Entscheidungsdatum
05.01.2018Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W271 2170934-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde von XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.09.2017, Zl. 1083785110-151153444, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI des angefochtenen Bescheids wird mit der Maßgabe insoweit stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbots auf 6 Jahre herabgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Am 21.08.2015 stellte der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) in Österreich einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Am 22.08.2015 erfolgte seine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und am 23.03.2017 seine Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde).
Der BF wurde in Österreich drei Mal rechtskräftig verurteilt. Er befand sich vom 05.07.2017 bis 04.09.2017 in Haft. Mit 05.07.2017 wurde der BF angehalten und über ihn die Untersuchungshaft wegen Verdachts einer Übertretung nach §§ 27 Abs. 2a SMG verhängt; der BF wurde in diesem Zusammenhang schuldig gesprochen; über ihn wurde eine teilbedingte Haftstrafe verhängt. Mit dem 04.07.2017 wurde der BF von der Grundversorgung abgemeldet. Die belangte Behörde teilte dem BF mit Verfahrensanordnung vom 10.07.2017 gemäß § 13 Abs 2 AsylG den Verlust seines Aufenthaltsrechts wegen Verhängung der Untersuchungshaft mit.
Mit Bescheid vom 04.09.2017, Zl. 1083785110-151153444, wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG ab, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG verloren habe und erließ ein 10-jähriges Einreiseverbot gegen den BF. Die belangte Behörde schloss zudem die aufschiebende Wirkung einer gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde aus.
Die gegen sämtliche Spruchpunkte erhobene Beschwerde des BF vom 07.09.2017 langte am 19.09.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Das Bundesverwaltungsgericht erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung mit Entscheidung vom 21.09.2017 nicht zu. Der dagegen erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erkannte dieser mit Beschluss vom 13.12.2017 die aufschiebende Wirkung zu.
Am 25.10.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt; im Zuge der Verhandlung wurden dem BF die aktualisierten Länderinformationen mit Stand vom 25.09.2017 ausgehändigt und erörtert. Dieser nahm mit Schreiben vom 15.11.2017 dazu Stellung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Person des BF
Am 21.08.2015 stellte der BF in Österreich einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Der BF trägt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Seine Identität steht nicht fest. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger und sunnitischer Moslem; er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und spricht Dari.
Der BF ist bis zu seinem etwa achten Lebensjahr in Afghanistan aufgewachsen und stammt aus XXXX (Provinz Kunduz, Distrikt Khan Abad). Der BF hat ein Jahr Schulbildung genossen und keinen Beruf erlernt; er hat Koranunterricht erhalten.
Der BF hat danach etwa 12 Jahre in Pakistan und zumindest drei Jahre im Iran, in der Nähe der Stadt Shiraz, gelebt. Ein Jahr davon lebte er in der Stadt Shiraz.
Der BF konnte die Reise von Pakistan in den Iran zunächst nicht bezahlen; er musste daher im Iran etwa drei bis vier Monate dafür arbeiten.
Der BF arbeitete im Iran sodann mehrere Jahre als Hirte und ein Jahr als Hilfsarbeiter auf einer Baustelle; er ist arbeitsfähig. Der Weg nach Österreich hat den BF € 3.700 gekostet. Der BF hat das Geld dafür als Hirte und in der Baubranche verdient und sparen können, weil er als einzelne Person nicht viele Ausgaben hatte und er mit seiner Mutter lebte.
Der BF ist volljährig, ledig und kinderlos. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF an einer physischen oder psychischen Erkrankung oder sonstigen Beeinträchtigung leidet.
1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaats
Der BF wuchs in Afghanistan auf. Als er acht Jahre alt war, zerstörten die Taliban das Elternhaus des BF und weitere Häuser in der Nachbarschaft. Wegen des Zustands der Häuser wusste der BF, dass ein Teil seiner Familie getötet wurde. Der Vater des BF war Dorfältester und in der Herkunftsprovinz des BF sehr bekannt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Taliban diesen Angriff aus im Vater des BF gelegenen Gründen durchgeführt haben.
