TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/22 I419 2166345-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.01.2018
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Entscheidungsdatum

22.01.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

I419 2166345-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX StA. TUNESIEN, vertreten durch VEREIN MENSCHENRECHTE ÖSTERREICH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 11.07.2017, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen,

dass der erste Satz des Spruchpunktes III zu lauten hat:

"Eine 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' gemäß § 57 AsylG wird Ihnen nicht erteilt."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer tunesischer Staatsangehörigkeit reise illegal ein und stellte am 01.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit fehlenden Rechten seiner Volksgruppenangehörigkeit begründete. Er sei Berber und Anfang 2012 nach Libyen gefahren und später in die Türkei geflogen, wo er bis vor fünf oder sechs Monaten geblieben sei, als er sich nach Griechenland begeben habe. In Frankreich habe er einen Onkel, der ihm zweimal Geld geschickt habe, seine Geschwister seien in Libyen, seine Mutter in der Türkei, der Vater verstorben.

In Tunis habe er fünf Jahre die Volks- und zwei Jahre die Hauptschule besucht. Er wolle frei leben, deswegen sei er in Österreich, und dadurch auch seiner Mutter helfen. Im Heimatstaat habe er keine Rechte, das Haus sei bereits verbrannt worden, und er könnte als Berber im Fall seiner Rückkehr ermordet werden.

2. In der niederschriftlichen Einvernahme gab er an, wie bereits sein Vater, welcher ursprünglich Algerier gewesen und nach Tunesien gegangen sei, der Volksgruppe der Harki anzugehören, welche nicht gegen die Franzosen gekämpft habe. Anfangs hätten sie ein gutes Leben gehabt, nach dem Präsidentenwechsel sei es schwerer geworden. Für die Schule habe man plötzlich bezahlen müssen, Arbeit zu finden sei schwer gewesen, und arbeiten hätte er nur außerhalb der Stadt können. Auch sei ihnen nach dem Tod der Großmutter ihr Haus abgenommen worden.

In Tunesien hätten sie keine Rechte, er sei 52, habe nie als freier Mensch gelebt und auch seine Meinung nicht äußern dürfen. Er wolle wie ein "normaler Mensch" leben, sei stolz, Harki zu sein und wolle nie in seinem Leben kämpfen.

Auf die Frage, ob er demnach aus wirtschaftlichen Gründen in Österreich sei, antwortete er mit: "Ja."

Tunesien habe er 2011 legal nach Libyen verlassen, Ende August 2015 sei er illegal in Österreich eingereist. Es habe sich einfach so ergeben, dass er nach Österreich gekommen sei, eigentlich habe er nach Deutschland gewollt.

Aufgefordert, die konkrete Verfolgung zu beschreiben, gab er an: "In unserem Land sind wir nicht die [B]eliebtesten, viele Harki haben ihr Land verlassen." "Die Harkis sind in Tunesien nicht willkommen. Wir wurden auf der Straße beschimpft." "Wir sind Harki, die wollen nicht, dass wir existieren, es ist gefährlich, ein Harki zu sein."

Die Frage, ob er in Tunesien den Wehrdienst absolviert habe, verneinte der Beschwerdeführer.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA am den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Status des Asyl- (Spruchpunkt I) sowie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Tunesien (Spruchpunkt II) als unbegründet ab. Zugleich erteilte es ihm keinen Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen", erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt III). Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe nicht (Spruchpunkt IV). Zugleich aberkannte das BFA einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt V).

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I bis III und V. Beantragt wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, und vorgebracht, dass ausreichendes Parteiengehör und eine genügende amtswegige Erforschung des maßgeblichen Sachverhaltes unterblieben sei. Der Beschwerdeführer habe seine Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen, was ihn zum Konventionsflüchtling mache, und die Sicherheitsbehörden des Herkunftsstaates seien nicht gewillt oder imstande, ihm den nötigen Schutz zu bieten.

