TE Vfgh Beschluss 2013/11/21 B1055/2013, G81/2013

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Veröffentlicht am 21.11.2013
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Index

22/02 Zivilprozessordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Gerichtsakt
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ZPO §428, §468, §480, §508

Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerde gegen einen Gerichtsbeschluss betreffend die Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision sowie des Individualantrags auf Aufhebung oder Abänderung von Bestimmungen der ZPO mangels Zuständigkeit des VfGH bzw wegen Möglichkeit der Anregung eines Gesetzesprüfungsantrags im zivilgerichtlichen Verfahren

Spruch

Beschwerde und Antrag werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1.1. Mit ihrer Eingabe begehrt die Einschreiterin (wenngleich ohne Bezugnahme auf die Artikel des B-VG, auf Grund derer der Verfassungsgerichtshof angerufen wird) zum einen die kostenpflichtige Aufhebung eines Beschlusses des Oberlandesgerichtes Graz, mit dem ihr Antrag auf Abänderung des in einem (Berufungs-)
Urteil enthaltenen Unzulässigkeitsausspruches (betreffend die ordentliche Revision) sowie ihre ordentliche Revision zurückgewiesen wurden.

Zum anderen stellt sie einen "Individualantrag auf Gesetzesprüfung" und begehrt, der Verfassungsgerichtshof möge

"a) [i]n §428 Abs1 ZPO, zweiter Satzteil einfügen: 'durch welche ein Antrag abgewiesen oder zurückgewiesen wird.'

b) §480 Abs1 ZPO ab dem zweiten Satzteil als verfassungswidrig aufheben, sodass §480 Abs1 ZPO lautet: 'Gem §480 Abs1 ZPO ist eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen.'

c) [i]n §508 Abs4 ZPO das Wort 'Berufungsgericht' durch das Wort 'Revisionsgericht' ersetzen;

d) [i]n §508 Abs4 ZPO das Wort 'Berufungsgericht' durch das Wort 'Revisionsgericht' ersetzen und den letzten Satzteil des ersten Satzes 'diese Entscheidung bedarf keiner Begründung' als verfassungswidrig aufheben, sodass §508 Abs4 ZPO lautet: 'Erachtet das Revisionsgericht den Antrag nach Abs1 für nicht stichhältig, so hat es diesen samt der ordentlichen Revision mit Beschluß zurückzuweisen';

e) [i]n §468 Abs4 ZPO die Worte einfügen: Der Berufungswerber kann binnen der Notfrist von vier Wochen nach der Zustellung der Berufungsbeantwortung bei dem Prozeßgericht erster Instanz eine Replik mittels Schriftsatzes einbringen."

Schließlich wird noch der Antrag gestellt, die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung der Frage, "ob die Nichtprüfung von Gerichtsentscheidungen auf ihre Verfassungskonformität u.a. gegen Art47 EU Grundrechte Charta verstößt", vorzulegen.

1.2. Die Einschreiterin erachtet sich in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK und Art17 GRC) sowie auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK und Art47 GRC verletzt. Sub titulo "Unmittelbare Betroffenheit" führt der Antrag aus, dass die Einschreiterin als "unterlegene Partei" in einem vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz und in der Folge vor dem Oberlandesgericht Graz geführten zivilgerichtlichen Verfahren von der Rechtslage und den Entscheidungen unmittelbar betroffen sei.

2. Die vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpften Bestimmungen der ZPO lauten wie folgt:

"§. 428.

(1) Beschlüsse über widerstreitende Anträge und Beschlüsse, durch welche ein Antrag abgewiesen wird, müssen begründet werden.

[...]"

"§. 480.

(1) Fehlt es an den Voraussetzungen für die Einholung einer Entscheidung des Berufungssenates oder wurde vom Berufungssenat die Berufungsschrift als zur Bestimmung einer Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung geeignet befunden, so ist eine mündliche Verhandlung über die Berufung anzuberaumen, wenn der Berufungssenat dies im einzelnen Fall, so etwa wegen der Komplexität der zu entscheidenden Rechtssache, für erforderlich hält; sonst erfolgt die Entscheidung über die Berufung in nicht öffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung. Die Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung ist vom Vorsitzenden des Berufungssenats so anzuberaumen, dass zwischen der Zustellung der Ladung an die Parteien und der Tagsatzung ungefähr der Zeitraum von 14 Tagen liegt. In dringenden Fällen kann diese Frist auch abgekürzt werden.

