TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/25 W263 2124112-1

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Veröffentlicht am 25.01.2018
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Entscheidungsdatum

25.01.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W263 2124112-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Christina KERSCHBAUMER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.03.2016, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.11.2017, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 25.01.2019 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Beschwerdeführer XXXX, geboren am XXXX (BF1, W263 2124109-1), seine Ehegattin XXXX, geboren am XXXX (BF2, W263 2124104-1), ihr gemeinsamer Sohn XXXX, geboren am XXXX (BF3, W263 2124113-1), dessen Ehegattin XXXX, geboren am XXXX (BF4, W263 2124097-1) und deren gemeinsamer Sohn XXXX, geboren am XXXX (BF5 W263 2124112-1) sind afghanische Staatsangehörige, bekennen sich zur Volksgruppe der Punjabi und sind der Religionsgemeinschaft der Sikhs zugehörig. Sie reisten gemeinsam in Österreich ein und stellten am 09.02.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG 2005).

Zwischen dem BF1 und der BF2 und zwischen dem BF3 und der BF4 liegt ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 vor. Kein Familienverfahren liegt bezüglich des volljährigen BF5 mit den anderen BF vor. Die mündliche Verhandlung aller fünf Verfahren wurde jedoch vor dem Bundesverwaltungsgericht aus Zweckmäßigkeitsgründen miteinander verbunden und gemeinsam geführt. Es ergehen Erkenntnisse mit gleichlautender Begründung, in der auf die Sach- und Rechtslage aller BF eingegangen wird.

I. Verfahrensgang:

1. Mit den BF wurde am 09.02.2015 eine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes u.a. im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi durchgeführt.

Der BF1 gab zusammengefasst an, dass er am XXXX in XXXX, Parwan, Afghanistan geboren worden sei. Er sei Angehöriger der Grower und Sikh, traditionell verheiratet und habe zwei volljährige Söhne. Einer davon sei mit ihm eingereist (BF3), der andere lebe in XXXX. Er habe gute Sprachkenntnisse in Punjabi in Wort und Schrift und gute Sprachkenntnisse in Dari. In Afghanistan habe er im Stadtviertel XXXX in XXXX gelebt. Er sei bis vor 25 Jahren als Textilhändler tätig gewesen. Die finanzielle Situation seiner Familie in Afghanistan sei "mittel" gewesen. Am XXXX habe er Afghanistan mit seiner Familie mit einem PKW verlassen.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab er an, als Sikhs seien sie von den Muslimen verfolgt worden. Ihre Rechte in Afghanistan seien eingeschränkt. Sie seien immer wieder auf der Straße schikaniert worden. Er sei einmal auf der Straße geohrfeigt worden. Als Sikhs seien sie in Afghanistan unerwünscht. Sie seien immer wieder aufgefordert worden zu konvertieren. Die Ärzte würden sie nicht mehr behandeln, weil sie Sikhs seien. Falls sie nicht konvertieren würden, würden die Muslime sie töten.

Die BF2 gab zusammengefasst an, dass sie am XXXX in Afghanistan geboren worden sei. Sie habe gute Sprachkenntnisse in Punjabi und Dari, jedoch nicht in Wort und Schrift. Sie habe keine Ausbildung und sei Analphabetin. Sie sei Angehörige der Volksgruppe der Grower, Sikh. Sie habe keine Familienangehörigen mehr in Afghanistan. Sie sei zuckerkrank. In Afghanistan habe sie Tabletten genommen. Jetzt habe sie keine Tabletten mehr. Außerdem habe sie Wasser im Körper und Probleme mit der Wirbelsäule. Sie sei Hausfrau. Die finanzielle Situation ihrer Familie in Afghanistan sei "mittel" gewesen.

Befragt zu ihren Fluchtgründen gab sie an, als Sikhs seien sie von den Muslimen immer schikaniert worden. Als Sikhs seien sie in Afghanistan unerwünscht. Sie seien immer wieder aufgefordert worden, zum Islam zu konvertieren. Falls sie nicht konvertieren würden, würden die Muslime sie töten.

