Entscheidungsdatum
23.01.2018Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W233 2177425-2/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. XXXX FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.12.2017, Zl.: 1158048702- 170754775, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, p.A. Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmBH, Rechtsberatung Ost, Wattgasse XXXX , 1170 Wien, beschlossen
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF), ein volljähriger Staatsangehöriger von Nigeria, brachte nach seiner gemeinsamen Einreise mit seinem Vater und seiner minderjährigen Schwester in das österreichische Bundesgebiet am 28.06.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein. Die Asylverfahren seines Vaters und seiner minderjährigen Schwester wurde in Österreich zugelassen.
2. Über den BF liegen EURODAC-Treffermeldung nach erkennungsdienstlicher Behandlung am 02.09.2016 und nach Asylantragstellung am 21.02.2017 in Italien auf.
3. Im Verlauf seiner Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Wien am 28.06.2017 gab der BF im Wesentlichen an, dass er an keinen Beschwerden oder Krankheiten leide, die ihn an der Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen. Befragt nach Angaben über nach Österreich mitgereiste Familienangehörige, führte er seinen Vater und seine Schwester an. Darüber hinaus gab der BF zu Protokoll, dass er in Österreich über weitere Familienmitglieder, nämlich seine Stiefmutter und zwei Stiefschwestern, verfüge. Er habe im Juni 2016 seinen Herkunftsstaat verlassen und sei über Niger, Libyen und Italien nach Österreich gereist. In Italien habe er einen Asylantrag gestellt, wisse jedoch über den Status seines Verfahrens nicht Bescheid. Nach Italien möchte er nicht zurückkehren, da man ihn dort schlecht behandelt hätte und ihn dort nigerianische Jugendliche zwingen hätten wollen einem nigerianischen Kult beizutreten.
4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete unter Hinweis auf die über den BF von Italien gespeicherten EURODAC-Treffer am 01.08.2017 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: "Dublin III-VO") gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien.
Mit Schreiben vom 11.09.2017 teilte die österreichische Dublin-Behörde Italien mit, dass auf Grund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort der Dublin III-Verordnung eine Verfristung eingetreten und Italien nunmehr zuständig für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens sei.
5. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens hat das Bundesamt mit Bescheid vom 18.10.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung des Antrags gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Beweiswürdigend wurde soweit hier wesentlich ausgeführt, dass die belangte Behörde zwar nicht verkenne, dass seine Außerlandesbringung und die damit einhergehende Trennung von seinem Vater und seiner Schwerster emotional belastend sein möge, jedoch der Beschwerdeführer über kein relevantes Abhängigkeitsverhältnis verfüge, zumal weder eine Pflege- noch eine finanzielle Bedürftigkeit bestehe. Daher könne auch die von ihm beantragte zeugenschaftliche Einvernahme seiner in Österreich aufhältigen Familienangehörigen unterbleiben.
6. Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer Beschwerde, in welcher insbesondere ausgeführt wird, dass sein Vater, seine Schwester und seine Halbschwester auf seine Unterstützung angewiesen wären. Das Asylverfahren seines Vaters und seiner Schwester seien in Österreich zugelassen worden, da seine Schwester psychisch krank sei. Unter einem bemängelt der BF, dass die belangte Behörde auf die von ihm beantragte zeugenschaftliche Einvernahme seiner Familienangehörigen verzichtet habe.
7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.11.2017, Zahl W233 2177425-1/2E wurde der Beschwerde gem. § 21 Abs. 3 BFA VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
8. Im fortgesetzten Verfahren wurde der BF am 19.12.2017 einer neuerlichen Befragung vor dem Bundesamt unterzogen. Im Zuge dieser Befragung wurde der BF soweit hier Wesentlich zu seinem Gesundheitszustand und zu seinen privaten und familiären Lebensumständen befragt. In Bezug auf seinen Gesundheitszustand berichtete er von Schmerzen im Brustbereich, führte jedoch ergänzend an, dass er deswegen keinen Arzt kontaktiert habe und auch keine Medikamente nehme. Betreffend seine Familienverhältnisse gab der BF zu Protokoll, dass er nach wie vor mit denselben Personen im gemeinsamen Haushalt lebe. Konfrontiert damit, dass Italien für die Prüfung seines Asylantrages zuständig sei und es daher beabsichtigt sei, ihn nach Italien zu überstellen, meinte der BF, dass er nicht nach Italien zurückkehren sondern bei seiner Familie in Österreich bleiben möchte.
