Entscheidungsdatum
29.01.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W146 2121918-1/3E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Stefan HUBER über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.02.2016, Zl. 1044999500-140157436/BMI-BFA_STM_RD:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste am 10.11.2014 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den dem gegenständlichen Verfahren zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz.
In der am 11.11.2014 stattgefundenen Erstbefragung durch das Competence Center Eisenstadt gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er Kurde ausXXXX sei und Syrien aufgrund der Kriegslage verlassen habe.
Bei der am 16.09.2015 durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers durch das BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) gab er an, dass er bis zur neunten Schulstufe die Schule besucht habe. 2008 habe er seinen Militärdienst abgeleistet. Danach habe er in Damaskus ungefähr 6-7 Jahre als Schneider gearbeitet. Nachdem dort alles zerstört worden sei, sei er in seine Geburtsstadt XXXX (Gouvernement XXXX) zurückgekehrt, wo er sich ungefähr ein Jahr aufgehalten habe, bis er ausgereist sei. Auch in XXXX sei es zu gefährlich geworden. Es seien um die Stadt herum überall Kontrollposten vom IS und der syrischen Armee positioniert gewesen. Der Beschwerdeführer sei vom IS nicht persönlich bedroht worden, es sei aber allgemein bekannt, dass diese Leute mit den Kurden im Krieg stünden. Die kurdischen Parteien würden gegen den IS kämpfen. Deswegen hätten die IS-Leute das Abschlachten von Kurden religiös erlaubt.
Der Cousin des Beschwerdeführers sei vor kurzer Zeit von den Kurden zwangsverpflichtet worden. Schriftliche Aufforderungen zur Einberufung durch die Kurden gäbe es nicht mehr. Der Beschwerdeführer habe aber auch keine mündliche Einberufung erhalten. Es sei so, wenn sie jemanden sehen würden, der ihnen zusage, dann würden sie ihn einfach mitnehmen.
Bei einer Rückkehr habe der Beschwerdeführer Angst davor gezwungen zu werden, eine Waffe in der Hand zu nehmen und jemanden zu töten, was er nicht wolle.
Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid vom 03.02.2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezogen auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) ab. Unter Spruchpunkt II. des Bescheides wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.02.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).
Nach Wiedergabe des Verfahrensganges stellte das BFA fest, dass der Beschwerdeführer den Namen XXXX führe, dass er am XXXX geboren und syrischer Staatsangehöriger sei.
Feststellungen zur Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers traf das BFA nicht.
Die Behörde habe nicht feststellen können, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland aus wohl begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe.
Feststellungen zur Situation der Kurden in Syrien wurden nicht getroffen.
Ebenso fehlen im Bescheid jegliche Feststellungen zum Wehrdienst und zur Rekrutierungspraxis in Syrien.
Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Darin wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer wehrpflichtig und wehrfähig sei, weshalb ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei.
II. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Verwaltungsakt.
III. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A)
Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend insbesondere Folgendes festgehalten (VwGH v. 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063):
"Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. (...)
Der Rechtsanspruch eines von einer Entscheidung Betroffenen auf die Beachtung der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit erfasst angesichts des in § 28 VwGVG verankerten Systems auch die Frage, ob das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache selbst dem § 28 VwGVG konform wahrnimmt. Das Verwaltungsgericht hat daher insbesondere nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs 3 erster Satz VwGVG nicht Gebrauch macht. (...)"
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z 1 und 2 VwGVG, welche zu einer meritorischen Entscheidungspflicht führen, nicht gegeben sind. Weder steht, wie anhand der darzustellenden Ermittlungsmängel zu zeigen ist, der maßgebliche Sachverhalt fest, noch ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Dies vor allem, weil die aufzuzeigenden Ermittlungslücken derart erheblich sind, dass zu deren Beseitigung über eine der Feststellung des Sachverhalts dienende mündliche Verhandlung hinausgehende weitere Ermittlungsschritte zu setzen wären, welche durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, welches - anders als das Bundesverwaltungsgericht - eine asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde ist (so ist die sog. Staatendokumentation beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingerichtet, vgl. § 5 BFA-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012), rascher und effizienter durchgeführt werden können.
Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass die belangte Behörde den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nur ansatzweise ermittelt hat:
Das BFA hat aufgrund eines mangelhaften Verfahrens keinerlei Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers im angefochtenen Bescheid festgestellt, obwohl dieser im Verfahren mehrmals angab, Kurde zu sein.
Das BFA hat es somit gänzlich unterlassen, zu für die Frage der Asylgewährung (auch abseits des individuellen Fluchtvorbringens) zentralen Charakteristika des Beschwerdeführers, und zwar seiner Volksgruppenzugehörigkeit, Ermittlungen anzustellen und entsprechende Feststellungen zu treffen, und dies obwohl für Kurden laut UNHCR (vgl. dessen Papier "UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" [S 26] vom November 2015) ein besonderer Schutzbedarf besteht (zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182 m.w.N.).
Weiters wird im fortgesetzten Verfahren festzustellen sein, ob der 30jährige Beschwerdeführer als Reservist der syrischen Armee bei einer Rückkehr der Gefahr eines weiteren Einzugs in den Militärdienst ausgesetzt wäre, wie dies den Länderfeststellungen des BFA in anderen Verfahren zu Syrien - und dem Länderinformationsblatt des BFA - zu entnehmen ist.
Darüber hinaus werden die Rekrutierungsmethoden durch die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) im kurdischen Einflussgebiet, zu dem auch XXXX gehört, festzustellen sein.
Die genannten Ermittlungen sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes für eine abschließende Beurteilung der Frage, ob dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zu gewähren ist, notwendig. Wie zuvor gezeigt, liegen gravierende Mängel des behördlichen Verfahrens bei der Erhebung und Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes vor, die besonders schwer wiegen, weil die belangte Behörde im Ermittlungsverfahren wesentliche Themenbereiche ausgespart hat und der entscheidungswesentliche Sachverhalt von ihr nur ansatzweise erhoben wurde. Die aufgezeigten fehlenden Feststellungen können nicht ohne Durchführung von ergänzenden Ermittlungen getroffen werden. Aufgrund des Unterbleibens der oben genannten Ermittlungen und Feststellungen im behördlichen Verfahren zu diesen hier bedeutsamen Fragen im Tatsachenbereich steht der für eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in der Sache erforderliche Sachverhalt fallbezogen nicht fest. Somit liegen besonders schwerwiegende Mängel des behördlichen Verfahrens bei der Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor.
Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA die zuvor angeführten Ermittlungen anzustellen haben.
Der angefochtene Bescheid des Beschwerdeführers war daher gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG im Spruchpunkt I. zu beheben und die Angelegenheit an das BFA zurückzuverweisen.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3, 3. Satz VwGVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc, s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch VwGH 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete Parteivorbringen zu berücksichtigen haben wird.
Eine Verhandlung konnte im vorliegenden Fall im Sinne des § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil § 28 Abs. 3, 2. Satz inhaltlich § 66 Abs. 2 AVG (mit Ausnahme des Wegfalls des Erfordernisses der Durchführung einer mündlichen Verhandlung) entspricht und die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Zurückverweisung wegen mangelhafter Sachverhaltsermittlungen heranzuziehen ist. Im Übrigen trifft § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH vom 22.03.1992, 5 Ob 105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, fehlende Länderfeststellungen, fehlendeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W146.2121918.1.00Zuletzt aktualisiert am
07.02.2018