TE OGH 2018/1/23 4Ob3/18x

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Veröffentlicht am 23.01.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** H*****, vertreten durch Dr. Edgar Veith, Rechtsanwalt in Götzis, gegen die beklagte Partei Prim. Dr. T***** H*****, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Graziani-Weiss, Rechtsanwalt in Linz, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei V*****Betriebsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Rolf Philipp und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Feststellung (Streitwert 35.000 EUR), über den Revisionsrekurs der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 23. November 2017, GZ 3 R 144/17t-19, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 13. September 2017, GZ 11 Cg 26/17p-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts und das diesem vorangegangene Rekursverfahren werden als nichtig aufgehoben. Der Rekurs der klagenden Partei vom 5. Oktober 2017 und die Rekursbeantwortung der Nebenintervenientin vom 13. Oktober 2017 werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der Nebenintervenientin die mit 1.831,68 EUR (darin enthalten 305,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung sowie die mit 2.200,20 EUR (darin enthalten 366,70 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist eine schadenersatzrechtliche Feststellungsklage der Klägerin gegen den Beklagten als gerichtlichen Sachverständigen im Ausgangsverfahren zu 6 Cg ***** des Landesgerichts F*****.

Im genannten Ausgangsverfahren begehrte die Klägerin von der Nebenintervenientin als dort Beklagte Schadenersatz aus einer am 11. 2. 2009 im Landeskrankenhaus F***** durchgeführten Operation. Die Behandlung sei nicht lege artis erfolgt. Ihr sei am rechten Bein ein gesunder Nervenabschnitt herausgeschnitten worden. Dies sei auf das Fehlen einer Ultraschalluntersuchung bzw einer exakten Bildaufnahme zurückzuführen. Im Ausgangsverfahren wurde die auf Leistung und Feststellung gerichtete Schadenersatzklage rechtskräftig abgewiesen.

Am 8. 6. 2016 brachte die Klägerin beim Landesgericht F***** zu 4 Cg ***** eine Wiederaufnahmsklage ein. Eine am 19. 5. 2016 durchgeführte Sonographie habe ergeben, dass ein Neurom im Narbenbereich für ihre Beinschmerzen ursächlich sei. Dieses Neurom, das im Zusammenhang mit der Operation vom 11. 2. 2009 stehe, sei im wiederaufzunehmenden Ausgangsverfahren unentdeckt geblieben. Das Wiederaufnahmeverfahren befindet sich im Stadium des Aufhebungsverfahrens.

Im hier vorliegenden Verfahren gegen den gerichtlichen Sachverständigen wurde die Feststellungsklage am 10. 4. 2017 eingebracht. Der Beklagte habe als Sachverständiger im Ausgangsverfahren nur eine unvollständige Befundaufnahme durchgeführt und den Gutachtensauftrag nur unvollständig erledigt. Er hafte der Klägerin für die dadurch entstandenen Prozesskosten und alle weiteren Nachteile, die mit dem unvollständigen Gutachten im Zusammenhang stünden.

Der Beklagte entgegnete, dass er sein Gutachten entsprechend dem gerichtlichen Auftrag und der ihn treffenden Sorgfaltspflichten ordnungsgemäß erstattet habe. Gleichzeitig verkündete er in seiner Klagebeantwortung der Nebenintervenientin den Streit. Sollte sich herausstellen, dass von ihm vorwerfbar ein unrichtiges Gutachten erstattet worden sei, so sei seinerseits eine Haftung gegenüber der Klägerin und der Nebenintervenientin möglich. Mit Schriftsatz vom 16. 5. 2017 erklärte die Nebenintervenientin, dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beizutreten. Sollte sich im Verfahren ergeben, dass das Gutachten des Beklagten im Ausgangsverfahren ordnungsgemäß erstellt worden und inhaltlich richtig gewesen sei, so seien auch keine weiteren Ansprüche der Klägerin aus einem behaupteten Behandlungsfehler denkbar. Außerdem mache die Klägerin im vorliegenden Verfahren zumindest teilweise die gleichen Ansprüche geltend, die sie auch im Ausgangsverfahren gegenüber der Nebenintervenientin erhoben habe. Die Klägerin gehe demnach offenbar von einer solidarischen Haftung der Nebenintervenientin und des beklagten Sachverständigen aus. Darüber hinaus habe der Beklagte im Fall der Sachfälligkeit die Geltendmachung von Regressansprüchen gegenüber der Nebenintervenientin angekündigt. Schließlich sei die Nebenintervenientin aufgrund der Streitverkündung an allfällige nachteilige Feststellungen zur behaupteten Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens des Beklagten sowie einer Fehlbehandlung gebunden.

