TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/23 W103 2163817-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.01.2018
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Entscheidungsdatum

23.01.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.130 Abs1 Z3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W103 2163817-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , XXXX , betreffend seinen Antrag auf internationalen Schutz vom 22.06.2015, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht wird gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG stattgegeben.

II. Dem Antrag wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger Somalias, stellte am 22.06.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er zuvor illegal in das Bundesgebiet eingereist war.

Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.06.2015 gab der Beschwerdeführer insbesondere zu Protokoll, der Volksgruppe der Diir und dem moslemischen Glauben anzugehören. Im Herkunftsstaat würden sich nach wie vor seine Mutter, sein zweijähriger Sohn sowie seine Geschwister aufhalten. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes führte der Beschwerdeführer aus, sein Vater und sein Bruder XXXX seien von der Terrorgruppe Al Shabaab getötet worden. Da ihn diese Terrorgruppe habe rekrutieren wollen, womit der Beschwerdeführer nicht einverstanden gewesen wäre, sei er aus seiner Heimat geflohen. Desweiteren wolle er angegeben, dass er in der Sahara von Schleppern misshandelt worden wäre, da er den Schlepperlohn nicht hätte bezahlen können. Man habe ihn mit einer Kette geschlagen, die dadurch erlittenen Wunden an seinen Beinen seien nach wie vor sichtbar. Er habe sich sechs Monate in der Sahara aufgehalten und sich nur von diversen Früchten ernährt. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Im Falle einer Rückkehr fürchte er, von der Terrorgruppe getötet zu werden.

Am 24.06.2015 wurde dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG ausgehändigt.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl setzte in weiterer Folge keinerlei weitere Verfahrensschritte.

3. Am 06.04.2017 brachte der Beschwerdeführer, unter gleichzeitiger Bekanntgabe des im Spruch bezeichneten Vollmachtsverhältnisses, eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG ein und führte infolge kurzer Darstellung des Verfahrensganges begründend aus, sein Verfahren sei beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seit mehr als 15 Monaten anhängig und sei über dessen Antrag bis dato nicht entschieden worden. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge in Stattgabe der Säumnisbeschwerde in der Sache selbst erkennen und dem Beschwerdeführer Asyl, gegebenenfalls subsidiären Schutz, gewähren.

Mit Verfahrensanordnung vom 06.07.2017 wurde dem Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl amtswegig eine Rechtsberatungsorganisation beigegeben.

4. Am 05.07.2017 (hg. eingelangt am 30.07.2017) legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die gegenständliche Säumnisbeschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor. Eine Erklärung für die Säumnis findet sich darin nicht. Angemerkt wurde, dass nach individueller Prüfung des Verwaltungsaktes eine Erledigung nicht innerhalb der Drei-Monatsfrist erfolgen könne, weshalb der Akt in Vorlage gebracht werde.

Mit Verfahrensanordnung vom 13.07.2017 beauftragte das Bundesverwaltungsgericht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Durchführung der Einvernahme des Beschwerdeführers gemäß § 19 Abs 6 AsylG 2005 binnen acht Wochen.

Am 30.08.2017 wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die somalische Sprache vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, sich einwandfrei mit dem anwesenden Dolmetscher verständigen zu können und sich zur Durchführung der Einvernahme psychisch und physisch in der Lage zu fühlen. Auf Frage nach seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, aufgrund der Misshandlungen durch den Schlepper Probleme mit den Beinen zu haben und gegen die Schmerzen Medikamente einzunehmen. Er verfüge über keine identitätsbezeugenden Dokumente. Nachgefragt, könne er sich an seine anlässlich der Erstbefragung getätigten Angaben erinnern, diese seien wahrheitsgemäß und vollständig gewesen.

Vorgelegt wurden ein radiologischer Befund, 2 Bestätigungen über die Teilnahme an Deutschkursen, 2 Bestätigungen über die Verrichtung gemeinnütziger Arbeiten, 1 Arztbrief des Landesklinikums XXXX , Teilnahmebestätigungen an Vorträgen sowie an einer sportlichen Veranstaltung.

Zu seinen Lebensumständen in Somalia gab der Beschwerdeführer zusammenfassend an, in XXXX geboren worden und im Alter von zwei Jahren zu seiner Großmutter väterlicherseits nach XXXX gezogen zu sein. Diese sei am Bein behindert gewesen und der Beschwerdeführer hätte bei dieser aufwachsen sollen, um ihr zu helfen. Die Schule habe er aus diesem Grund nicht besuchen können. Im Jahr 2011 habe er traditionell geheiratet, zwei Jahre später sei sein Sohn zur Welt gekommen. Im Jahr 2013 habe er Somalia verlassen. Die Lebensumstände seiner Familie hätten sich als mittelmäßig gestaltet.

