Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Prof. Dr. M*****, vertreten durch Freimüller Obereder Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei und den Gegner der gefährdeten Partei DDr. M*****, vertreten durch Mag. Stefan Traxler, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. Juli 2017, GZ 1 R 49/17h-10, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 23. Februar 2017, GZ 69 Cg 26/17p-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat ihre Kosten des Revisionsrekursverfahrens vorläufig selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Der Kläger ist Veterinärmediziner, Universitätsprofessor an der Veterinärmedizinischen Universität in W*****, Leiter der Universitätsklinik für Geflügel und Fische und dort Departmentsprecher des Departments für Nutztiere und öffentliches Gesundheitswesen. Er führt nach dem Tierversuchsgesetz 2012 (TVG) genehmigte Versuche an Puten durch, deren Forschungsziel die Entwicklung von auch für Nutztiere zugelassenen Medikamenten gegen die bei Puten verbreitete Schwarzkopfkrankheit ist. Dabei werden Puten gezielt mit der Schwarzkopfkrankheit infiziert, ihr Allgemeinbefinden beobachtet und evaluiert. Bei Auftreten von starken Krankheitssymptomen werden sie im Einklang mit § 11 Abs 2 TVG getötet.
Der Beklagte ist Vereinsobmann einer Nichtregierungsorganisation, die für Tierschutz eintritt. Er veröffentlichte auf seiner Website einen Bericht über die Tierversuche des Klägers. Auf Antrag des Klägers untersagte das Handelsgericht Wien dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung vom 19. 12. 2016, über den Kläger zu behaupten, er füge jedes Jahr mehr als 100 Puten schweres Leid zu, damit die Putenmastindustrie keine zu großen Verluste mache.
Unter www.m*****.com/tierexperimentator
-h*****-gewinnt-einstweiligeverfuegung-ich-darf-seine-tierver-suche-vorerst-nicht-mehr-kritisieren/ berichtete der Beklagte am 23. 12. 2016 in seinem Blog über diese Gerichtsentscheidung. Der Blogeintrag enthält folgende Äußerung:
„Josef Mengele und eine Reihe anderer Ärzte im Dritten Reich führten medizinische Versuche an Menschen durch, die für diese zum Teil sehr schmerzhaft, jedenfalls immer nachteilig waren. Das Ziel der Versuche, so wurde in den Nürnberger Ärzteprozessen von den Tätern argumentiert, war der Schutz der Menschen. Muss diese Schutzbehauptung nicht als unerträglich zynisch gewertet werden? Wie kann ein Mensch, der anderen Menschen solche Leiden zufügt, davon sprechen, in Wahrheit den Schutz von Menschen im Auge zu haben? Aber dasselbe gilt für [Kläger] und seine Tierversuche an Puten. Wie die Ärzte im Dritten Reich, führt er schmerzhafte medizinische Versuche an Wesen durch, unter denen diese schwer leiden, und rechtfertigt das damit, andere Wesen der selben Art dadurch schützen zu wollen. Die Situation ist völlig parallel und daher gleichermaßen zynisch und unglaubwürdig.“
Dem Rekurs des Beklagten gegen die einstweilige Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 19. 12. 2016 wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 21. 3. 2017 Folge gegeben und der Sicherungsantrag abgewiesen.
Zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragt der Kläger nunmehr, dem Beklagten zu verbieten, über den Kläger zu behaupten, dieser führe, wie Ärzte im Dritten Reich, schmerzhafte medizinische Versuche an Wesen durch, unter denen diese schwer litten; die Situation sei völlig parallel zu den von Josef Mengele und anderen Ärzten im Dritten Reich durchgeführten medizinischen Versuchen an Menschen, oder gleichartige unwahre und/oder ehrenrührige Behauptungen aufzustellen. Es handle sich um unwahre Tatsachenbehauptungen des Beklagten im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB, oder um einen Wertungsexzess, der eine Beleidigung im Sinn des § 1330 Abs 1 ABGB darstelle.