Die Taliban brachten den BF nach diesem Angriff allein und ohne Familie nach Pakistan. Der BF verbrachte sodann 12 Jahre in Pakistan und arbeitete für die Taliban. Während dieser Zeit hatte der BF keinen Kontakt zu seiner Familie. Der BF konnte ausgehen, tat dies aber nicht. Mit zwanzig Jahren verließ der BF der Arbeitsstätte bei den Taliban und ging allein in den Iran. Im Iran traf der BF nach ein paar Jahren seine Mutter und lebte mit dieser bis zu seiner Ausreise ein Jahr in der Stadt Shiraz.
Aus Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan und Angst vor den Taliban verließ der BF 2015 den Iran und kehrte nicht in seinen Herkunftsstaat zurück. Er gelangte über mehrere Etappen nach Österreich, wo er am 21.08.2015 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz stellte.
Außer dem Verbringen des BF von Afghanistan nach Pakistan konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan persönlich von den Taliban bedroht wurde oder dass der BF wegen seiner früheren Erlebnisse mit den Taliban oder aus sonstigen Gründen derzeit in Afghanistan persönlich bedroht wird.
Dem Bruder des BF wurde in Österreich Asyl gewährt (BVwG vom XXXX). Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem BF aus dem Grund, dass seinem Bruder in Österreich Asyl gewährt wurde, eine Gefahr in Afghanistan droht.
1.3. Mögliche Risikoprofile nach den UNHCR-Richtlinien
Personen, die aus Afghanistan fliehen, können einem Verfolgungsrisiko aus Gründen ausgesetzt sein, die mit dem fortwährenden bewaffneten Konflikt in Afghanistan oder mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, die nicht in direkter Verbindung zum Konflikt stehen, zusammenhängen oder aufgrund einer Kombination beider Gründe. UNHCR ist der Auffassung, dass in Bezug auf Personen mit den folgenden Profilen eine besonders sorgfältige Prüfung der möglichen Risiken notwendig ist (nur relevante Profile werden angeführt):
a) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext von Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung;
b) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind.
Aus den UNHCR-Richtlinien ergibt sich dazu im Detail Folgendes:
Ad a)
"Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Rekrutierung Minderjähriger und von Zwangsrekrutierung
( )
c) Zusammenfassung
Im Licht der oben beschriebenen Umstände ist UNHCR der Ansicht, dass – je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls – für Männer im wehrfähigen Alter und für Minderjährige, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der regierungsfeindlichen Kräfte befinden, oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit ISIS verbundene bewaffnete Gruppen um Kontrolle kämpfen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen kann. Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls kann für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, in denen Befehlshaber der afghanischen lokalen Polizei (ALP) über eine hinreichende Machtstellung für die Zwangsrekrutierung von Mitgliedern der Gemeinden für die afghanische lokale Polizei (ALP) verfügen, ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzen, kann ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Je nach den spezifischen Umständen des Falls kann auch für Familienangehörige von Männern und Kindern mit diesem Profil aufgrund ihrer Verbindung zu der gefährdeten Person internationaler Schutzbedarf bestehen. ( )"
(UNHCR-Richtlinien, Seite 51 ff)
Es gibt dazu Berichte, dass regierungsnahe bewaffnete Gruppen in der Provinz Kunduz von jeder Familie einen Sohn für ihren Kampf gegen die Taliban forderten (UNHCR-Richtlinien, Seite 53, Fußnote 287 mwN).
Ad b)
"Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind
( )
Im Licht der oben beschriebenen Situation ist UNHCR der Ansicht, dass je nach den Umständen des Einzelfalls für Personen, die unter bestimmten sozio-ökonomischen Bedingungen leben, die eine Verletzlichkeit in Hinblick auf Menschenhandel oder Zwangsarbeit schaffen, insbesondere für Frauen und Kinder, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann. Dazu gehören Personen, die Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit sind und bei denen eine erhöhte Gefahr bestehen kann, erneut Opfer von Menschenhandel oder Zwangsarbeit zu werden."