5. Nachdem die tunesische Botschaft die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers bestätigt hatte, widersetzte dieser sich am 30.11.2017 der unbegleiteten Abschiebung und wurde am 17.12.2017 begleitet abgeschoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Tunesien und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Berber an. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er spricht Arabisch als Muttersprache und etwas Französisch.

Der Beschwerdeführer reiste 2011 oder 2012 legal mit gültigem Reisedokument aus Tunesien nach Libyen aus und gelangte über die Türkei und Griechenland letztlich illegal nach Österreich. Er hält sich seit spätestens 01.09.2015 in Österreich auf.

Ein Teil der Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus der etwa 80-jährigen Mutter und zwei Schwestern, die etwa 50 und Ende 50 sind, lebt mittlerweile in Libyen, die Schwestern bei seinem Schwager. In Tunesien lebt seine Tante. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen. Ein Onkel des Beschwerdeführers lebt in Frankreich.

Der Beschwerdeführer besuchte sechs Jahre lang die Schule und arbeitete anschließend jeweils mehrere Jahre als Goldschmied und in der Gastronomie. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung in Tunesien hat er die Möglichkeit, auch künftig im tunesischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Das LG XXXX hat den Beschwerdeführer am 22.09.2017 wegen mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu vier Monaten bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe verurteilt, weil er von Ende August 2015 bis 18.08.2017 Cannabiskraut und –harz erworben und besessen und am letztgenannten Tag in einem Fall auch Cannabisharz gegen Entgelt überlassen hatte.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf. Er geht hier keiner Beschäftigung nach, ist kein Mitglied irgendeiner Organisation und bezog bis zu seiner Abschiebung Leistungen von der Grundversorgung.

1.2 Zur Lage in Tunesien:

Tunesien ist nach § 1 Z. 11 HStV ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG. Im angefochtenen Bescheid wurde das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Tunesien mit Stand 10.02.2016 zitiert, aktualisiert am 01.08.2016. Aktuell liegen Länderinformationen mit Stand 21.07.2017 vor, die in der vorliegenden Rechtssache keine Änderung der entscheidenden Sachverhaltselemente beinhalten. Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die Informationen zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von ethnischen Minderheiten und von Rückkehrenden von Relevanz, weiters die zum Wehrdienst. Demnach ist festzustellen:

1.2.1 Grundversorgung und Wirtschaft:

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 16.1.2017). Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis sowie wichtige Standortvorteile: Ein hoher Industrialisierungsgrad, gute Infrastruktur, Nähe zu Europa sowie qualifizierte Arbeitskräfte und Steuervorteile für Exportbetriebe ("Offshore-Sektor"). Den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (ca. 50% aller Erwerbstätigen), gefolgt von der Industrie (32%) und der Landwirtschaft (ca. 25%). Das Land hat sich durch die Förderung des privaten Sektors und die Integration in die Weltwirtschaft eine gute Position in der Region erarbeitet. Die wirtschaftliche Öffnung hat Tunesien ein solides Wachstum und hohe Direktinvestitionen aus dem Ausland beschert (AA 3.2016). Seit der Revolution kam es zu einer markanten Verschlechterung der sozialen und wirtschaftlichen Lage. Die Gründe dafür liegen in der fehlenden Staatsgewalt und im fehlenden Investitionsvolumen. Nach dem Umbruch ging der Tourismus, einer der wichtigsten Arbeitgeber und Devisenbringer des Landes, um mehr als 50% zurück. Hinzu kommt der Kaufkraftverlust der Bevölkerung bedingt durch Inflation und Abwertung des nicht konvertierbaren Tunesischen Dinar (ÖB 11.2016).

Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor (AA 3.2016). Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen 15 und 16 Prozent, wobei junge Menschen, Frauen, Akademiker und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind (AA 3.2016; vgl. GIZ 5.2017). Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt (AA 3.2016). Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (umgerechnet knapp 150 Euro) angehoben. Dies genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 5.2017).

Fast ein Viertel der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, lebt in Armut. Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen vergleichsweise niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 6.2017b).

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Basis-Schutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien (ÖB 11.2016).