Um detaillierte Schilderung seiner Fluchtgründe ersucht, führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, immer Probleme mit Al Shabaab gehabt zu haben, welche von ihm verlangt hätte, für sie zu kämpfen. Seine Großmutter hätte Al Shabaab gebeten, ihn bei sich zu lassen, da sie dessen Unterstützung benötigen würde. Nach dem Tod seiner Großmutter sei er nach dem dritten Kontakt ohne zu zögern von XXXX nach XXXX geflohen, wo sie bei seinen Eltern gelebt hätten. Er habe sich erst fünf Tage in XXXX befunden, als sein Vater und sein Bruder auf dem Nachhauseweg von der Moschee auf offener Straße von Al Shabaab erschossen worden wären. Zwei Männer seien auf seinen Vater zugekommen und hätten ihn gefragt, ob er seine Meinung geändert hätte, worauf dieser erwidert hätte, er wolle kein Extremist sein. Daraufhin habe einer der Männer seinen Vater erschossen, ein zweiter Mann habe auf seinen Bruder geschossen, als dieser den Vater beschützen hätte wollen. Die Genannten seien sofort tot gewesen. Es sei auch auf den Beschwerdeführer geschossen worden, doch habe man ihn nicht getroffen, da er weggelaufen sei. Sie hätten ihn verfolgt und ihn festnehmen wollen, doch habe die Polizei die vorangegangenen Schüsse gehört und ihn mitgenommen. Da er in diesem Bezirk fremd gewesen sei, habe man ihn befragt, woher er komme. Als er geantwortet hätte, aus XXXX zu kommen, sei er verdächtigt worden, Mitglied der Al Shabaab zu sein. Die Polizei habe ihn drei Monate lang angehalten und immer wieder gefoltert, da er der Polizei nicht glaubhaft hätte machen können, nicht der Mörder seines Vaters und seines Bruder zu sein. Schlussendlich habe er zugegeben, der Mörder zu sein, damit die Polizei aufhöre, ihn zu foltern. Einige Tage später sei er von einem Polizisten aufgesucht worden, welcher ihn informiert hätte, dass der Termin seiner Gerichtsverhandlung bekannt wäre und er mit der Todesstrafe zu rechnen hätte. Gleichzeitig habe er ihm angeboten, ihn gegen Bargeld freizulassen. Daraufhin hätte der Beschwerdeführer ihm die Adresse seiner Eltern gegeben, welche USD 3.000,- bezahlt hätten. Daraufhin sei der Beschwerdeführer am 04.11.2013 gegen 23 Uhr freigelassen und zum Haus seiner Eltern gebracht worden. Noch in der selben Nacht sei er mit einem LKW Richtung Äthiopien geflüchtet.

Befragt, weshalb sein Vater von Al Shabaab getötet worden wäre, erklärte der Beschwerdeführer, dieser sei ebenfalls aufgefordert worden, Mitglied von Al Shabaab zu werden; als er dies abgelehnt hätte, sei er ermordet worden. Auf die Frage, was nach dem Mord mit den beiden Mitgliedern der Al Shabaab geschehen wäre, antwortete der Beschwerdeführer, beide Männer seien maskiert gewesen, sodass er ihre Gesichter nicht erkennen habe können. Als sie ihn verfolgt und die Polizei erblickt hätten, wären sie geflüchtet, mehr wisse er nicht. Befragt, weshalb die Polizei auf der Annahme beharrt hätte, dass der Beschwerdeführer der Mörder seiner Angehörigen wäre, erwiderte dieser, aufgrund dessen, dass er in dem Bezirk fremd gewesen wäre und aus XXXX stammen würde, einfach verdächtigt worden zu sein, der Al Shabaab anzugehören. Es sei in Somalia üblich, dass die Behörden Unschuldige einsperren würden. Desweiteren gebe es nur zwei Möglichkeiten, entweder er sei Mitglied der Regierungstruppen oder der Al Shabaab. Nach dem Alltag während der Haft gefragt, erklärte der Beschwerdeführer, in 24 Stunden einmal etwas zu essen erhalten zu haben, zu trinken hätte es genug gegeben. Anfangs sei er alleine in einer Zelle gewesen, später wären sie zu acht gewesen. Er sei auf der Polizeistation XXXX angehalten worden. Er sei regelmäßig gefoltert worden, indem er, während er nur mit einer Unterhose bekleidet gewesen wäre, mit kaltem Wasser übergossen und ausgepeitscht worden wäre. Auf die Frage, ob er in seinem Heimatland von der Polizei oder einer anderen staatlichen Behörde gesucht würde, antwortete dieser, er werde von der Polizei gesucht, da diese ihn nach wie vor für den Mörder seines Bruders und seines Vaters halten würden. Sollte er in Somalia nochmals von der Polizei aufgegriffen werden, würde diese ihn sofort ermorden. Zu weiteren Vorfällen sei es nicht gekommen, im Falle einer Rückkehr fürchte er, von der Polizei getötet zu werden. Auch Al Shabaab würde ihn aufgrund seiner Weigerung, für sie zu kämpfen, ermorden.

Dem Beschwerdeführer wurden folglich die durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl herangezogenen Länderberichte zur Einsichtnahme angeboten und ihm die Möglichkeit gewährt, eine Kopie ausgefolgt zu erhalten und eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, worauf der Beschwerdeführer jedoch verzichtete.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, morgens als Reinigungskraft im Flüchtlingsheim zu arbeiten, anschließend besuche er Deutschkurse. Nachmittags spiele er Fußball oder ginge laufen. Er beziehe Grundversorgung sowie Entschädigung für die gemeinnützige Arbeit. Er habe keine Angehörigen in Österreich.

Abschließend bestätigte der Beschwerdeführer, alles ihm wichtig Erscheinende vorgebracht zu haben, er habe den Dolmetscher während der gesamten Einvernahme einwandfrei verstanden und habe keine ergänzenden Angaben zu erstatten. Nach Rückübersetzung der aufgenommenen Niederschrift bestätigte der Beschwerdeführer die Richtigkeit und Vollständigkeit des Protokolls durch seine Unterschrift.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund des Antrags auf internationalen Schutz vom 22.06.2015, der am 24.06.2015 durchgeführten Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der Beschwerde vom 06.04.2017 wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister sowie insbesondere auf Grundlage der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 30.08.2017 werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum Beschwerdeführer und seinem Fluchtvorbringen:

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger Staatsangehöriger Somalias, welcher der Volksgruppe der Diir und dem moslemischen Glauben angehört. Der Beschwerdeführer wuchs in XXXX bei seiner Großmutter auf. Seine Kernfamilie (Eltern und Geschwister) lebte in XXXX .

Er reiste im Juni 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 22.06.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.2. Der Beschwerdeführer konnte mit seinem glaubhaften Vorbringen darlegen, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen durch die Terrormiliz Al Shabaab (insbesondere die Ermordung) zu gegenwärtigen hätte. Nicht auszuschließen sind überdies Verfolgungshandlungen von Seiten der somalischen Behörden.