Der Beklagte hält dem entgegen, das Verbot der Aussage, „die Situation der vom Kläger durchgeführten Tierversuche sei völlig parallel mit den von Josef Mengele und anderen Ärzten im Dritten Reich durchgeführten medizinischen Versuchen an Menschen“ sei nicht berechtigt, weil er eine solche Behauptung nicht aufgestellt habe. In der inkriminierten Äußerung werde vielmehr eine Parallele (nur) zwischen der Rechtfertigung der Täter für die Menschenversuche im Dritten Reich und der Rechtfertigung seiner Tierversuche durch den Kläger gezogen, dass nämlich beide vorgäben, nur Gutes für die Artgenossen ihrer Opfer zu wollen. Ein Vergleich zwischen den Versuchen selbst werde nicht gezogen. Er habe auch nicht behauptet, dass der Kläger menschenrechtswidrige, gesetzwidrige, kriminelle und brutale medizinische Versuche an Lebewesen durchführe. Die Versuche seien jedoch tatsächlich brutal und eine Tierquälerei. Die Einschränkungen von Tierversuchen durch das TVG sei stark verwässert; es bedürfe eines Verbots von Tierversuchen wie der vom Kläger durchgeführten. In dem vom Kläger zitierten Wikipedia-Artikel zu Menschenversuchen des Dritten Reichs sei davon die Rede, dass Menschen mit Fleckfieber infiziert worden seien, um einen Impfstoff zu entwickeln. Der Kläger infiziere Puten und Hühner mit der Schwarzkopfkrankheit, um einen Impfstoff zu entwickeln. In beiden Fällen litten die Opfer gleichermaßen. Es handle sich bei dem Vergleich nicht um eine Tatsachenbehauptung, die deshalb falsch sei, weil die Menschenversuche im Dritten Reich kriminell und die Objekte der Versuche Menschen und keine Tiere gewesen seien. Denn die Täter der Menschenversuche hätten diese nicht heimlich durchgeführt und seien während der Dauer des Dritten Reichs dafür nicht rechtlich belangt worden; außerdem seien Menschen biologisch Tiere. Die relevanten Charakteristika für die ethische Bewertung des Umgangs mit Menschen und Puten seien deckungsgleich; nämlich dass sie ein Bewusstsein hätten, bewusst Entscheidungen treffen könnten, nicht in Gefangenschaft leben wollten, nicht mit Krankheitserregern infiziert werden wollten und litten, wenn man ihnen Schmerzen zufüge. Es bestehe der wahre Tatsachenkern, dass die Rechtfertigung der Menschen- und Tierversuche gleichermaßen zynisch und unglaubwürdig sei; ein Wertungsexzess liege nicht vor.
Mit dem angefochtenen Beschluss erließ das Rekursgericht die begehrte einstweilige Verfügung. Bei unbefangener Lektüre ergebe sich als Sinngehalt der Äußerung des Beklagten, dass er behaupte, die Situation der vom Kläger durchgeführten Tierversuche sei völlig parallel mit den von Josef Mengele und anderen Ärzten im Dritten Reich durchgeführten Versuchen an Menschen. Durch den mit der inkriminierten Äußerung vorgenommenen Vergleich der Vorgangsweise Josef Mengeles mit der Vorgangsweise des Klägers würden dem Kläger implizit eine vergleichbare ideologische Gesinnung und die gleichen Charaktereigenschaften wie Josef Mengele vorgeworfen. Dass der Leser erkenne, der Kläger führe Tierversuche und nicht Versuche an Menschen durch, sodass er nicht im technischen Sinn gegen die Menschenrechte verstoßen könne, ändere nichts am Vorwurf einer Josef Mengele gleichenden menschenverachtenden Gesinnung. Dieser Vorwurf sei aber objektiv nicht auf seine Richtigkeit überprüfbar, sodass er als Werturteil zu qualifizieren sei. Die Äußerung werde vom unbefangenen Durchschnittsleser nicht als überprüfbarer Vorwurf, der Kläger verstoße gegen das TVG aufgefasst. Der Vorwurf des brutalen Handelns sei dahin zu verstehen, dass der Täter ein das gerechtfertigte oder notwendige Ausmaß übersteigendes Maß an Gewalt anwende; welches Ausmaß an Gewalt aber als gerechtfertigt oder notwendig anzusehen sei, sei nicht objektiv überprüfbar, sondern erfordere einen subjektiven Bewertungsvorgang. Die inkriminierte Äußerung sei daher als ein auf der Tatsachengrundlage der Durchführung von Tierversuchen durch den Kläger geäußertes Werturteil aufzufassen, die Gesinnung des Klägers sei jener Mengeles gleichzuhalten; sein Charakter sei also genauso skrupellos, menschenverachtend und grausam wie der eines Anhängers der nationalsozialistischen Rassenideologie, der die Möglichkeit der sanktionslosen Tötung von Menschen für eigene Forschungszwecke ausnutzte. Nach dem Inhalt der beanstandeten Äußerung stehe im Mittelpunkt die Diskreditierung des in der Öffentlichkeit nicht bekannten Klägers als Person, indem er mit Josef Mengele in Verbindung gebracht werde. Das führe aber dazu, dass das Interesse an einer öffentlichen Diskussion der Legitimität von Tierversuchen unter Heranziehung des gebrauchten Vergleichs als gering anzusetzen sei. Der Vergleich des Klägers mit Josef Mengele sei auch nicht geeignet, zu einer öffentlichen Debatte über die Richtigkeit der – vom Beklagten ohnehin mit Rekurs bekämpften – einstweiligen Verfügung beizutragen. Der vom Beklagten gezogene Vergleich ziele nach dem Inhalt der beanstandeten Äußerung weniger auf die drastische Darstellung von Tierleid als auf die Verächtlichmachung des Klägers als Person ab. Es überwiege daher das Recht des Klägers am Schutz seiner Ehre bei weitem das Interesse der Allgemeinheit und des Beklagten an der beanstandeten Äußerung. Diese sei daher als Wertungsexzess zu beurteilen.
Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil der Frage, ob das Interesse an einer öffentlichen Debatte über die ethische Rechtfertigung von Tierversuchen den durch den Vergleich mit Josef Mengele bewirkten Eingriff in die Ehre eines nicht in der Öffentlichkeit bekannten Tierarztes, der Tierversuche unter Einhaltung des TVG durchführt, zu rechtfertigen vermöge, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme und Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Fall deshalb nicht vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO iVm §§ 78, 402 Abs 4
EO) – mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO nicht zulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO und §§ 78, 402 Abs 4 EO).
1. Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung ist eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang abhängt (RIS-Justiz RS0115693). Ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar ist, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und bildet demnach keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO (6 Ob 52/16i; vgl RIS-Justiz RS0107768), es sei denn, es läge eine unvertretbare Beurteilung vor (RIS-Justiz RS0107768 [T1]). Maßgeblich für die Beurteilung ist der Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerungen nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittsleser oder -hörers, nicht aber der subjektive Wille des Äußernden (RIS-Justiz RS0031883, RS0032489). Auch die Frage, ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab; darin ist – von einer krassen Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen abgesehen – eine das jeweilige Verfahren an Bedeutung übersteigende Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO nicht zu erblicken (RIS-Justiz RS0113943).
2. Das Rekursgericht hat daher keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.
3. Auch der Revisionsrekurswerber führt eine erhebliche Rechtsfrage nicht aus.
3.1. Zutreffend hat das Rekursgericht dargetan, dass aus den Judikaten des Obersten Gerichtshofs 6 Ob 93/98i („Schweine-KZ“) und 6 Ob 321/04f („Holocaust auf Ihrem Teller“) nicht geschlossen werden kann, das Anliegen des Tierschutzes rechtfertige stets jeden Vergleich im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Herrschaft.
3.2. Die Behauptung des Rechtsmittelwerbers, die beanstandete Äußerung sei Teil der Rekursschrift des Beklagten gegen die einstweilige Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 19. 12. 2016, ist eine im Revisionsrekursverfahren unbeachtliche Neuerung. Soweit die Ausführungen des Beklagten darauf aufbauen, sind sie schon deshalb nicht geeignet, eine fehlerhafte rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts aufzuzeigen.
3.3. Der Rechtsmittelwerber hält den Erwägungen des Rekursgerichts zum Bedeutungsinhalt der beanstandeten Äußerung seine diesbezüglichen Ausführungen in der Rekursbeantwortung entgegen und legt damit nicht dar, weshalb das vom Rekursgericht erzielte Auslegungsergebnis einer Korrektur bedürfte.
3.4. Die vom Rekursgericht vorgenommene Deutung der inkriminierten Äußerung ist jedenfalls vertretbar. Der Rechtsmittelwerber selbst trägt vor, es sei historisch falsch anzunehmen, die Menschenversuche damals seien nicht mit dem Schutz von Menschen gerechtfertigt worden. In Wahrheit hätten die TäterInnen überhaupt kein schlechtes Gewissen gehabt. Damit stützt er das Verständnis des Rekursgerichts, wonach die Aussage des Beklagten als Zuschreibung von Eigenschaften aufzufassen ist, die Mengele als Arzt und Mensch auszeichneten, insbesondere ein erhebliches Maß an Gewissenlosigkeit (vgl dBVG 1 BvR 984/02).
4. Dem Rekursgericht ist vor dem Hintergrund des Art 10 Abs 2 EMRK auch nicht entgegenzutreten, wenn es dem vom Beklagten angegriffenen Recht auf Ehre des nicht in der Öffentlichkeit stehenden Klägers im Rahmen der Abwägung nach den Umständen des Falls Vorrang vor der Meinungsfreiheit des Beklagen eingeräumt hat (vgl EGMR 26. 11. 2015, A. ./. Deutschland, Nr 3690/10; 8. 11. 2012, P. ./. Deutschland, Nr 43481/09; 13. 11. 2011 Hoffer und Annen ./. Deutschland, Nr 397/07 und 2322/07; dBVG 1 BvR 984/02).
5. Die Entscheidung über die Kosten des Klägers beruht auf § 393 Abs 1 EO.
Textnummer
E120529European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00166.17F.1221.000Im RIS seit
06.02.2018Zuletzt aktualisiert am
27.06.2018