Entscheidungsdatum
26.01.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W196 2137815-1/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, gesetzlich vertreten durch den Vater XXXX, StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2016, Zl. 1085751100 – 151269612 -BAT zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die minderjährige Beschwerdeführerin wurde im österreichischen Bundesgebiet geboren und stellte sie durch ihren Vater als gesetzlichen Vertreter am 04.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren, wobei angegeben wurde, dass die minderjährige Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe beziehungsweise Rückkehrbefürchtungen habe und würde sich der gegenständliche Antrag auf die Gründe des Vaters beziehungsweise der Mutter beziehen. Dem Antragsformular beigeschlossen waren eine Geburtsurkunde sowie ein Auszug aus dem Zentralen Melderegister.
Der Vater der minderjährige Beschwerdeführerin reiste zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte er am 27.08.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahmen am 03.11.2008 sowie am 19.01.2009 brachte der gesetzliche Vertreter der minderjährigen Beschwerdeführerin zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst vor, seine Heimat aufgrund von ethnisch motivierten Grundstücksstreitigkeiten verlassen zu haben. Im Wesentlichen führte er aus, dass sein Vater und zwei seiner Geschwister Ende Dezember 2006 ermordet worden seien und danach sei er von den Angehörigen des Clans der Abgaal gesucht worden.
In der Folge wies das Bundesasylamtes den Antrag des Vaters der minderjährigen Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 10.03.2010, Zl. 0707.857-BAT, bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab. Unter Hinweis auf die prekäre Sicherheits- und Menschenrechtslage in Somalia wurde ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Am 05.09.2011 reiste die Mutter der minderjährigen Beschwerdeführerin legal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte sie am 12.9.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser war in Bezug auf die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.2.2012, Zl. 1110.453-BAT, hinsichtlich Spruchpunkt I. abgewiesen worden, nachdem festgestellt worden war, dass die Mutter der minderjährigen Beschwerdeführerin keine eigenständigen Fluchtgründe geltend gemacht habe.
Der Bruder der minderjährigen Beschwerdeführerin wurde am 12.12.2013 im österreichischen Bundesgebiet geboren und wurde sein im Rahmen seines gesetzlichen Vertreters gestellter Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.4.2014, Zl. 831874103/2423277 hinsichtlich Spruchpunkt I. abgewiesen. Der gesamten Kernfamilie der minderjährigen Beschwerdeführerin wurde somit der Status eines subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.05.2015 wurden die Beschwerden der Eltern und des Bruders der minderjährigen Beschwerdeführerin gegen die abweisenden Bescheide des Bundesamtes hinsichtlich Spruchpunkt I. in Ermangelung der Glaubhaftmachung eines asylrelevanten Sachverhalts als unbegründet abgewiesen.
Die Behandlung der dagegen erhobenen Revisionen wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 10.11.2015, Zlen. Ra 2015/19/0173 bis 0175-7 zurück.
Am 24.02.2016 langte im Wege des gesetzlichen Vertreters der minderjährigen Beschwerdeführerin eine Stellungnahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein, worin vorgebracht wurde, dass die minderjährigen Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in das Heimatland einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt sei, beschnitten zu werden. Deshalb drohe der minderjährigen Beschwerdeführerin eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25.08.2016, Zl. 1085751100 - 151269612/BMI-BFA_NOE_RD, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der minderjährigen Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 04.09.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) ab. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 34 Absatz 3 AsylG wurde der minderjährigen Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Absatz 4 AsylG bis zum 25.08.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).