Der Beschwerdeführer wuchs bei seiner in XXXX lebenden Großmutter auf und wurde dort wiederholt aufgefordert, sich der Al Shabaab anzuschließen. Nach dem Tod seiner Großmutter entschloss sich der Beschwerdeführer infolge wiederholter Kontaktaufnahme durch die Al Shabaab im Jahr 2013 zu einer Flucht nach XXXX , wo dessen Eltern und Geschwister lebten. Als er sich erst fünf Tage in jener Stadt aufgehalten hatte und sich gerade mit seinem Vater und einem seiner Brüder auf dem Heimweg befunden hatte, wurden die Männer durch Al Shabaab angegriffen. Der Vater des Beschwerdeführers wurde gefragt, ob er seine Meinung, sich Al Shabaab anzuschließen, geändert hätte, und wurde in der Folge auf offener Straße erschossen, nachdem er dies verneint hatte. Der Bruder des Beschwerdeführers wurde ebenfalls erschossen, als er seinem Vater zur Hilfe kommen wollte. Auch auf den Beschwerdeführer wurde geschossen, doch verfehlte man diesen, da er weggelaufen war. Die Al Shabaab-Mitglieder verfolgten den Beschwerdeführer zunächst, doch wurde der Beschwerdeführer durch hinzugekommene Polizisten, welche die Schüsse vernommen hatten, angehalten. Der Beschwerdeführer, welcher in jenem Bezirk fremd war, wurde nach seinem Herkunftsort befragt und wurde, nachdem er angegeben hatte, aus XXXX zu stammen, verdächtigt, der Al Shabaab anzugehören und in Gewahrsam genommen. In der Folge wurde er für drei Monate angehalten, da man ihn verdächtigte, der Mörder seines Vaters und seines Bruders zu sein und ihn unter Anwendung von Folter zu einem diesbezüglichen Geständnis bewegen wollte. Schließlich gestand der Beschwerdeführer den Mord an seinen Angehörigen, um weiterer Folter zu entgehen. Die Polizei informierte ihn anschließend darüber, dass er hierfür mit der Todesstrafe zu rechnen hätte. Dem Beschwerdeführer wurde jedoch in der Folge angeboten, ihn gegen Bargeld freizulassen und flüchtete dieser, nachdem seine Familie durch Zahlung eines Betrags von USD 3.000,- seine Freilassung bewirkt hatte, noch in der gleichen Nacht.

Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer, aufgrund seiner – Al Shabaab bekannt gewordenen – Weigerung, sich dieser anzuschließen, ins Blickfeld von Al Shabaab geraten ist (wobei es bereits zur Ermordung naher Angehöriger des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit einer Weigerung, sich Al Shabaab anzuschließen gekommen ist) und dem aufgrund dieses Umstandes von Al Shabaab eine jedenfalls gegen ihre Interessen gerichtete, politische Einstellung unterstellt wird. Aufgrund dieser (unterstellten) politischen Einstellung hat der Beschwerdeführer das reale Risiko einer hinreichend intensiven Verfolgung in Somalia durch Al Shabaab zu erwarten, wogegen er vom somalischen Staat keinen effektiven Schutz erwarten kann. Ebenso ist nicht auszuschließen, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach XXXX aufgrund eines unterstellten Naheverhältnisses zu Al Shabaab weitere Verfolgung durch die dortigen Behörden drohen würde.

Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer aus diesen Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an seine (unterstellte) politische respektive religiöse Einstellung anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität von staatlicher respektive von privater Seite droht, gegenüber welcher die staatlichen Behörden Somalias keinen effektiven Schutz bieten können.

1.1.3. Festgestellt wird, dass der beschwerdeführenden Partei im Falle einer Rückkehr nach Somalia aufgrund der anhaltenden instabilen und prekären Sicherheits- und Menschenrechtslage, aufgrund der – nicht zuletzt infolge der aktuellen Dürresituation in weiten Teilen Somalias – schwierigen allgemeinen Versorgungslage und mangels familiärer Anknüpfungspunkte außerhalb ihrer Heimatregion fallgegenständlich keine innerstaatliche Schutzalternative offen steht.

1.1.4. Die beschwerdeführende Partei ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer lebt seit Juni 2015 in Österreich und unternahm einige Anstrengungen hinsichtlich seiner Integration in Österreich. So leistet er regelmäßig gemeinnützige Arbeiten, zeigt sich um eine soziale Integration bemüht und nimmt an Deutschkursen teil.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Aus dem, dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia (Stand: Juni 2017), ergibt sich für den gegenständlichen Fall im Wesentlichen Folgendes:

1. Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

( )

KI vom 27.6.2017: Update zur Dürre-Situation (betrifft: Abschnitt 23 / Grundversorgung)

Nachdem über zwei Jahre beide Regenzeiten (Deyr und Gu) ausgeblieben sind, hat sich in Somalia eine humanitäre Katastrophe entwickelt. Das System von Subsistenz-Landwirtschaften in den Flussgebieten von Shabelle und Juba ist teilweise zusammengebrochen; die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich verdoppelt; und Millionen Stück Vieh sind verendet (ICG 9.5.2017). Die Behörden Somalilands sprechen von 80% Verlusten beim Viehbestand (BBC 11.5.2017; vgl. TG 24.5.2017), andere Schätzungen sprechen von 50%. Der Außenminister Somalilands gibt an: "Es gab hier schon immer Dürreperioden, aber nur alle zehn Jahre. Jetzt haben wir sie schon alle zwei Jahre. Und die Dürre in diesem Jahr ist die schlimmste Dürre, die wir in Ostafrika jemals hatten." (TG 24.5.2017)

