TE OGH 2017/12/20 10ObS122/17i

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Veröffentlicht am 20.12.2017
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Germann Bertsch, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Vorarlberger Gebietskrankenkasse, 6850 Dornbirn, Jahngasse 4, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 2017, GZ 25 Rs 86/16g-11, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Juli 2016, GZ 35 Cgs 84/16v-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch auf Ausgleichszahlung zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld einer in Deutschland wohnhaften Grenzgängerin in den Monaten November und Dezember 2011, nachdem sie während der Karenzierung des Dienstverhältnisses zu ihrem österreichischen Dienstgeber in den beiden Monaten in Deutschland eine geringfügig entlohnte Beschäftigung aufgenommen hat.

Die Klägerin wohnt mit ihrem am 19. 5. 2011 geborenen Sohn und dessen Vater in Lindau (Deutschland). Der Vater des Kindes ist in Deutschland unselbstständig erwerbstätig. Seit 7. 9. 2005, also auch zum Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes sowie auch im Zeitraum von 1. 11. 2011 bis 31. 12. 2011 und darüber hinaus stand die Klägerin in einem aufrechten (nach dem Mutterschutzgesetz) karenzierten (Vollzeit-)Arbeitsverhältnis zu einem Unternehmen in Lustenau (Österreich).

Von 1. 11. 2011 bis 20. 12. 2011 war die Klägerin in Deutschland (bei einem deutschen Dienstgeber) geringfügig beschäftigt. Sie arbeitete (maximal) 8 Stunden wöchentlich und verdiente insgesamt 375 EUR (im November 190 EUR und im Zeitraum von 1. 12. 2011 bis 20. 12. 2011 185 EUR).

Die Klägerin bezog für ihren Sohn in Deutschland Kindergeld und auch Elterngeld. In Österreich bezog sie das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld (Variante „12+2“) und zwar als Ausgleichszahlung für 211 Kalendertage (von 21. 8. 2011 bis 18. 5. 2012 mit Ausnahme des streitgegenständlichen Zeitraums von 1. 11. 2011 bis 31. 12. 2011). Aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses zum deutschen Dienstgeber wurde im Zeitraum von 19. 10. 2011 bis 18. 1. 2012 das in Deutschland gewährte Elterngeld um einen monatlichen Betrag von 81,25 EUR gekürzt.

Mit Bescheid vom 17. 2. 2016 wies die beklagte Vorarlberger Gebietskrankenkasse den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung einer Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum von 1. 11. 2011 bis 31. 12. 2011 ab und verpflichtete sie zum Rückersatz einer empfangenen Leistung in Höhe von 25,32 EUR.

Mit ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt die Klägerin die Zuerkennung einer Ausgleichszahlung zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 56,25 EUR täglich von 1. 11. 2011 bis 31. 12. 2011. Das karenzierte Dienstverhältnis zu ihrem Dienstgeber in Österreich sei als Beschäftigung
– und zwar als wesentlicher Teil ihrer Beschäftigung – anzusehen, sodass ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliege. Da Österreich für sie als Grenzgängerin leistungszuständig sei, habe sie Anspruch auf Ausgleichszahlung zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld, ohne dass die geringfügige entlohnte Beschäftigung in Deutschland schade. Einer Dienstnehmerin mit Wohnsitz in Österreich, die hier ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis aufnehme, stünde das Kinderbetreuungsgeld in vollem Umfang zu. Mit welcher Begründung ein Betrag von 25,32 EUR zu zahlen sein sollte, sei nicht nachvollziehbar.

Die beklagte Partei bestritt, beantragte Klageabweisung und wendete ein, dass im Zeitraum von 1. 11. 2011 bis 31. 12. 2011 aufgrund der in Deutschland ausgeübten Erwerbstätigkeit Deutschland leistungszuständig sei. In diesem Sinn sei das karenzierte österreichische Arbeitsverhältnis mangels tatsächlicher Ausübung nicht als Beschäftigung zu qualifizieren. Im Zeitraum von 1. 11. 2011 bis 31. 12. 2011 sei die Klägerin den deutschen und nicht den österreichischen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit unterlegen. Es habe kein grenzüberschreitender Sachverhalt bestanden, weshalb die VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nicht zur Anwendung gelange. Da die Klägerin keinen Anspruch auf österreichische Familienleistungen habe, habe sie auch keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung zum einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld. Auch die nationalen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld erfülle die Klägerin nicht, da sie weder österreichische Familienbeihilfe beziehe noch mit ihrem Kind den Lebensmittelpunkt in Österreich habe. Die Rückforderung von 25,32 EUR ergebe sich aufgrund der Berichtigung des Elterngeldes des Kindesvaters vom 18. 8. 2014.