Nach Wiedergabe des Verfahrensganges wurden die Identität sowie die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin festgestellt. Beweiswürdigend wurde festgestellt, dass die Identität aufgrund der Geburtsurkunde und des Meldezettels feststehe. Weiters wurde festgestellt, dass die Eltern der Beschwerdeführerin in Österreich leben. Für die minderjährige Beschwerdeführerin sei ein Antrag eingebracht worden, zumal ihr Vater in Österreich subsidiär schutzberechtigt sei. Eigene Fluchtgründe seien durch den gesetzlicher Vertreter der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht worden. In seiner Beweiswürdigung folgerte die belangte Behörde, dass sich die Feststellungen zu dem Asylverfahren aus dem Vorbringen der gesetzlichen Vertretung als auch aus dem Akteninhalt ergäben. Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass im Fall der minderjährigen Beschwerdeführerin keinem anderen Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde und die diesbezügliche Zuerkennung der minderjährigen Beschwerdeführerin aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht komme. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass auf Grund des Familienverfahrens gemäß 34 AsylG der minderjährigen Beschwerdeführerin, wie auch ihrer gesetzlichen Vertretung, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde. Gem. § 8 Abs. 5 AsylG wurde die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung mit der Maßgabe zuerkannt, dass diese gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wurde, ende.
Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 26.08.2016 wurde der gesetzlichen Vertretung der minderjährigen Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtete sich die fristgerecht am 26.09.2016 eingebrachte Beschwerde des gesetzlichen Vertreters der minderjährigen Beschwerdeführerin. In dieser wurde beantragt, der minderjährigen Beschwerdeführerin den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, in welcher der gesetzliche Vertreter der Beschwerdeführerin deren Fluchtgründe darlegen könne.
Begründend wurde vorgebracht, dass die belangte Behörde Verfahrensvorschriften, insbesondere den Grundsatz des Parteiengehörs und das Willkürverbot, verletzt habe. Die Feststellung der belangten Behörde, wonach die gesetzliche Vertretung der minderjährigen Beschwerdeführerin keine asylrelevanten Gründe geltend gemacht habe, sei aktenwidrig, zumal die Behörde feststellen hätte müssen, dass der minderjährigen Beschwerdeführerin in Somalia die Gefahr drohe Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung bzw. Beschneidung zu werden. Weiters habe die belangte Behörde verabsäumt die entsprechenden Länderinformationen, welche mit dem Fluchtgrund in Zusammenhang stünden, heranzuziehen. Die Eltern der minderjährigen Beschwerdeführerin würden sich gegen jegliche Form von Genitalverstümmelung aussprechen, jedoch werde die Genitalverstümmelung in Somalia nicht nur mit Zustimmung der Eltern ausgeführt, sondern würde diese auch oft von Gruppierungen außerhalb der Familie durchgeführt werden. Die Familie sei aufgrund deren Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan kaum in der Lage deren Tochter vor derartigen Übergriffen zu schützen.
Am 22.11.2016 erging ein Erkenntnis des BVwG mit welchem die Beschwerde abgewiesen wurde, weil die Eltern einer der Beschwerdeführerin drohenden Genitalverstümmelung nicht zustimmen würden und die sich auf die Entscheidung des VwGH vom 27.06.2016 Zl Ra 2016/18/0045 stützte.
Dagegen brachte die Beschwerdeführerin eine außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof ein.
Es wurde vorgebracht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu §21 Abs.7 BFA-VG abgewichen, weil das BFA zu dem bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren erstatteten Fluchtvorbringen kein Ermittlungsverfahren durchgeführt und keine Feststellungen getroffen habe. Das BVwG habe die Beweiswürdigung und die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt und sich bei der Feststellung zum Fluchtgrund der Genitalverstümmelung unzureichend auf einen einzigen, der Revisionswerberin nicht zur Kenntnis gebrachten Länderbericht gestützt.