(UNHCR-Richtlinien, Seite 81 ff)
Es konnte nicht festgestellt werden, dass für den BF eine erhöhte Gefahr droht, für Zwangsarbeiten oder für eine Zwangsrekrutierung herangezogen zu werden.
1.4. Situation im Herkunftsstaat
Die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (kurz: "LIB"), mit Aktualisierungsstand vom 25.09.2017, enthaltenen Informationen, insbesondere zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat (Sicherheitslage, allgemeine und Verkehrsinfrastruktur, sanitäre und medizinische Versorgung, Bildung, Erwerbsmöglichkeiten, Situation von Rückkehrern), zu den Besonderheiten der ethnischen Gruppierung der Paschtunen (Seiten 158 f) und insbesondere zur Lage in der Herkunftsprovinz des BF, Kunduz, sowie in Kunduz City (Seiten 8, 15, 17, 20, 24, 31, 35, 50, 68, 83 ff, 109, 180 f, 191) und auch in der Provinz und Stadt Kabul (Seiten 8 ff, 15 ff, 23 ff, 31, 36, 39, 43 ff, 116 ff, 177, 187 ff, 191 ff, 199 ff) werden dem vorliegenden Erkenntnis als Feststellung zu Grunde gelegt und bilden einen Bestandteil desselben, wobei nachfolgend die wesentlichen Auszüge zusammengefasst wiedergegeben werden.
Afghanistan gehört trotz großer Fortschritte und trotz eines guten Wirtschaftswachstums in den vergangenen Jahren zu den ärmsten Ländern; insbesondere in ländlichen Gegenden herrscht Armut und es fehlt an Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft (LIB, Seite 183 f).
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist "höchst volatil" (LIB, Seiten 6, 13); die konkrete Sicherheitslage hängt jedoch stark davon ab, welcher Ort betrachtet wird. Die Provinzhauptstädte Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat sind in der Hand der Regierung und vergleichsweise sicher (LIB, Seiten 6, 15, 31, 44).
In Afghanistan gibt es zahlreiche Sicherheitsbehörden, die zum Teil – wenn auch unbeständig – Fortschritte machen und die in jüngerer Vergangenheit mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte vereitelt haben. Auch behielten die afghanischen Sicherheitskräfte die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (LIB, Seiten 132 ff). Im Bereich des Rechtsschutzes und des Justizwesens in Afghanistan gibt es legislative Fortschritte; dennoch gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen und werden Dispute überwiegend außerhalb des formellen Justizsystems gelöst (LIB, Seite 130). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, in den ländlichen Gebieten aber schwächer ausgeprägt (LIB, Seite 130). Dem Justizsystem mangelt es an Leistungsfähigkeit, teils mangels qualifizierten Personals (insbesondere in ländlichen Gebieten), teils wegen der eingeschränkten Zugänglichkeit von Gesetzestexten; die Situation bessert sich jedoch (LIB, Seite 131). Innerhalb des Gerichtswesens ist auch Korruption vorhanden und sind RichterInnen und AnwältInnen oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (LIB, Seite 131).
Es konnte nicht festgestellt werden, dass der afghanische Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Personen, denen beispielsweise durch die Taliban Gefahr droht, zu beschützen, auch wenn nicht jedweder Übergriff präventiv verhindert werden kann.
1.4.1. Situation im Falle einer Rückkehr
Der BF stammt aus dem Dorf XXXX, Distrikt Khan Abad, Provinz Kunduz.
