TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/22 L516 2174061-1

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Veröffentlicht am 22.01.2018
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Entscheidungsdatum

22.01.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

L516 2174061-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017, Zahl 1096382010 – 151842355/BMI-BFA_KTN_RD, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine iranische Staatsangehörige, stellte am 23.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde sie am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und nach Zulassung des Verfahrens am 18.07.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen.

1.1. Sie führte im Rahmen dieser Einvernahme aus, dass sie mit ihrem zusammen mit ihr nach Österreich gereisten Freund in einer außerehelichen sexuellen Beziehung lebe und am 09.04.2017 die gemeinsame Tochter zur Welt gekommen sei.

2. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 idgF hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides). Gemäß § 8 Abs 1 AsylG wurde der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) und gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III). Mit Schreiben vom 02.10.2017 wurde der Beschwerdeführerin vom BFA mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Die Beschwerdeführerin hat gegen den ihr am 04.10.2017 zugestellten Bescheid des BFA mit Schriftsatz vom 18.10.2017 Beschwerde erhoben und Spruchpunkt I des Bescheides angefochten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige des Iran, ihre Identität steht fest und lautet auf den Namen XXXX , geb. XXXX .

1.2. Die Beschwerdeführerin reiste im November 2015 in Österreich ein. Sie führt eine außereheliche sexuelle Beziehung mit dem ebenfalls iranischen Staatsangehörigen XXXX , geb. XXXX [hg Zahl L516 2174059-1]. Der Beziehung entstammt die 2017 in Österreich geborene gemeinsame Tochter XXXX [hg Zahl L516 2174063-1].

1.3. Zur Lage im Iran:

1.3.1. Die Todesstrafe kann nach iranischem Recht für eine große Zahl von Delikten, auch politische Straftaten, verhängt werden:

Neben Mord, Rauschgiftschmuggel, terroristischen Aktivitäten sowie "Kampf gegen Gott" können ebenso bewaffneter Raub, Straßenraub, Teilnahme an einem Umsturzversuch, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Vergewaltigung und andere Sexualstraftaten, u.a. weibliche und männliche Homosexualität, Ehebruch und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslimen mit einer Muslimin, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islam oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit) mit dem Tod bestraft werden. Das islamische Strafgesetzbuch sah auch weiterhin Steinigung als Hinrichtungsmethode vor. 2015 wurden mindestens zwei Personen zum Tod durch Steinigung verurteilt. Es gab allerdings keine Berichte über vollstreckte Steinigungen (Bescheid, S 45).

1.3.2. Das iranische Gesetz verbietet sexuelle Handlungen zwischen nichtverheirateten Personen explizit. Wie der Übersetzung des iranischen Strafgesetzbuches vom Iran Human Documentation Center zu entnehmen ist, wird außerehelicher Geschlechtsverkehr (zina) als Verstoß gegen die "Rechtsansprüche Gottes" (hadd) gewertet und entsprechend bestraft (Book 2 – Hudud, Chapter 1 Hadd punishment for Zina, Sections 1-4). Für verheiratete Personen, die Ehebruch begehen, ist die Todesstrafe durch Steinigung vorgesehen. Für unverheiratete Personen ist das Strafmaß auf 100 Peitschenhiebe festgelegt (Bescheid, S 62). Da es sich dabei um ein "Hadd"-Delikt handelt (eine von der Sharia auferlegte Strafe), kann sie weder umgewandelt noch ausgesetzt werden (Bescheid, S 59).

2. Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen:

2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft der Beschwerdeführerin (oben II.1.1.) ergeben sich aus ihren diesbezüglichen Angaben, an denen auf Grund ihrer Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Die Identität ergibt sich aus der im Akt einliegenden Kopie der Nationalkarte der Beschwerdeführerin (AS 65f; Übersetzung AS 46).

2.2. Die Feststellung zu ihrer Einreise ergibt sich aus dem Inhalt des vom BFA vorgelegten Verwaltungsverfahrensaktes. Die festgestellte außereheliche sexuelle Beziehung beruht auf den Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Freundes im Verfahren, welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass diese diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätten, festgestellt. Die Geburt der gemeinsamen Tochter wurde aufgrund der vorgelegten Geburtsurkunde vom 26.04.2017 (AS 5 des Aktes zur hg. Zahl L516 2174063-1) festgestellt.