Der Verwaltungsgerichtshof hob in seinem Erkenntnis vom 20. Juni 2017 das angefochtene Erkenntnis des BVwG in Folge von Verletzung von Verfahrensvorschriften auf und begründete die Stattgabe der Revision zur Rechtsfrage der Verhandlungspflicht damit, dass sich das BFA mit dem Fluchtgrund der drohenden Genitalverstümmelung überhaupt nicht auseinandergesetzt habe und somit den entscheidungswesentlichen Sachverhalt weder in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben, noch ausreichend festgestellt habe. Das BVwG konnte daher nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen sondern hätte nach den oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Feststellungen:
Die minderjährige Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Somalia, wurde in Österreich geboren. Sie ist die Tochter zweier in Österreich aufhältigen somalischer Staatsangehöriger. Am 04.09.2015 stellte die minderjährige Beschwerdeführerin durch ihren Vater als gesetzlichen Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren, wobei eigene Verfolgungsgründe für die Beschwerdeführerin ausgeschlossen wurden.
Die Kernfamilie - Eltern und der minderjährige Bruder - der minderjährigen Beschwerdeführerin stellten bereits zuvor Anträge auf internationalen Schutz, wobei ihnen der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde. In den Verfahren der genannten Familienangehörigen wurden die Beschwerden gegen die abweisenden Bescheide mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 vom 28.05.2015 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Die dagegen eingebrachten Revisionen an den Verwaltungsgerichtshof wurden mit Beschluss vom 10.11.2015 zurückgewiesen.
Die minderjährige Beschwerdeführerin lebt als subsidiär Schutzberechtigte gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem ebenfalls minderjährigen Bruder auf Basis einer befristeten Aufenthaltsberechtigung in Österreich. Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.
An der Beschwerdeführerin wurde bisher keine Beschneidung durchgeführt.
Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführerin in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität in Form der Gefahr einer Genitalverstümmelung droht, wogegen sie vom somalischen Staat keinen effektiven Schutz erwarten können. Aufgrund der landesweit üblichen Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung kommt der Beschwerdeführerin auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zu.
2. Relevante Länderberichte zur Situation in Somalia
Die aktuelle politische und menschenrechtliche Situation in Somalia stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bereits in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden umfassend fest. Zur Situation von Frauen und Kindern, der weiblichen Genitalverstümmelung und dagegen bestehenden staatlichen Schutz wird zudem Folgendes festgestellt:
Frauen und Kinder/ Weibliche Genitalverstümmelung
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, 12.01.2018)
Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe – insbesondere in IDP-Lagern – ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.1.2017).
Die somalische Regierung hat 2014 einen Aktionsplan zur Bekämpfung sexueller Übergriffe verabschiedet. Die Implementierung geschieht jedoch sehr langsam (ÖB 9.2016). Außerdem wurde im Mai 2016 ein Nationaler Gender Policy Plan verabschiedet. Dieser Plan wurde von der Somali Islamic Scholars Union verurteilt; der Somali Religious Council hat die vorgesehene 30%-Quote für Abgeordnete im somalischen Parlament als gefährlich bezeichnet (USDOS 3.3.2017).
Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 3.3.2017), bleiben häusliche (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017, ÖB 9.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (UNSC 5.9.2017). Generell grassiert sexuelle Gewalt ungebremst. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 wurden von UNSOM alleine in den von der Dürre betroffenen Gebieten 3.200 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert (UNHRC 6.9.2017). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, UNSC 5.9.2017). Im Jahr 2015 waren 75% der Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (ÖB 9.2016). Die IDP-Lager bieten kaum physischen oder Polizeischutz (UNSC 5.9.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (USDOS 3.3.2017). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten und Milizionäre (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Im ersten Trimester 2017 wurden 28 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt dokumentiert, im letzten Trimester 2016 waren es 13. Dieser Anstieg kann vermutlich mit der wachsenden Zahl an Dürre-bedingten IDPs erklärt werden (UNSC 9.5.2017). Von staatlichem Schutz kann – zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle – nicht ausgegangen werden (HRW 12.1.2017; vgl. ÖB 9.2016).
Auch unter der neuen Verfassung gilt in Somalia weiterhin das islamische Scharia-Recht, auf dessen Grundlage auch die Eheschließung erfolgt. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 9.2016). Laut Übergangsverfassung sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen. Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45% der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8% bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet (USDOS 3.3.2017).