9. Mit den im Spruch genanntem Bescheid des BFA vom 19.12.2017 wurde I.) der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO zuständig sei, sowie II.) gemäß § 61 Abs. 1 FPG gegen den Beschwerdeführer eine Außerlandesbringung angeordnet und ausgesprochen, dass seine Abschiebung nach Italien zulässig sei.
Beweiswürdigend wurde abermals ausgeführt, dass die belangte Behörde zwar nicht verkenne, dass seine Außerlandesbringung und die damit einhergehende Trennung von seinem Vater und seiner Schwerster emotional belastend sein möge, jedoch der Beschwerdeführer über kein relevantes Abhängigkeitsverhältnis verfüge, zumal weder eine Pflegenoch eine finanzielle Bedürftigkeit bestehe. Daher könne auch die von ihm beantragte zeugenschaftliche Einvernahme seiner in Österreich aufhältigen Familienangehörigen unterbleiben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der Verwaltungsbehörde und der eingebrachten Beschwerde.
1. Feststellungen:
Die belange Behörde hat zum einen die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes in Bezug auf das im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO zu beurteilende Vorliegen eines "Angewiesen seins" der Schwester des Beschwerdeführers auf seine Unterstützung und zum anderen auch die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes in Bezug auf das im Sinne von Art. 17 Abs. 1 leg. cit. geforderte Vorhandensein von besonderen familiären und humanitären Umständen, bei welchen es sich um exzeptionelle Fälle handeln muss, die einen Selbsteintritt Österreichs zwingend erforderlich machen würden, unterlassen, weshalb zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides durch die belangte Behörde keine Entscheidungsreife vorlag.
2. Beweiswürdigung:
Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.
Die bekämpfte Entscheidung erweist sich im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz aufgrund von Feststellungsmängeln als mangelhaft; dies aus folgenden Überlegungen:
Der Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 leg. cit. stellt eindeutig klar, dass diese Bestimmung sowohl auf jene Fälle anzuwenden ist, in welchen der Antragsteller auf die Unterstützung seines Familienangehörigen angewiesen ist, als auch auf jene Fälle in denen der Antragsteller dem Familienangehörigen die Unterstützung gewährt (vgl. Filzwieser / Sprung, Dublin III-Verordnung, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Stand: 1.2.2014, Art. 16, K8). Die belangte Behörde hat allerdings keinerlei Feststellungen darüber getroffen, ob - wie vom BF behauptet - seine Schwester auf seine Unterstützung angewiesen ist. Einzig in Bezug auf ein allfälliges gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis des BF zu seinem Vater führt die belangten Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung aus, dass ein solches im Verfahren nicht hervorgekommen sei, zumal weder eine Pflege- noch eine finanzielle Bedürftigkeit bestünde, da der BF auch in Italien entsprechend den unionsrechtlichen Standards Anspruch auf materielle Grundversorgung habe.
III. Rechtliche Beurteilung:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 1 BFA-VG regelt dieses Bundesgesetz die allgemeinen Bestimmungen, die für alle Fremden, die sich in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor den Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, oder einem Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 vor dem Bundesverwaltungsgericht befinden, gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und dem FPG bleiben davon unberührt.
Zu A) Aufhebung des angefochtenen Bescheides:
§ 28 VwGVG lautet:
"(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
(6) Ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen, so hat das Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.
(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.
(8) Durch die Aufhebung der angefochtenen Weisung tritt jener Rechtszustand ein, der vor der Erlassung der Weisung bestanden hat; infolge der Weisung aufgehobene Verordnungen treten jedoch dadurch nicht wieder in Kraft. Die Behörde ist verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihr zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen."