Die Taliban haben im in den Länderberichten erfassten Zeitraum u.a. die Provinz Kunduz angegriffen (LIB, Seite 13); Kunduz gilt als stark umkämpfte Provinz (LIB, Seite 15) und als Austragungsort intensiver Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB, Seite 24). Kunduz ist ein strategischer Korridor und wird als einflussreiche Provinz in Nordafghanistan erachtet (LIB, Seite 84). Gleichzeitig dienen die städtischen Gegenden von Kunduz als Orte, an welche zahlreiche afghanische Staatsbürger zurückkehren (LIB, Seite 191).
1.4.2. Innerstaatliche Fluchtalternative
Die Stadt Kabul hat mehrere Millionen Einwohner (laut LIB etwa 4,5 Mio, vgl. LIB, Seite 43), steht unter staatlicher Kontrolle und ist vergleichsweise sicher (LIB, Seiten 6, 15, 31, 44), wenngleich Kabul immer wieder von Attentaten erschüttert wird und Menschen sterben (LIB, Seiten 15 ff, 39, 43 f). Angriffsziele waren in jüngerer Vergangenheit u.a. das Diplomatenviertel (LIB, Seite 15) oder religiöse Orte (LIB, Seite 44); daneben gibt es auch Gewalt gegen Privatpersonen und Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund (LIB, Seiten 43 f). Die Taliban haben in letzter Zeit keine größeren Versuche mehr unternommen, Provinzhauptstädte einzunehmen (LIB, Seite 10). In Afghanistan gibt es keine Meldepflicht (LIB, Seite 180).
Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden (LIB, Seiten 43, 116 ff). Es gibt verschiedene Taxi- und Busverbindungen (LIB, Seiten 120 ff). Kabul ist von Europa aus legal und sicher mit dem Flugzeug zu erreichen (LIB, Seite 123).
In Kabul gibt es eine städtische Infrastruktur, welche die grundlegenden Voraussetzungen für die Lebensführung und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Unterkunft, medizinische Versorgung, Bildung, Ausbildung, Unterstützung für Rückkehrer sowie Erwerbsmöglichkeiten bietet (vgl. LIB, Seiten 43 f; 191 ff; zur medizinischen Versorgung, vgl. LIB, Seiten 186 ff).
Im Allgemeinen ist die Lage für Rückkehrer schwierig und sind diese arm (LIB, Seiten 191 f). In der letzten Zeit kehrten Hunderttausende AfghanInnen aus dem Iran nach Afghanistan zurück, wobei es sich sowohl um freiwillige als auch um abgeschobene Rückkehrer handelt (LIB, Seiten 191, 193). Die meisten RückkehrerInnen (60%) entschlossen sich, in den städtischen Gegenden u.a. Kabuls niederzulassen (LIB, Seite 191). Es ist schwierig, alle afghanischen Flüchtlinge zu verteilen, weil der Iran afghanische MigrantInnen zurückschickt und Afghanistan eine Anzahl wohnungsloser Menschen hat, die zusätzlich die Situation verkomplizieren (LIB, Seite 193 f). Rückkehrern wird durch verschiedene Organisationen Vorort Unterstützung bei der Existenzgründung (insbesondere durch Mikrokredite), bei der Zurverfügungstellung von Unterkünften und Nahrung sowie bei der Reintegration geboten (LIB, Seiten 194 f). Die Erhaltungskosten in Kabul liegen bei durchschnittlich 150-250 USD pro Monat; die Wohnungsmieten in Kabul hängen von der Lage der Wohnung ab. Die Mieten beginnen ab etwa 88 USD/Monat und betragen bis zu etwa 146 USD/Monat (LIB, Seite 195 f). In Kabul und im Umland stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung (LIB, Seite 196).
Zur Zumutbarkeit einer "internen Schutzalternative" sagen die UNHCR-Richtlinien Folgendes aus (UNHCR-RL, Seite 10):
"Wenn der Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur hat, müssen die Möglichkeit des Akteurs, den Antragsteller auf dem vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zu verfolgen, und die Fähigkeit des Staates, Schutz in diesem Gebiet zu bieten, geprüft werden. Wenn die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, müssen Nachweise hinsichtlich der Fähigkeit dieses Akteurs, Angriffe in Gebieten außerhalb des von ihm kontrollierten Gebiets durchzuführen, berücksichtigt werden.
