TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/30 W227 2105152-1

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Veröffentlicht am 30.01.2018
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Entscheidungsdatum

30.01.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W227 2105152-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde des syrischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, gegen den Spruchteil I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 26. Februar 2015, Zl. 1032422903, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der 2002 geborene Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe brachte am 5. Oktober 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Bei seiner Erstbefragung gab er - im Beisein seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin - u.a. an, er stamme aus XXXX; Syrien habe er vor eineinhalb Jahren aufgrund des Bürgerkrieges legal mit dem PKW Richtung Türkei verlassen. Sein Vater sei seit ungefähr zwei Jahren verschollen. Danach hätten sein Bruder und er beschlossen, zu ihrer Mutter nach Österreich zu reisen. Im Falle einer Rückkehr fürchte er, dass er getötet werde.

Weiters legte er seinen syrischen Reisepass sowie Auszüge aus dem syrischen Zivilregister vor.

2. Bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 23. Jänner 2015 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst Folgendes an:

Er stamme aus XXXX und sei dort bis zur sechsten Klasse in die Schule gegangen. Sein Vater sei vor etwa zwei Jahren verschwunden. Da sich fortan niemand um seinen Bruder und ihn gekümmert habe, sei er zu seinem Großvater nach XXXX gezogen. Sein Bruder sei inzwischen in die Türkei gereist und habe die Ausreise aus Syrien organisiert. Syrien habe der Beschwerdeführer dann vor etwa eineinhalb Jahren verlassen, da Krieg herrsche und er nicht mehr zur Schule habe gehen können. Da diverse Banden Kinder entführt und Lösegeld verlangt hätten, habe er zudem Angst gehabt, dass auch er entführt werde. In Syrien würden sich sein Großvater und zwei Onkel aufhalten. Seine Mutter lebe mit seinem Stiefvater in Österreich.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchteil I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchteil II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26. Februar 2016 (Spruchteil III.).

Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers stellte das BFA Folgendes fest: Er sei syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und gehöre der arabischen Volksgruppe an; seine Identität stehe fest.

Syrien habe er vor etwa eineinhalb Jahren verlassen. Nachdem sein Vater vor zirka zwei Jahren verschwunden sei, hätten sein Bruder und er beschlossen, zu ihrer Mutter nach Österreich zu reisen. Eine gegen den Beschwerdeführer gerichtete individuelle Bedrohungssituation liege jedoch nicht vor. Hinsichtlich des Vorbringens, dass Banden Kinder entführen und Lösegeld verlangen würden, werde darin ebenso keine gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung gesehen. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer bloß wiederholt vorgebracht, dass in Syrien Krieg herrsche und er die Schule nicht mehr besuchen könne. Es sei daher glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer Syrien aufgrund des Bürgerkrieges und des Verschwindens seines Vaters verlassen habe.

Rechtlich begründete das BFA die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten damit, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA mit der allgemeinen schlechten Sicherheitslage in Syrien.

4. Gegen Spruchteil I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in der er im Wesentlichen Folgendes vorbrachte:

Das BFA habe seine Ermittlungspflicht u.a. dadurch gröblich verletzt, indem es unterlassen habe, den Beschwerdeführer eingehend und konkret zu seinen Fluchtgründen zu befragen. Hätte das BFA ihn näher befragt, hätte er ergänzende Ausführungen zu bereits erfolgten Entführungen von Kindern in seiner Nachbarschaft tätigen können. Weiters hätte er sein Vorbringen dahingehend präzisieren können, dass er den Zusammenhang zwischen Entführungen von Kindern aus der Nachbarschaft und seiner Verfolgung als Kind ohne elterlichen Schutz stärker hervorgehoben hätte. Somit falle der Beschwerdeführer in die Gruppe der "elternlosen Kinder". Wie das BFA zudem richtig festgestellt habe, seien von März 2011 bis Ende August 2013 in der Provinz XXXX 2.223 Kinder getötet worden. So sei die syrische Regierung weiterhin nicht in der Lage, Kinder gegen Angriffe nichtstaatlicher Akteure zu schützen. Weiters seien auch Regierungskräfte für Verhaftungen und Folter von Kindern verantwortlich. In diesem Zusammenhang werde auf die im Verfahren mit Minderjährigen geltenden besonderen Manuduktions- und Sorgfaltspflichten verwiesen, denen das BFA im konkreten Fall nicht nachgekommen sei. Überdies hätte sein älterer Bruder - dem bereits rechtskräftig Asyl zuerkannt worden sei - Angaben zu seinen Fluchtgründen als Zeuge machen können. Darüber hinaus hätte das BFA ermitteln müssen, ob ihm eine Zwangsrekrutierung oder eine Verfolgung aufgrund der Flucht seines Bruders drohe, da dieser im Falle einer Rückkehr zum Militärdienst rekrutiert würde. Hätte sich das BFA eingehend mit der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers auseinandergesetzt, wäre es zum Schluss gekommen, dass der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung und Entführung geflohen sei.