In vielen Städten Süd-/Zentralsomalias sind Nahrungsmittel für IDPs und sehr arme Bevölkerungsteile kaum mehr leistbar (ICG 9.5.2017). Die Dürresituation hält vor allem im Südwesten Somalias weiter an, dort bleibt die Angst vor einer Hungersnot bestehen. In den nördlichen und zentralen Teilen des Landes hat der teils durchschnittliche, teils überdurchschnittliche Regen im Jahr 2017 zur verbesserten Weide- und Wasserlage beigetragen (UNFPA 14.6.2017)

Dafür ist eine massive Hilfsoperation angelaufen, an der zahlreiche ausländische und lokale NGOs beteiligt sind (ICG 9.5.2017). Dank der großzügigen Ressourcen, die von Gebern zur Verfügung gestellt worden sind, konnten nationale und internationale NGOs sowie UN-Agenturen ihre humanitäre Unterstützung in ganz Somalia massiv nach oben fahren. Dabei wird mit den Behörden zusammengearbeitet. In Mogadischu, Baidoa und Garoowe wurden Koordinierungszentren eingerichtet (UNSC 9.5.2017). Koordinierung und Management der Operationen sind angesichts der Fehler in der Vergangenheit (2011) stark verbessert worden (ICG 9.5.2017). Die internationale Unterstützung erfolgte relativ rasch, die Anstrengungen sind besser koordiniert. Auch auf nationaler Ebene wurde reagiert und geholfen. Die Regierung hat Anstrengungen unternommen, selbst Studenten wurden ermutigt, jeweils 10 USD zu spenden. Firmen und Wirtschaftstreibende haben signifikant zu den Hilfskampagnen beigetragen (ICG 9.5.2017).

Die Zahl der Menschen, die durch die Operationen zur Verbesserung des Zugangs zu Nahrungsmitteln erreicht werden, hat sich von 1,1 Millionen im Februar 2017 auf 1,7 Millionen erhöht. Alleine im März konnten 332.000 Kinder von Ernährungsleistungen profitieren. Darunter waren 69.000 schwer unterernährte Kinder unter 5 Jahren. Auch die Versorgung mit sicherem Trinkwasser wurde hochgefahren. Dabei wurden zwischen Jänner und März 2017 knapp 1.150.000 Menschen erreicht. Allein im Februar hat sich die Zahl der Erreichten verdoppelt (UNSC 9.5.2017).

Rund 50% der gewährleisteten Hilfe wurde in Geld geleistet. Damit werden Märkte stabilisiert, wurde das schnelle Hochfahren der Unterstützung gewährleistet, wurden Menschen auch in entlegenen Gebieten erreicht und wurde das Risiko der Plünderung von humanitären Hilfsgütern minimiert (UNSC 9.5.2017). Außerdem ist diese Form der Hilfeleistung billiger. Gelder werden über Mobilfunksysteme ausbezahlt (ICG 9.5.2017).

Trotz aller Bemühungen wurden die gesetzten Ziele aber nicht erreicht, die humanitäre Lage verschlechtert sich weiter. Das Risiko einer Hungersnot besteht weiterhin. 6,2 Millionen Menschen sind akut von Nahrungsmittelknappheit betroffen, 3 Millionen brauchen lebenserhaltende Unterstützung (UNSC 9.5.2017). Seit November 2016 verließen über 740.000 Menschen aufgrund der Dürre ihre Heimatgebiete, darunter 480.000 unter 18jährige (UNHCR 31.5.2017). Aus manchen Regionen wurden Hungertote gemeldet – etwa aus Bay (BBC 4.3.2017).

Einige Schwierigkeiten, die schon im Jahr 2011 vorherrschten, bestehen auch weiterhin. Unsicherheit und mangelnder Zugang zu Hilfsgütern sind problematisch (ICG 9.5.2017). Vor allem in Süd-/Zentralsomalia hindert die schlechte Sicherheitslage Menschen manchmal am Zugang zu humanitärer Hilfe (UNSC 9.5.2017). Dabei ist Süd-/Zentralsomalia wieder das Epizentrum der humanitären Krise. Diese wird dort durch lokale Clan-Konflikte und al Shabaab noch verschärft (ICG 9.5.2017).

Dahingegen waren zwar auch Teile ("pockets") von Somaliland und Puntland schwer von der Dürre betroffen. Dort ist die Situation aber bei weitem weniger schlecht als im Süden (ICG 9.5.2017).

Überhaupt variiert die Abdeckung mit internationaler humanitärer Unterstützung regional. Die meisten Gebiete in Somaliland und Puntland sind besser abgedeckt, die Möglichkeiten in Süd-/Zentralsomalia mehr eingeschränkt (ICG 9.5.2017).

Quellen:

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BBC (11.5.2017): How do you solve a problem like Somalia? http://www.bbc.com/news/world-africa-39855735, Zugriff 27.6.2017

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BBC (4.3.2017): Somalia drought – More than 100 die from hunger in one region, http://www.bbc.com/news/world-africa-39166746, Zugriff 27.6.2017

-

ICG – International Crisis Group (): Instruments of Pain (III) – Conflict and Famine in Somalia, https://www.crisisgroup.org/africa/horn-africa/somalia/b125-instruments-pain-iii-conflict-and-famine-somalia, Zugriff 27.6.2017

-

The Guardian (24.5.2017): Somaliland's hunger crisis: ‘The world doesn't respond until children are dying', https://www.theguardian.com/global-development/2017/may/24/somaliland-hunger-crisis-world-doesnt-respond-until-children-are-dying-foreign-minister-saad-ali-shire, Zugriff 27.6.2017

-

UNFPA – UN Population Fund (14.6.2017): UNFPA Situation Report 26th May to 16th June 2017,

http://somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/Somalia%20SitRep%20%23011%2026th%20May%20-%2016th%20June%202017.pdf, Zugriff 27.6.2017