( )
Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.
Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig."
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor dem Hintergrund seiner persönlichen Lage (Zugehörigkeit zur ethnischen Mehrheit, jung, gesund, arbeitsfähig, Berufserfahrung, sparsamer Lebensstil, Sozialisierung in Afghanistan, Erfahrung mit städtischer Infrastruktur) im Falle der Rückkehr in die Stadt Kabul die beschriebene Infrastruktur nicht nutzen könnte oder er wegen seiner persönlichen Situation oder sonst in seiner Person begründeten Umstände Gefahr liefe, in Kabul in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten; vielmehr ist dem BF eine Rückkehr und Neuansiedelung auch ohne soziale Anknüpfungspunkte in Kabul möglich.
1.5. Vorstrafen des BF
Gegen den BF wurden drei mittlerweile rechtskräftige Urteile wegen Verstößen nach dem StGB und SMG ausgesprochen:
01) Urteil des BG GRAZ-OST vom 28.09.2016, XXXX, Eintritt der Rechtskraft am 04.10.2016; wegen: § 223 (2) StGB und § 149 (1) StGB. Datum der (letzten) Tat: 23.04.2016. Über den BF wurde eine bedingte Freiheitsstrafe von 2 Monaten verhängt und eine Probezeit von 3 Jahren festgelegt.
Zum Tathergang: Der BF war am 23.04.2016 mit einem manipulierten Monatsticket der Holding Graz in deren öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und wies das Ticket im Zuge einer Kontrolle vor. Der BF verantwortete sich damit, dieses nicht manipuliert zu haben, sondern es am Boden liegend gefunden und einfach weiter verwendet zu haben.
02) Urteil des BG GRAZ-WEST vom 17.03.2017, XXXX, Eintritt der Rechtskraft am 22.03.2017; wegen: § 83 (1) StGB; Datum der (letzten) Tat 19.11.2016. Über den BF wurde eine bedingte Freiheitsstrafe von 6 Wochen verhängt und eine Probezeit von 3 Jahren festgelegt. Ein zusätzlicher Eintrag zur Entscheidung des BG GRAZ-WEST, XXXX, ergibt, dass die Probezeit der bedingten Nachsicht später auf insgesamt 5 Jahre verlängert wurde. Dies in Folge des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 28.07.2017,XXXX.
Zum Tathergang: Der BF war am 19.11.2016 mit drei afghanischen Freunden von ihm, die alle in der gleichen Unterkunft wie er untergebracht waren, unterwegs. Die Gruppe kaufte mehrere Flaschen Wodka und Energydrinks; die Getränke wurden konsumiert und der BF beschrieb sich als sehr betrunken. Diese Gruppe stieß auf zwei andere Landsmänner, die ebenfalls schon alkoholisiert waren. Zwischen den Männern kam es zu einem Streit. Der BF gab an, der Verletzte habe ihm einen Schlag mit dem Kopf verpasst, der BF selbst habe aber nicht zugeschlagen. Der Verletzte und ein weiterer Zeuge gaben hingegen an, der BF habe sehr wohl zugeschlagen. Das zuständige Gericht stellte hierzu fest, dass der BF einem anderen Mann durch Versetzen von Faustschlägen gegen dessen Gesichts- und Körperbereich, sowie durch Würgen im Halsbereich, wobei multiple Prellungen und Würgemerkmale im Halsbereich die Folge waren, vorsätzlich am Körper leicht verletzt hat.
03) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 28.07.2017, XXXX, Eintritt der Rechtskraft am 01.08.2017; wegen §§ 27 (1) Z 1,
2. Fall, 27 (2) SMG, § 27 (2a) 2. Fall SMG; Datum der (letzten) Tat 04.07.2017. Über den BF wurde eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt, davon 2 Monate unbedingt, und eine Probezeit von 3 Jahren festgelegt.