Das Erstgericht gewährte der Klägerin von 1. 11. 2011 bis 31. 12. 2011 eine Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 56,25 EUR täglich abzüglich bereits geleisteter Zahlungen.

Bei Heranziehung der Prioritätsregeln nach Art 68 der VO (EG) 883/2004 sei Deutschland für die Erbringung von Familienleistungen vorrangig zuständig, da bei Beschäftigung beider Elternteile in verschiedenen Staaten die Familienleistungen in jenem Beschäftigungsstaat zu gewähren seien, in welchem das Kind mit den Eltern lebe. Österreich habe daher als nachrangig zuständiger Staat einen Unterschiedsbetrag in Höhe der darüber hinausgehenden Familienleistung als Ausgleichszahlung zu leisten. Da die Zeit während des (gesetzlich) karenzierten österreichischen Dienstverhältnisses im Anschluss an die tatsächliche Beschäftigung der Klägerin in Österreich einer tatsächlichen unselbständigen Erwerbstätigkeit im Sinn der VO (EG) 883/2004 gleichgestellt sei, sei eine Beschäftigung der Klägerin in Österreich im klagsgegenständlichen Zeitraum im Hinblick auf Art 11 Abs 2 der VO (EG) 883/2004 zu bejahen, weil eine kurzfristige Zuständigkeitsänderung bei vorübergehender Einstellung der Erwerbstätigkeit und kurzfristigem Bezug von Geldleistungen der sozialen Sicherheit verhindert werden solle. Nach Art 13 der VO (EG) 883/2004 komme das Recht des Wohnsitzstaates nur dann zur Anwendung, wenn dort ein wesentlicher Teil der Tätigkeit ausgeführt werde oder wenn mehrere Beschäftigungsverhältnisse zu Unternehmen bestünden, die ihren Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten außerhalb des Wohnmitgliedstaates hätten. Maßgeblich sei daher, ob die Klägerin einen wesentlichen Teil der Tätigkeit in ihrem Wohnsitzstaat Deutschland ausgeübt habe. Ziehe man als Orientierungskriterien die von der Klägerin in Deutschland geleistete Arbeitszeit und das dort von ihr erworbene Entgelt heran, werde ein Anteil von 25 % bei weitem nicht erreicht. Das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld von 55 EUR täglich (als Ausgleichszahlung) übersteige den in Deutschland erzielten Arbeitsverdienst von 190 EUR im November 2011 und von 185 EUR im Dezember 2011 deutlich. Eine Weiterbeschäftigung über den Zeitraum November und Dezember 2011 hinaus sei nicht gegeben. Hingegen sei das in Österreich bestehende Dienstverhältnis auch über diesen Zeitraum hinaus unbegrenzt aufrecht. Die Anknüpfung an den Beschäftigungsstaat Österreich erscheine daher sinnvoll und sachgerecht, sodass auch die Klägerin im klagegegenständlichen Zeitraum (November und Dezember 2011) den Rechtsvorschriften Österreichs unterliege. Die Gründe für die Kürzung des Elterngeldes in Deutschland ergäben sich rein aus dem deutschen Recht, weshalb darauf nicht näher einzugehen sei. Österreich sei als subsidiär zuständiger Staat für die Leistung einer Ausgleichszahlung bis zur Höhe des in Österreich ruhenden Kinderbetreuungsgeldes zuständig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge. Es wies das Klagebegehren auf Ausgleichszahlung für den Zeitraum 1. 11. 2011 bis 31. 12. 2011 ab und erkannte die Klägerin schuldig, der beklagten Partei die bereits empfangene Ausgleichszahlung von 25,32 EUR zurückzuzahlen. Das Kinderbetreuungsgeld stelle als auf einen längeren Sachverhalt angelegte Familienleistung keine Geldleistung im Sinn des Art 11 Abs 2 erster Satz der VO (EG) 883/2004 dar, sodass mangels Verwirklichung des dort geregelten Tatbestands auch die in dieser Norm angesprochene Fiktion der Ausübung einer Beschäftigung oder Tätigkeit nicht greife. Wenngleich nach § 24 Abs 2 KBGG eine mit einer Beschäftigung gleichgestellte Situation vorliege, trete diese im Hinblick auf die in Deutschland von der Klägerin (tatsächlich) ausgeübte Erwerbstätigkeit in den Hintergrund. Die Klägerin unterliege gemäß Art 11 Abs 3 lit a der VO (EG) 883/2004 (idF der VO [EU] 465/2012) für den klagsgegenständlichen Zeitraum nur dem Recht des Beschäftigungsstaates Deutschland. Eine Anwendung des Art 13 Abs 1 lit a oder lit b der VO (EG) 883/2004 (idF der VO [EU] 465/2012) habe schon mangels Erfüllung des Erfordernisses einer tatsächlichen Ausübung von zumindest zwei Beschäftigungen in zumindest zwei Mitgliedstaaten nicht stattzufinden. Auch wenn man die Auffassung vertreten wollte, dass sowohl die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Deutschland als auch die österreichische (einer Ausübung der Beschäftigung) gleichgestellte Situation eine Anwendung des Art 11 Abs 3 lit a der VO (EG) 883/2004 auslösten, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Selbst unter Heranziehung eines Vergleichszeitraums von zwölf Monaten habe die Klägerin acht Stunden in Deutschland und null Stunden in Österreich gearbeitet, sodass die tatsächliche Erwerbsausübung ausschließlich in Deutschland stattgefunden habe. Die Klägerin habe nicht nur den wesentlichen Teil ihrer Beschäftigung, sondern die gesamte Beschäftigung im Wohnsitzstaat Deutschland ausgeübt und unterliege deshalb den Rechtsvorschriften Deutschlands. In Ermangelung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts zu Österreich sei die VO (EG) 883/2004 nicht anzuwenden und könnten daraus keine Ansprüche der Klägerin auf österreichisches Kinderbetreuungsgeld abgeleitet werden. Schließlich scheitere dieser Anspruch auch daran, dass die nationalen Anspruchsvoraussetzungen (aufrechter Bestand eines Anspruchs auf Familienbeihilfe für das Kind samt tatsächlichem Bezug derselben oder Vorliegen eines in Österreich gelegenen Mittelpunkts der Lebensinteressen des Elternteils und des Kindes) nicht erfüllt seien.

Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage vorliege, ob einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld gemäß § 24c KBGG, das während eines karenzierten Arbeitsverhältnisses bezogen werde, nicht nur und ausschließlich als Familienleistung, sondern auch als Leistung bei Ausübung einer karenzierten Beschäftigung im Sinn des Art 11 Abs 2 der VO (EG) 883/2004 zu qualifizieren sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist im Ergebnis aber nicht berechtigt.

1. Zur anzuwendenden Rechtslage:

Zu beurteilen ist ein Anspruch auf Ausgleichszahlung zum Kinderbetreuungsgeld für einen im Jahr 2011 gelegenen Zeitraum. Mittlerweile ist sowohl die VO (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit als auch die VO (EG) 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO (EG) 883/2004 durch die VO (EU) 456/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 zur Änderung der VO (EG) 883/2004 novelliert worden. Da diese Novelle mit 28. Juni 2012 in Kraft getreten ist (Art 3 der VO [EU] 465/2012) und die Übergangsvorschrift des Art 87a der Verordnung nur „andauernde“ Sachverhalte betrifft, nicht aber Ereignisse, die vor Inkrafttreten der Novelle abgeschlossen sind und die keine „künftigen Wirkungen“ entfalten, ist auf den vorliegenden Rechtsstreit noch die Rechtslage vor der Novelle durch die VO (EU) 465/2012 anzuwenden.

2. Die Parteien ziehen nicht in Zweifel, dass das Kinderbetreuungsgeld eine Familienleistung gemäß Art 3 Abs 1 lit j der VO (EG) 883/2004 ist (EuGH 7. 6. 2005, Rs C-543/03 Dodl und Oberhollenzer) und daher die Koordination nach den Bestimmungen des Titels III Kapitel 8 der VO (EG) 883/2004 zu erfolgen hat (Art 67–69 VO) und dass Deutschland jener Staat ist, in dem sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin befindet („Wohnortstaat“).