-

UNHCR (31.5.2017): PRMN Drought Displacements, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/57361.pdf, Zugriff 27.6.2017

-

UNSC – UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N1712363.pdf, Zugriff 27.6.2017

KI vom 13.2.2017: Farmaajo neuer Präsident (betrifft: Abschnitt 2 / politische Lage)

Der frühere Regierungschef Mohamed Abdullahi Mohamed Farmaajo hat die Präsidentenwahl in Somalia gewonnen. Im zweiten Durchgang der Wahl am Mittwoch ließ der 54-jährige somalisch-amerikanische Doppelstaatsbürger Farmaajo den bisherigen Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud hinter sich (NZZ 8.2.2017). Tausende Menschen feierten am Mittwochabend (8.2.2017) den Sieg von Farmaajo auf den Straßen von Mogadischu. Es gab Hupkonzerte, und Menschen umarmten Soldaten (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Auch in anderen somalischen Städten sowie in Kenia – in Garissa und Eastleigh – kam es zu spontanen Freudenfeiern, die als Ausdruck aufrichtiger Unterstützung für den neuen Präsidenten durch die Bevölkerung gewertet werden können (VOA 9.2.2017).

Die Wahl von Mohamed Farmaajo kam überraschend, galt doch der Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud als Favorit (FR 10.2.2017). Letzterer hat jedenfalls seine Niederlage eingestanden (NZZ 8.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017), und er forderte alle Somalis dazu auf, den neuen Präsidenten zu unterstützen. Farmaajo wurde unmittelbar angelobt (VOA 9.2.2017).

Die Durchführung einer allgemeinen und freien Wahl war in Somalia zwar nicht möglich gewesen; doch die Zahl von 14.024 Wahlmännern ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber früheren Wahlen, als der Sieger unter gerade einmal 135 Clanchefs ausgekungelt wurde. Die Medien konnten hinsichtlich der Wahl relativ frei agieren und Korruption und Wahlverschiebung anprangern – ein gutes Zeichen (DW 10.2.2017).

2010/2011 war Farmaajo acht Monate lang Premierminister von Somalia gewesen. Damals hatte er sich einen Namen als Anti-Korruptionskämpfer erworben (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Seine Entlassung durch den damaligen Präsidenten Ahmed Sheikh Sharif führte zu heftigen Protesten der Bevölkerung (FR 10.2.2017).

Quellen:

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DW – Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 13.2.2017

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FR – Frankfurter Rundschau (10.2.2017): Hoffnung für Somalia, http://www.fr-online.de/politik/wahl-hoffnung-fuer-somalia,1472596,35147632.html, Zugriff 13.2.2017

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NZZ – Neue Zürcher Zeitung (8.2.2017): Präsidentenwahl zwischen Sandsäcken und Ruinen,

https://www.nzz.ch/international/nahost-und-afrika/mohamud-in-somalia-abgewaehlt-praesidentenwahl-zwischen-sandsaecken-und-ruinen-ld.144287, Zugriff 13.2.2017

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VOA – Voice of America (9.2.2017): Somalis Optimistic About New President,

http://www.voanews.com/a/hopes-high-somalia-s-new-president-will-improve-security/3716301.html, Zugriff 13.2.2017

KI vom 19.1.2017: Dürre (betrifft: Abschnitt 23 / Grundversorgung)

Nach einer schwachen Gu-Regenzeit im Jahr 2016 blieben auch die Regenfälle der Deyr-Regenzeit Ende 2016 aus. Von der Nahrungsversorgungsunsicherheit am schlimmsten betroffen sind landwirtschaftlich genutzte Gebiete im Süden und nomadisch genutzte Gebiete im Nordosten des Landes (FEWSNET 16.1.2017). Alleine im sogenannten South-West-State sind 820.000 Menschen dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Viele suchen in größeren Städten nach Hilfe. Der Gouverneur der Region Bay schätzt, dass bereits rund 3.000 Familien aus ländlichen Gebieten nach Baidoa geflohen sind (UNSOM 16.1.2017). Dabei ziehen Nahrungsmittelpreise an: Der Preis für Mais liegt in Qoryooley 51% über dem Fünfjahresmittel; für Sorghum in Baidoa um 88% darüber (FEWSNET 16.1.2017).

Die humanitäre Situation in Somalia ist zunehmend fragil. Fünf Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (UNOCHA 12.1.2017; vgl. UNSOM 16.1.2017) und leiden unter Nahrungsversorgungsunsicherheit (FAO 20.12.2016). 3,9 Millionen davon gelten als "stressed", 1,1 Millionen Menschen leiden unter akuter Nahrungsversorgungsunsicherheit (acutely food insecure) (UNOCHA 12.1.2017) und befinden sich auf den IPC-Stufen drei (Krise) und 4 (Not/Emergency). Alleine im zweiten Halbjahr 2016 hat die Zahl um 20% zugenommen. Prognosen lassen erwarten, dass die Zahl der akut Bedrohten im ersten Halbjahr 2017 um eine weitere Viertelmillion zunehmen wird. Ähnliche Bedingungen hatten im Jahr 2011 zu einer Hungersnot und Hungertoten geführt (FAO 20.12.2016). Folglich fahren humanitäre Organisationen ihre lebensrettenden Maßnahmen hoch, angesammelte Fonds werden angezapft (UNOCHA 12.1.2017).

Eine Entschärfung der Situation ist in rein nomadisch genutzten Gebieten nicht für Mai/Juni zu erwarten; in agro-pastoral genutzten Gebieten nicht vor Juni/Juli. Im schlimmsten anzunehmenden Szenario bleibt auch die Gu-Regenzeit des Jahres 2017 – wie gegenwärtig prognostiziert – schwach und in der Folge sinkt die Kaufkraft auf das Niveau der Jahre 2010/2011. Reicht dann die humanitäre Hilfe nicht aus, wird eine Hungersnot (IPC 5) die Folge sein (FEWSNET 16.1.2017). Bereits jetzt werden vereinzelt Hungertote aus den Regionen Bay (UNSOM 16.1.2017) und Gedo gemeldet (SMN 15.1.2017).