Zum Tathergang: Der BF wurde am 04.07.2017 in einem öffentlichen Park beim – wiederholten – Verkauf von Drogen (Cannabiskraut) an verdeckte Ermittler auf frischer Tat betreten und in polizeilichen Gewahrsam genommen. Im Anschluss wurde am 05.07.2017 die Untersuchungshaft über ihn verhängt. An diesem Tag war das Wetter schön und es befanden sich zum Tatzeitpunkt etwa 20 Personen im Park, denen es möglich gewesen wäre, den Suchtmittelverkauf unmittelbar wahrzunehmen. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nahmen drei Scheinkäufe vor und nahmen den BF anschließend fest. Der BF verkaufte über 6 Gramm netto Cannabis, wobei ihm drei Verkaufshandlungen nachgewiesen wurden und er eine weitere gestand. Der BF gestand zudem den Suchtmittelkonsum von Cannabiskraut (1 "Joint" mit Cannabiskraut pro Woche bzw. ein Gramm pro Monat). Der BF wurde wegen des Drogenverkaufs, weswegen auch die Untersuchungshaft über ihn verhängt worden ist, zu einer teilbedingten Haftstrafe verurteilt. Der BF hat diese Strafe mittlerweile verbüßt.
Der BF wurde innerhalb von 15 Monaten insgesamt dreimal rechtskräftig wegen Verstößen gegen das StGB und das SMG verurteilt. Die zuletzt gegen den BF ausgesprochene Verurteilung lautete auf Verhängung einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, davon sechs Monate bedingt und zwei Monate unbedingt. Der BF hat die über ihn verhängte Haftstrafe verbüßt und befindet sich seit 05.09.2017 in Freiheit.
Gegen den BF wurde wegen des Verdachts der Vergewaltigung ermittelt, das Verfahren wurde eingestellt.
Ein Gesinnungswandel des BF konnte nicht festgestellt werden. Der BF hat sich hinsichtlich seines früheren, in Österreich erfolgten, Drogenkonsums nicht in psychologische oder ärztliche Betreuung begeben und keine Therapie hinter sich gebracht. Ein sonstiger Umstand, der auf eine außerordentliche Läuterung des BF ist hinweisen würde, konnte nicht festgestellt werden.
1.6. Lebenssituation und Aufenthalt in Österreich
Der BF hält sich seit August 2015 in Österreich auf.
Der BF verfügt im Bundesgebiet über einen Bruder. Die Mutter des BF lebt im Iran. Weitere lebende Familienangehörige hat der BF nicht genannt. Der BF hat seinen Bruder seit seiner Kindheit bis zu deren Wiedersehen in Österreich für etwa 17 Jahre nicht gesehen und hatte in dieser Zeit auch sonst keinen Kontakt zu seinem Bruder.
Der BF war vom 04.04.2017 bis zu seinem Haftantritt durch Verhängung der Untersuchungshaft am 05.07.2017 und Verbringung in die Justizanstalt Graz-Jakomini bei seinem Bruder gemeldet. Die belangte Behörde teilte dem BF mit Verfahrensanordnung vom 10.07.2017 gemäß § 13 Abs 2 AsylG den Verlust seines Aufenthaltsrechts wegen Verhängung der Untersuchungshaft mit. Der BF befand sich bis 05.09.2017 in Haft.
Nach der Entlassung des BF aus der Haft am 05.09.2017 war dieser neuerlich bei seinem Bruder gemeldet. Seit dem 17.10.2017 lebt der BF in der "Arche" in Graz; es handelt sich dabei um eine Notschlafstelle der Caritas. Zwei bis drei Nächte pro Woche verbringt der BF bei seinem Bruder. Das Verhältnis zwischen dem BF und seinem Bruder ist gut; ein emotionales Abhängigkeitsverhältnis konnte nicht festgestellt werden.