Zu von der al Shabaab herbeigeführten Zwangsehen kommt es auch weiterhin (SEMG 8.11.2017), allerdings nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (DIS 3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen der al Shabaab in städtischen Zentren sind nicht bekannt (DIS 3.2017). Die Gruppe nutzt zusätzlich das System der Madrassen (Religionsschulen), um potentielle Bräute für die eigenen Kämpfer zu identifizieren (SEMG 8.11.2017). Immer mehr junge Frauen werden radikalisiert und davon angezogen, eine "Jihadi-Braut" werden zu können (SEMG 8.11.2017; vgl. BFA 8.2017).
Al Shabaab setzt Frauen – manchmal auch Mädchen – zunehmend operativ ein, etwa für den Waffentransport in und aus Operationsgebieten; für die Aufklärung und zur Überwachung (SEMG 8.11.2017); oder als Selbstmordattentäterinnen (DIS 3.2017).
Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden (USDOS 3.3.2017). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivilrechts und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen bzw. einem (übersteigerten) paternalistischen Ansatz folgen. Für Frauen gelten entsprechend andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer. So erhalten beispielsweise Frauen nur 50% der männlichen Erbquote. Bei der Tötung einer Frau ist im Vergleich zur Tötung eines Mannes nur die Hälfte des an die Familie des Opfers zu zahlenden "Blutgeldes" vorgesehen (AA 1.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 1.1.2017). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland. Gleichwohl gibt es politische Ansätze, die mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau anstreben. In den von der al Shabaab kontrollierten Gebieten werden die Regeln der Scharia in extremer Weise angewandt – mit der entsprechenden weitergehenden Diskriminierung von Frauen als Folge (AA 1.1.2017).
Eigentlich wären für das Parlament 30% Sitze für Frauen vorgesehen. Bis zur Neuwahl des Parlaments stellten diese aber nur 14% von 275 Abgeordneten (USDOS 3.3.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Im neuen Unterhaus und im Oberhaus des Parlaments stellen Frauen nunmehr 24% der Abgeordneten. 23% der Mitglieder des Ministerkabinetts sind Frauen (UNSC 9.5.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). 13 von 54 Abgeordneten im Oberhaus sind Frauen (NLMBZ 11.2017). Im Ältestenrat von Puntland war noch nie eine Frau vertreten, im 66sitzigen Repräsentantenhaus sind es zwei, es gibt auch zwei Ministerinnen (USDOS 3.3.2017).
Generell haben Frauen nicht die gleichen Rechte, wie Männer, und sie werden systematisch benachteiligt (USDOS 3.3.2017). Frauen leiden unter schwerer Ausgrenzung und Ungleichheit in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten (ÖB 9.2016), und unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung und Unterbringung. Laut einem Bericht einer somaliländischen Frauenorganisation aus dem Jahr 2010 besaßen dort nur 25% der Frauen Vieh, Land oder anderes Eigentum. Allerdings werden Frauen beim Besitz und beim Führen von Unternehmen nicht diskriminiert – außer in den Gebieten der al Shabaab (USDOS 3.3.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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A - Sicherheitsanalyseabteilung (2.2017): Sicherheitsbericht im Februar 2017
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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
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DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017):
South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016,
https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/57D4CD96-E97D-4003-A42A-C119BE069792/0/South_and_Central_Somalia_Report_March_2017.pdf, Zugriff 21.11.2017
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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017
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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):
Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018
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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
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SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017
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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,
https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017
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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017
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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)
Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, CEDOCA 9.6.2016), diese ist in Somalia aber weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, AA 1.1.2017). Nach einer Angabe sind 98% aller Frauen und Mädchen beschnitten (USDOS 3.3.2017), eine andere Quelle nennt eine FGM-Rate (alle Formen von FGM) von 99% in der Altersgruppe von 15-49 Jahren. Dabei ist die hohe Prävalenz nicht auf Somalia beschränkt, sondern betrifft auch ethnische Somali in Kenia und Äthiopien (CEDOCA 9.6.2016).