§ 5 AsylG 2005 lautet:
"(1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet."
Die relevanten Artikel der Dublin III-VO lauten:
"Art. 3 - Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsange-höriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
[ ]
Art. 7 - Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antrag-steller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Auf-ahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
KAPITEL IV
ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN
Artikel 16 - Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des
Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese
Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Art. 17 - Ermessensklauseln
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.
Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.
Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.
Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.
KAPITEL V
PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Artikel 18 - Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats
(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:
a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;
b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.
(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.
Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.
In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen."
Grundsätzlich ist auszuführen, dass die Dublin III-VO eine Verordnung des Rechts der Europäischen Union ist, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Anträge auf internationalen Schutz von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
Zwar ist hinsichtlich der Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens dem Bundesamt beizupflichten, dass sich aus dem fest-gestellten Sachverhalt grundsätzlich die Zuständigkeit Italiens ergibt. Dies folgt aus den Regelungen des Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-Verordnung, da er dort am 21.02.2017 um die Gewährung von internationalem Schutz ansuchte. Dennoch geht das Bundesverwaltungsgericht – wie weiter unten im Detail noch ausgeführt - davon aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien nicht zulässig ist, da in casu die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof vielfach ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).
Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren Band I2, E 84 zu § 39 AVG).
Einzelfallbezogen ergibt sich hieraus folgendes:
Im gegenständlichen Fall hätte die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer behauptete Angewiesenheit seiner Schwester auf seine Unterstützung, durch taugliche Ermittlungen zu erheben gehabt. Anstatt dessen hat die belangte Behörde zur Frage ob die Schwester des Beschwerdeführers auf seine Unterstützung angewiesen ist, überhaupt keine Ermittlungen angestellt. Wie bereits unter den Feststellungen ausgeführt erfasst der Wortlaut des Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO auch jene Fälle in denen der Antragsteller dem Familienangehörigen die Unterstützung gewährt.
Auch hat die belangte Behörde im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keinerlei Ermittlungen zur Frage angestellt, ob trotz der von ihr angenommen bzw. festgestellten Zuständigkeit Italiens zur Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz, die tatsächliche Durchsetzung dieser Zuständigkeit in seinem speziellen Fall eine Verletzung der EMRK bedeuten würde, da besondere familiäre und humanitäre Umstände vorliegen, die nicht von Art. 16 Dublin III-VO über abhängige Personen erfasst sind. Art. 17 Abs. 1 leg. cit. regelt das sogenannte "Selbsteintrittsrecht", eines nicht zuständigen Mitgliedstaats zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz. Der Text des Art. 17 Abs. 1 leg. cit. sieht keine nähren Determinanten für die Ausübung dieser unionsrechtlich als Ermessenbestimmung konzipierten Norm vor. Man wird aber einerseits annehmen müssen, dass eine extensive Anwendung dieser Bestimmung das Zuständigkeitssystem der Dublin III-VO unterhöhlen würde und daher kraft Verletzung des "effet utile-Prinzips als unionsrechtwidrig anzusehen wäre; andererseits kann es Fälle geben, in den die Durchsetzung einer Zuständigkeit, die nach der Dublin III-VO feststeht, eine Verletzung der EMRK bedeuten würde (etwa bei Vorliegen besonderer familiärer und humanitärer Umstände, die nicht von Art. 16 über abhängige Personen erfasst sind). Es liegt auf der Hand, dass es sich hier um exzeptionelle Fälle handeln muss, da ja nach der Absicht des Verordnungsgebers bereits die Zuständigkeitskriterien der Verordnung ein EMRK-konformes Ergebnis liefern sollen (vgl. Filzwieser / Sprung, Dublin III-Verordnung, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Stand: 1.2.2014, § 17, K2, Seite 157).
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (zB 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673) ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.