5. Am 18. Mai 2017 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Verfahrensparteien vorläufige Sachverhaltsannahmen zur aktuellen Situation in Syrien und räumte dem Beschwerdeführer die Möglichkeit ein, allfällige weitere Beweismittel vorzulegen.

Dazu nahm der Beschwerdeführer zusammengefasst dahingehend Stellung, dass die Länderfeststellungen sein Vorbringen bekräftigen würden, wonach die syrische Regierung nicht in der Lage sei, Kinder gegen Angriffe nichtstaatlicher Akteure zu schützen und teilweise die Gefahren sogar von staatlicher Seite ausgehe. Weiters legte er seine österreichische Schulnachricht für das Schuljahr 2016/2017 für die achte Schulstufe vor.

Das BFA äußerte sich nicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.1. Zum Beschwerdeführer

Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er trägt den im Spruch angeführten Namen, ist am XXXX geboren und lebte in XXXX. Der Beschwerdeführer reiste etwa Anfang 2013 legal aus Syrien aus. Er besucht in Österreich die Schule.

Das BFA erkannte mit Bescheid vom 23. Februar 2015, Zl. 1032422805, dem Bruder des Beschwerdeführers (XXXX) den Status des Asylberechtigten (Asylgrund: Wehrdienstverweigerung) zu.

Die Mutter des Beschwerdeführers verfügt in Österreich über den Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Der Beschwerdeführer befindet sich weder in einem Verfahren nach dem NAG noch verfügt er über ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG.

Im Falle einer Rückkehr besteht für den 15-jährigen Beschwerdeführer aufgrund der Entziehung seines Bruders vom Wehrdienst die Gefahr, unmenschliche Behandlung zu erfahren.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien

1.2.1. Politische Lage

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche, eine politische Alternative zu schaffen, wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt. 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten. Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce".

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Am 13. April 2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden. Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten.

Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt.

Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, lebt. Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte. Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht, wird auf etwa ein Viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt.

Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch.

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden. Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25. Jänner 2018, S. 8ff.)

1.2.2. Folter und unmenschliche Behandlung (insbesondere von Kindern)

Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit. Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren. Folter und andere Misshandlungen wurden durch das syrische Regime schon seit Jahrzehnten genutzt, um Widerstand zu unterdrücken. Das syrische Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten.

Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch von Minderjährigen sind weitverbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt. Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind, oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter. Berichten zufolge wurden Familienmitglieder durch die Sicherheitskräfte der syrischen Regierung festgenommen, darunter auch Kinder, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen. Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert.

Rebellengruppierungen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (als solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen. Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie wären Mitglieder von regierungstreuen Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel. Auch der IS begeht Misshandlungen, Folter, Bestrafungen von Individuen, und agiert mit Brutalität. Der IS bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, inklusive Kindern, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25. Jänner 2018, S. 34)

1.2.3. Sunniten

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss. Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit, was demographische Daten betrifft, Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74% der Bevölkerung stellen, wobei diese ethnische Araber, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und Turkmenen inkludieren. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer Schiiten machen zusammen 13% aus, die Drusen 3%. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10%, wobei laut Medien- und anderen Berichten davon auszugehen ist, dass viele Christen aufgrund des Bürgerkrieges das Land verließen, und die Zahl nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jeziden. Diese Zahl könnte aufgrund des Zuzugs von Jeziden, die aus dem Irak nach Syrien flüchteten, mittlerweile höher sein.