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem (CNAM und CNSS). Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet. Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Die aktuelle Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu den rückständigeren Regionen vorgenommen (AA 16.1.2017).

1.2.2 Ethnische Minderheiten

Die Bevölkerung besteht zu 98 Prozent aus Arabern, 1 Prozent Europäern und 1 Prozent Juden und andere (CIA 12.7.2017).

Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis gibt es in Tunesien nicht (AA 16.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Minderheiten unterliegen keinen besonderen Beschränkungen. Allerdings ist die tunesische Bevölkerung sehr homogen; nur ein kleiner Teil beruft sich auf seinen berberischen Ursprung. Fälle von Diskriminierung der berberischen Minderheit sind nicht bekannt (AA 16.1.2017).

1.2.3 Rückkehr

Soweit der Botschaft bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nach Kenntnis des Auswärtigen Amts nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in § 35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: "Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 DT und 120 DT (ca. 15 bzw. 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln. Die in diesem Paragraphen aufgeführten Strafen kommen jedoch nicht zur Anwendung bei Personen, die das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten." (AA 16.1.2017).

Eine "Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie" wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. "Bulletin Numéro 3") beantragt werden (AA 16.1.2017).

Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und limitierten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Sowohl IOM als auch UNHCR übernehmen die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Tunesien. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen der Schweiz und Norwegens. Die Schweiz ist dabei einer der größten Geber und verfügt über 2 Entwicklungshilfebüros vor Ort. Wesentlich für eine erfolgreiche Reintegration ist es, rückkehrenden Migranten zu ermöglichen, eine Lebensgrundlage aufzubauen. Rückkehrprojekte umfassen z.B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben, oder im Bereich der Landwirtschaft. Als zweite Institution ist das ICMPD seit 10. Juni 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sog. "Dialog Süd" – Programms (EUROMED Migrationsprogramm) (ÖB 11.2016).

1.2.4 Wehrdienst und Rekrutierungen

Die tunesische Armee (Forces Armees Tunisiens, FAT) besteht aus den Landstreitkräften, der Marine und der Luftwaffe der Republik Tunesien. Der verpflichtende Wehrdienst dauert ein Jahr und muss im Alter von 20-23 Jahren abgeleistet werden. Freiwillig kann man sich im Alter von 18-23 Jahren zum Militärdienst verpflichten. Die tunesische Staatsbürgerschaft ist Voraussetzung (CIA 12.7.2017).

Jeder männliche Tunesier, der das 20. Lebensjahr erreicht hat, ist zur Ableistung des Wehrdiensts verpflichtet. Auf Wunsch kann er diesen aber schon ab dem 18. Lebensjahr ableisten. Die einjährige Wehrpflicht kann auch in den Arbeitsverbänden des "Service National" abgeleistet werden. Einberufene können aufgrund von Freistellungsregelungen Teile der Wehrpflichtzeit durch Zahlung von entsprechenden Beiträgen verkürzen. Zum 1. Juli 2011 ist ein Wehrsold eingeführt worden. Seit März 2003 gibt es auch für junge Frauen die Möglichkeit zur Ableistung des Wehrdienstes. Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht sind strafbar, entsprechende Verurteilungen aber nicht bekannt. Soldaten haben weder ein aktives noch ein passives Wahlrecht (AA 16.1.2017).

1.3 Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer erstattete kein substantiiertes Vorbringen über eine ihm drohende Gefährdung in seinem Herkunftsstaat im Falle seiner Rückkehr. Auch sonst ergaben sich im Verfahren keine diesbezüglichen Hinweise.

Es kann nicht festgestellt werden, dass er in Tunesien aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde. Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann insbesondere nicht festgestellt werden, dass er aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit in seinen Rechten eingeschränkt wäre.

Festgestellt wird dagegen, dass der Beschwerdeführer aus nicht asylrelevanten wirtschaftlichen Gründen seine Heimat verlassen hat. Dem Beschwerdeführer drohen nach seiner Rückkehr keine Verletzung der EMRK, keine ausweglose Lage und keine willkürliche oder strukturelle Gewalt.