Der BF3 gab zusammengefasst an, dass er Angehöriger der Volksgruppe der Grower, Sikh, sei, traditionell verheiratet sei und einen volljährigen Sohn (BF5) habe, der mit ihm eingereist sei. Ein Bruder des BF3 lebe in XXXX. Er habe gute Sprachkenntnisse in Punjabi und Dari in Wort und Schrift. Er habe von XXXX bis XXXX die Grundschule in XXXX besucht. In XXXX lebe noch seine volljährige Tochter XXXX. Er habe dort als Schneider gearbeitet; von zu Hause aus habe er die Aufträge erledigt. Sein Sohn habe ihm auch geholfen. Die finanzielle Situation der Familie sei – wie auch die seine – gut gewesen.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab er an, als Sikhs seien ihre Rechte in Afghanistan eingeschränkt. Sie seien immer wieder auf der Straße schikaniert worden. Sein Sohn, er selbst und sein Vater seien auf der Straße geschlagen worden. Die Muslime würden behaupten, dass sie Hindus seien. Als Hindus seien sie in Afghanistan unerwünscht. Sie hätten sich nach Indien begeben sollen. Seine Frau (BF4) habe den Sikh Tempel nicht besuchen dürfen. Hin und wieder habe sie den Tempel doch besucht, aber sie habe Angst um ihr Leben gehabt. Seine Eltern (BF1 und BF2) seien krank. Sie würden keine ärztliche Betreuung erhalten.

Die BF4 gab zusammengefasst an, dass sie am XXXX in XXXX, Afghanistan geboren worden sei. Sie sei Angehörige der Volksgruppe der Grower, Sikh, traditionell verheiratet und habe einen volljährigen Sohn (BF5), der mit ihr nach Österreich eingereist sei. Sie habe gute Sprachkenntnisse in Punjabi in Wort und Schrift und gute Sprachkenntnisse in Dari, jedoch nicht in Wort und Schrift. Sie sei Hausfrau. In Afghanistan würden noch ihre Mutter, ihr Bruder und ihre Schwester sowie ihre volljährige Tochter XXXX leben. Die finanzielle Situation der Familie sei gut gewesen.

Befragt zu ihren Fluchtgründen gab sie an, als Sikhs seien ihre Rechte in Afghanistan eingeschränkt gewesen. Sie habe ständig Angst um ihr Leben gehabt. Sie seien immer wieder auf der Straße schikaniert und ihre Würde verletzt worden. Als Sikhs seien sie in Afghanistan unerwünscht.

Der BF5 gab zusammengefasst an, dass er am XXXX in XXXX, Afghanistan geboren worden sei. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Grower, Sikh und ledig. Er habe gute Sprachkenntnisse in Punjabi in Wort und Schrift. Er habe keine Ausbildung. In Kabul lebe noch seine Schwester XXXX. Er habe dort als Schneidergehilfe für seinen Vater gearbeitet. Die finanzielle Situation der Familie sei gut gewesen.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab er zusammengefasst an, als Sikhs seien ihre Rechte in Afghanistan eingeschränkt gewesen. Er sei immer wieder auf der Straße schikaniert worden. Ein paar Mal sei er auf der Straße geschlagen worden. Als Sikh habe er keine Schule besuchen dürfen. Als Sikh werde man in keiner Schule aufgenommen. Die Muslime hätten sie aufgefordert, zu konvertieren. Als Hindus seien sie in Afghanistan unerwünscht. Sie hätten sich nach Indien begeben sollen.

3. Im weiteren Verfahrensverlauf wurden die beschwerdeführenden Parteien niederschriftlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) u.a. im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi einvernommen (BF1 und BF2 am 29.01.2016, BF3 und BF4 am 10.02.2016, BF5 am 09.02.2016).

Der BF1 gab zusammengefasst an, dass er der Volksgruppe der Punjabi und der Religionsgemeinschaft der Sikh angehöre. Er habe nie die Schule besucht und könne ein wenig Punjabi lesen und schreiben. In Afghanistan habe er ein Textilgeschäft gehabt, welches er vor 25 Jahren verkauft habe.

Er habe Fußschmerzen, sonst sei er gesund. Vor 10 Monaten sei er zum Arzt gegangen. Seither sei er nicht mehr beim Arzt gewesen. Er höre schlecht und trage ein Hörgerät, welches er schon in Afghanistan gekauft habe.