[...]"

"§508.

(1) Wird in Streitigkeiten, in denen der Entscheidungsgegenstand zwar 5 000 Euro, nicht aber insgesamt 30 000 Euro übersteigt (§502 Abs3), oder in familienrechtlichen Streitigkeiten nach §49 Abs2 Z1 und 2 JN, in denen der Entscheidungsgegenstand insgesamt 30 000 Euro nicht übersteigt (§502 Abs4), im Berufungsurteil nach §500 Abs2 Z3 ausgesprochen, daß die ordentliche Revision nach §502 Abs1 nicht zulässig ist, so kann eine Partei einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, daß die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; in diesem Antrag sind die Gründe dafür anzuführen, warum – entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts – nach §502 Abs1 die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird. Mit demselben Schriftsatz ist die ordentliche Revision auszuführen.

(2) Der Antrag nach Abs1 verbunden mit der ordentlichen Revision ist beim Prozeßgericht erster Instanz binnen vier Wochen einzubringen; die Frist beginnt mit der Zustellung des Berufungserkenntnisses zu laufen; sie kann nicht verlängert werden. Die §§464 Abs3 und 507 Abs6 sind sinngemäß anzuwenden.

(3) Erachtet das Berufungsgericht den Antrag nach Abs1 für stichhältig, so hat es seinen Ausspruch mit Beschluß abzuändern und auszusprechen, daß die ordentliche Revision doch nach §502 Abs1 zulässig ist; dieser Beschluß ist kurz zu begründen (§500 Abs3 letzter Satz).

(4) Erachtet das Berufungsgericht den Antrag nach Abs1 für nicht stichhältig, so hat es diesen samt der ordentlichen Revision mit Beschluß zurückzuweisen; diese Entscheidung bedarf keiner Begründung. Gegen diesen Beschluß ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

(5) Erklärt das Berufungsgericht die ordentliche Revision doch für zulässig (Abs3), so hat es diesen Beschluß den Parteien zuzustellen und dem Revisionsgegner außerdem mitzuteilen, daß ihm die Beantwortung der Revision freistehe. Eine vor Zustellung dieser Mitteilung erstattete Revisionsbeantwortung gilt im Fall der Zurückweisung des Antrags samt der ordentlichen Revision (Abs4) nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig.

(6) Von einer Mitteilung nach Abs5 ist auch das Prozeßgericht erster Instanz zu verständigen."

"§. 468.

(1) Im Falle rechtzeitiger Erhebung der Berufung wird die Berufungsschrift dem Gegner des Berufungswerbers unter Bekanntgabe des Berufungsgerichtes zugestellt. Verspätet erhobene Berufungen oder mangels rechtzeitiger Anmeldung der Berufung (§461 Abs2) unzulässige Berufungen sind vom Prozeßgericht erster Instanz zurückzuweisen.

(2) Der Berufungsgegner kann binnen der Notfrist von vier Wochen nach der Zustellung der Berufungsschrift bei dem Prozeßgericht erster Instanz eine Berufungsbeantwortung mittels Schriftsatzes einbringen. Soweit sich der Berufungswerber nicht ausdrücklich auf Feststellungen des Erstgerichts bezieht, ist der Berufungsgegner – vorbehaltlich des §473a – nicht gehalten, für ihn nachteilige Feststellungen oder zu seinen Lasten vorgefallene Verfahrensfehler mit der Berufungsbeantwortung zu rügen. Will der Berufungsgegner zur Widerlegung der in der Berufungsschrift angegebenen Anfechtungsgründe neue, im bisherigen Verfahren noch nicht vorgebrachte Umstände und Beweise benützen, so hat er das bezügliche tatsächliche und Beweisvorbringen bei sonstigem Ausschluß in dieser Berufungsbeantwortung bekanntzugeben.

(3) Auf die Berufungsbeantwortung sind der §464 Abs3 sowie der §467 Z4 und 5 sinngemäß anzuwenden.

(4) Von der Einbringung der Berufungsbeantwortung ist der Berufungswerber durch Übersendung einer Ausfertigung derselben zu verständigen."

