TE OGH 2018/1/23 4R6/18g

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Veröffentlicht am 23.01.2018
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Das Oberlandesgericht Linz als Rekursgericht hat durch die Senatspräsidentin Dr. Eva-Maria Mayrbäurl als Vorsitzende, Mag. Hans Peter Frixeder und Mag. Edeltraud Kraupa in der Rechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch MMag. Hermann Bogensperger, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei *****, vertreten durch Dr. Peter Kolb, Dr. Andreas Fink und Dr. Christopher Fink, Rechtsanwälte in Imst, wegen EUR 41.627,52 s.A., über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 20. Dezember 2017, 13 Cg 74/17p-9, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit EUR 1.843,56 (darin EUR 307,26 USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Die klagende Partei begehrt Zahlung von EUR 41.627,52 s.A. und behauptet, die beklagte Partei schulde ihr den Klagsbetrag für durchgeführte Baumeisterarbeiten bei einem Bauprojekt in Mühlbach am Hochkönig aufgrund einer Ratenvereinbarung. Das Erstgericht erließ den beantragten Zahlungsbefehl.

Die beklagte Partei erhob die Einrede der Unzuständigkeit des Erstgerichtes und brachte vor, die Parteien hätten in Punkt 8. des Bauvertrages vom 8. Mai 2017 Folgendes vereinbart: Als Gerichtsstand wird vereinbart: Gerichtsstand Zell am See. Es läge eine Vereinbarung der sachlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Zell am See ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwertes vor. Die beklagte Partei erhob weiters Einspruch gegen den Zahlungsbefehl.

Mit Beschluss vom 20. November 2017 trug das Erstgericht der beklagten Partei die Vorlage der behaupteten Zuständigkeitsvereinbarung auf und räumte der klagenden Partei die Möglichkeit ein, sich binnen 14 Tagen nach Einlangen der Urkunde zur erhobenen Unzuständigkeitseinrede zu äußern.

Die beklagte Partei legte mit Schriftsatz vom 24. November 2017 den zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Bauvertrag vom 8. Mai 2017 vor, dessen Punkt 8. die von der beklagten Partei in ihrer Unzuständigkeitseinrede behauptete Gerichtsstandsvereinbarung enthält. In den Unterfertigungszeilen des Vertragstextes befinden sich den Streitteilen zuzuordnende Firmenstampiglien samt Unterschriften.

Die klagende Partei erklärte in ihrer am 4. Dezember 2017 überreichten Äußerung, die beklagte Partei habe den zwischen den Parteien abgeschlossenen Bauvertrag vom 8. Mai 2017 vorgelegt, in dessen Punkt 8. vereinbart worden sei, dass als „Gerichtsstand Zell am See“ gelten solle. Unter dem Ausdruck "Gerichtsstand" werde regelmäßig nur die örtliche Zuständigkeit, also die Zuordnung einer Rechtssache an ein örtlich bestimmtes Gericht, verstanden. Dass auch die sachliche Zuständigkeit auf jeden Fall zum Bezirksgericht Zell am See verschoben werden sollte, gehe aus dem Text der Gerichtsstandsvereinbarung nicht hervor und sei von den Parteien auch nicht so gewollt gewesen. Die klagende Partei beantragte, die Unzuständigkeitseinrede der beklagten Partei zu verwerfen.

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 5. Dezember 2017, ON 7, die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit mit der Begründung zurück, die örtliche Zuständigkeitsvereinbarung enthalte in sich auch die Vereinbarung einer sachlichen Zuständigkeit, wenn der vereinbarte Ort nur ein Gericht einer bestimmten Type enthalte. Werde also - wie im vorliegenden Fall - ein Ort vereinbart, an dem sich nur ein Bezirksgericht befindet, so liege darin auch eine im Rahmen der Voraussetzungen des § 104 Abs 2 JN zulässige Vereinbarung der sachlichen Zuständigkeit dieses Bezirksgerichtes.

Die klagende Partei beantragte in ihrem Überweisungsantrag nach § 230a ZPO die Überweisung der Klage an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Zell am See und erhob hilfsweise für den Fall der nicht antragsgemäßen Erledigung des Überweisungsantrages Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichtes vom 5. Dezember 2017, 13 Cg 74/17p-7.

