werden. [Fister/Fuchs/Sachs, § 32 VwGVG Anm 18]
Zum Tatbestand des Erschleichens (im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG) führt die Judikatur des VwGH näher aus (vgl. beispielsweise VwGH 8.5.2008, 2004/06/0123): „Der Tatbestand der Erschleichung setzt voraus, dass der Bescheid auf eine solche Art zustande gekommen ist, das die Partei der Behörde objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung für den Sachausgang in Irreführungsabsicht gemacht hatte und diese Angaben, denen das Verschweigen rechtserheblicher Umstände gleichzusetzen ist, dem Bescheid zugrunde gelegt wurden. …“ [Eder/Martschin/Schmid, § 32 VwGVG K10.)
Auf Grund der kurzen Ehe, der unmittelbar nach Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels im Beschwerdeweg erfolgten Einreichung der Scheidung, des Umstandes, dass die Scheidung knapp nach Ausfolgung des Aufenthaltstitels tatsächlich auch vollzogen wurde, und der Geständnisse der Beteiligten vor der LPD Wien, geht das erkennende Verwaltungsgericht Wien davon aus, dass der Wiederaufnahmegrund der „Erschleichung“ im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG gegeben ist, zumal der M. P. im Beschwerdeverfahren unrichtige Behauptungen zu seiner Ehe bzw. Familienleben mit der D. P. tätigte bzw. relevante Umstände dazu verschwieg, womit der erteilte Aufenthaltstitel erschlichen wurde.
Aus diesen Gründen war das Verfahren des Verwaltungsgerichts Wien zur Zahl VGW-151/065/6271/2015 von Amts wegen wieder aufzunehmen.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Entscheidungsgründe ad II) „Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 46 Abs. 1 Z 2 NAG vom 19.03.2015
Vorgeschichte und festgestellter Sachverhalt:
1. Der am ... 1985 in O. geborene M. P., welcher serbischer Staatsangehöriger ist, ging am 03.04.2014 in Serbien die Ehe mit der am ... 1954 in O. geborenen serbischen Staatangehörigen D. P. ein, welche über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, gültig bis 22.04.2017, verfügte und stellte in Folge am 29.04.2014 persönlich bei der Einwanderungsbehörde Wien zur Zahl MA35-9/3017874-1 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“.
Am 07.05.2014 äußerte die Einwanderungsbehörde Wien ihren Verdacht auf Vorliegen einer Aufenthaltsehe und forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Überprüfung gemäß § 37 Abs. 4 NAG auf. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, die zusammenführende Ehegattin sei bereits einmal eine Aufenthaltsehe eingegangen, sie sei um 20 Jahre älter als der M. P. Der M. P. habe bereits mehr als 1 Jahr vor der Eheschließung einen Deutschkurs in Österreich absolviert und lege daher der Verdacht nahe, dass die gegenständliche Ehe lediglich geschlossen worden sei, um dem M. P. eine Aufenthaltsbewilligung für Österreich zu besorgen.
Am 12.09.2014 übermittelte die LPD Wien die Kopie eines „Abschluss-Berichts [Verdacht auf: Eingehen u. Vermittlung von Aufenthaltsehen u. -partnerschaften ohne Bereicherung (§ 117/1 FPG)]“, welcher zuvor mit Schreiben vom 11.08.2014 an die Staatsanwaltschaft Wien erging, an die Einwanderungsbehörde Wien zur Kenntnisnahme. Am 04.11.2014 stellte die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren gegen das Ehepaar mit der Begründung ein: „Tat in Serbien nicht strafbar, daher auch nicht in Österreich“ ein.
Am 25.11.2014 wurde der M. P. vom „Ergebnis der Beweisaufnahme“ der Einwanderungsbehörde Wien verständigt und wurde dieser zur Stellungnahme aufgefordert, worauf der Antrag vom 29.04.2014 vom M. P. durch Schriftsatz seines damaligen Rechtsvertreters am 10.12.2014 (einlangend bei der Einwanderungsbehörde Wien) zurückgezogen wurde.
2. Der M. P. stellte in Folge am 19.03.2015 persönlich bei der Einwanderungsbehörde Wien zur Zahl MA35-9/3017874-2 abermals einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“. Der M. P. begehrte (nach wie vor) die Familienzusammenführung mit seiner in Österreich rechtmäßig niedergelassen Ehegattin, D. P.
Mit Bescheid vom 22.04.2015 wurde der Antrag vom 19.03.2015 wegen des Vorliegens eine Aufenthaltsehe abgewiesen.
Dagegen erhob der M. P. eine Bescheidbeschwerde.