Quellen:

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FAO – Food and Agriculture Organization of the United Nations (20.12.2016): With continued drought, Horn of Africa braces for another hunger season,

http://reliefweb.int/report/somalia/continued-drought-horn-africa-braces-another-hunger-season, Zugriff 19.1.2017

-

FEWSNET – Famine Early Warning Systems Network (16.1.2017): Severe drought, rising prices, continued access limitations, and dry forecasts suggest Famine is possible in 2017, http://www.fews.net/east-africa/somalia/alert/january-16-2017, Zugriff 19.1.2017

-

SMN – Shabelle Media Network (15.1.2017): A Mother and her kids die of hunger in Gedo,

http://allafrica.com/stories/201701160709.html, Zugriff 19.1.2017

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UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.1.2017): Somalia: Humanitarian Snapshot (as of 12 January 2017), http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/somalia_humanitarian_snapshot_-_january_2017.pdf, Zugriff 19.1.2017

-

UNSOM – UN Assistance Mission to Somalia (16.1.2017): Deputy SRSG de Clercq assesses humanitarian crisis in Somalia’s South West state,

http://reliefweb.int/report/somalia/deputy-srsg-de-clercq-assesses-humanitarian-crisis-somalia-s-south-west-state, Zugriff 19.1.2017

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2. Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.12.2015).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.12.2015). Somalia ist keine Wahldemokratie. Es gibt keine demokratischen Institutionen. Das Parlament wurde durch Clan-Repräsentanten ausgewählt, und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel. Diese gibt den vier Hauptclans jeweils gleich viele Sitze, und den kleineren Clans und Minderheiten insgesamt halb so viele Sitze, wie einem Hauptclan. Trotzdem wird die Förderung der Demokratie formell von allen politischen Akteuren – mit der Ausnahme von al Shabaab – akzeptiert. So ist das politische System Somalias weder demokratisch noch autoritär; alles dreht sich um die Repräsentation auf Basis der Clans (BS 2016).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Das derzeitige Bundesparlament wurde konsensual unter Einbeziehung traditioneller Eliten bestimmt und hat dann den Präsidenten gewählt (AA 1.12.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Dies ist die erste Regierung Somalias seit 1991, der breite internationale Unterstützung zukommt (BS 2016). Somalia gilt laut dem UN-Repräsentanten nicht mehr als failed state, sondern als fragiles Land. Die Situation hat sich in den vergangenen drei Jahren stabilisiert (AP 23.12.2015; vgl. AA 1.12.2015).

Eigentlich waren für 2016 Wahlen vorgesehen. Der Präsident hat aber im Juni 2015 angekündigt, dass diese "one person, one vote"-Wahlen verschoben werden (USDOS 13.4.2016; vgl. UNSC 8.1.2016). Dagegen hat es im Parlament Proteste gegeben (AI 24.2.2016). Ein von der Regierung einberufenes National Consultative Forum soll über einen anderen Wahlprozess für das Jahr 2016 beraten. Gleichzeitig soll das Forum auf Vorbereitungen für allgemeine Wahlen im Jahr 2020 treffen (UNSC 8.1.2016).

Obwohl seit dem Ende der Übergangsperiode wiederholt der politische Wille zur umfassenden Reform des Staatswesens (Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten, Demokratisierung, Föderalisierung) bekundet wird, ist die faktische Situation nach wie vor in all diesen Bereichen sehr mangelhaft (AA 1.12.2015). Die Erfolge der aktuellen Regierung bei Friedens- und Staatsbildung waren sehr bescheiden. Politische Grabenkämpfe zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister haben zu mangelnder Kontinuität beim Regierungspersonal geführt (BS 2016). Zuletzt gab es im August 2015 eine Regierungskrise, als das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Mohamud einleiten wollte (UNSC 11.9.2015; vgl. AI 24.2.2016). Dieses Begehren wurde später zurückgezogen (UNSC 8.1.2016).

Die anhaltenden politischen Grabenkämpfe und der Fokus auf die Föderalisierung haben die Regierung von Reformen im Justiz- und Sicherheitsbereich abgelenkt (HRW 27.1.2016). Das Clansystem hat wiederum die Einrichtung nachhaltiger Regierungs- und Verwaltungsstrukturen behindert (UNHRC 28.10.2015). Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt (AA 1.12.2015).

Es gab einen signifikanten Fortschritt bei der Einrichtung staatlicher Strukturen auf regionaler Ebene, und für alle Bezirke (außer Baardheere) gibt es vorläufige Verwaltungen (UNSC 8.1.2016). Gleichwohl gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach, wesentliche Staatsfunktionen können nicht ausgeübt werden (AA 1.12.2015). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 10.2015). Die regionalen Verwaltungen kämpfen noch damit, ihre Autorität durchzusetzen. Sie stehen dabei einem Mangel an Geld, einem Mangel an Regierungsinfrastruktur und einem Mangel an Personal gegenüber. Außerdem fehlt es an Details zu den Strukturen der Bundesstaaten sowie an breiter Unterstützung beim Staatsbildungsprozess (UNSC 8.1.2016). Die internationalen Partner werden auch weiterhin signifikante Unterstützung gewähren müssen (UNSC 8.1.2016), wie etwa über laufende Projekte zur Kapazitätsbildung und zu Kernfunktionen der Regierung durch die Weltbank und UNDP (UNSC 11.9.2015).