Die von der belangten Behörde gewählte Vorgangsweise stellt in der hier vorliegenden Form letztlich eine qualifizierte Rechtsverletzung dar, welche das ho. Gericht ermächtigt, von der ihm ausnahmsweise eingeräumten Möglichkeit einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen. Die gegenständliche Rechtssache ist auch nicht mit jenem Anlassfall der Entscheidung des VwGH Ro 2016/19/0005-4, vom 14.12.2016 vergleichbar, in welchem der VwGH ausführte dass wenn (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen sind, die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG liege, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen sei. Nur mit dieser Sichtweise könne ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führe doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Juni 2016, Ra 2016/03/0027, und vom 26. April 2016, Ro 2015/03/00389).
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die von der belangten Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung getätigten Ausführungen in Bezug auf Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO (vgl. Seite 31 und 32 des angefochtenen Bescheids) im gegenständlichen Fall des BF nicht zur Anwendung kommen können, da die Voraussetzungen der "humanitären Klausel" hier nicht anwendbar sind. Art. 17 Abs. 2 leg. cit. korreliert zwar mit der Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 leg. cit. (Selbsteintrittsrecht), unterscheidet sich aber von diesem dadurch, dass Art. 17 Abs. 2 nur auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaates Anwendung finden kann sowie einer größeren Regelungsdichte in Art. 17 Abs. 2 gegenüber Art. 17 Abs. 1. Während Art. 17 Abs. 1 eine Situation regelt, in welcher sicher der Antragsteller in einem für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz eigentlich unzuständigen Staat befindet, dieser Staat aber die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz selbst durchführen will und daher von der Einleitung eines Konsultationsverfahrens nach den zwingenden Bestimmungen der Art 8 bis 15 absieht, ist in Art. 17 Abs. 2 zumeist jener Fall angesprochen, in dem sich der Antragsteller in dem für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz nach Art 8 bis Art 15 zuständigen Staat befindet, humanitäre Erwägungen aber die Führung des Verfahrens in einem anderen Saat vorteilhaft/notwendig erscheinen lassen und daher der Aufenthaltsstaat ein entsprechendes Übernahmeersuchen – im Einvernehmen mit dem Betreffenden – an diesen Staat stellt (vgl. Filzwieser / Sprung, Dublin III-Verordnung, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Stand: 1.2.2014, § 17, K19, Seite 163). Da sich der Beschwerdeführer nach seiner Antragstellung in Italien am 21.02.2017 im an sich unzuständigen Mitgliedstaat Österreich aufhält, kann die Bestimmung des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO nicht zur Anwendung kommen. Somit kommt den rechtlichen Ausführungen der belangten Behörde in Bezug auf Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO kein Begründungswert zu.
Ebenso vermag die belangte Behörde mit ihrer Aussage in ihrer rechtlichen Beurteilung, dass die beantragte zeugenschaftliche Einvernahme der Angehörigen des BF unterbleiben haben könne, nicht zu reüssieren. Dies verbietet sich allein schon aufgrund des aus § 37 AVG erfließenden Grundsatzes der materiellen Wahrheit, wonach die Behörde den wahren (objektiven) Sachverhalt festzustellen hat in Verbindung mit der in § 39 Abs. 2 AVG normierten Offizialmaxime, der zufolge die Behörde von Amts wegen den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln hat (vgl. dazu insbesondere das Erkenntnis des VfGH vom 28.11.2011, U 75/11). Wenn es sich nicht um offenkundige oder um gesetzlich vermutete Tatsachen handelt (§ 45 Abs. 1 AVG) hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist. Dies bedeutet, dass alle Beweismittel grundsätzlich gleichwertig sind, dh die gleiche abstrakte Beweiskraft haben und dass allein der "innere Wahrheitsgehalt" der Ergebnisse des Beweisverfahrens dafür ausschlaggebend zu sein hat, ob eine Tatsache als erwiesen anzusehen ist. Bei der Feststellung dieses inneren (materiellen) Wahrheitsgehalts hat die Behörde – ohne dabei an Beweisregeln gebunden zu sein – schlüssig im Sinne der Denkgesetze vorzugehen. "Freie Beweiswürdigung" darf erst nach einer vollständigen Beweiserhebung einsetzen; eine vorgreifende (antizipierende) Beweiswürdigung, die darin besteht, dass der Wert eines Beweises abstrakt (im Vorhinein) beurteilt wird, ist unzulässig (vgl. dazu Kolonviits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10, RZ 325f).