3.1 Für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat (als dem Leistungszuständigen) wohnen, sieht Art 67 VO (EG) 883/2004 einen Anspruch auf Export von Familienleistungen vor. Zuständig für den Export von Familienleistungen ist jener Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften gemäß Art 11 ff VO (EG) 883/2004 anwendbar sind.

3.2 Nach der Grundregel in Art 11 Abs 1 VO (EG) 883/2004 unterliegen Personen, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsordnung hiefür in Frage kommt, bestimmt Art 11 Abs 3 VO (EG) 883/2004.

3.3 Nach dem im gegebenen Zusammenhang relevanten Art 11 Abs 3 lit a VO (EG) 883/2004 unterliegt (vorbehaltlich der Art 12 bis 16), eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Vorschriften dieses Mitgliedstaats; jede andere Person, die nicht zu den in Art 11 Abs 3 lit a bis d der Verordnung genannten Personen zu zählen ist (Erwerbstätige, Beamte, Arbeitslose, Wehr- oder Zivildienstpflichtige) unterliegt den Rechtsvorschriften des Wohnortstaates.

3.4 Bei gewöhnlicher Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten ist zur Bestimmung des anwendbaren Rechts Art 13 der VO maßgeblich.

3.5 Art 68 Abs 1 VO (EG) 883/2004 normiert Prioritätsregeln, wenn Ansprüche auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen zusammentreffen. Für den Fall der Kumulierung von Anspruchsberechtigungen aus verschiedenen Mitgliedstaaten wird festgelegt, welcher Staat vorrangig zuständig ist. Dadurch sollen einerseits Doppelleistungen vermieden werden, andererseits Leistungsansprüche, die ein Elternteil nach dem Recht eines Mitgliedstaates erworben hat, gekürzt werden, falls für dasselbe Kind nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats ebenfalls eine Leistungspflicht besteht.

3.6 Art 60 Abs 1 zweiter Satz VO (EG) 987/2009 bestimmt für die Anwendung der Art 67 und 68 VO (EG) 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, dass vom zuständigen Träger die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen („Familienbetrachtungsweise“). Dies bedeutet, dass für die Frage, ob ein Anspruch auf Familienleistungen besteht und in welcher Höhe dieser gebührt, die gesamte Situation der Familie vom zuständigen Träger zu berücksichtigen ist, auch wenn gewisse Sachverhaltselemente (zB Wohnsitz oder Beschäftigungsort) in einem anderen Mitgliedstaat liegen oder dort eingetreten sind, etwa der Arbeitsverdienst oder das Erwerbseinkommen (Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 60 VO 987/2009 Rz 1).

3.7 Gemäß Art 68 Abs 1 lit a VO (EG) 883/2004 gilt bei Leistungsgewährung von mehreren Mitgliedstaaten folgende Rangfolge: An erster Stelle stehen Ansprüche, die deshalb bestehen, weil die betreffende Person im jeweiligen Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt. Diesen nachgereiht sind Ansprüche, die durch eine Rente ausgelöst werden. Darauf folgen an letzter Stelle Ansprüche, die aufgrund des Wohnsitzes bestehen. Unerheblich ist hingegen, ob nach innerstaatlicher Systematik der Anspruch auf Familienleistungen durch eine Beschäftigung oder durch den Wohnsitz im Inland ausgelöst wird.

3.8 Für den Fall, dass ein Anspruchskonflikt deshalb besteht, weil die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten jeweils aus dem gleichen Grund (nämlich Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit; Rentenbezug; Wohnort) zur Anwendung kommen, bestimmt Art 68 Abs 1 lit b VO (EG) 883/2004 jenen Staat als vorrangig zuständig, in dem auch die Kinder ihren Wohnort haben (Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [59. Lfg], Art 68 VO [EG] 883/2004 Rz 2 ff). Diese Lastenverteilung gründet sich darauf, dass der Wohnortstaat des Kindes und Beschäftigungsstaat eines Elternteils eine höhere Verantwortung für den Ausgleich von Familienlasten hat als der Staat, in dem ein Elternteil zwar beschäftigt ist, aber das zu fördernde Kind nicht wohnt (10 ObS 148/14h, SSV-NF 29/59 mwN).

4. Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, unterliegt die Klägerin nach Art 11 Abs 3 lit a VO (EG) 883/2004 aufgrund ihres aufrechten, wenn auch karenzierten Dienstverhältnisses in Österreich grundsätzlich österreichischem Recht, ihr Ehemann auf Grund seiner Beschäftigung in Deutschland hingegen deutschem Recht. Aufgrund des Familienwohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland ist die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich vorrangig zur Erbringung von Familienleistungen zuständig (Art 68 Abs 1 lit b sublit i VO [EG] 883/2004). Österreich ist allerdings aufgrund der Höhe der Leistungen verpflichtet, der Klägerin den Unterschiedsbetrag zu erstatten (Art 68 Abs 2 VO [EG] 883/2004) (EuGH 8. 5. 2014, Rs C-347/12, Wiering, Rz 49).

5. Während für die vor 1. 11. 2011 und nach 31. 12. 2011 gelegenen Zeiträume die subsidiäre Zuständigkeit Österreichs zwischen den Parteien unstrittig ist, nimmt die Klägerin hinsichtlich des strittig verbliebenen Zeitraums November und Dezember 2011 den Standpunkt ein, sie unterliege trotz ihrer – in Deutschland aufgenommenen – geringfügigen Beschäftigung weiterhin (auch) österreichischem Recht. Die beklagte Partei vertritt hingegen die Ansicht, die Klägerin unterliege in diesem Zeitraum (ausschließlich) deutschem Recht, weshalb kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung in Österreich bestehe.

6. Zunächst ist daher die Frage zu klären, ob die Klägerin trotz der gesetzlichen Karenz des Dienstverhältnisses zum österreichischen Dienstgeber das Erfordernis einer „Beschäftigung“ in Österreich iSd VO (EG) 883/2004 erfüllt.

6.1 Gemäß Art 1 lit a der VO (EG) 883/2004 bezeichnet der Ausdruck „Beschäftigung“ jede Tätigkeit, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaates, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, als solche zu qualifizieren ist. Die Definition des Beschäftigungsbegriffs hat der Verordnungsgesetzgeber den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten überlassen (ErwGr 4 VO [EG] 883/2004). Eine Konkretisierung des Beschäftigungsbegriffs des Art 68 hat die Verwaltungskommission mit dem Beschluss F1 vom 12. 6. 2009 zur Auslegung des Art 68 VO (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Prioritätsregeln beim Zusammentreffen von Familienleistungen vorgenommen. Demnach ist für die Zwecke des Art 68 der Verordnung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit unter anderem ein unbezahlter Urlaub zum Zweck der Kindererziehung gleichgestellt, solange ein solcher Urlaub nach nationalem Recht einer Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist. Damit ist klargestellt, dass auch Karenzzeiten – zB gemäß § 15 MSchG – grundsätzlich als Beschäftigung gelten und daher bei der Rangfolge nach Art 68 der VO (EG) 883/2004 vorrangig zu behandeln sind.

6.2 Der Beschluss F1 bezieht sich aber ausschließlich auf Art 68 der Verordnung, nicht aber auf Art 11 der Verordnung und damit auf das anzuwendende Recht, weshalb als fraglich angesehen wurde, ob sich im Fall der Karenzierung die anzuwendenden Rechtsvorschriften weiterhin nach dem ehemaligen Beschäftigungsstaat oder nach dem Wohnsitzstaat richten (dazu Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [59. Lfg], Art 68 Rz 6).

6.3 Da der nationale Gesetzgeber seit der Einführung des einkommmensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes mit § 24 Abs 2 KBGG für den Anwendungsbereich des KBGG nicht bloß eine Legaldefinition des nationalen Begriffs der „Erwerbstätigkeit“ vorgenommen hat, sondern zugleich den unionsrechtlichen Begriff der „Beschäftigung“ bestimmt und für Zeiten des Mutterschutzes und der Karenz ausdrückliche Gleichstellungsbestimmungen geschaffen hat (10 ObS 117/14z, SSV-NF 29/13; RIS-Justiz RS0130043) kann diese Frage im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben.

6.4 Nach § 24 Abs 2 KBGG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I 116/2009 versteht man unter einer Erwerbstätigkeit im Sinne des KBGG die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG) oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder Väter-Karenzgesetz (VKG) oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes.