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3. Sicherheitslage

Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen. Es wurden die unterschiedlichen Akteure in Somalia kategorisiert:

* Die farbigen Gebiete zeigen Akteure, die über signifikanten Einfluss verfügen. Diese Akteure verfügen auch über Ressourcen, um diesen Einfluss zu garantieren. Derartige Akteure sind: Somaliland, Puntland, die Galmudug Interim Administration (GIA), AMISOM und die Somali National Army (SNA), die Jubbaland Interim Administration (JIA), al Shabaab (AS) und die Ahlu Sunna Wal Jama’a (Zentralsomalia; ASWJ). Einige Städte werden von anderen Parteien beherrscht: Von der Clan-Miliz SSC (Dulbahante; Khatumo), von der Clan-Miliz der Warsangeli, von ASWJ (Fraktion Gedo), von Clan-Milizen an der Grenze zu Äthiopien (in den Regionen Gedo, Bakool und Hiiraan). Eine Gebiete – und hier vor allem in Süd-/Zentralsomalia – werden von zwei dieser relevanten Akteure beeinflusst.

* In mit strichlierten Linien umrandeten Gebieten gibt es zusätzliche Akteure mit eingeschränktem Einfluss. Diese Akteure agieren neben den oben erwähnten Hauptakteuren, und sie verfügen nur über eingeschränkte Ressourcen (EASO 2.2016).

Kommentare zu den Eintragungen auf der Karte:

* In Puntland und Jubbaland wurden Zellen des Islamischen Staates markiert; diese Markierungen erfolgten auf der Grundlage anekdotischer Berichte über größere Gruppen von AS-Deserteuren.

* Einige der kleineren Ortschaften der al Shabaab wurden auf der Grundlange anekdotischer Berichte eingetragen.

* Hinsichtlich der Städte Buuhoodle (Togdheer) und Taalex (Sool) gibt es unterschiedliche Berichte und Informationen, die keine Grundlage bieten, diese Ortschaften mit einem relevanten Akteur zu verbinden.

* Die Karte zeigt für Qoryooley keine Garnison der AMISOM. Allerdings gibt es einen Stützpunkt und auch verfügbare Truppen. Allerdings scheinen diese Truppen den Stützpunkt nicht permanent besetzt zu halten. Daher ist Qoryooley die einzige von AMISOM kontrollierte Bezirkshauptstadt, für welche keine Garnison eingetragen worden ist (wiewohl es eine Garnison der somalischen Armee gibt).

* Dhusamareb wurden deshalb als AMISOM markiert, da die Garnison äthiopischer AMISOM-Truppen in der Stadt der wichtigste Akteur ist. Allerdings hat dort nach wie vor ASWJ die politische Kontrolle.

* Das gleiche gilt für die Städte Ceel Buur und Wabxo: Sie sind zwar unter der politischen Kontrolle der GIA, der jeweils wichtigste Akteur im Ort ist aber AMISOM.

* Dies gilt auch für Städte in Gedo: Sie mögen unter der politischen Kontrolle der JIA sein, trotzdem ist ungewiss, ob die Führung in Kismayo tatsächlich die Kontrolle über die Armee in Gedo innehat. So bleibt als wichtigster Akteur AMISOM.

* Äthiopische Flaggen markieren nicht nur äthiopische AMISOM-Garnisonen sondern auch Garnisonen äthiopischer Truppen, die nicht Teil von AMISOM sind sowie Kräfte der äthiopischen Liyu Police. Letztere operiert im mit "Government Allied Militias" markierten Gebiet entlang der äthiopischen Grenze.

* Während die kenianischen, burundischen, ugandischen und dschibutischen Garnisonen nahezu abgedeckt zu sein scheinen, gibt es mehr äthiopische Garnisonen als auf der Karte vermerkt. Es ist unmöglich, ein klares Bild über die oben erwähnten äthiopischen Truppen außerhalb von AMISOM zu erlangen.

* Jene AMISOM-Garnisonen, die als "Strongholds" (Bastionen) markiert sind, können als permanent erachtet werden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese an al Shabaab fallen können.

* Die meisten AMISOM-Garnisonen, die als "Forward Position" markiert sind, haben taktische Relevanz und scheinen permanent zu sein. Allerdings hat die Vergangenheit gezeigt, dass diese unter starkem Druck der al Shabaab geräumt werden können (EASO 2.2016).

Gemäß der auch von EASO zitierten Analyse der Staatendokumentation zur Sicherheitslage in Somalia hat sich die Situation im Zeitraum 7.2014-6.2015 in folgenden Bezirken verschlechtert: Dhusamareb und Ceel Buur (Galgaduud); Belet Weyne und Bulo Burte (Hiiraan); Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley, Merka und Baraawe (Lower Shabelle);

Baidoa und Burhakaba (Bay); Xudur, Waajid und Rab Dhuure (Bakool);

Bulo Xawo (Gedo); Kismayo (Lower Jubba). Die Situation in folgenden Bezirken hat sich im gleichen Zeitraum verbessert: Ceel Waaq und Luuq (Gedo). In den anderen Bezirken sind keine relevanten Änderungen eingetreten (BFA 10.2015; vgl. EASO 2.2016).

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(EASO 2.2016).

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen. Dies ist einerseits bei der Verteilung terroristischer Aktivitäten im urbanen Raum zu erkennen, andererseits bei der Anzahl bewaffneter Auseinandersetzungen je Bezirk (BFA 10.2015).

