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L9200 Sozialhilfe, Grundsicherung, MindestsicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung einer Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfs wegen Übersteigens der ortsüblichen Wohnkosten für eine Normwohnung mit haushaltsbezogener Nutzfläche; Unterstellung eines - den Zweck der Mindestsicherung verfehlenden - verfassungswidrigen Inhaltes des Gesetzes durch Annahme eines "Alles oder Nichts-Prinzips"Rechtssatz
Hätte §6 Tir MindestsicherungsG (im Folgenden: TMSG) den vom Verwaltungsgericht unterstellten Inhalt (Kostengrenze nicht bloß als Leistungsbegrenzung, sondern Einhaltung der Grenze als Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Wohnbeihilfe), so verfehlte er sein Ziel, bedürftigen Personen eine Unterkunft zu sichern: Selbst wenn die normierte Begrenzung der Leistung den Zweck haben sollte, Bedürftige dazu anzuregen, mit bescheidenen Wohnmöglichkeiten das Auslangen zu finden, ist nicht erkennbar, aus welchem Grund es erforderlich sein sollte, in Verfolgung dieses Zwecks die Leistung bei Überschreiten der Kostengrenze überhaupt nicht zu gewähren. Denn weder wird eine Person zeitgleich mit Eintritt der Bedürftigkeit in der Lage sein, aus der von ihr bewohnten Unterkunft in eine "mindestsicherungsgerechte" Wohnung zu übersiedeln, noch ist erkennbar, dass etwa das Land oder die Gemeinden Wohnungen in entsprechender Größe und ebensolchen Kosten für derartige Zwecke in ausreichender Zahl bezugsfertig bereithalten würden.
Dieses "Alles oder Nichts-Prinzip" würde also dazu führen, dass keineswegs nur in Fällen "besonderer Härte" bedürftige Personen Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes nicht erhalten. Eine mindestsicherungsrechtliche Norm, die solcherart ihren Zweck verfehlt, wäre überschießend und mit dem Zweck der Mindestsicherung nicht mehr zu vereinbaren. Das Gesetz wäre in dieser Auslegung des §6 Abs1 TMSG unsachlich und daher verfassungswidrig: Ist nämlich in einem vom Gesetzgeber eingerichteten System der Sicherung zur Gewährung eines zu einem menschenwürdigen Leben erforderlichen Mindeststandards der Zweck, dem betroffenen Personenkreis das Existenzminimum zu gewähren, nicht mehr gewährleistet, dann verfehlt ein solches Sicherungssystem offensichtlich insoweit seine Aufgabenstellung.
Aus dem "sofern"-Satz in §6 Abs1 TMSG ist bei reiner Wortinterpretation zwingend nur der Schluss zu ziehen, dass es (erstens) zu einer "Übernahme" der Wohnkosten - und zwar zur Gänze - jedenfalls dann kommt, wenn ("sofern") die im Gesetz genannten Grenzen nicht überschritten sind, sowie ferner dass (zweitens) die Höhe der ortsüblichen Mietkosten für eine Wohnung in der angegebenen "Normgröße" pro Person zugleich die Höchstgrenze der Geldleistung aus dem Titel "Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes" sein soll. Was rechtens ist, wenn Wohnungsgröße und/oder Mietkosten diese Grenzen überschreiten, ist in §6 TMSG nicht ausdrücklich geregelt.
Der vom Verwaltungsgericht aus §6 Abs1 TMSG gezogene Gegenschluss, dass bei Überschreitung der gesetzlichen Obergrenzen überhaupt keine Leistung gebührt, ist auch bei Berücksichtigung des §14 Abs2 TMSG nicht zutreffend.
§14 Abs2 TMSG setzt schon nach seinem Wortlaut für die Gewährung einer Zusatzleistung nicht voraus, dass die Grundleistung nicht gebührt. Diese Zusatzleistung wird aber nur im Fall "besonderer Härtefälle" gewährt. Liegt ein solcher Härtefall nicht vor, so bleibt es auch in einem solchen Fall - im Gegenschluss aus §14 Abs2 TMSG - bei der geringeren Grundleistung.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Mindestsicherung, Auslegung eines GesetzesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E2185.2016Zuletzt aktualisiert am
21.03.2019