6.5 Demnach sind Zeiten eines Beschäftigungsverbots oder einer gesetzlichen Karenz nach dem MSchG oder VKG bis maximal zum zweiten Geburtstag des Kindes einer gesetzlichen Karenz nach dem MSchG oder VKG bis maximal zum zweiten Geburtstag des Kindes einer tatsächlich ausgeübten Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Die Gleichstellung gilt nicht nur für die Erfüllung der nationalen Anspruchsvoraussetzungen, sondern ist ebenfalls im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 zu beachten (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 11).

6.6 Da die Klägerin in einem aufrechten karenzierten Dienstverhältnis (§ 15 Abs 1 MSchG) zu ihrem Arbeitgeber in Österreich stand und die Zeiten der gesetzlichen Karenz einer Erwerbstätigkeit nach § 24 Abs 2 KBGG gleichgestellt sind, ist ihre Karenzzeit (auch) während der Monate November und Dezember 2011 als „Beschäftigung“ im Sinn des Art 68 VO (EG) 883/2004 anzusehen und gilt für das anzuwendende Recht wie auch bei der Festlegung der Rangfolge nach Art 68 VO (EG) 883/2004 (10 ObS 148/14h, SSV-NF 29/59).

6.7 Da die Gleichstellung der Karenz mit einer Erwerbstätigkeit/Beschäftigung bereits nach nationalem Recht für die Zeit bis zum zweiten Geburtstag des Kindes vorgesehen ist, ist im vorliegenden Fall die nationale – in § 24 Abs 2 KBGG enthaltene – Definition des Beschäftigungsbegriffs maßgeblich, nicht aber Art 11 Abs 2 der VO (EG) 883/2004, nach dem zum Zweck der Bestimmung des anwendbaren Rechts bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen wird, dass sie diese Beschäftigung weiter ausüben. Vielmehr ist für den Zeitraum der gesetzlichen Karenz unabhängig von Art 11 Abs 2 VO (EG) 883/2004 infolge Art 1 lit a der VO (EG) 883/2004 iVm § 24 Abs 2 KBGG eine „Beschäftigung“ gegeben.

7. Ist von einer „Beschäftigung“ in Österreich iSd VO (EG) 883/2004 auszugehen und wohnt die Klägerin mit ihrem Kind und dem Vater des Kindes in Deutschland, ist ein die Anwendung der VO (EG) 883/2004 bedingendes grenzüberschreitendes Sachverhaltselement zu bejahen. Lediglich in Fällen, in denen Eltern mit dem Kind nur in einem Staat leben und dort arbeiten, also kein relevantes Element (zB eine Beschäftigung) in einen anderen Staat hineinreicht, läge ein rein nationaler Fall vor und bestünde keine Anwendbarkeit der Koordinierungsvorschriften (EuGH 9. 7. 1992, Rs C-153/91, Petit, Rz 8).

8. Zur Erwerbstätigkeit der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland:

8.1 Nach der Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitnehmerbegriff, der ua den persönlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 bestimmte, ist eine Person als Arbeitnehmer zu qualifizieren, sofern sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen des Sozialsystems eines Mitgliedstaates pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (EuGH 10. 3. 2011, Rs C-516/09, Borger, Rz 26). Daher galten auch geringfügig Beschäftigte als Arbeitnehmer (EuGH 14. 12. 1995, Rs C-444/93, Megner und Scheffel, Rz 17 und 18; RIS-Justiz RS0116469). Dass das Einkommen eines Arbeitnehmers nicht seinen ganzen Lebensunterhalt decke, nimmt ihm nicht die Eigenschaft eines Erwerbstätigen; ebenso nicht der Umstand, dass die Bezahlung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis unter dem Existenzminimum liegt oder die normale Arbeitszeit selbst zehn Stunden pro Woche nicht übersteigt (EuGH 4. 2. 2010, Rs C-14/09, Genc, Rz 25).

