TE Vfgh Beschluss 1997/12/11 B2672/97

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Veröffentlicht am 11.12.1997
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §85 Abs2
Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Beschluß des Assoziationsrates Nr 1/80 Art6

Leitsatz

Abweisung der Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung; Vollzugstauglichkeit eines Feststellungsbescheides nach dem Assoziationsratsbeschluß EWG-Türkei Nr 1/80; keine Verhinderung der Wiederaufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit durch den angefochtenen Bescheid; andere negative Rechtswirkungen nicht geltend gemacht; Voraussetzungen für eine aufgrund des Gemeinschaftsrechts zu erlassende einstweilige Anordnung nach der Judikatur des EuGH nicht gegeben

Spruch

Den Anträgen, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und eine einstweilige Anordnung zu erlassen, wird keine Folge gegeben.

Begründung

Begründung:

I.1. Mit dem angefochtenen Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle Bregenz, mit welchem ihr am 23. April 1997 unter Berufung auf das Assoziierungsabkommen EWG-Türkei und den darauf beruhenden Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 (im folgenden: ARB) gestellter Antrag auf Feststellung "ihrer Assoziationsintegration nach Art6 Abs1 erster Fall und Art7 zweiter Fall" ARB abgewiesen wurde, keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

2. a) In der dagegen gemäß Art144 B-VG wegen Verletzung in dem durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof stellt die Beschwerdeführerin zum einen den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, zum anderen einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung oder einstweiligen Verfügung des Inhalts, daß "(b)is zur endgültigen Feststellung der Arbeitsmarktzugangsberechtigung der Beschwerdeführerin ... vorläufig festgestellt (wird), daß die Beschwerdeführerin berechtigt ist, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen".

b) Diese Anträge werden im wesentlichen damit begründet, daß die Antragstellerin mit Ausnahme "ihres Mutterschutz- bzw. Karenzurlaubs" seit 6. September 1985 in Österreich berufstätig und in das österreichische Sozialversicherungssystem eingegliedert sei. Ihre Hinderung an der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit gefährde nicht nur sie selbst, sondern ihre gesamte neunköpfige Familie in ihrer Existenz und stelle daher einen unwiederbringlichen Schaden dar. Sie werde, wenn sie jetzt nicht arbeiten dürfe, naturgemäß später auch keinen Rechtsanspruch auf eine Entlohnung geltend machen können; sie verliere also alle aus einer vorläufigen Erwerbstätigkeit lukrierbaren finanziellen Möglichkeiten endgültig.

Zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verweist die Beschwerdeführerin auf einen einem gleichartigen Antrag stattgebenden Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Oktober 1997, AW 97/09/0070-3, mit dem dieser ausgesprochen hat, daß ein die Feststellung der Zugehörigkeit einer Person zu dem durch den ARB begünstigten Personenkreis abweisender Bescheid insofern einem Vollzug zugänglich sei, als durch ihn in einer andere Verwaltungsbehörden bindenden Weise ausgesprochen werde, daß diese Voraussetzung im Fall der betroffenen Person nicht gegeben sei, und daß ein solcher Vollzug für den beschwerdeführenden türkischen Staatsangehörigen einen unverhältnismäßigen Nachteil bewirke.

Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (Anordnung) führt die Antragstellerin unter Hinweis auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofes vom 19. Juni 1990, Rs C-213/89 (Slg. 1990, I-2433, Factortame), vom 21. Februar 1991, Rs C-143/88 und C-92/89 (Slg. 1991, I-415, Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest) und vom 9. November 1995, Rs C-465/93 (Slg. 1995, I-3761, Atlanta Fruchthandelsgesellschaft ua.) folgendes aus:

Zwar sehe die geltende österreichische Rechtsordnung keine Möglichkeit der Gewährung "positiven" einstweiligen Rechtsschutzes im Verwaltungsverfahren und durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts vor - die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde bewirke regelmäßig nur, daß der Beschwerdeführer in jene Rechtslage versetzt werde, die er vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides hatte, jedoch könne der Beschwerdeführer dadurch niemals mehr Rechte bekommen, als er vor Erlassung des angefochtenen Bescheides hatte -, jedoch stelle das Gemeinschaftsrecht grundlegend andere Anforderungen. Eine einstweilige Anordnung nach Gemeinschaftsrecht habe der Partei als vorläufige Maßnahme für die Dauer des Verfahrens (bei Vorliegen der Voraussetzungen) zumindest jene Rechtsstellung einzuräumen, die sie voraussichtlich am Ende des Verfahrens bekommen werde, bzw. unter Umständen auch eine günstigere Rechtstellung zu geben, als die Partei sie vor dem angefochtenen Bescheid hatte, weil die einstweilige Anordnung jene Rechtsstellung vorläufig zu schaffen habe, die vorläufig am gemeinschaftsrechtskonformsten erscheine.