Quellen:

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BFA - BFA Staatendokumentation (10.2015): Analyse zu Somalia:

Lagekarten zur Sicherheitslage, http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329638_soma-analyse-lagekarten-2015-10-12-endversion.pdf, Zugriff 23.3.2016

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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 22.3.2016

3.1. Süd-/Zentralsomalia

Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz

gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 10.2015). Al Shabaab führt weiterhin Angriffe auf Stellungen der AMISOM und der somalischen Armee sowie auf zivile Ziele durch (UNSC 8.1.2016). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, durch Sprengsätze oder Handgranaten ums Leben oder werden verwundet (AI 24.2.2016). Aus verschiedenen Garnisonsstädten heraus werden Vorstöße tief ins Gebiet der al Shabaab unternommen. Diese werden teilweise von Luftschlägen begleitet (BFA 10.2015). Al Shabaab betreibt auch asymmetrische Kriegsführung (EASO 2.2016; vgl. UNHRC 28.10.2015), gekennzeichnet durch Sprengstoffanschläge und komplexe Angriffe, von welchen Zivilisten überproportional betroffen sind. Daneben führt al Shabaab auch gezielte Attentate (UNHCR 28.10.2015; vgl. UKHO 15.3.2016) und sogenannte hit-and-run-Angriffe aus (DIS 9.2015).

Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 10.2015). Politische Anstrengungen zur Etablierung von Bundesländern verstärkten die Clankämpfe in einigen Bereichen (ÖB 10.2015; vgl. BS 2016, USDOS 13.4.2016). Dabei kam es auch zu zahlreichen Todesopfern und Vertreibungen, z.B. zwischen Dir und Hawadle im Jänner 2015 (USDOS 13.4.2016).

Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet und deren Eigentum wird zerstört. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 10.2015). Neben den Kampfhandlungen gegen al Shabaab gibt es aus dem ganzen Land auch Berichte über Inter- und Intra-Clankonflikte um Land und Wasserressourcen (EASO 2.2016).

AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 10.2015). Bei gemeinsamen Offensiven mit der somalischen Armee wurde al Shabaab aus Städten in Hiiraan, Bay, Bakool, Gedo und Lower Shabelle vertrieben (AI 24.2.2016). Bei den beiden jüngeren Offensiven (Operation Indian Ocean, Operation Jubba Corridor) trafen AMISOM und Regierungskräfte aufgrund taktischer Rückzüge der al Shabaab nur auf wenig Widerstand. Eingenommen wurde die letzte Bastion der al Shabaab in der Region Gedo – Baardheere – und Diinsoor in der Region Bay. Der al Shabaab wurde zwar die Kontrolle über diese Städte entzogen, doch ist sie ansonsten nicht relevant geschwächt worden. Dahingegen kann AMISOM aufgrund einer Überdehnung der zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht mehr in jeder Stadt und in jedem Dorf eine Präsenz aufrecht halten (EASO 2.2016). Auch die Haupttransportrouten werden von al Shabaab kontrolliert (HRW 27.1.2016).

In der Folge kam es zu schweren Angriffen der al Shabaab auf Janaale (am 1.9.2015) (UNSC 8.1.2016) und Leego (am 26.6.2015) mit insgesamt rund 100 Toten Soldaten der AMISOM und zahlreichen Vermissten (BFA 10.2015; vgl. UNSC 8.1.2016, EASO 2.2016). Als Reaktion auf diese Angriffe begann AMISOM mit einer Umgruppierung, wobei einige Städte und Ortschaften geräumt wurden, darunter Kurtunwarey, Ceel Saliini, Cambarey, Golweyne und Busley (Lower Shabelle); Buq-Aqabla und Xarar-Lugoole in Hiiraan; und Fidow an der Grenze zu Middle Shabelle. Al Shabaab hat all diese Orte unmittelbar besetzt (UNSC 8.1.2016). Auch Qoryooley und Wanla Weyne blieben über Tage ohne permanente Truppen der AMISOM (allerdings mit Besatzungen der somalischen Armee). Insgesamt ist einzelnen, exponierten und schwach besetzten Außenposten ein permanenter Status abzusprechen. Spätestens seit dem Angriff der al Shabaab auf den AMISOM-Stützpunkt in Leego werden einzelne Orte zugunsten einer Konzentration von Truppen in größeren Stützpunkten aufgegeben, teilweise wurde der Schutz an die – nur eingeschränkt widerstandsfähige – somalische Armee übertragen (BFA 10.2015).

Es ist nicht möglich, zu definieren, wie weit der Einfluss oder die Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee von einer Stadt hinausreicht. Der Übergang zum Gebiet der al Shabaab ist fließend und unübersichtlich. Im Umfeld (Vororte, Randbezirke) der meisten Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung in Süd-/Zentralsomalia verfügt al Shabaab über eine verdeckte Präsenz, in den meisten Städten selbst über Schläfer (DIS 9.2015). Manche Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung können als Inseln auf dem Gebiet der al Shabaab umschrieben werden (BFA 10.2015; vgl. DIS 9.2015). Jedenfalls verfügt al Shabaab über ausreichend Kapazitäten, um in Städten unter Kontrolle von AMISOM und Regierung asymmetrische Kriegsführung (hit-and-run-Angriffe, Sprengstoffanschläge, gezielte Attentate) anzuwenden. Es gibt in allen Regionen in Süd-/Zentralsomalia Gebiete, wo al Shabaab Präsenz und Einfluss hat, und wo sie die lokale Bevölkerung zu Steuerzahlungen zwingt. Die Bastion der al Shabaab ist dabei die Region Middle Juba (DIS 9.2015).

Die Sicherheitslage in von der Regierung kontrollierten Städten bleibt also volatil (HRW 27.1.2016). Al Shabaab ist nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 24.2.2016). Bei aller Fragilität der Lage hat aber auch UNHCR festgestellt, dass es Zeichen zunehmender Stabilität gibt (UNHRC 28.10.2015). Seitens der Regierung, AMISOM und der internationalen Gemeinde gibt es Anstrengungen, die neu eroberten Bezirke zu stabilisieren. So wurden etwa nach Diinsoor unmittelbar Verwaltungsbeamte entsendet (UNSC 11.9.2015). Dass al Shabaab unter den gegenwärtigen Umständen Städte zurückerobert, in denen starke Garnisonen ("strongholds") der AMISOM stationiert sind, ist sehr unwahrscheinlich (EASO 2.2016; vgl. DIS 9.2015).

Quellen:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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