Er habe in der Stadt XXXX im Stadtteil XXXX gewohnt. Die Ausreise seiner Familie habe er durch den Verkauf eines Grundstücks finanziert. Er habe viel Geld gehabt, es sei ihnen sehr gut gegangen. Es würden keine Angehörigen mehr in Kabul wohnen, es seien alle ausgereist.

Befragt nach seinen Flucht- und Asylgründen gab der BF1 zusammengefasst an, dass die Taliban und die muslimischen Bürger ihm Schwierigkeiten gemacht hätten. Sie hätten ihm vor 17 Jahren den Turban abgenommen, ihn an den Haaren gezogen und den Turban auf den Boden geworfen und mit Füßen darauf getreten. Vor 40 Jahren hätten sie ihm ins Gesicht geschlagen, er habe deshalb einen Zahn verloren.

Wenn er auf die Straße gegangen sei, dann hätten die Muslime ihn beschimpft und auch bespuckt. Sie hätten ihn aufgefordert zu konvertieren. Er habe auch eine Bedrohung erhalten. Die Aufforderung, dass er Muslim werde, sei vor 25 Jahren ergangen. Er sei zweimal bedroht worden. Danach habe er keine Probleme mehr gehabt.

Er habe immer in Angst gelebt. Den Turban habe er wie die Muslime getragen. Seine Frau (BF2) sei auf den Straßen von XXXX immer verschleiert gegangen. Sie hätten sich nicht wie Sikhs kleiden können. Er sei alle zwei Monate einmal in der Früh in den Sikh-Tempel gegangen. In der Früh sei es sicherer gewesen. Vor seiner Ausreise sei er selten auf die Straße gegangen. Die letzten ein, zwei Jahre habe er dadurch keine Probleme gehabt. Im Falle einer Rückkehr würden die Muslime ihn schikanieren.

Die BF2 gab zusammengefasst an, dass sie in Afghanistan Hausfrau gewesen sei. Befragt nach ihren Flucht- und Asylgründen gab die BF2 an: Es sei sehr schwer in Afghanistan. Man werde beschimpft und bespuckt und aufgefordert Moslem zu werden. Den Sikh gehe es sehr schlecht. Die allgemeine Lage sei sehr schlecht. Befragt ob Sie persönlich Probleme gehabt habe, gab die BF2 an: Vor ca. 20 Jahren seien Männer mit Gewehren und Messern in ihr Haus eingedrungen, hätten sie bedroht und Geld verlangt. Sie hätten gesagt, dass sie nichts hätten. Die Männer hätten nachgesehen und seien dann gegangen.

Persönlich hätte sie in den letzten Jahren vor ihrer Ausreise keine Probleme gehabt. Sie sei die meiste Zeit zu Hause gewesen. Wenn etwas zu erledigen gewesen sei, dann habe das ihr Mann gemacht. Sie habe immer Angst um ihn gehabt.

Sie sei schon immer krank gewesen. Vor 25 Jahren sei sie zuletzt in einem Sikh Tempel gewesen. Sie sei sehr alt und krank und könne nicht mehr nach Afghanistan zurück. In Österreich lebe sie von staatlicher Unterstützung. Sie habe Magenprobleme, sei zuckerkrank und bekomme Tabletten. Sie sei am Auge operiert worden. Die BF2 brachte dazu medizinische Unterlagen in Vorlage, aus welchen sich u. a. die Diagnose: Diabetes mellitus Typ 2 – nicht insulinpflichtig ergibt. Sie sei eine alte Frau und könne nicht mehr Deutsch lernen und sei kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation.

Der BF3 gab zusammengefasst an, dass er der Volksgruppe der Punjabi und der Religionsgemeinschaft der Sikh angehöre. Er habe zwei oder drei Jahre in XXXX die Schule besucht, sei damals aber zusammengefasst diskriminiert worden.

In Afghanistan habe sein Vater (BF1) und er ein Stoffgeschäft gehabt. Seit seinem 15. Lebensjahr habe er dort gearbeitet. Vor 25 Jahren hätten sie das Geschäft verkauft. Er habe dann zuhause als Schneider gearbeitet. Es sei ihnen wirtschaftlich sehr gut gegangen. Er habe im Stadtteil XXXX in der Stadt XXXX zusammen mit seinen Eltern, seiner Frau, seinem Sohn und bis zwei Jahre vor der Ausreise mit seiner Tochter gewohnt. Seine Tochter und sein Schwiegersohn würden noch in XXXX leben. Sein Bruder lebe mit seiner Familie in XXXX. Weiter gab der BF3 an, die Familie habe alle Besitztümer in Afghanistan verkauft.