Der BF wurde mit dem 04.07.2017 von der Grundversorgung abgemeldet und ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig. Er erhält immer wieder kleinere Geldbeträge (10 € bis 20 €) von seinem Bruder, insbesondere für Fahrkarten. Insgesamt erhält er von seinem Bruder monatlich 40 € Taschengeld. Von der Caritas erhielt der BF monatlich 150 €; zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung jedoch seit drei Monaten nicht mehr. Der BF ist hinsichtlich seines Aufenthalts in Österreich derzeit von seinem Bruder finanziell abhängig.
Einer Arbeit geht der BF nicht nach; er ist kein Vereinsmitglied. Der BF wird immer wieder bei der Gemeinde bei freiwilligen Arbeiten eingesetzt Der BF hat mehrere Deutschkurse besucht und konnte im Zuge der mündlichen Verhandlung einzelne Worte auf Deutsch sprechen. Der BF hat einmal beim Müllsammeln geholfen und spielte in einer Mannschaft Fußball. Darüber hinaus hat er mit Österreichern Kontakt; er geht mit ihnen gemeinsam schwimmen sowie Fußball und Volleyball spielen. Diese Personen besuchten ihn auch im Flüchtlingsheim.
2. Beweiswürdigung
Ad 1.1. Person des BF
Die Feststellungen zum BF stützen sich auf die hinsichtlich der persönlichen Daten, der Herkunft, der Zugehörigkeit und dem Familienstand unwidersprochenen Angaben des BF im Zuge seiner Einvernahmen von der Polizeistation und dem BFA, auf die Angaben in seiner Beschwerde sowie in der durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung. Die Identität des BF konnte mangels Vorlage von Dokumenten nicht festgestellt werden; der im Spruch angeführte Name dient lediglich zur Identifizierung des BF als Verfahrenspartei.
Der BF gab in seiner Einvernahme vor dem BFA an, gesund zu sein und keine ärztliche Behandlung zu benötigen. Auch zu Beginn der mündlichen Verhandlung gab BF an, gesund zu sein. In der Einvernahme vor dem BFA brachte der BF vor, ein Trauma erlitten zu haben. In der Beschwerde wurde dieses Vorbringen verstärkt und der BF als "besonders vulnerabel" und "äußerst traumatisiert" beschrieben. In der mündlichen Verhandlung gab der BF neuerlich an, von seiner Bedrohung durch die Taliban in seiner Kindheit ein Trauma erlitten zu haben und unter ständiger Angst zu leiden (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 3 f). Die Frage, ob der BF deswegen auch schon den Arzt aufgesucht habe, verneinte er jedoch (ebenda, Seite 4 f). Auf die Frage in der mündlichen Verhandlung, wie sich die Angst des BF zeige, antwortete dieser, es gehe ihm "im Großen und Ganzen gut" und er habe "mittlerweile keine Angst mehr". Weiters gab er an, seine Mutter und seine Familie zu vermissen und deswegen "auch immer wieder unruhig" zu sein (ebenda, Seite 4 f). Medizinisch belegbare Tatsachen für ein Trauma, wie etwa mögliche Symptome, wurden vom BF weder behauptet, noch durch Vorlage allfälliger Nachweise belegt.
Das vom BF vorgebrachte Vorliegen eines Traumas blieb trotz Steigerung in der Beschwerde sohin pauschal und ohne weitere Konkretisierung. Der BF gab zudem in der mündlichen Verhandlung an, "mittlerweile keine Angst mehr" zu haben und seine Familie zu vermissen. Diese zuletzt getätigte Aussage relativiert freilich die in der Beschwerde behauptete Traumatisierung. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die schwierige Vergangenheit des BF bei diesem auch Spuren hinterlassen haben mag ("Ja, die psychische Last trage ich noch immer mit mir.", Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 16).