Zusammenfassend wird in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und aufgrund der allgemeinen Lage im Land festgestellt, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

Der Beschwerdeführer bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sodass das Gericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt ansieht und sich der vom BFA vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung vollumfänglich anschließt.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zu den Lebensumständen des Beschwerde-führers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde und in der Beschwerde, die Fest-stellungen zu den familiären Verhältnissen auf die unbedenklichen Angaben im Verwaltungsverfahren.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sowie seine Glaubens- und Volkszugehörigkeit gründen sich auf seine eigenen, unbedenklichen Angaben.

Da der Beschwerdeführer von der tunesischen Botschaft am 17.10.2017 als Staatsangehöriger mit dem im Spruch genannten Namen und Geburtsdatum bestätigt wurde (S. 23 des Abschiebungsaktes), ist damit auch seine Identität geklärt. Aufgrund dessen konnte auch ein Heimreisezertifikat ausgestellt werden und die Abschiebung nach Tunesien erfolgen. Letzteres ergibt sich aus dem Bericht über deren Durchführung.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Strafregister und der Mitteilung des Gerichts (S. 9 ff des Abschiebungsaktes), jene zu seiner Nicht-Beschäftigung aus dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung und seinen Angaben.

2.3 Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Tunesien samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie z. B. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstands, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland nicht substantiiert entgegen.

2.4 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Nach den Feststellungen zum Herkunftsland sind die geäußerten Behauptungen und Befürchtungen wie "keine Rechte als Berber" oder "könnte als Berber ermordet werden" (AS 9 ff) sowie "gefährlich ein Harki zu sein" oder "die wollen nicht, dass wir existieren" (AS 40) nicht nachvollziehbar. Vor allem ist diesem Vorbringen entgegenzuhalten, dass sich laut den Länderfeststellungen zwar nur ein kleiner Teil der Bevölkerung auf berberischen Ursprung beruft, Fälle der Diskriminierung dieser Minderheit aber nicht bekannt sind. Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis gibt es in Tunesien nicht.

Dem Beschwerdeführer wurde im vorliegenden Fall in der Einvernahme ausreichend Gelegenheit eingeräumt, alle für die Entscheidung wesentlichen Umstände anzuführen. Der Beschwerdeführer selbst hat dabei eingeräumt, konkret und persönlich keiner Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder sozialen Stellung ausgesetzt gewesen zu sein (AS 41). Nach den Länderfeststellungen droht ihm auch keine Strafe, sollte er jemals wehrpflichtig und –tauglich gewesen sein.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher – wie auch schon die belangte Behörde – zu dem Schluss, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung oder Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.

Es ist schlüssig nachvollziehbar, dass das BFA das Fluchtvorbringen als nicht asylrelevant einstuft. Damit sind die Beurteilung der Fluchtgründe und die diesbezügliche Beweiswürdigung durch das BFA nicht zu beanstanden, sodass sich das Gericht diesen anschließt.

Der Beschwerde sind keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, die geeignet wären, die getroffenen Feststellungen infrage zu stellen. Insbesondere ist dabei festzuhalten, dass es für die Behauptungen einer "Flucht vor Verfolgung" und dafür, "dass Berber in Tunesien keine Rechte haben" (AS 109) keinerlei auch nur angebotene Sachbeweise oder Beispiele angeführt werden, und auch keine Angaben, in welcher Art und Weise konkret die Person des Beschwerdeführers betroffen sein könnte. Angesichts der Eindeutigkeit der gegenteiligen Länderinformationen wird damit im Einklang mit dem BFA trotz des Beschwerdevorbringens diesen gefolgt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1 Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I):

3.1.1 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass die geschilderten ökonomischen Schwierigkeiten – wie Arbeitssuche, Arbeitsmangel, Schulgeld – keine asylrelevante Intensität erreichen. Die wirtschaftliche Benachteiligung einer bestimmten, beispielsweise ethnischen Gruppe, die den Angehörigen dieser Gruppe jegliche Existenzgrundlage entzieht, kann grundsätzlich als "reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse" (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174) asylrelevant sein, wurde aber in dieser Intensität weder substantiiert behauptet noch von Amts wegen festgestellt.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.2 Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II):

3.2.1 Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn der Antrag in Bezug auf den Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.