Die syrische Regierung und die mit ihr verbündeten schiitischen Milizen töten, verhaften und misshandeln Sunniten und Mitglieder von bestimmten Minderheiten physisch, als Teil der Bemühungen den bewaffneten Aufstand von oppositionellen Gruppierungen niederzuschlagen. Laut mehreren Beobachtern des Konfliktes wandte das Regime Taktiken an, die darauf abzielten die extremsten Elemente der sunnitisch-islamistischen Opposition zu stärken, um den Konflikt dahingehend zu formen, dass dieser als ein Konflikt gesehen wird, in dem eine religiös moderate Regierung einer religiös extremistischen Opposition gegenübersteht. Die Revolution wurde somit mit der sunnitischen Bevölkerung assoziiert, die Regierung zielte Berichten zufolge auf Städte und Nachbarschaften mit Belagerung, Beschuss und Luftangriffen auf Basis der Religionszugehörigkeit der Bewohner ab. Während sich Rebellen in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Islamisten identifizierten und eine Unterstützerbasis haben, die fast ausschließlich aus Sunniten besteht, und dadurch das Abzielen der Regierung konfessionell motiviert erscheint, merkten Beobachter jedoch an, dass zweifellos auch andere Motivationen für die Gewalt existierten. Experten argumentierten, dass Gewalt auf beiden Seiten oft religiös motiviert sei. Auch der IS ist für Menschenrechtsverletzungen Sunniten gegenüber verantwortlich.

Dies führte dazu, dass manche Mitglieder religiöser Minderheiten die Regierung Präsident Assads als ihren einzigen Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen. Gleichzeitig sehen sunnitische Araber viele der syrischen Christen, Alawiten und schiitischen Muslime aufgrund ihrer fehlenden Unterstützung oder Neutralität gegenüber der syrischen Revolution als mit der syrischen Regierung verbündet an. Die Minderheiten sind zwischen den konfessionellen Spannungen gefangen und in ihrer Loyalität gespalten. Viele entschieden sich dafür, das Regime zu unterstützen, da sie sich Schutz durch die syrische Regierung erhoffen, während andere Mitglieder von Minderheiten auf der Seite der Opposition stehen.

Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Assad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär. Nichtsdestotrotz werden auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter, Haft und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes außerdem zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen. Durch den Aufstieg und die Verbreitung von extremistischen bewaffneten Gruppen seit 2014 werden Minderheiten vermehrt Menschenrechtsverletzungen durch diese Organisationen ausgesetzt. Gruppierungen wie der IS oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Minderheiten, in Gebieten unter ihrer Kontrolle Angriffen und Unterdrückung ihrer Religionsfreiheit aus, und bestrafen jene hart, die gegen ihre Kontrolle sind.

In Gebieten, welche der IS kontrolliert, wurden Christen gezwungen eine Schutzsteuer zu zahlen, zu konvertieren oder liefen Gefahr getötet zu werden. In Raqqa hielt der IS tausende jesidische Frauen und Mädchen, die im Irak entführt und nach Syrien verschleppt wurden, gefangen, um sie zu verkaufen, oder um sie an seine Kämpfer als Kriegsbeute zu verteilen. Jabhat Fatah ash-Sham und einige verbündete Rebellengruppen zielen im Norden des Landes mit Bomben und Selbstmordattentaten auf Drusen und Schiiten ab, was laut Jabhat Fatah ash-Sham eine Reaktion auf das "Massaker an Sunniten" durch die Regierung sei. Oppositionelle Gruppen entführen Mitglieder religiöser Minderheiten. Da sich die Motive politischer, ethnischer, konfessioneller und religiöser Gewalt überschneiden, ist es schwierig, Übergriffe als lediglich religiös motiviert zu kategorisieren.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25. Jänner 2018, S. 53ff.)