Befragt nach seinen Flucht- und Asylgründen gab der BF3 an, er habe Probleme wegen seiner Religionszugehörigkeit als Sikh gehabt. Immer wenn er unterwegs war, habe es Schwierigkeiten gegeben. Sie hätten ihre Toten nicht verbrennen dürfen. Wenn sie ihre Leichen verbannt hätten, seien sie von den Muslimen mit Steinen beworfen worden. Sie hätten die Leichen dann heimlich in einer Schule hinter dem Tempel verbrannt. Sie seien auch von den Muslimen geschlagen worden und sei auch Geld von ihnen verlangt worden. Ein schwerwiegender Vorfall habe sich vor sechs Jahren ereignet. Er sei mit seinem Sohn Stoffe einkaufen gewesen. Zwei Männer seien auf sie zugekommen und hätten ihre Taschen durchsucht. Sie hätten ihnen Geld abgenommen und ihnen gesagt, dass sie in Afghanistan nicht erwünscht seien. Sie hätten konvertieren oder USD 200.000 zahlen sollen. Dann seien die Männer gegangen. Ein Jahr später hätten sie diese Männer wieder auf der Straße getroffen, als sie auf dem Weg zum Tempel gewesen seien. Sie seien geschlagen worden und wieder aufgefordert worden Geld zu zahlen. Sie sollten konvertieren oder das Land verlassen. Die Männer hätten sie danach nicht mehr getroffen. Der BF3 habe aus der Nase geblutet und sei auf den Bauch geschlagen worden, aber habe keine schwere Verletzung erlitten.

Zwei Jahre vor der Ausreise sei er wieder mit seinem Sohn auf der Straße von drei Männern durchsucht und geschlagen worden. Die Männer hätten gesagt, dass sie hier nicht erwünscht seien, weil sie keine Muslime wären. Größere Verletzungen hätten sie aber nicht erlitten. Er hätte Schmerzen bei den Rippen gehabt. Die Männer hätten ihm auch den Turban vom Kopf gerissen und zu Boden geworfen. Er sei auch an den Haaren gezogen worden. Dann seien sie wieder gegangen.

Das sei der letzte Vorfall gewesen. Danach sei der BF3 mit dem Taxi unterwegs gewesen. Es habe dann keine Probleme mehr gegeben.

Die BF4 gab zusammengefasst an, dass sie Sikh sei und der Volksgruppe der Punjabi angehöre. Sie habe keine Schule besucht und sei immer Hausfrau gewesen. In Afghanistan habe sie in XXXX zusammen mit ihrem Ehemann (BF3), ihrem Sohn (BF5) und ihren Schwiegereltern (BF1 und BF2) gewohnt. Auch ihre Tochter habe bei ihnen gewohnt. Jetzt sei sie in XXXX verheiratet und lebe dort. Für die Finanzierung der Ausreise habe ihr Schwiegervater ein Grundstück verkauft. Befragt, ob sie oder ihre Verwandten wohlhabend seien, brachte die BF4 vor, es sei gut gewesen, es sei ok gewesen. Die Familie habe alle Besitztümer im Heimatland verkauft. Ihre Tochter lebe noch im Herkunftsland. Ihre Mutter, ihre Schwester und ihr Bruder hätten bis zur Ausreise in XXXX gelebt. Sie habe keinen Kontakt mehr zu ihnen.

Befragt nach ihren Flucht- und Asylgründen gab die BF4 an, dass sie Angst gehabt hätten, weil sie den Sikh angehören. Sie hätten Angst um ihr Leben gehabt. Es sei kein Leben dort. Sie hätten nicht außer Haus gehen können. Ihr Mann (BF3) und ihre Kinder seien auf der Straße beschimpft worden. Ihr Mann und ihr Sohn (BF5) seien auf der Straße auch geschlagen worden. Jedes Mal, wenn sie auf die Straße gegangen seien, sei etwas passiert. Die BF4 sei Hausfrau und fast immer nur zu Hause gewesen. Wenn sie einmal auf die Straße gegangen sei, dann vollverschleiert. Weil sie so wenig auf die Straße gegangen sei, habe sie auch keine Probleme gehabt. Sie habe immer die kranke Schwiegermutter (BF2) und den Schwiegervater (BF1) gepflegt. Die Einkäufe habe ihr Mann (BF3) erledigt.