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, ist in Beweisanträgen das Beweismittel, das Beweisthema und im Falle von Zeugen auch deren Adresse anzugeben (vgl. VwGH vom 29.03.2017, Ra 2016/15/0023 mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die Behörde einen angebotenen Beweis wie z. B. Zeugen nur dann von vornherein ablehnen, wenn die angebotenen Beweismittel an sich nicht geeignet sind, über den Gegenstand einen Beweis zu liefern. Eine antizipative Beweiswürdigung ist den Verwaltungsverfahrensgesetzen fremd (vgl. VwGH vom 28.01.2000, 99/02/0305). Nur dann, wenn ein Beweismittel objektiv gesehen nicht geeignet ist, über den maßgebenden Sachverhalt einen Beweis zu liefern, darf die Behörde die Durchführung dieses Beweises von vornherein ablehnen (vgl. VwGH vom 16.12.1992, 92/02/0257).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13.10.2010, GZ: 2007/06/0248 wiederholt ausführt, darf die Behörde angebotene Beweismittel nur dann ablehnen, wenn diese an sich, also objektiv, nicht geeignet sind, zur Ermittlung des maßgeblichen Sacherhalts beizutragen. Beweisanträge dürfen dementsprechend nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel als untauglich anzusehen ist, also an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahmen einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen.
Der BF nannte in seinem Antrag auf zeugenschaftliche Einvernahme vom 17.10.2017 ein konkretes Beweisthema und auch die (inländische) Anschrift der von ihm namhaft gemachten Zeugen. Das Beweismittel der Einvernahme seiner Familienmitglieder zum Beweis für sein intensives Familienleben ist in Bezug auf Feststellung eines allfällig vorhandenen Angewiesenseins seiner Schwerster auf seine Unterstützung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO und/oder auf das Vorliegen von exzeptionellen besonderen familiären und humanitären Gründen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO objektiv nicht ungeeignet, zur Ermittlung des maßgeblichen Sacherhalts beizutragen.
Diese Rechtslage verkennend hat die belangte Behörde zu der vom Beschwerdeführer zu diesem Beweisthema beantragten Zeugeneinvernahmen seiner Familienmitglieder ausgeführt, dass diese unterbleiben hätte können, obwohl die Vernehmung seiner Familienmitglieder nicht von vornherein als zum Beweis seines Vorbringens ungeeignet angesehen werden konnte.
Im Lichte der in den Vorabsätzen dargelegten Überlegungen wird die belangte Behörde ihre Ermittlungen mit dem Ergebnis nachzuholen haben, dass vor der allfälligen Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien zum einen der Umstand, ob seine Schwester von ihm im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO auf seine Unterstützung angewiesen ist, und zum anderen ob in seinem Fall im Sinne von Art. 17 Abs. 1 leg. cit. solche familiären und/oder humanitären Umstände vorliegen, die aus einem exzeptionellen Grund, die Durchsetzung einer angenommen bzw. feststehenden Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates wegen der damit zusammenhängenden Verletzung der EMRK bedeuten würden, weshalb Österreich zwingend das Selbsteintrittsrecht auszuüben hat, durch taugliche Ermittlungsschritte zu ergänzen haben.
Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. die angefochtenen Bescheide aufzuheben waren.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG idF BGBl. I 164/2013 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wurde.
Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die tragenden Elemente der Entscheidung liegen allein in der Beurteilung, dass die Behörde in einem entscheidungsrelevanten Punkt unvollständige und daher mangelhafte Sachverhaltsfeststellungen getroffen hat und demgemäß in Tatbestandsfragen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W233.2177425.2.00Zuletzt aktualisiert am
02.02.2018