Das Beschwerdevorbringen beinhaltet die Behauptung einer Verfolgung, vor der kein Schutz staatlicher Behörden gewährt werde, ohne anzugeben, worin diese Verfolgung bestehen soll. Es bleibt auch die Angabe schuldig, welche konkreten Rechte wodurch beeinträchtigt oder verletzt wären. Das gilt auch für das Vorbringen, dass "Berber in Tunesien keine Rechte haben".

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

3.2.3 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandes-schaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443 mwH). Nach den Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und den Länderfeststellungen ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten würde.

Das gilt auch dann, wenn eine Unterstützung durch die Tante oder andere Angehörige des Beschwerdeführers unterbleibt, weil er arbeitsfähig ist und auch bereits in Tunesien mehrfach und jahrelang berufstätig war. Er wird angesichts seiner Praxis und seiner Sprachkenntnisse am heimatlichen Arbeitsmarkt im nötigen Ausmaß Beschäftigung finden, wenn auch vielleicht nicht qualifizierte Arbeit für einen Goldschmied, vielleicht auch nicht innerhalb seiner Heimatstadt, so doch jedenfalls Hilfstätigkeiten, die sein Auskommen als lediger Mann ohne Unterhaltspflichten ermöglichen.

3.2.4 Es ist dem Beschwerdeführer auch unbenommen, allenfalls Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden. Aufgrund all dessen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät, sodass auch der Spruchteil II des angefochtenen Bescheides zu bestätigen war.

3.3 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III):

3.3.1 Nichterteilung eines Aufenthaltstitels

Im ersten Satz des Spruchpunkts III im angefochtenen Bescheid sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt werde. Damit war offensichtlich das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemeint (S. 35 des Bescheids, AS 85). Dem war durch die Richtigstellung des Spruchs Rechnung zu tragen.

Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005 wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Aus der Beschwerde und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich auch keine Hinweise, die nahelegen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.

3.3.2 Rückkehrentscheidung

Nach § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG ist eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Somit ist auch im vorliegenden Fall die Rückkehrentscheidung vorgesehen.

Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.

Die eine individuelle Abwägung der berührten Interessen ergibt, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Außerlandesbringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann.

Der Beschwerdeführer ist nach seinen Angaben im August 2015 eingereist. Im Verwaltungsverfahren hat er zwei Jahre später angegeben, keinem Verein und keiner Organisation anzugehören und in keiner Lebensgemeinschaft zu leben, sowie zu seiner Integration angemerkt: "Ich würde die Sprache lernen. Ich versuche[,] mit den Österreichern zu sein." Er konnte auch keine eigenen Existenzmittel in Österreich nachweisen. Manchmal bekomme er für zwei Stunden am Tag Arbeit und helfe in seiner Heimunterkunft. Er führe kein Familienleben in der EU, in Frankreich habe er einen Onkel.

Seither sind weitere sechs Monate vergangen. In dieser kurzen Zeit konnte keine neue relevante Bindung oder Beziehung aufgebaut werden. Es fehlen damit im Verfahren alle Sachverhaltselemente, aus denen sich die Existenz von unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens relevanten Bindungen allenfalls hätte ergeben können.

Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, 47 von 53 Jahren, sprachliche und kulturelle Verbindungen und auch familiäre Anknüpfungspunkte bei seiner Tante.

Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich oder, was erwachsene Verwandte anbelangt, auch Europa stehen öffentliche Interessen gegenüber. Zuerst steht ihnen das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.

Im konkreten Fall kommt dazu, dass der Beschwerdeführer nach seinem gut zweijährigen Aufenthalt kaum Integrationsmerkmale aufweist, und diesen nur mittels eines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz nach faktischer Einreise verwirklichen konnte. Er hat auch, statt der Ausreiseverpflichtung nachzukommen, seinen Aufenthalt weiterhin für die illegale Beschaffung, den Besitz und schließlich auch die Weitergabe von Suchtgiften genutzt und so durch die begangenen Straftaten ein Verhalten gesetzt hat, das keine Achtung der rechtlich in Österreich - und insgesamt in der Union - geschützten Werte zeigt.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden.

