Entscheidungsdatum
22.01.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W224 2138587-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Martina WEINHANDL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2016, Zl. IFA 1104568006+VZ 160185876:
A)
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich Spruchpunkts I. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehörige Syriens, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.02.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.02.2016 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er stamme aus XXXX , sei sunnitisch-muslimischen Glaubens, verheiratet mit 2 Ehefrauen und Vater von mehreren Kindern. Er sei im Dezember 2011 legal mittels Flugzeugs nach Ägypten ausgereist. Nach den Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, vor vier Jahren sei sein Haus in XXXX vom IS zerstört worden.
2. Am 22.07.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Hierbei gab er im Wesentlichen an, er habe seine erste Frau am 14.03.1980 geheiratet und sei bereits vor dieser Frau geschieden. Seine zweite Frau habe er 1992 geheiratet. Seine dritte Frau habe er Ende 2001 geheiratet und diese Ehe wurde nach drei Monaten wieder geschieden. Seine vierte Frau habe er 2006 geheiratet. Mit dieser Frau lebe er im Moment zusammen. Er habe vier Söhne und fünf Töchter, wobei seiner näher bezeichneten Tochter, welche im Jahr 2008 geboren ist, den Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde.
Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, seine Ortschaft sei bombardiert worden, Flugzeuge hätten Raketen abgeworfen. Die Sicherheitslage in Syrien sei sehr schlecht, es gebe auch immer wieder Entführungen. Im Juni 2012 sei er legal nach Ägypten gereist. In Syrien gebe es sehr viele militärische Organisationen und viele Verbrechen. Er sei nie persönlich bedroht oder verfolgt worden.
Am 23.06.2016 legte der Beschwerdeführer sein Familienbuch vor und führte aus, dass seiner mj. Tochter der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden sei und beantragte, ihm den Status des Asylberechtigten im Familienverfahren zuzuerkennen.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27.09.2016, Zl. IFA 1104568006+VZ 160185876, wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchteil I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchteil II.), und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchteil III.).
Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers führte das BFA Folgendes aus:
Der Beschwerdeführer, dessen Identität feststehe, sei syrischer Staatsangehöriger und gehöre der Volksgruppe der Araber sowie dem sunnitischen Gauben an. Es werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer keiner konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung in Syrien ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte.
4. Gegen Spruchteil I. des angefochtenen Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in der im Wesentlichen Folgendes ausgeführt wurde:
Das BFA hätte feststellen müssen, dass der Beschwerdeführer ein bestehendes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zu seiner mj. Tochter, welche Asylberechtigte sei, aufrecht habe. Dies habe der Beschwerdeführer auch in seiner Stellungnahme vom 23.06.2016 dargetan und belegt. Damit sei das originär seiner Tochter zugesprochene Asylrecht auf ihn im Familienverfahren zu erstrecken.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2104/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 6.7.2016, Ra 2015/01/0123 mwN; vgl. auch jüngst VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109, Rz 18ff; etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, 127 und 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, 65 und 73 f.).
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu A)
Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen wegen Nichtfeststellung des maßgeblichen Sachverhalts mangelhaft:
Gemäß § 3 AsylG 2005 ist einem Asylwerber auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesem im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (in Folge: GFK) droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.
Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 21.12.2000, 2000/01/0131; vom 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH vom 09.09.1993, 93/01/0284; vom 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn die Asylentscheidung erlassen wird;
auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH vom 09.03.1999, 98/01/0318;
vom 19.10.2000, 98/20/0233).
Die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung setzt nicht voraus, dass der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung bereits erlitten haben müsste oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre; eine derartige Befürchtung ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers dergestalt sind, dass die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar ist (siehe VwGH vom 25.01.1996, 95/19/0008, wenn auch zum AsylG 1991, jedoch unter Bezugnahme auf den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention).
Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG hat das BFA in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Das BFA stellt zwar fest, dass der Beschwerdeführer mit seiner asylberechtigten Tochter in Wien wohnt, es traf jedoch keine entsprechenden Feststellungen zum Bestehen eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK und ob dieses in einem anderen Staat fortgesetzt werden kann.
Sollten die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sein, könnte eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG in Betracht kommen.
Der Sachverhalt ist somit in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Eine Zurückverweisung der Sache an das BFA zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt im vorliegenden Fall deshalb in Betracht, weil das BFA die erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat bzw. weil es den maßgebenden Sachverhalt bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).
In der Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an das BFA zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben. Das verwaltungsbehördliche Verfahren erweist sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; 6.7.2016, Ra 2015/01/0123).
Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. dazu auch OGH 22.3.1992, 5 Ob 105/90; vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).
Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur Erlassung eines neuen Bescheides ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 6.7.2016, Ra 2015/01/0123).
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Familienangehöriger, Familienleben,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W224.2138587.1.00Zuletzt aktualisiert am
02.02.2018