1.2.4. Wehrdienst

Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedenste Organisationen

Regierungseinheiten, Pro-Regime-Milizen, bewaffnete oppositionelle Gruppen und terroristische Organisationen rekrutieren Kinder und nutzen sie als Soldaten, menschliche Schutzschilde, Selbstmordattentäter, Henker und auch in unterstützenden Funktionen. Kinder werden als Zwangsarbeiter oder Informanten benutzt, wodurch sie dem Risiko von Vergeltungsakten oder extremen Bestrafungen ausgesetzt sind. Manche bewaffnete Gruppierungen, die auf der Seite der Regierung kämpfen, zwangsrekrutieren Kinder - manche nicht älter als 6 Jahre. Der Syria Monitoring and Reporting Mechanism (MRM4Syria) berichtete in der ersten Hälfte von 2017 von 300 verifizierten Fallen der Rekrutierung von Kindern wobei 18% davon unter 15 Jahre alt waren. Die Vereinten Nationen dokumentierten im Jahr 2016 851 Falle der Rekrutierung von Kindern durch Gruppierungen die sich der Freien Syrischen Armee unterordneten (507), den IS (133), regierungstreue Milizen (54), die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (46), Regierungseinheiten (29), Army of Islam (28), Ahrar ash-Sham (17), die Nusrah Front (Jabhat Fatah ash-Sham) (10), Nur al-Din al-Zanki (3) und nicht identifizierte bewaffnete Gruppen (24). 20 Prozent der verifizierten Fälle betrafen Kinder unter 15 Jahren. Es gibt Falle von Minderjährigen, die kurz vor dem wehrpflichtigen Alter sind (16-17 Jahre) die an Checkpoints von der syrischen Armee rekrutiert wurden.

Vor allem in den Gegenden, die von bewaffneten terroristischen Gruppierungen kontrolliert werden oder auch in Flüchtlingslagern in benachbarten Ländern ist die Rekrutierung von Kindersoldaten verbreitet, wobei die Gruppierungen die sozioökonomische Lage der Kinder und ihrer Familien ausnutzen. Der IS setzt aktiv Kinder - manche lediglich 8 Jahre alt - in Kampfhandlungen ein, teils auch bei der Enthauptung von Soldaten des syrischen Regimes. Der IS zielt bewusst auf Kinder ab, um diese zu indoktrinieren und nutzt Schulen für militärische Zwecke, wodurch Kinder gefährdet werden und ihr Zugang zu Bildung eingeschränkt wird. Organisationen wie Human Rights Watch, den Vereinten Nationen und KurdWatch zufolge rekrutiert die YPG sogar Kinder, einige nicht älter als zwölf Jahre, um sie im Kampf einzusetzen.

Die syrischen Streitkräfte- Wehr- und Reservedienst

Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden.

Die Rekrutierung von männlichen Syrern findet nach wie unvermindert statt. Für männliche Syrer und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten.

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsatz verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.

Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zurzeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe.

Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter, kann rekrutiert werden. Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein. Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden.

Die syrische Armee hat durch Todesfalle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es gibt auch Männer im kampffähigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kampfer benötigt.

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden.

Wehrdienstverweigerung/Desertion

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu 5 Jahren bestraft. Nach Verbüßen der Strafe muss der Wehrdienstverweigerer weiterhin den regulären Wehrdienst ableisten. Bei einer Wehrdienstverweigerung hat man die Möglichkeit sich zu verstecken und das Haus nicht mehr zu verlassen, das Land zu verlassen, sich durch Bestechung freizukaufen oder einer anderen Gruppierung beizutreten. Bezüglich Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden. Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster.

Wenn jemand den Wehrdienst verweigert und geflohen ist, gibt es die Möglichkeit seinen Status zu "regularisieren", wobei möglicherweise auch ein signifikanter Betrag zu entrichten ist (gerüchteweise bis zu 8.000 USD). Eine solche "Regularisierung" schützt allerdings nicht automatisch vor Repressalien oder einer zukünftigen Rekrutierung. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen.

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (so genannte externe Desertion), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt.

Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann. Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25. Jänner 2018, S. 36ff.)

Personen, die sich einem Schießbefehl widersetzten, desertierten oder einer geplanten Desertion verdächtigt wurden, werden in der Regel nicht formell angeklagt. Stattdessen wurden sie entweder zum Zeitpunkt der Desertion umgehend hingerichtet oder willkürlich inhaftiert, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und extralegal hingerichtet. Andere wurden nach einer Untersuchung zurück in ihre Einheit geschickt. Regierungskräfte griffen bei Verhaftungskampagnen in Gebieten, in denen ihrer Wahrnehmung nach die Opposition unterstützt wurde, gezielt Angehörige von Deserteuren heraus. Das Eigentum von Deserteuren wurde durch Plünderung und Brandstiftung zerstört.

Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandt) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet.

Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen.

Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.

(UNHCR-Bericht: Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen, Stand:

Februar 2017, S. 12f. und S. 22ff.)