3. Sowohl die Beschwerde als auch der Antrag gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG sind unzulässig:

3.1. Weder Art144 B-VG noch eine andere Rechtsvorschrift räumt dem Verfassungsgerichtshof die Zuständigkeit ein, Akte der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder des Verwaltungsgerichtshofes auf Grund einer an ihn gerichteten Beschwerde zu überprüfen (zB VfSlg 18.422/2008, 18.666/2009 mwN).

Der von der Beschwerdeführerin bekämpfte Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz ist ein solcher Akt der ordentlichen Gerichtsbarkeit; die dagegen vor dem Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde ist daher zurückzuweisen.

3.2. Art140 B-VG beruft den Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit eines Bundes- oder Landesgesetzes u.a. auf Antrag einer Person zu erkennen, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist, und dieses im Fall der Verfassungswidrigkeit aufzuheben.

Dem entsprechend ordnet §62 Abs1 VfGG an, dass ein auf Art140 Abs1 B-VG gestützter Antrag begehren muss, dass das Gesetz seinem ganzen Inhalte nach oder dass bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig "aufgehoben" werden und in einem Individualantrag darüber hinaus darzutun ist, inwieweit das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für die antragstellende Partei wirksam geworden ist.

3.2.1. Ein Aufhebungsantrag wird nur in Ansehung des letzten Halbsatzes des §508 Abs4 ZPO gestellt (dazu unter 3.2.2.). Zum weitaus überwiegenden Teil enthält der "Individualantrag auf Gesetzesprüfung" an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Begehren, die nicht auf die (bloße) Aufhebung von näher bezeichneten Bestimmungen der ZPO, sondern auf deren (aktive) Abänderung oder Neuschaffung, also auf ein positiv gesetzgebendes Tätigwerden, abzielen.

Zu derartigen Aussprüchen fehlt dem Verfassungsgerichtshof im Rahmen eines Gesetzesprüfungsverfahrens jedwede Kompetenz, und auch sonst räumt ihm keine (Verfassungs-)Bestimmung die Befugnis ein, Rechtsvorschriften anders als durch Aufhebung zu verändern.

3.2.2. Soweit mit dem Antrag die Aufhebung des letzten Halbsatzes des ersten Satzes des §408 Abs4 ZPO begehrt wird ("diese Entscheidung bedarf keiner Begründung"), liegt zwar ein taugliches Aufhebungsbegehren vor, jedoch erweist sich dieser (Teil des) Antrag(es) deshalb als unzulässig, weil der Antragstellerin ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung stand, ihre Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären ("lückenschließenden") Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl. zB VfSlg 10.251/1984, 11.344/1987, 11.505/1987, 11.890/1988).

Im Zuge des anhängigen zivilgerichtlichen Verfahrens bestand für die Antragstellerin nämlich Gelegenheit, ihre Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Gesetzesstelle vorzutragen und bei dem in dieser Rechtssache zuständigen Oberlandesgericht die Stellung eines Antrages auf Gesetzesprüfung nach Art140 B-VG anzuregen. Gemäß Art89 Abs2 erster Satz B-VG ist das Gericht, sofern es Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit eines anzuwendenden Gesetzes hegte, zur entsprechenden Anrufung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet (vgl. zB VfSlg 8552/1979, 9394/1982, 11.480/1987, 11.890/1988).

War aber – wie hier – ein gerichtliches Verfahren, in dem der Betroffene eine solche amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anregen konnte, bereits anhängig, so müssen besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, um der Partei des Gerichtsverfahrens selbst – trotz der ihr dort gegeben gewesenen Möglichkeit – das Recht auf Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages einzuräumen. Solche außergewöhnlichen Umstände werden von der Antragstellerin nicht behauptet und sind für den Verfassungsgerichtshof auch nicht erkennbar.

Der "Individualantrag auf Gesetzesprüfung" ist daher insgesamt zurückzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf den Vorlageantrag.

4. Da die Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes offenbar ist bzw. es der Antragstellerin an der Legitimation mangelt, konnte diese Entscheidung gemäß §19 Abs3 Z2 lita und e VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Zivilprozess, Rechtsmittel, VfGH / Zuständigkeit, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:G81.2013

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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