Das Erstgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss den Überweisungsantrag mit der Begründung zurück, die Möglichkeit eines nachträglichen Überweisungsantrages nach § 230a ZPO bestehe nur, wenn der Kläger vor der Zurückweisung der Klage keine Gelegenheit zur Stellung eines Überweisungsantrages nach § 261 Abs 6 ZPO gehabt habe. Die klagende Partei habe dadurch, dass ihr eine Äußerungsmöglichkeit vor Beschlussfassung eingeräumt wurde, die Gelegenheit zur Stellung eines Überweisungsantrages nach § 261 Abs 6 ZPO gehabt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der klagenden Partei mit einem auf Überweisung der Klage gemäß § 230a ZPO an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Zell am See gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die klagende Partei rügt unter Berufung auf die Entscheidung 1 Ob 5/13m, dass ihr keine Gelegenheit iSd § 230a ZPO zur Stellung eines Überweisungsantrages eingeräumt worden sei. Eine solche Gelegenheit fehle, wenn die Klage ohne die nach Streitanhängigkeit vorgeschriebene mündliche Verhandlung zurückgewiesen werde. Das Erstgericht habe die Parteien nicht darauf hingewiesen, dass es nach der Urkundenvorlage sofort über die Unzuständigkeitseinrede der beklagten Partei entscheiden werde. Die klagende Partei habe mit einer zwingenden mündlichen Verhandlung rechnen können, da die zu beurteilende Zuständigkeitsfrage in der Judikatur unterschiedlich gelöst worden sei.

2. Ein Beschluss, der - wie hier - den Überweisungsantrag zurückweist, ist mit Rekurs anfechtbar, weil der Rechtsmittelausschluss in § 230a ZPO diesen Fall nicht erfasst (Rechberger/Klicka in Rechberger, ZPO4 § 230a ZPO Rz 3; WR 64; WR 115).

3. Gemäß § 261 Abs 2 ZPO idF der Novelle BGBl I 2015/94 ist eine mündliche Verhandlung über die Einrede nur anzuberaumen, wenn das Gericht dies im einzelnen Fall für erforderlich hält.

3.1. Der Gesetzgeber hat die nach § 261 Abs 1 ZPO idF ZVN 2002 zwingend erforderlich gewesene mündliche Verhandlung durch eine flexiblere Regelung ersetzt. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung ist nunmehr in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes gestellt (Kodek in Fasching/Konecny III/13 § 261 ZPO Rz 9, Rz 13; 721 BlgNR XXV. GP 2).

3.2. Hält das Gericht keine mündliche Verhandlung ab, so ist unbedingtes Mindesterfordernis die Gewährung zumindest schriftlichen Gehörs (Kodek aaO Rz 14, Rz 16, Rz 123; 721 BlgNR XXV. GP 2). In einem solchen dem Kläger ermöglichten Schriftsatz kann dieser auch einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO stellen (Kodek aaO Rz 114).

4.1. Nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung ist das Gericht nicht verpflichtet, den anwaltlich vertretenen Kläger zur Stellung eines Überweisungsantrages nach § 261 Abs 6 ZPO anzuleiten (Kodek aaO Rz 131; RIS-Justiz RS0037293). Der Oberste Gerichtshof führte zuletzt in der Entscheidung 8 Ob 74/01t aus:

Der Oberste Gerichtshof judizierte (...) in seinen Entscheidungen RZ 1986/61, 7 Ob 583/94 und zuletzt SZ 68/37, dass die Vorschrift des § 182 Abs 2 letzter Satz ZPO eine Erweiterung der Prozessleitungspflicht des Richters beinhalte, die auch im Gerichtshofverfahren gelte und auch dann anzuwenden sei, wenn der Kläger anwaltlich vertreten sei. (...). Diese Judikaturlinie wurde bereits in der Entscheidung JBl 1995, 183 zumindest in den Fällen abgelehnt, wo die Verhandlung ausdrücklich auf die Frage der Zuständigkeit eingeschränkt wurde. Die Möglichkeit zur Stellung eines Überweisungsantrages gemäß § 261 Abs 6 ZPO sei ein grundlegendes Instrumentarium der österreichischen Zivilprozessordnung. Es müsse unterstellt werden, dass dermaßen grundlegende Normen jedem Rechtsanwalt bekannt seien und diese Kenntnis ihn in die Lage versetze, entsprechend zu handeln, nämlich im Fall der Erhebung der Einwendung der Unzuständigkeit einen entsprechenden Überweisungsantrag zu stellen. Es (...) würde einer Parteilichkeit nahekommen, vom Gericht zu verlangen, einen Rechtsanwalt gleichsam aufzufordern, einen - von ihm in vielen Fällen allenfalls gar nicht gewünschten - Überweisungsantrag gemäß § 261 Abs 6 ZPO zu stellen. Dieser Rechtsansicht ist der Oberste Gerichtshof bis in jüngste Zeit weiterhin gefolgt. In 3 Ob 164/00i wurde selbst für den Fall, dass keine Einschränkung der Verhandlung auf den Zuständigkeitsstreit erfolgte, in der Tatsache, dass die Unzuständigkeitseinrede Gegenstand der Verhandlung war, eine ausreichende Gelegenheit gesehen, im Sinn des § 182 Abs 2 ZPO einen Überweisungsantrag zu stellen. Durch die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten in der Verhandlung (oder in einem Schriftsatz) sei der Kläger auf die Gefahr einer negativen Zuständigkeitsentscheidung unmissverständlich hingewiesen worden. (...).

4.2. Kodek (aaO Rz 132/1, Rz 133/2) meint, durch die neuere Rechtsprechung, wonach § 261 Abs 6 ZPO jedem Rechtsanwalt bekannt sein muss, werde die Voraussetzung, dass der Kläger keine Gelegenheit hatte, einen Überweisungsantrag zu stellen, bei Einräumen einer schriftlichen Äußerung oder Stattfinden einer mündlichen Verhandlung in der Regel nicht mehr erfüllt sein. Diese Überlegung habe daher nur mehr für unvertretene Parteien sowie für jene Fälle Bedeutung, in denen die Möglichkeit zur Stellung eines Überweisungsantrages durch überraschende Aktionen des Gerichtes abgeschnitten wurde.

5. Das Rekursgericht folgt der in 4.2. wiedergegebenen Meinung von Kodek. Die anwaltlich vertretene klagende Partei konnte im Hinblick auf die hier anzuwendende Neufassung des § 261 Abs 2 ZPO und die ihr eingeräumte Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung zur Unzuständigkeitseinrede nach erfolgter Urkundenvorlage durch die beklagte Partei nicht damit rechnen, dass sie die Möglichkeit zur Stellung eines Überweisungsantrages nach § 261 Abs 6 ZPO in einer mündlichen Verhandlung haben werde. Eine allfällige Uneinheitlichkeit der Judikatur in der zu entscheidenden Zuständigkeitsfrage bedurfte entgegen der von der klagenden Partei im Rekurs vertretenen Meinung als bloße Rechtsfrage keiner Erörterung in einer mündlichen Verhandlung. Aber auch eine Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung unter Heranziehung von Beweisen, die über den Wortlaut der Urkunde hinausgehen, konnte die klagende Partei im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung (Simotta in Fasching/Konecny3 § 104 JN Rz 62; 5 Ob 503/93; RIS-Justiz RS0046779) nicht in Betracht ziehen. Das Erstgericht hat daher das ihm in § 261 Abs 2 ZPO eingeräumte Ermessen nicht überschritten. Die klagende Partei musste vielmehr im Hinblick auf den Inhalt der Unzuständigkeitseinrede und die Einräumung einer schriftlichen Äußerungsmöglichkeit hiezu durch das Erstgericht mit einer Entscheidung der Zuständigkeitsfrage außerhalb einer mündlichen Verhandlung rechnen. Die Stellung eines Überweisungsantrages nach § 261 Abs 6 ZPO wäre der klagenden Partei bereits in ihrer Äußerung vom 4. Dezember 2017 möglich gewesen. Da die klagende Partei somit eine Gelegenheit zur Stellung eines Überweisungsantrages hatte, hat das Erstgericht ihren nachträglichen, auf § 230a ZPO gestützten Überweisungsantrag zu Recht zurückgewiesen.

6. Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung im vorliegenden Zwischenstreit im Rechtsmittelverfahren (10 Ob 63/16m; Obermaier, Kostenhandbuch2 Rz 297) gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig (1 Ob 314/97a; RIS-Justiz RS0039084).

Textnummer

EL0000266

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0459:2018:00400R00006.18G.0123.000

Im RIS seit

01.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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