1.2.5. Rückkehr

Die Hauptfaktoren, die die Entscheidung zurückzukehren, beeinflussen, sind primär die Wiedervereinigung mit Familienmitgliedern, den Zustand des eigenen Besitzes/Grundstücks zu prüfen und in manchen Fällen auch die tatsächliche oder wahrgenommene Verbesserung der Sicherheitslage in Teilen des Landes. Andere Rückkehrgründe können eine Verschlechterung der ökonomischen Situation am Zufluchtsort oder soziokulturelle Probleme sein.

Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen. Im Prinzip steht es syrischen Staatsangehörigen frei, mit ihrem syrischen Pass (oder bei einer Ausreise in den Libanon: mit gültigem Personalausweis) über alle funktionsfähigen Grenzübergänge, einschließlich dem Flughafen Damaskus, das Land zu verlassen. Syrische Staatsangehörige müssen eine Ausreisegebühr in einer Höhe zahlen, die vom Ausreisepunkt (Landgrenze oder Flughafen) abhängt. Auf Grundlage des Gesetzes Nr. 18 aus dem Jahr 2014 kann die Ausreise oder Rückkehr ohne gültigen Pass oder ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt je nach Umständen des Einzelfalls Freiheits- und/oder Geldstrafen nach sich ziehen. Es ist nicht klar, ob das Gesetz tatsächlich angewandt wird und ob Personen, die aus dem Ausland zurückkehren, gemäß Gesetz Nr. 18 von 2014 einer Strafverfolgung ausgesetzt sind.

Personen werden bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird. Oder der Person wird die Einreise nach Syrien erlaubt, sie muss sich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt erneut melden und verschwindet dann. Eine Person kann auch Opfer von Misshandlungen werden, ohne dass es dafür einen bestimmten Grund gibt. Das System ist sehr unberechenbar. Bereits im Jahr 2012 hat ein britisches Gericht festgestellt, dass für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr besteht, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Seit dieser Feststellung hat sich die Situation weiter verschlimmert. Es kann jedoch auch sein, dass eine Person, trotz eines abgelehnten Asylantrages, auch nach der Rückkehr nach Syrien noch als Unterstützer des Assad-Regimes angesehen wird. Das syrische Gesetz bestraft auch Personen, welche versuchen in einem anderen Land Asyl zu suchen, um eine Strafe in Syrien zu vermeiden.

Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien. Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland, auch deshalb, um oppositionelle Alternativen zum gegenwärtigen Regime zu unterbinden. Die Regierung überwacht Aktivitäten dieser Art im Ausland, auch in Österreich. Dass die syrische Regierung Kenntnis von solchen Aktivitäten hat, ist wahrscheinlich, und sie hat die Möglichkeit, ihr diesbezügliches Wissen zu nützen, wenn sich dazu die Gelegenheit ergibt. Eine Überwachung von exilpolitischen Aktivitäten passiert hauptsächlich an Orten mit einer größeren syrischen Gemeinde, weil sich dort eher Informanten der Regierung befinden können. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen.

Im September 2017 sprach der damalige Generalmajor der syrischen Republikanischen Garden Issam Zahreddine eine Drohung gegen syrische Flüchtlinge aus. In einem Live-Interview mit dem syrischen Staatsfernsehen sagte er "Kehrt nicht zurück! Selbst wenn der Staat euch vergibt, wir werden niemals vergessen und verzeihen. Ein Rat von diesem Bart: Kommt nicht zurück!", umstehende Offiziere hätten dazu gelacht. Zum Berichtszeitpunkt befehligte er mehrere tausend Soldaten und leitete die Eroberung von Deir ez-Zour. Offiziell gibt das Assad-Regime vor, eine "nationale Versöhnung" in Syrien anzustreben. Syrer, die nicht gegen die Regierung kämpften, hätten demnach nichts zu befürchten. Zahreddine, der im Oktober 2017 durch eine Landmine getötet wurde, entschuldigte sich später für die Aussage und sagte, dass sie missinterpretiert worden sei und er sich lediglich auf IS und Rebellenkämpfer bezog, die syrische Truppen getötet haben. Im Dezember 2017 besuchte Ali Haidar, der syrische Minister für nationale Versöhnung (Minister of State for National Reconciliation), den Südlibanon und rief syrische Flüchtlinge aus den Provinzen Hama und XXXX dazu auf, nach Hause zurück zu kehren, unter der Behauptung, dass die Situation in den Provinzen stabil sei.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25. Jänner 2018, S. 81ff.)

Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, insbesondere aus den unter den Risikoprofilen unten beschriebenen Gründen, sind Berichten zufolge dem Risiko einer längeren incommunicado Haft und Folter ausgesetzt. Für Rückkehrer besteht außerdem das Risiko, inhaftiert zu werden, weil Familienmitglieder von den Behörden gesucht werden, weil sie ihren Militärdienst nicht geleistet haben, weil sie aus einem Gebiet stammen, das sich unter der Kontrolle der Opposition befindet, oder weil sie aufgrund ihrer konservativen Kleidung als religiös wahrgenommen werden. Andere werden ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt.

(UNHCR-Bericht, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen vom Februar 2017 [deutsche Version April 2017], S. 5ff.)

1.2.6. Risikogruppen

In seinen Richtlinien "zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" vom November 2017 geht UNHCR u. a. von folgenden "Risikoprofilen" aus:

* Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen (u.a. Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern)

* Kinder

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Feststellungen zum Beschwerdeführer basieren auf seinen vorgelegten Unterlagen und seinen (auch vom BFA als glaubwürdig gewerteten) Angaben sowie der am 23. Jänner 2018 eingeholten Strafregisterauskunft.

Dass sich der Beschwerdeführer weder in einem Verfahren nach dem NAG befindet noch über ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG verfügt, ergibt sich aus der Auskunft des Zentralen Fremdenregisters vom 23. Jänner 2018.

Dass der 15-jährige Beschwerdeführer, dessen Bruder aufgrund der Entziehung vom Wehrdienst Asyl bekommen hat, im Falle einer Rückkehr Gefahr läuft, eine unmenschliche Behandlung zu erfahren, fußt auf den aktuellen Länderfeststellungen, wonach Familienmitglieder festgenommen werden, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den syrischen Sicherheitskräften zu stellen.

Es ist daher glaubwürdig, dass der 15-jährige Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr eine unmenschliche Behandlung durch das syrische Regime erfährt.

2.2. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten aktualisierten Quellen. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen auch die Verfahrensparteien nicht entgegen getreten sind (siehe oben Punkt I.5.), besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zur Stattgebung der Beschwerde (Spruchpunkt A)

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Grup-pe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befin-det und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines ge-wöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann. Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 08.09.1999, 98/01/0614; 29.03.2001, 2000/20/0539).

3.1.2. Im Falle einer Rückkehr nach Syrien besteht für den Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgungsgefahr, weil er als Familienangehöriger eines Wehrdienstverweigerers Gefahr läuft, maßgeblich verfolgt zu werden. So geht aus den Länderberichten klar hervor, dass Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern mit Konsequenzen zu rechnen haben. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Wehrdienstverweigerer dadurch vielleicht gefunden werden kann; auch Brüder oder Väter des Wehrdienstverweigerers werden ersatzweise zur Armee rekrutiert. Er fällt damit in die soziale Gruppe der Familie (vgl. zur sozialen Gruppe der Familie etwa VwGH 14.01.2003, 2001/01/0508; 13.11.2014, Ra 2014/18/0011, jeweils m.w.N.).

Damit fällt er (auch) in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich der "Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen [u.a. Familienangehörige von Wehrdienstverweigerer]" (siehe oben Punkt 1.2.6.; zur Indizwirkung von UNHCR-Positionen vgl. etwa VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182 m. w.N.).

Überdies ist der Beschwerdeführer Angehöriger einer Glaubensgruppe (Sunnit) für die nach UNHCR besonderer Schutzbedarf besteht.

Zusätzlich besteht für den Beschwerdeführer aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Risikogruppe der Kinder nach UNHRC besonderer Schutzbedarf, weshalb eine Verfolgung auch aus diesem Grund nicht auszuschließen ist.

Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den syrischen Staat ist für den Beschwerdeführer schon deswegen auszuschließen, weil die Verfolgung gerade von diesem ausgeht.

Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht; die Annahme ebendieser würde in Widerspruch zum aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. etwa VwGH 25.03.2015, Ra 2014/18/0168; 29.06.2015, Ra 2014/18/0070).

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Aus-schlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.1.3. Die nur vom Beschwerdeführer beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.2.2. Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass dem Beschwerdeführer insbesondere aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie eine asylrelevante Verfolgung droht, entspricht der oben angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

3.3. Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, Glaubhaftmachung, Sippenhaftung,
unterstellte politische Gesinnung, Wehrdienstverweigerung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W227.2105152.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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