3.3.3 Zulässigkeit der Abschiebung

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dies wäre aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich.

Die Abschiebung in einen Staat ist nach § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verletzt würden, oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

§ 50 Abs. 3 FPG erklärt die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien einer realen Gefahr der Folter, der unmenschlichen Strafe oder Behandlung oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre.

Auch fehlt es an jedem Indiz, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr durch einen innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konflikt Gefahr laufen würde, in seinem Leben bedroht, in seiner Unversehrtheit beeinträchtigt oder gar getötet zu werden.

Es gibt zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und damit die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Selbst die Beschwerde belässt es beim Vorbringen, ohne dazu konkret den Feststellungen des bekämpften Bescheids mit abweichenden Tatsachen-behauptungen entgegenzutreten.

Der Beschwerdeführer wird aufgrund seines Alters und seines Gesundheitszustandes in der Lage sein, in Tunesien zumindest notdürftig leben zu können.

Die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz werden jedenfalls im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer möglicherweise in Österreich – auch ohne Cannabisverkauf – wirtschaftlich besser leben kann als im Herkunftsland, genügt nicht für die Annahme, er würde dort keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Es fehlen somit im vorliegenden Fall Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Zudem besteht in Tunesien keine so extreme Gefahrenlage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre.

Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass in Tunesien das Leben des Beschwerdeführers oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch in der Beschwerde nicht behauptet.

Eine der Abschiebung nach Tunesien entgegenstehende Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte besteht nicht.

Daher erwiesen sich die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Tunesien als rechtmäßig und die Beschwerde daher insoweit als unbegründet.

Die Beschwerde war daher – von der Richtigstellung im ersten Satz abgesehen – auch betreffend den Spruchpunkt III abzuweisen.

3.4 Zum Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV):

Die Beschwerde richtet sich nur gegen die Spruchpunkte I bis III und V. Ein näheres Eingehen auf Spruchpunkt IV erübrigt sich somit.

3.5 Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt V):

Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das BFA die aufschiebende Wirkung unter anderem dann aberkennen, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinn des § 19 BFA-VG stammt (§ 18 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG). Das ist der Fall, weil der Beschwerdeführer aus Tunesien stammt, das zu diesen Staaten zählt, konkret zu jenen Herkunftsstaaten, die mit Verordnung der Bundesregierung als sichere festgestellt wurden.

Nach § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom BFA aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Ein Antragsrecht, das auf diese Entscheidung gerichtet wäre, ist nicht vorgesehen. Der in der Beschwerde gestellte Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erweist sich damit als unzulässig, weshalb er mit Beschluss zurückzuweisen wäre, würde er nicht mit der Erlassung der vorliegenden inhaltlichen Entscheidung ohnehin gegenstandslos.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist.

Außerdem muss die Verwaltungsbehörde ihre die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Gericht diese tragenden Erwägungen in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Die genannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist – aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Gericht rund sechs Monate liegen – die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Gericht zur Gänze angeschlossen. Der Beschwerde sind keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, die geeignet wären, die vom BFA getroffenen Entscheidungen infrage zu stellen. Auch aus der Vernehmung des Beschwerdeführers vor rund sieben Wochen haben sich keine relevanten Änderungen des Sachverhalts ergeben.

Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Relevanz wirtschaftlicher Notlagen aus Konventionssicht oder zu den Voraussetzungen der Aberkennung der Aufschiebenden Wirkung.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Diskriminierung, Glaubhaftmachung,
Intensität, Interessenabwägung, mangelnde Asylrelevanz,
Minderheitenzugehörigkeit, non refoulement, öffentliches Interesse,
Rückkehrentscheidung, sicherer Herkunftsstaat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I419.2166345.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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