8.2 Für erwerbszentrierte Systeme der sozialen Sicherheit geht die Lehre – im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH zur VO (EWG) 1408/71 – weiterhin davon aus, dass grundsätzlich jene Personen eine „Beschäftigung“ iSd VO (EG) 883/2004 ausüben, die zumindest in einem Zweig der Sozialversicherung aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit Beiträge leisten (Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [56. Lfg], Art 1 VO [EG] 883/2004 Rz 9 ff; Spiegel in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Art 1 VO [EG] 883/2004 Rz 8). Da sowohl in Österreich als auch in Deutschland geringfügig Beschäftigte (§ 5 Abs 2 ASVG; § 8 dSGB IV) teilweise in der Unfallversicherung versichert sind, werden im Schrifttum beider Staaten geringfügige Erwerbstätigkeiten als „Beschäftigungen“ iSd VO (EG) 883/2004 angesehen (Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [56. Lfg], Art I VO [EG] 883/2004 Rz 9; Otting in Hauck/Noftz, Gesamtkommentar Sozialgesetzbuch, EU-Sozialrecht [5. Erg.Lfg] Art 1 VO [EG] 883/2004 Rz 10 f; Dern in Schreiber/Wunder/Dern, VO [EG] 883/2004 Art I Rz 8; Steinmeyer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht7 Art 11 VO [EG] 883/2004 Rz 13).

8.3 Ist infolge der in § 24 Abs 2 KBGG enthaltenen Gleichstellungsbestimmung für den Zeitraum der gesetzlichen Karenz (in den der strittige Zeitraum fällt) davon auszugehen, dass die Klägerin ihre Tätigkeit in Österreich ausübt und ist ihre gleichzeitig ausgeübte geringfügige Tätigkeit in Deutschland als „Beschäftigung“ iSd VO (EG) 883/2004 zu qualifizieren, richtet sich das anzuwendende Recht nach Art 13 VO (EG) 883/2004 iVm Art 14 VO (EG) 987/2009 idF vor der mit Wirkung ab 28. Juni 2012 in Kraft getretenen Novelle (Art 3 VO [EU] 456/2012). Diese lauten wie folgt:

Art 13 VO (EG) 883/2004:

Eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehreren Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, unterliegt:

a) den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt oder wenn sie bei mehreren Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben,

oder

b) den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dem das Unternehmen oder der Arbeitgeber, das bzw der sie beschäftigt, seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeiten in dem Wohnmitgliedstaat ausübt.

Nach Art 14 Abs 5 der VO (EG) 987/2009 ist unter einer Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, eine Person zu verstehen,

a) die eine Tätigkeit in einem Mitgliedstaat beibehält, aber zugleich eine gesonderte Tätigkeit in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten ausübt, und zwar unabhängig von der Dauer oder Eigenart dieser gesonderten Tätigkeit;

b) die kontinuierlich Tätigkeiten alternierend in zwei oder mehr Mitgliedstaaten nachgeht, mit der Ausnahme von unbedeutenden Tätigkeiten und zwar unabhängig von der Häufigkeit oder der Regelmäßigkeit des Alternierens.

8.4 Auch nach der Stammfassung der VO (EG) 883/2004 sollen Personen, die gewöhnlich in mehreren Mitgliedstaaten eine Erwerbstätigkeit ausüben, grundsätzlich den Rechtsvorschriften jenes Mitgliedstaates unterliegen, in dem sie den „wesentlichen“ Teil ihrer Beschäftigung ausüben (Art 13 Abs 1 VO [EG] 883/2004 aF). Darunter ist ein quantitativ erheblicher Teil der Tätigkeit zu verstehen, der nicht notwendigerweise der größte Teil der Tätigkeit sein muss. Als Indikator für einen „wesentlichen Teil“ der Tätigkeit gilt grundsätzlich ein Anteil von 25 % an der Arbeitszeit und/oder des Arbeitsentgelts (Praktischer Leitfaden zum anwendbaren Recht der EU, im EWR und in der Schweiz [Dezember 2013] 31; Pöltl in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [20. Lfg], Art 14 VO [EG] 987/2009 Rz 50).

8.5 Ausgenommen von dieser Grundregel sind nach der Stammfassung der VO allerdings Personen, die bei mehreren Unternehmen oder Arbeitgebern beschäftigt sind, die ihren Sitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben. Diese Personen unterliegen in erster Linie den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats (Art 13 Abs 1 lit a VO [EG] 883/2004 aF). Das führt in einer Situation wie der vorliegenden zu dem Ergebnis, dass bereits die Ausübung einer – allenfalls auch nur unbedeutenden – Tätigkeit für einen anderen Arbeitgeber im Wohnsitzstaat Deutschland die Anwendung der Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats bedingt und zwar „unabhängig von der Dauer und der Eigenart“ der Tätigkeit (Art 14 Abs 5 lit a der VO [EG] 987/2009 aF; Spiegel, Die neue europäische Sozialrechtskoordinierung, in Marhold, Das neue Sozialrecht der EU [2005] 9 [35]).