3. Der M. P. beabsichtigte zu keinem Zeitpunkt ein tatsächliches Familienleben mit der D. P. zu führen. Die Ehe wurde lediglich zum Zweck der erleichterten Erlangung eines Aufenthaltstitels, welcher zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtigt, geschlossen.
4. Die Ehe der M. P. mit der D. P. wurde mit Urteil des Grundgerichts in Z. am 15.06.2016 rechtskräftig geschieden.
5. Der M. P. geht seit 21.06.2016 bei der Firma B. GmbH einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach.
Beweiswürdigung:
Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Einwanderungsbehörde zur Zahl: MA35-9/3017874-1, MA35-9/3017874-2 und MA35-9/3017874-3, in den Beschwerdeakt des Verwaltungsgerichts Wien zur Zahl: VGW-151/065/6271/2015 und die Versicherungsdatenbank des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger.
Die Feststellungen zur Aufenthaltsehe gründen sich auf den persönlichen Eindruck, den die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 18.01.2018 auf das erkennende Gericht machten. Die Beteiligten haben insbesondere das Gericht nicht überzeugen können, dass die vor der LPD Wien abgelegten Geständnisse nur aufgrund von Sprachschwierigkeiten erfolgten. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass die D. P. tatsächlich nur aus „Gefälligkeit“ die Ehe mit dem M. P. eingegangen war.
Die übrigen Feststellungen gründen sich auf den insoweit unstrittigen Akteninhalt, die Einsichtnahme in die genannte Datenbank sowie die Ergebnisse der am 18.01.2018 durchgeführten mündlichen Verhandlung.
Maßgebliche Rechtsvorschriften:
§ 2 NAG lautet auszugsweise:
Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1.
…
9.
Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;
10.
…
§ 11 NAG lautet auszugsweise:
Allgemeine Voraussetzungen
Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§ 11. (1) …
(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn
1.
der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;
2.
…
(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn
1.
sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder
2.
der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.
(5) …
§ 46 NAG lautet auszugsweise:
Bestimmungen über die Familienzusammenführung
§ 46. (1) Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ist ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und
1.
der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41, einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 41a Abs. 1, 4 oder 7a, eine Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 1, eine „Niederlassungsbewilligung – Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“, sofern dieser Niederlassungsbewilligung eine Tätigkeit gemäß § 1 Abs. 2 lit. i AuslBG zu Grunde liegt, oder eine „Niederlassungsbewilligung – Forscher“ gemäß § 43c innehat,
1a.
der Zusammenführende als nunmehriger Inhaber eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ ursprünglich einen Aufenthaltstitel nach Z 1 innehatte,
2.
ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende
a)
einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ innehat,
b)
einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, ausgenommen einen solchen gemäß § 41a Abs. 1, 4 oder 7a innehat,
c)
Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt, oder
d.
als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger über eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 oder eine Daueraufenthaltskarte gemäß § 54a verfügt.
(2) …
Rechtliche Beurteilung:
Der M. P. begehrte mit seinem Antrag am 19.03.2015 bei der Einwanderungsbehörde Wien zur Zahl MA35-9/3017874-2 die Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ zwecks Familienzusammenführung mit seiner in Österreich rechtmäßig niedergelassen Ehegattin, D. P.
Die Ehe der M. P. mit der D. P. wurde mit Urteil des Grundgerichts in Z. am 15.06.2016 rechtskräftig geschieden.
Seit 15.06.2016 ist der M. P. somit kein Familienangehöriger im Sinne des § 46 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 9 NAG, weshalb der begehrte Aufenthaltstitel mangels Erfüllung dieser besonderen Voraussetzung nicht mehr erteilt werden kann.
Darüber hinaus liegt aufgrund der Erschleichungshandlung des M. P., insbesondere durch das Vortäuschen eines beabsichtigten bzw. bestehenden Familienlebens mit der D. P. im Einwanderungsverfahren zur Zahl: MA35-9/3017874-2 in Verbindung mit dem dazu durchgeführten Beschwerdeverfahren zur Zahl: VGW-151/065/6271/2015 ein massives Fehlverhalten des M. P. vor, zumal er durch dieses Verhalten aufgezeigt hat, dass er sich nicht nur nicht an die Einwanderungs- und Ordnungsvorschriften hielt, sondern darüber hinaus auch die Einwanderungsbehörde und das Gericht vorsätzlich irregeführt hat. Durch dieses Fehlverhalten liegt auch der Versagungsgrund nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG vor.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Amtswegige Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, Aufenthaltsehe, FamilienangehörigerAnmerkung
VwGH v. 21.6.2018, Ra 2018/22/0079European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.151.V.065.12794.2017Zuletzt aktualisiert am
11.07.2018