Vor ca. 25 Jahren seien Männer auf ihr Haus gestiegen; Nachbarn hätten es gesehen und sie vertrieben. Vor ca. 20 Jahren seien vier oder fünf Männer mit Gewehren ins Haus gestürmt und hätten Geld gefordert. Sie hätten aber nichts gefunden und seien wieder gegangen.

Derzeit pflege sie die Schwiegereltern. Sie wolle Deutsch lernen. Sie sei kein Mitglied in einem Verein oder Organisation.

Der BF5 gab zusammengefasst an, dass er Sikh sei und der Volksgruppe der Punjabi angehöre. Er habe nie die Schule besucht. Er sei ledig und habe keine Kinder. Er sei Schneider gewesen. Er habe seinem Vater zuhause geholfen. Die letzten fünf Jahre vor seiner Ausreise habe er als Schneider gearbeitet. Er sei gesund und nehme keine Medikamente. Er habe im Stadtteil XXXX in der Stadt XXXX zusammen mit seinen Eltern und Großeltern gelebt. Befragt ob er, bzw. seine Verwandten wohlhabend seien, gab der BF5 an, ja, wirtschaftlich hätten sie keine Probleme gehabt. Nun habe die Familie nichts mehr in Afghanistan. Seine Schwester XXXX sei verheiratet lebe in XXXX.

Befragt nach seinen Flucht- und Asylgründen gab der BF5 zusammengefasst an, in Afghanistan gäbe es Rassismus. Als Sikh sei er dort beschimpft worden. Er sei aufgefordert worden zu konvertieren. Einmal sei er ins Gesicht geschlagen worden und ein anderes Mal sei ihm ein Bein gestellt worden und er sei hingefallen. Er habe aus der Nase geblutet. Als Sikh habe er nicht in die Schule gehen dürfen. Die Toten könne man nicht verbrennen. Wenn man dies tue, werde man geschlagen. Es gäbe eine Sikh Tempel in XXXX, dort hätten sie die Toten heimlich verbrannt.

Er sei immer wieder zur Konversion aufgefordert worden. Im Alter von fünfzehn Jahren sei er mit seinem Vater auf der Straße unterwegs gewesen. Zwei Männer hätten sie geschlagen und die Männer hätten USD 200.000 verlangt. Die Männer hätten gesagt, sie sollten Konvertieren oder das Land verlassen. Ein Jahr später hätten diese Männer sie wieder geschlagen und es seien wieder USD 200.000 verlangt worden. Danach hätten sie die Männer nicht mehr gesehen. Die Sikhs würden nur selten auf die Straße gehen, weil immer solche Sachen passieren würden.

Der letzte Vorfall habe sich ein Jahr vor der Ausreise mit drei unbekannten Männern auf der Straße ereignet. Sein Vater und er seien von diesen in die Bauchgegend geschlagen worden. Die Männer hätten sie beschimpft und zur Konversion aufgefordert. Alle Sikhs seien davon betroffen.

4. Das BFA wies die Anträge der BF auf internationalen Schutz mit den Bescheiden vom 14.03.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des/der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des/der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).

5. Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 15.03.2016 wurde den BF die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

6. Gegen die oben genannten Bescheide wurde rechtzeitig Beschwerde erhoben, die Vollmacht, medizinische Unterlagen sowie Integrationsunterlagen vorgelegt und eine mündliche Verhandlung beantragt.

7. Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom BFA dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 31.03.2016 vorgelegt. Das BFA gab darin bekannt, auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung zu verzichten.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.11.2017 in Anwesenheit aller BF, ihrer Rechtsvertreterin sowie eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den BF:

1.1.1 Zur Person der BF:

Die BF führen die Namen XXXX, geb. am XXXX (BF1), seine Ehefrau XXXX, geb. am XXXX (BF2), ihr gemeinsamer Sohn XXXX, geb. am XXXX (BF3), dessen Ehefrau XXXX, geb. am XXXX (BF4) und deren gemeinsamer Sohn XXXX, geb. am XXXX (BF5), sind afghanische Staatsangehörige und bekennen sich zur Volksgruppe der Punjabi und sind der Religionsgemeinschaft der Sikhs zugehörig.