Zum Alter bei der Beschneidung gibt es unterschiedliche Angaben. Eine Quelle nennt ein Alter von zehn bis dreizehn Jahren (AA 1.1.2017); nach anderen Angaben findet die Verstümmelung bei mehr als 80% im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; bei 10% zwischen neun und vierzehn Jahren; und bei 7% zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014). Nach wieder anderen Angaben wird die Verstümmelung bei 80% der Mädchen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vorgenommen (USDOS 3.3.2017). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016). Quellen im Bericht des Danish Immigration Service erklären wiederum, dass die große Mehrheit vor dem achten Geburtstag einer Verstümmelung unterzogen wird. Eine Quelle gab an, dass Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr beschnitten werden. Dies wäre gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016).
Dabei ist vor allem die extremste Form der weiblichen Beschneidung (Infibulation; auch pharaonische Beschneidung/ WHO Typ III) weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Berichtet wird ein Anteil von rund 63% (EASO 8.2014). Eine andere Quelle schätzt die Zahl von Infibulationen auf 80% (DIS 1.2016). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht (AA 1.1.2017).
Bei den Benadiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (DIS 1.2016).
Landesweit bemühen sich die Regierungen, die FGM-Praxis einzuschränken (AA 1.1.2017). Internationale und lokale NGOs führen Sensibilisierungsprogramme durch (USDOS 3.3.2017; vgl. CEDOCA 9.6.2016). Auch Medien, Prominente und religiöse Persönlichkeiten werden in die Kampagnen eingebunden. Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation (CEDOCA 9.6.2016). Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (DIS 1.2016).
In den Gebieten der al Shabaab ist FGM verboten (LIFOS 24.1.2014).
Die Hauptrolle bei der Entscheidung, ob eine Beschneidung stattfindet, liegt in erster Linie bei der Mutter, in geringerem Maße bei der Großmutter. Der Vater spielt bei dieser Entscheidung kaum eine Rolle (CEDOCA 9.6.2016). Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es also auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist dies aber in Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (DIS 1.2016).
Es kann zu psychischem Druck kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Dieser Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016). Aufklärungskampagnen versuchen, Väter mehr in die Sensibilisierung einzubinden, da sie Einfluss auf Mutter und Großmutter ausüben können (CEDOCA 9.6.2016).
Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten. Ohne das Wissen der Mutter kann eine FGM aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht von statten gehen (DIS 1.2016).
Mädchen, die nicht beschnitten sind, werden in der somalischen Gesellschaft immer noch stigmatisiert. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land. Laut Edna Adan ist es in der Stadt kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land aber würden Eltern dies nicht wagen. Mädchen, die anstatt einer Infibulation mittels Sunna beschnitten wurden, werden oftmals als nicht so rein wie infibulierte Mädchen erachtet (CEDOCA 9.6.2016). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016).
Im Jahr 2011 erhobene Zahlen für Puntland zeigen eine rückläufige FGM-Rate. In der Altersgruppe 45-49 waren 2011 97,8% der Frauen von irgendeiner Form von FGM betroffen, in jener von 15 bis 19 Jahren waren es 97,3%, in der Gruppe 10-14 waren es 82,3% (CEDOCA 9.6.2016).
Zwei Studien von UNICEF zeigen, dass in Puntland die Infibulationsrate von 93,2% im Jahr 2005 auf 86,7% im Jahr 2011 zurückgegangen ist. Im Jahr 2011 waren ca. 90% der über 25jährigen, 85,4% der 20-24jährigen und 79,9% der 15-19jährigen von einer Infibulation betroffen. Auch eine Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass die Infibulationsrate in Puntland zurückgeht. Die Sunna (im Sinne einer moderaten Beschneidung der Klitoris) hingegen ist auf dem Vormarsch (CEDOCA 9.6.2016).