2.3. Die Feststellungen zur Lage im Iran (oben II.1.3.) beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.03.2016 zum Iran, welches hinsichtlich der Ausführungen unter Punkt II.1.3.1. hinreichend aktuell ist. Weiters beruhen sie auf der Schnellrecherche der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 10.04.2015 zur Gefährdungslage bei der Rückkehr in den Iran mit einem unehelichen Kind (AS 103) sowie auf einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesasylamtes vom 23.04.2010 (AS 99).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005

3.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

3.2. Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.3. Zum gegenständlichen Verfahren

3.3.1. Das BFA erkannte bereits der Beschwerdeführerin den Status einer subsidiär Schutz zu. Das BFA begründete dies mit der Verfolgung durch die staatlichen iranischen Behörden, die der Beschwerdeführerin aufgrund der festgestellten unerlaubten sexuellen Beziehung droht. Das BFA erkannte jedoch in dieser drohenden Verfolgung keinen Bezug zu einem Konventionsgrund.

3.3.2. Hinsichtlich der festgestellten außerehelichen sexuellen Beziehung ist darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, dass im Zusammenhang mit der Verquickung von Staat und Religion im Iran das Erfordernis einer Prüfung auch dem Schutz religiöser Werte dienender Strafverfolgungsschriften unter dem Gesichtspunkt einer unterstellten politischen Gesinnung besteht (VwGH 27.09.2001, 99/20/0409 und 16.04.2002, 2001/20/0361, die Strafverfolgung wegen der Lebensgemeinschaft bzw. sexueller Kontakte mit einem Christen betreffend; 17.10.2002, 2000/20/0102, die Strafverfolgung wegen Fluchthilfe für eine wegen Ehebruchs verfolgte Frau betreffend; 24.04.2003, 2000/20/0278, die Steinigung als Strafe bei Ehebruch). Im Zusammenhang mit der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und dessen Erkenntnisses vom 17.09.2003, 99/20/0126, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass die völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindliche Moralvorschriften drohen, darauf hindeuten kann, dass diese Maßnahmen an eine dem Zuwiderhandeln gegen das Gebot vermeintlich zu Grunde liegende, dem Betroffenen unterstellte Abweichung von der ihm von Staats wegen vorgeschriebenen Gesinnung anknüpfen. Welche Art von Bestrafung dem Berufungswerber wegen des "Ehebruchs" droht, ist nicht entscheidend, weil auch in der letztgenannten Bestimmung eine völlig unverhältnismäßige, staatliche Reaktion auf die Abweichung von der staatstragenden Religion zum Ausdruck kommt, sodass diese durchaus als asylrelevante Verfolgung anzusehen ist (vgl VwGH 16.04.2002, 2001/20/0361, betreffend die Bestrafung mit Peitschenhieben wegen intimer Kontakte zu einer Christin).

3.3.3. Nach den getroffenen Feststellungen kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in den Iran nicht von den iranischen Behörden wegen Verletzung der Moral und der guten Sitten verfolgt werden würde, wobei Aktualität und Eingriffsintensität aufgrund der festgestellten drohenden Strafen gegeben sind. In einem folgenden Prozess hätte die Beschwerdeführerin bei einer Verurteilung mit einer unmenschlichen bzw unverhältnismäßigen Strafe bis hin zur Todesstrafe zu rechnen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, muss aus derart übermäßigen und unmenschlichen Strafen im Iran der Schluss gezogen werden, dass ein Vergehen vom Staat auch als ein politisches bzw. religiöses Vergehen eingeschätzt wird. Der von der Beschwerdeführerin geführten außerehelichen Beziehung welcher auch ein Kind entstammt, kommt daher Asylrelevanz zu (vgl auch bereits AsylGH 09.01.2012, E3 422.516-1/2011-6E).

3.3.4. Es ist daher objektiv nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes ihres Herkunftsstaates zu bedienen.

3.3.5. Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.

3.3.6. Im vorliegenden Fall sind somit unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gegeben.

3.4. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.5. Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs 4 AsylG damit eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigte zu.

Zu B)

Revision

3.6. Da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage klar bzw durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, ist die Revision nicht zulässig.

3.7. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asyl auf Zeit, asylrechtlich relevante Verfolgung, außerehelicher
Geschlechtsverkehr, gesamtes Staatsgebiet, Herkunftsstaat,
strafrechtliche Verfolgung, unterstellte politische Gesinnung,
unverhältnismäßiger Eingriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L516.2174061.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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