Sie reisten gemeinsam in Österreich ein und stellten am 09.02.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG, welche sie im Wesentlichen mit ihrer Zugehörigkeit zu den Sikhs begründeten.

Die Muttersprache der BF ist Punjabi. Der BF1 beherrscht Punjabi und Dari in Wort und Schrift und spricht auch Pashto. Die BF2 spricht auch Dari. Der BF3 beherrscht Punjabi und Dari in Wort und Schrift. Die BF4 kann Punjabi auch lesen. Der BF5 beherrscht Punjabi in Wort und Schrift.

Die BF sind nach eigenen Angaben in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Sie waren nicht politisch aktiv und hatten auch sonst keine über das Antragsvorbringen hinausgehenden Probleme in ihrem Herkunftsstaat.

Der BF1 stammt ursprünglich aus der Provinz Parwan, lebte aber ab seiner späten Kindheit in der Stadt XXXX; auch die BF2 lebte ab ihrer Kindheit in XXXX. Der BF1 und die BF2 sind verheiratet; der BF3 ist der gemeinsame Sohn des BF1 und der BF2. Der BF3 wurde in XXXX geboren. Dort besuchte er auch mehrere Jahre lang die Grundschule. Ein weiterer Sohn des BF1 und der BF2 lebt in XXXX.

Der BF1 handelte früher mit Textilien bzw. betrieb in XXXX ein Textilgeschäft, welches er vor 20 - 25 Jahren verkaufte. Der BF3 war nach dem Verkauf bis zur Ausreise der Familie zu Hause als Schneider tätig. Der BF 5 besuchte keine Schule. Er half dem BF3 die letzten fünf Jahre vor der Ausreise als Schneidergehilfe bzw. als Schneider. Die BF wohnten im gemeinsamen Haushalt im Stadtteil XXXX in XXXX unter gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen. Die Ausreise der BF wurde dadurch finanziert, dass der BF1 ein Grundstück verkaufte. Nicht festgestellt werden konnte, dass die BF noch Besitztümer wie Häuser oder Grundstücke in Afghanistan haben.

In Österreich leben die BF derzeit gemeinsam in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im Ort XXXX. Alle BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Beim BF1 handelt es sich um einen ungefähr 80-jährigen Mann in altersbedingt reduziertem Allgemeinzustand. Der BF1 ist schwerhörig und sieht schlecht. Er hat das erwerbsfähige Alter weit überschritten.

Die BF2 besuchte keine Schule, ist Analphabetin und war nie berufstätig. In XXXX kümmerte sie sich um den Haushalt. Die BF2 verbrachte die letzten Jahre vor ihrer Ausreise die meiste Zeit zu Hause. Sie besuchte – etwa im Gegensatz zum BF1 – auch den Sikh-Tempel schon seit Jahren nicht mehr. Um Erledigungen außer Haus kümmerte sich der BF1.

Die BF2 hat das erwerbsfähige Alter ebenfalls weit überschritten. Alters- bzw. gesundheitsbedingt ist die BF2 nicht mehr selbstständig mobil und kann das Haus daher auch nicht mehr alleine – etwa für Behörden- oder Arzttermine – verlassen. Die BF2 steht in ärztlicher Behandlung. Neben internistischen Erkrankungen und psychischen Erkrankungen leidet die BF2 an einer degenerativen Wirbelsäulenerkrankung. Die BF2 ist nahezu vollständig bettlägerig.

Die BF4 pflegt die BF2. Die BF4 bereitet die Mahlzeiten für die BF2 vor und serviert sie ihr. Die BF4 hilft der BF2 bei der Körperpflege, legt ihr frische Kleidung hin und hilft ihr beim Anziehen. Die BF4 unterstützt die BF2 sich in der Wohnung etwas zu bewegen und versucht sie an die frische Luft zu bringen. Ansonsten bleibt die BF2 im Bett. Zu Arztterminen begleitet der BF5 die BF2.