Die Klägerin sprach sich gegen die Zulassung der Nebenintervention aus und beantragte deren Zurückweisung.

Das Erstgericht wies – mit in der Verhandlung vom 13. 9. 2017 verkündetem und in der Folge schriftlich ausgefertigten Beschluss – den Antrag der Klägerin auf Zurückweisung der Nebenintervention ab und ließ den Beitritt der Nebenintervenientin auf Seiten des Beklagten zu. Das rechtliche Interesse der Nebenintervenientin am Obsiegen des Beklagten sei gegeben, weil sie im Falle des Prozessverlusts des Beklagten mit Folgen zu rechnen habe. Bei Feststellung der Unvollständigkeit und Mangelhaftigkeit des Gutachtens des Beklagten im Ausgangsverfahren könnten ihr Schadenersatzansprüche der Klägerin aufgrund fehlerhafter Behandlung drohen. Außerdem sei im Fall des Prozessverlusts des Beklagten denkbar, dass dieser Regressansprüche gegenüber der Nebenintervenientin geltend mache. Aufgrund der Streitverkündung sei die Nebenintervenientin an alle im Verfahren getroffenen Feststellungen gebunden. Gleichzeitig unterbrach das Erstgericht das vorliegende Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Wiederaufnahmeverfahrens zu 4 Cg ***** des Landesgerichts F*****. Dazu erklärten die Parteien und die Nebenintervenientin in der Verhandlung, mit einer Unterbrechung des Verfahrens einverstanden zu sein und der Unterbrechung nicht entgegenzutreten.

Das Rekursgericht gab dem – nur die Zulassung der Nebenintervention betreffenden und erst nach Rechtskraft des Unterbrechungsbeschlusses eingebrachten – Rekurs der Klägerin Folge und änderte den angefochtenen Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass der Beitritt der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Über die Nebenintervention könne trotz der Unterbrechung des Verfahrens entschieden werden, weil es sich dabei um ein von der Unterbrechungswirkung nicht betroffenes „Nebenverfahren“ handle. Die Voraussetzungen für die Nebenintervention seien nicht gegeben. Der Nebenintervenient habe sein Interesse am Obsiegen einer Verfahrenspartei nach § 18 Abs 1 ZPO bestimmt anzugeben. Aus den Behauptungen der Nebenintervenientin sei kein rechtliches Interesse ableitbar. Der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits berühre die Rechtssphäre der Nebenintervenientin nicht, weil die Vollständigkeit des vom Beklagten aufgenommenen Befunds nicht mit der Verneinung eines Behandlungsfehlers gleichgesetzt werden könne. Auch die angesprochene Bindungswirkung begründe kein rechtliches Interesse, weil keine Regressansprüche des Beklagten gegenüber der Nebenintervenientin plausibel seien. Unrichtig sei auch, dass die Klägerin idente Ansprüche geltend mache. Selbst wenn das Gutachten des Beklagten unvollständig gewesen sein sollte, sei dieses für die Folgen der behaupteten Fehlbehandlung nicht mitursächlich gewesen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der Zulässigkeit gerichtlicher Entscheidungen in „Nebenverfahren“ während einer Verfahrensunterbrechung höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Nebenintervenientin mit dem Antrag, den Rekurs der Klägerin zurückzuweisen, in eventu diesen abzuweisen.

Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Klägerin, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht gegen die Unterbrechungswirkung nach § 163 Abs 1 ZPO verstoßen hat. Dementsprechend ist der Revisionsrekurs auch berechtigt.

1. Der Unterbrechungsbeschluss wurde gemäß § 426 Abs 3 ZPO (spätestens) mit der Zustellung am 22. 9. 2017 den Parteien gegenüber wirksam. In der Verhandlung vom 13. 9. 2017 haben die Parteien sowie die Nebenintervenientin erklärt, der Verfahrensunterbrechung nicht entgegenzutreten. Davon abgesehen käme einem Rekurs gemäß § 524 Abs 1 ZPO keine aufschiebende Wirkung zu.

Zum Zeitpunkt der Erhebung des Rekurses der Klägerin am 5. 10. 2017 gegen den Beschluss auf Zulassung der Nebenintervenientin war das Verfahren somit bereits unterbrochen.

2.1 Nach Eintritt der Unterbrechungswirkung bleiben Verfahrenshandlungen einer Partei, die nicht bloß dem durch die Unterbrechung geschaffenen Zustand Rechnung tragen oder der Erwirkung einer Verfahrensfortsetzung nach Wegfall des Unterbrechungsgrundes dienen, dem Gericht und dem Prozessgegner gegenüber ohne rechtliche Wirkung (RIS-Justiz RS0036967; Höllwerth in Fasching/Konecny3 § 190 ZPO Rz 90). Über ein nach Eintritt der Unterbrechung eingebrachtes Rechtsmittel kann das Gericht daher nicht meritorisch entscheiden, solange das Verfahren nicht wiederaufgenommen ist. In einem solchen Fall sind die Rechtsmittelschriften zurückzuweisen. Eine inhaltliche Erledigung ist nur möglich, wenn das Rechtsmittel der Sicherung der Unterbrechungswirkung oder der Klärung der Frage dient, ob überhaupt eine Unterbrechung eingetreten ist (RIS-Justiz RS0037023; RS0037150; 4 Ob 109/07v; 5 Ob 249/07i). Eine bloße Zurückstellung der Akten ohne Zurückweisung des Rechtsmittels käme nur dann in Betracht, wenn die Unterbrechung erst nach der Einbringung des Rechtsmittels eingetreten wäre (RIS-Justiz RS0036752).

2.2 Nach Eintritt der Unterbrechung sind gleichermaßen auch Gerichtshandlungen, die nicht bloß dem durch die Unterbrechung des Verfahrens geschaffenen Zustand Rechnung tragen, während des Stillstands des Verfahrens unzulässig. Insbesondere dürfen auch keine Entscheidungen mehr ergehen, die nicht schon vor der Unterbrechung in einer für das Gericht bindenden Art gefällt wurden oder sonst dem § 163 Abs 3 ZPO unterstellt werden können (RIS-Justiz RS0036996).

3.1 Die Ansicht des Rekursgerichts, dass das Verfahren über die Zulassung einer Nebenintervention ein „Nebenverfahren“ sei, über das trotz Unterbrechungswirkung entschieden werden könne, erweist sich als unzutreffend.

Als derartige Nebenverfahren werden in der Rechtsprechung nur Verfahren angesehen, in denen über Gebühren- und Kostenansprüche Dritter erkannt wird. So ist es etwa anerkannt, dass die Sachverständigengebühren oder die Kosten eines Kurators auch während der Unterbrechung bestimmt oder Gebührenbestimmungsbeschlüsse gemäß § 2 Abs 2 GebAG getroffen werden können (siehe dazu Fink in Fasching/Konecny3 § 163 ZPO Rz 10; Gitschthaler in Rechberger4 § 163 ZPO Rz 6). Der Grund für diese Ausnahme besteht darin, dass die genannten Dritten von der Unterbrechungswirkung nicht erfasst sind und auch keine Möglichkeit haben, auf die Fortsetzung des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Zudem wird es in der Rechtsprechung auch als zulässig angesehen, dass trotz Verfahrensstillstands zugunsten einer mittellosen Partei Entscheidungen über bereits vor der Unterbrechung gestellte Verfahrenshilfeanträge getroffen werden können (vgl Fink in Fasching/Konecny3 § 163 ZPO Rz 10).

Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier allerdings nicht vor. Dass die Frage der Nebenintervention von der Unterbrechungswirkung erfasst ist, ergibt sich schon daraus, dass der Nebenintervenient nach § 19 Abs 1 ZPO den Rechtsstreit in jener Lage annehmen muss, in der er sich zur Zeit des Beitritts gerade befindet (3 Ob 45/11f). Dementsprechend entspricht es der ständigen Rechtsprechung und herrschenden Lehre, dass ein Beitritt als Nebenintervenient während der Unterbrechung des Verfahrens ausgeschlossen ist (RIS-Justiz RS0094160; 6 Ob 183/14a).

3.2 Die Klägerin meint in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dass die hier erfolgte Beschlussfassung über die Nebenintervention während der Verfahrensunterbrechung der Intention des § 190 Abs 2 ZPO entspreche. Auch ein derartiger Fall liegt hier allerdings nicht vor. § 190 Abs 2 ZPO sieht die Möglichkeit der Verfahrensunterbrechung wegen eines Streits über die Zulässigkeit einer Nebenintervention vor (vgl dazu Höllwerth in Fasching/Konecny³ § 190 ZPO Rz 80). Hier wurde das Verfahren vom Erstgericht nicht wegen des Streits über die Nebenintervention, sondern wegen Präjudizialität des Wiederaufnahmeverfahrens unterbrochen.

4. Das Rekursgericht hat daher über den Rekurs der Klägerin gegen die Zulassung der Nebenintervenientin unzulässigerweise entschieden. Bei ordnungsgemäßer Vorgangsweise hätte es das Rechtsmittel der Klägerin zurückweisen müssen.

5. Eine trotz eingetretener Unterbrechungs-
wirkung (und damit unzulässigerweise) gefällte Entscheidung ist nach herrschender Auffassung nicht wirkungslos, sondern anfechtbar (5 Ob 249/07i). Die Missachtung der Unterbrechungswirkung wird in § 477 Abs 1 ZPO nicht ausdrücklich als Nichtigkeitsgrund genannt. Daher ist zu prüfen, welcher Mangel vorliegt (4 Ob 229/07s; Fink in Fasching/Konecny³ § 163 ZPO Rz 8 und 24; Gitschthaler in Rechberger4 § 163 ZPO Rz 9).

Die Rechtsprechung nimmt bei einer Missachtung der Unterbrechungswirkung regelmäßig Nichtigkeit an (vgl RIS-Justiz RS0037010; vgl auch RS0064476), und zwar vor allem nach § 477 Abs 1 Z 4 und 5 ZPO (1 Ob 199/06f; 8 Ob 14/07b), aber auch nach Z 6 leg cit (7 Ob 264/06h). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Nichtigkeitsgründe in § 477 ZPO nicht taxativ aufgezählt sind (Kodek in Rechberger4 § 477 ZPO Rz 1).

Wird eine Entscheidung trotz eines gesetzlich angeordneten Verfahrensstillstands gefällt, wird damit eine nicht bestehende Entscheidungskompetenz über die Streitsache in Anspruch genommen; dies ist einem Verstoß gegen § 477 Abs 1 Z 6 ZPO gleichwertig. Die Missachtung der Unterbrechungswirkung bewirkt daher auch im Anlassfall eine Nichtigkeit, was zur Aufhebung der davon betroffenen Entscheidung des Rekursgerichts und zur Zurückweisung der Rechtsmittelschriften führt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 51 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat das Rekursverfahren trotz Verfahrensunterbrechung eingeleitet, was ihr als Verschulden zuzurechnen ist.

Textnummer

E120551

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00003.18X.0123.000

Im RIS seit

07.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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