Puntländische Behörden erklären, dass sie gegen FGM ankämpfen würden (CEDOCA 9.6.2016). Im Jahr 2013 bzw. 2014 wurde dort von religiösen Führern eine Fatwa ausgesprochen, wonach FGM als nicht mit islamischem Recht konform erklärt wird (UNHRC 6.9.2017; vgl. CEDOCA 9.6.2016). Daraufhin hat Puntland im März 2014 FGM per Dekret generell verboten. Das puntländische Ministerium für Justiz und religiöse Angelegenheiten betreibt Aktivitäten zur vollständigen Ausrottung von FGM und wird dabei von UNICEF unterstützt (UNHRC 6.9.2017). So wird etwa auch versucht, Beschneiderinnen ein alternatives Einkommen zu verschaffen. Bei einer Studie von UNICEF im Jahr 2011 gaben 37% der Befragten in Puntland an, dass die Praxis von FGM eingestellt werden sollte (CEDOCA 9.6.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS, Belgien (13.6.2016): Somalië - Defibulatie en herinfibulatie bij geïnfibuleerde vrouwen in Zuid- en Centraal-Somalië
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CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS, Belgien (9.6.2016): Somalië - Vrouwelijke genitale verminking (VGV) in Somaliland en Puntland
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DIS - Danish Immigration Service (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/D011EB99-7FB6-4693-921A-8F912F4079CB/0/FGMnotat2016.pdf, Zugriff 21.11.2017
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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017
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LI - Landinfo (14.9.2011): Somalia - Kjønnslemlestelse av kvinner, https://landinfo.no/asset/1747/1/1747_1.pdf, Zugriff 21.11.2017
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LIFOS - Lifos/Migrationsverket (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539, Zugriff 22.11.2017
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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
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WHO - World Health Organization (2017b): Female genital mutilation and other harmful practices,
http://www.who.int/reproductivehealth/topics/fgm/fgm_infibulated_women_norway/en/, Zugriff 21.11.2017
United Kingdom Home Office: Country Information and Guidance,
Somalia: Women fearing gender-based harm and violence, 2. August 2016
In den Policy Summeries des Berichts wird zusammengefasst ausgeführt, dass es eine sehr weite Verbreitung von FGM in ganz Somalia gebe und einen starken kulturellen Rückhalt dieser Praxis. Unverheiratete Frauen jünger als 39 Jahre, die nicht beschnitten sind, die ein Risiko nachweisen können, Opfer dieser Praxis zu werden und die der Bedrohung nicht durch eine innerstaatliche Fluchtalternative entfliehen können, soll auf der Basis ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Asyl gewährt werden. Die Praxis der FGM ist in Somaliland und Puntland rückläufig; eine Frau könnte dort einem weniger großen Risiko ausgesetzt sein, einer solchen Praxis ausgesetzt zu werden.
Laut einer UNICEF Studie über die weltweite Praxis von FGM, ist FGM allgemein gültig in Somalia; es kann keine signifikante Veränderung dieser Praxis erkannt werden. Eine andere UNICEF Studie strich hervor, dass FGM in der somalischen Gesellschaft eine anerkannte Tradition sei. Jene, die sich dieser Tradition entgegenstellen, tun dies gegen den Strom der öffentlichen Meinung. Aktuelle Statistiken zeigen eine Verbreitung von FGM in Somalia von ca. 97,9% für Frauen zwischen 15 bis 49 Jahren. Die in Somaliland, Puntland sowie Süd- und Zentralsomalia befragten Gemeinden hätten angegeben, dass in nahezu allen Haushalten Frauen und Mädchen FGM unterzogen worden seien (siehe Seite 24).
EASO, Country of Origin Information Report, South and Central Somalia, Country Overview, August 2014, online abrufbar:
Somalia sei einer der schlimmsten Orte der Welt für Frauen (178. Stelle). Während die vorläufige Verfassung gleiche Rechte von Männern und Frauen vorsähe, würden Frauen schwerwiegende Ungleichheiten und Diskriminierung erfahren. Nach traditionellem Somali Recht bleibe sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt häufig unbestraft.