Die BF2 besucht in Österreich keine Kurse und ist kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation. Sie lernt kein Deutsch.

Zur mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde die BF2 von den anderen BF im Rollstuhl geschoben. Es war ihr mit Hilfe der BF4 möglich sehr langsam wenige Schritte zu gehen. Die BF2 war nach der Tradition der Sikh gekleidet. Sie trug eine traditionelle Bekleidung namens "Shalwar Qameez", darüber eine lange weiße Strickjacke sowie über den Kopf einen transparenten, beigen "Dupatta". Dieser Kleidungsstil verstößt jedenfalls nicht in einer solchen Form gegen die sozialen Normen in Afghanistan und konkret in XXXX, dass er bereits eine (asylrelevante) Verfolgung auslösen würde. Eine vorübergehende intensivere Verhüllung wäre der BF2 im Übrigen auch zumutbar.

Die BF 4 besuchte keine Schule; sie kann Punjabi aber auch lesen. In XXXX hielt sich die BF4 fast ausschließlich zu Hause auf, führte den Haushalt, pflegte die BF2 und half dem BF1. Auf die Straße ging sie nur selten und wenn, dann nur vollverschleiert. In Österreich führt die BF4 zwar unverändert den Haushalt, pflegt die BF2 und hilft dem BF1. Jedoch kleidet sie sich mittlerweile nach "westlicher Mode" und verlässt das Haus auch ohne männliche Begleitung, z.B., wenn sie spazieren oder (selten) auch alleine einkaufen geht. Sie pflegt in XXXX Freundschaften zu anderen Frauen, mit denen sie auch Feste im Ort – etwa Musik- oder Kinderfeste – ohne Begleitung ihres Mannes oder ihres Sohnes besucht. Die BF4 besucht Kurse (auch Deutschkurse) und spricht auch schon etwas Deutsch. Die BF4 hat einen Überblick über die finanzielle Situation ihrer Familie und gestaltet ihre Zeit – soweit es ihre neben der Pflege der BF2 möglich ist – und ihre sozialen Kontakte nach ihrem Willen.

Der BF5 ist ledig und hat keine Kinder. Er ist gesund und befindet sich im erwerbsfähigen Alter.

1.1.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret einer der BF aufgrund seiner bzw. ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Punjabi und Religionsgemeinschaft der Sikhs bzw. Hindus – konkret auch in der Stadt XXXX – einer gegen seine bzw. ihre Person gerichtete psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt ist bzw. eine solche im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte. Damit im Zusammenhang stehend, kann ebenso wenig festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Punjabi oder Sikh bzw. Hindu in Afghanistan und konkret in der Stadt XXXX physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Es konnte – maßgeblich vor dem Hintergrund ihrer nahezu vollständigen Bettlägerigkeit und der damit zwangsläufig einhergehenden Unselbständigkeit – nicht festgestellt werden, dass die BF2 während ihres Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten bzw. sozialen Normen in Afghanistan und konkret auch in XXXX darstellen würde und diese verinnerlicht hat.

Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass der BF1, die BF2, der BF3 oder der BF5 im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner bzw. ihren politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Die BF4 ist mittlerweile eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein auch als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild entspricht. Die BF4 lebt nicht mehr nach der konservativ-afghanischen Tradition. Die BF4 will weiterhin so leben, wie sie hier in Österreich lebt. Sie will die Freiheiten, die sie in Österreich genießt, nicht mehr aufgeben. Die BF4 lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für sie als Frau in Afghanistan ab und möchte auf keinen Fall erneut nach der konservativ-afghanischen Tradition leben. Sie würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden.

Der BF3 ist – wie oben dargelegt – der Ehemann der BF4, welcher mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag, Zl. W263 2124097-1, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde.

1.1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF1, der BF2 und des BF5 in den Herkunftsstaat:

Dem BF1, der BF2 und dem BF5 würde bei einer Rückkehr nach XXXX in Afghanistan ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit drohen. Dem BF1, der BF2 und dem BF5 steht keine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative zur Verfügung.

1.2. Zum Herkunftsstaat der BF, der Islamischen Republik Afghanistan:

1.2.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 idF vom 25.09.2017:

1.2.1.1. KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan – Q3.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab – auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert – eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs – improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen – nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1. - 31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o. D.).