3. Die zur Abgabe einer Stellungnahme eingeladene belangte Behörde sprach sich unter Hinweise auf die aktuelle Arbeitsmarktsituation in Österreich gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung aus.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zum Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen:

a) Gemäß §85 Abs2 VerfGG hat der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde auf Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluß aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird der Eintritt der Rechtswirkungen des angefochtenen Bescheides hinausgeschoben, sodaß der bekämpfte Bescheid vorläufig keine Rechtswirkungen zu entfalten vermag. Mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung haben bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes alle Maßnahmen, die an sich aufgrund des angefochtenen Bescheides zulässig wären, zu unterbleiben. Einer Beschwerde kann also nur dann aufschiebende Wirkung zuerkannt werden, wenn es denkbar ist, daß der angefochtene Bescheid irgendwelche - für die Beschwerdeführerin nachteilige - Wirkungen entfaltet, deren Eintritt aufgeschoben werden kann, dh. daß die Rechtsposition der Beschwerdeführerin günstiger sein könnte, würde die rechtliche Existenz des Bescheides weggedacht. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung kann keine für die Beschwerdeführerin positiven Rechtsfolgen nach sich ziehen, die weiter gehen als jene, die mit der nachfolgenden potentiellen Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch den Verfassungsgerichtshof verbunden wäre (s. etwa VfGH 22.6.1994, B836/94 ua., und 20.1.1997, B4724/96).

b) Im Regelfall sind daher bloße Feststellungsbescheide einem Vollzug nicht zugänglich (vgl. VfGH 13.8.1993, B1329/93 und 13.9.1994, B1790/94). Für Feststellungsbescheide nach dem ARB hat der Verwaltungsgerichtshof allerdings in dem von der Beschwerdeführerin angezogenen Beschluß folgendes ausgeführt:

"Auch Bescheide, die Grundlage für nachfolgende, den Betroffenen zum Nachteil gereichende Verwaltungsakte sein können, sind daher einem Vollzug im Sinne des §30 Abs2 VwGG zugänglich (vgl. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Juli 1997, Zl. AW 97/06/0009). Dies trifft daher auch auf Feststellungsbescheide insoferne zu, als durch sie ein - etwa für andere Verwaltungsbehörden - verbindlicher Ausspruch hinsichtlich der getroffenen Feststellung erfolgt und auch dadurch die Rechtsstellung des Bescheidadressaten verändert wird.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Antragstellers auf Feststellung seiner 'Assoziationsintegration im Sinne des Artikel 6 Abs1 letzter Fall' des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 abgewiesen. Damit wurde die Rechtsstellung des Antragstellers insoferne verändert, als durch diesen Bescheid nunmehr auf eine, auch für andere Verwaltungsbehörden bindende Weise ausgesprochen wurde, daß diese Voraussetzungen in seinem Fall nicht gegeben sind. Insoferne ist daher auch der angefochtene Bescheid einem Vollzug im Sinne des §30 Abs2 VwGG zugänglich."

Der Verfassungsgerichtshof schließt sich in Ansehung der Feststellungsbescheide nach dem ARB dieser Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich an; sie gilt mutatis mutandis auch für die von ihm zu beurteilende Vollzugstauglichkeit im Sinne des §85 Abs2 VerfGG.

c) Nun hängt die Beschwerdeführerin der Auffassung an, der bekämpfte Bescheid hindere sie "an der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit". Eine solche Wirkung kommt dem Bescheid aber nicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt nämlich die Rechtsansicht, daß türkische Staatsangehörige, auf die die Voraussetzungen des ARB zutreffen, zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit keiner besonderen Bewilligung bedürfen und daher die Erlassung des von der Antragstellerin beantragten Feststellungsbescheides auch keine Voraussetzung zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit darstellt (vgl. auch insoweit den Beschluß des VwGH vom 21.10.1997, AW 97/09/0070-3 und das in diesem Beschluß bezogene Erkenntnis des VwGH vom 25.6.1996, 96/09/0088).

Die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten (negativen) Rechtswirkungen entfaltet der bekämpfte Bescheid also nicht. In welcher anderen Weise seine Vollziehung aber die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin unverhältnismäßig beeinträchtigen könnte, wird in der Beschwerde nicht dargetan.

Dem Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, war daher keine Folge zu geben.

2. Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (Anordnung):

Weder die Bundesverfassung noch eine andere Verfassungsbestimmung, noch auch das VerfGG oder die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach §35 VerfGG sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen der Zivilprozeßordnung und des Einführungsgesetzes zur Zivilprozeßordnung enthalten eine Regelung, die die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Erlassung einer von der Beschwerdeführerin begehrten einstweiligen Anordnung (Verfügung) begründen könnten.

Das bestreitet auch die Beschwerdeführerin nicht. Sie meint aber, daß sich aus dem Gemeinschaftsrecht unmittelbar eine Verpflichtung aller mit der Vollziehung von Gemeinschaftsrecht betrauten Gerichte ergäbe, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechtes ergebe. Daher hätte der Verfassungsgerichtshof - so meint die Beschwerdeführerin der Sache nach - in einem bei ihm anhängigen Verfahren einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, um die volle Wirksamkeit einer allfälligen späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen.

Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob aus den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Effektivität des Schutzes von Rechten, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, eine Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes zur Erlassung einstweiliger Anordnungen abzuleiten ist, obwohl eine gesetzliche Ermächtigung zur Setzung entsprechender Akte eines Provisorialrechtsschutzes nicht vorhanden ist; eine Frage, die im Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der schon zitierten Rs Factortame letztlich offen bleibt. Denn selbst unter der Annahme, daß der Verfassungsgerichtshof zur Erlassung entsprechender einstweiliger Anordnungen auch ohne innerstaatliche gesetzliche Kompetenzzuweisung berufen sein sollte, würde es im vorliegenden Fall an den (weiteren, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu prüfenden) Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Anordnung des von der Beschwerdeführerin begehrten Inhalts fehlen:

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (vgl. insbesondere EuGH in Rs Zuckerfabriken Süderdithmarschen und Soest, Rz 23, 27 ff.) kommt die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nur in Betracht, sofern bestimmte Voraussetzungen, wie eine besondere Dringlichkeit im Hinblick auf die zu schützenden Rechtspositionen (periculum in mora) gegeben sind und erhebliche Zweifel an der Gültigkeit von Gemeinschaftsrechtsvorschriften oder deren Auslegung obwalten, wenn also der von der Partei eingenommene Rechtsstandpunkt nach vorläufiger Beurteilung einige Erfolgswahrscheinlichkeit für sich hat (fumus boni iuris). Dies wird im Regelfall die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nur im Zusammenhang mit einer vor Entscheidung in der Hauptsache erforderlichen Befassung des Europäischen Gerichtshofes nach Art177 EGV erlauben; eine solche Fallkonstellation betreffen etwa die oben zitierten Entscheidungen in den Rs Zuckerfabriken Süderdithmarschen und Soest einerseits sowie Atlanta andererseits.

Im vorliegenden Verfahren geht es aber nicht um die (vorläufige) Sicherung eines sich für die Beschwerdeführerin aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergebenden Rechtes (worauf es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rs Factortame ankommt), dessen Verletzung der Verfassungsgerichtshof wahrzunehmen hätte, weshalb auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht zu erwarten ist:

Die Beschwerdeführerin behauptet zwar unter Berufung auf ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides (und zwar einen Verstoß gegen den ARB), doch ist das Vorbringen bloß dazu angetan, die Rechtmäßigkeit der Abweisung des Feststellungsbegehrens in Zweifel zu ziehen; sie wirft damit bloß Fragen auf, die im Rahmen der zwischen dem Verfassungsgerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof geteilten Zuständigkeit zur Prüfung von Verwaltungsakten dem Verwaltungsgerichtshof zur Klärung übertragen sind (vgl. VfGH 26.6.1997, B877/96). Denn eine allfällige bloße Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides hätte nicht der Verfassungsgerichtshof aufzugreifen. Eine Rechtsverletzung wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsvorschrift kommt in Ansehung des ARB, der einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich ist, nicht in Betracht; die Frage aber, ob der Bescheid die Beschwerdeführerin in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger innerstaatlicher genereller Normen verletzt, betrifft kein Recht, das sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt. Die Gewährung eines aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Anspruchs auf Erlassung einstweiliger Anordnungen kommt aber nicht in Betracht, soweit es um die Sicherung von Rechten geht, die im innerstaatlichen Recht wurzeln.

Da somit die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Anordnung durch den Verfassungsgerichtshof nicht vorliegen, war dem darauf abzielenden Antrag jedenfalls aus diesem Grund keine Folge zu geben.

Schlagworte

Arbeitsrecht, Ausländerbeschäftigung, EU-Recht, VfGH / Wirkung aufschiebende, VfGH / Verfügung einstweilige

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B2672.1997

Dokumentnummer

JFT_10028789_97B02672_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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