Auch dieser Bericht führt aus, dass die weibliche Beschneidung in der Verfassung verboten sei. Dennoch werde diese Bestimmung nicht umgesetzt. Nach UNICEF Daten aus 2013 seien 98% der Frauen und Mädchen in Somalia beschnitten, wobei eine Mehrheit von 63% der Infibulation unterworfen gewesen seien, die die weitreichendste Form der FGM (Female Genital Mutilation) darstelle. In 80% der Fälle werde die Beschneidung bei Mädchen zwischen fünf und neun Jahren vorgenommen, in 10% der Fälle im Alter zwischen 9 und 14 und bei 7% der Mädchen, wenn sie 0 bis 4 Jahre alt seien. (Seiten 110, 111).
Staatlicher Schutz:
United Kingdom Home Office: Country Information and Guidance,
Somalia: Women fearing gender-based harm and violence, 2. August 2016
In Süd- und Zentralsomalia, einschließlich Mogadischu, ist effektiver staatlicher Schutz für Frauen, die geschlechtsspezifische und/oder sexuelle Gewalt fürchten, nicht zugänglich .
Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Person der minderjährigen Beschwerdeführerin (Minderjährigkeit bzw. Geburt in Österreich, Staatsangehörigkeit) und zu den in Österreich aufhältigen Angehörigen ihrer Kernfamilie ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben ihres gesetzlichen Vertreters im Verfahren, der vorgelegten (österreichischen) Geburtsurkunde und aus den vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten. Darüber hinaus ergibt sich die Feststellung zur Antragstellung und zum bisherigen Asylverfahren zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung, dass an der Beschwerdeführerin noch keine Beschneidung durchgeführt wurde, ergibt sich aus der am 15.01.2018 vorgelegten ärztlichen Bestätigung.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin fußt auf einem Auszug aus dem Strafregister vom 26.01.2018.
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Rechtliche Beurteilung:
Allgemeine Rechtsgrundlagen
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen, weswegen gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vorliegt.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl.I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Asylgewährung:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt mithin nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2003, Zl. 2001/20/0011).
Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH vom 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; vom 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH vom 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können jedoch im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes befindet.
Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH vom 24.03.1999, Zl. 98/01/0352).
Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; vom 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH vom 28.03.1995, Zl. 95/19/0041; VwGH vom 27.06.1995, Zl. 94/20/0836; VwGH vom 23.07.1999, Zl. 99/20/0208; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 99/20/0373; VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN; VwGH vom 12.09.2002, Zl. 99/20/0505 sowie VwGH vom 17.09.2003, Zl. 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. In beiden Fällen ist es der Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf ihre wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes ihres Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann mithin nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, Zl. 99/01/0256 mwN).
Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
Die Länderinformationen stellen fest, dass 90-98% der Mädchen und Frauen in Somalia Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung geworden sind, wobei 80% der Frauen und Mädchen der weitreichendsten Beschneidung, der Infibulation (TypIII), unterzogen werden.
Daher geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass in Somalia aktuell und landesweit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (siehe VwGH, 24.06.2010, 2007/01/1199) die Gefahr für unbeschnittene Mädchen und Frauen gegeben ist, Opfer eines Eingriffs von massiver Intensität in ihre körperliche und sexuelle Integrität, nämlich einer weiblichen Genitalverstümmelung, zu werden.
Dass weibliche Genitalverstümmelung an Mädchen in Somalia sogar ohne Einverständnis der Eltern vorgenommen werden kann, wurde in der mündlichen Verhandlung in einem hg. anhängigen Verfahren bestätigt (siehe BVwG, 05.06.2015, Zl. W221 1425725-1).
Erst kürzlich führte der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, in einem Aufruf zur Unterzeichnung und Ratifizierung der sog. "Istanbul Konvention" ("The Council of Europe’s Convention on Preventing a