9. Bei der Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft haben nach der Rechtsprechung des EuGH zwar jene Tätigkeiten außer Betracht zu bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich „als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen“ (EuGH 18. 7. 2007, Rs C-213/05, Geven, Rz 16; EuGH 4. 2. 2010, Rs C-14/09, Genc, Rz 19; EuGH 7. 9. 2004, Rs C-456/02, Trojani, Rz 15). In der hier noch zur Anwendung zu bringenden Stammfassung des Art 14 Abs 5 der VO (EG) 987/2009 galt der Ausschluss von unbedeutenden Tätigkeiten aber lediglich für Abs 5 lit b, der ausschließlich die kontinuierliche Ausübung von Tätigkeiten alternierend in zwei Mitgliedstaaten zum Gegenstand hat. Da infolge der Beschäftigungsfiktion des § 24 Abs 2 KBGG im vorliegenden Fall von einer gleichzeitigen Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten (Art 14 Abs 5 lit a VO [EG] 987/2009) und nicht von einer alternierenden Abfolge von Tätigkeiten (Art 14 Abs 5 lit b dieser VO) auszugehen ist, ist nicht zu prüfen, ob die Tätigkeit der Klägerin in Deutschland als eine unbedeutende Tätigkeit anzusehen ist, die die Anwendung der Art 13 ff der VO (EG) 883/2004 ausschließen könnte.

10.1 Die Klägerin unterliegt aufgrund ihrer beiden Beschäftigungsverhältnisse im strittigen Zeitraum November und Dezember 2011 demnach (allein) deutschem Recht. Ist auf den Vater des Kindes aufgrund dessen Beschäftigung in Deutschland ebenfalls deutsches Recht anzuwenden und wohnen die Eltern mit dem Kind in Deutschland, besteht kein nach Art 68 der VO (EG) 883/2004 aufzulösender Anspruchskonflikt, sodass der Anspruch auf Ausgleichszahlung zum deutschen Elterngeld für November und Dezember 2011 zu verneinen ist. Die in Deutschland vorgenommene Leistungskürzung ist für den österreichischen Rechtsbereich ohne Relevanz.

10.2 Erst mit der Novelle durch die VO (EU) 465/2012 wurde das Kriterium der „unbedeutenden Tätigkeit“ auf den gesamten Anwendungsbereich von Art 13 erweitert (Pöltl in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 14 VO [EG] 987/2009, Rz 44) und wurde die Nichtberücksichtigung von „unbedeutenden Tätigkeiten“ auch auf Personen ausgedehnt, die – wie die Klägerin – für zwei Arbeitgeber tätig sind (Art 14 Abs 5b VO [EG] 987/2009 idF der Novelle durch die VO [EU] 465/2012). Nach der neuen Rechtslage unterläge die Klägerin – sofern sie in ihrem Wohnmitgliedstaat (Deutschland) keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt  – österreichischem Recht (Art 13 Abs 1 lit b sublit iii VO [EG] 883/2004). Der sich daraus ergebende Anspruchskonflikt wäre dahin aufzulösen, dass der Wohnortstaat des Kindes (Deutschland) prioritär zuständig wäre und Österreich eine Ausgleichszahlung zu leisten hätte (Art 68 Abs 1 lit b sublit i iVm Art 68 Abs 2 der VO [EG] 883/2004). Art 16 der VO (EG) 883/2004 sieht die Möglichkeit – auch rückwirkend – vor, eine Ausnahmevereinbarung zu beantragen.

Der Revision war daher im Ergebnis nicht Folge zu geben.

11. Auf die im Berufungsurteil ausgesprochene Rückzahlungsverpflichtung über 25,32 EUR kommt die Revision inhaltlich nicht mehr zurück.

12. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin einen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurde nicht geltend gemacht und ist auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

Schlagworte

;Sozialrecht;

Textnummer

E120535

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00122.17I.1220.000

Im RIS seit

06.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

06.02.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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