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer – speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragte für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.- 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound – auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul – dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll – in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army – ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police – ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen: Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban – im Gegensatz zum Jahr 2016 – keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt – nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL- KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP- Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

1.2.1.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al- Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen – ausgeführt durch die Polizei und das Militär – landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. –einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

1.2.1.3. Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016).

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Im Zeitraum 1.9.2015. - 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

1.2.1.4. Erreichbarkeit

Im Jahr 2001 existierten in Afghanistan weniger als 80 km (50 Meilen) asphaltierter Straßen (TCSM 2.2.2015). Trotz Herausforderungen und Problemen wurden inzwischen mehr als 24.000 km Straße im Land asphaltiert. Zu den asphaltierten Straßen zählen

3.600 km regionaler Autobahnen, die "Ring Road", Provinzstraßen und nationale Autobahnen (Pajhwok 4.3.2016). Schätzungen zufolge, wurden im Ballungsraum Kabul alleine 925 km Straßen asphaltiert, mit der Aussicht auf zusätzliche Erweiterungen (TCSM 2.2.2015).

Ring Road

Straßen wie der "Highway 1" auch bekannt als "Ring Road", die den Kern des Landes umkreist, sind nun asphaltiert und machen das Land für Reisen und die Wirtschaft zugänglicher (Huffington Post 9.10.2015). Die afghanische Ring Road verbindet Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (USAID 2014; vgl. auch: The Guardian 22.10.2014). Sie verbindet aber auch 16 der 34 Provinzen Afghanistans miteinander. Die Gesamtlänge des Highway One ist 3.360 km (PRI 18.10.2013). Rund 14 Millionen Menschen leben um diesen Highway One (The Guardian 22.10.2014).

Autobahnabschnitt Kabul – Kandahar

Highway One liegt im Süden von Kabul und ist die Hauptverbindung zwischen der Hauptstadt und der großen südlichen Stadt Kandahar (Reuters 13.10.2015; vgl. auch: Al- Jazeera 14.10.2015). Der Kandahar – Kabul Teil der afghanischen Ring Road zieht sich vom östlichen und südöstlichen Teil Kandahars über die Provinz Zabul nach Ghazni (ISW o.D.). Dieser Teil der Autobahn ist praktisch flach, mit einigen Abschnitten im Hochland in der Nähe von Ghazni (Global Security o.D.a.) Ein Fahrer der Kabul-Kandahar Strecke, aber auch Passagiere, gaben an, dass die Straße von Kandahar bis in die Gegend von Jaldalak in Zabul in gutem Zustand ist (Pajhwok 18.3.2015).

Autobahnabschnitt Kandahar – Herat

Von Kandahar verläuft die afghanische Ring Road weiter in den Westen nach Gereshk in Helmand und Delaram in Nimroz (ISW o.D.). Ein Teil verbindet aber auch die Provinzhauptstadt Lashkar Gah in Helmand mit der angrenzenden Provinz Kandahar (Xinhua 1.11.2015; UPI 1.11.2015; vgl. auch: Khaama Press 23.1.2016).

Autobahnabschnitt Herat – Kabul

Es gibt eine große kreisförmige Autobahn, die Herat mit Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul verbindet (Herat City o.D.; vgl. auch: PRI 18.10.2013).

Internationaler Flughafen Kabul

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (NYT 4.1.2016; vgl. auch: Hamid Karzai Airport 2015). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in den internationalen Flughafen Hamid Karzai umbenannt. Dieser liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neuer internationaler Terminal wurde hinzugefügt und der alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (Hamid Karzai Airport 2015).

1.2.1.5. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 9.2016). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge – zum Teil mit Vorbehalten – unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 9.2016).

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).

Drohungen, Einschüchterungen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger hielten in einem Klima der Straflosigkeit an, nachdem die Regierung es verabsäumt hatte, Fälle zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Menschenrechtsverteidiger wurden sowohl durch staatliche, als auch nicht-staatliche Akteure angegriffen und getötet – (AI 24.2.2016).

1.2.1.6. Religionsfreiheit

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7 - 89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vgl. auch:

CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte – dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Eben

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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