Vor dem Hintergrund des gesamten Vorbringens des BF, seiner Relativierung in der mündlichen Verhandlung und mangels Vorlage entsprechender medizinischer Nachweise konnten jedoch keine Feststellungen betreffend eine krankhafte Traumatisierung des BF getroffen und daher auch nicht der Entscheidung zu Grunde gelegt werden.
Der BF gab glaubwürdig an, mehrere Jahre als Hirte und zuletzt auf einer Baustelle gearbeitet zu haben. Eine Änderung hinsichtlich der daraus abzuleitenden grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit des BF ist nicht eingetreten, somit war festzustellen, dass er auch weiterhin arbeitsfähig ist.
Zur Frage, wie der BF seine Ausreise bezahlt habe, gab der BF an, er habe als einzelne Person keine großen Ausgaben gehabt und habe so die nötige Summe sparen können. Bedenkt man, dass der BF laut seiner Angabe bei seiner Mutter gewohnt hat und diese ihren Lebensunterhalt als Schneiderin verdient (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 8), scheint es nicht ausgeschlossen, dass der BF wenige Ausgaben hatte und so mit seinen Ersparnissen die Ausreise finanzieren konnte und konnte dies entsprechend festgestellt werden.
Ad 1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaats
Die Feststellungen zum Grund der Flucht und zum Grund, warum der BF nicht in seinen Herkunftsstaat Afghanistan zurückkehren möchte, sowie dass keine aktuelle Bedrohung des BF in Afghanistan festgestellt werden konnte, stützen sich auf dessen Angaben im Zuge seiner Einvernahme vor dem BFA und der mündlichen Verhandlung (eine Verfolgung wegen Volkszugehörigkeit oder Religion, hat der BF in seiner Einvernahme vor dem BFA ausdrücklich verneint). Dazu im Einzelnen:
a) Angriff der Taliban auf das Elternhaus des BF
Der BF brachte in seiner Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor, er habe von seiner Mutter gehört, sein Vater habe eine Zusammenarbeit mit den Taliban verweigert und das Elternhaus sei daraufhin von den Taliban angegriffen worden. In der Beschwerde gab er an, er "vermute" dass es zum Angriff kam, weil sein Vater den Taliban die Unterkunft verweigert habe (Beschwerde, Seite 34). Der BF brachte in seiner Beschwerde und in seiner Stellungnahme vom 15.11.2017 auch vor, sein Vater habe eine oppositionelle politische Gesinnung gegenüber den Taliban vertreten und habe aus diesem Grund eine Zusammenarbeit mit diesen verweigert.
Dieses Vorbringen stützt sich lediglich auf Informationen des BF, die dieser nach dem "Hörensagen" von seiner Mutter erhalten hat, nicht aber auf eigene Wahrnehmungen. Ein konkreter Zusammenhang mit dem möglichen Verhalten des Vaters des BF zum vom BF beschriebenen Angriff der Taliban ergibt sich aus dieser Aussage jedoch nicht:
Nach Aussage des BF in seiner Einvernahme vor dem BFA haben die Taliban beim Angriff auf sein Haus gerade nicht danach unterschieden, wer was gemacht hat (vgl. dazu die Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 8: "Wenn die Taliban ein Dorf angreifen, wird nicht unterschieden wer was gemacht hat.").
Eine Handlung des Vaters des BF musste sohin nicht zwingend Anlass für einen Angriff der Taliban gewesen sein; die Angaben des BF hierzu waren zu vage und unglaubwürdig. Es ergibt sich auch nicht, dass ein Angriff der Taliban gerade den Vater des BF oder den BF selbst treffen sollte. Das Vorbringen des BF ließ daher zwar die Feststellung zu, dass die Taliban das Elternhaus des BF zerstört haben; es trägt aber nicht die Feststellung dahingehend, dass der vom BF beschriebene Angriff der Taliban aus in der Person des BF oder dessen Familienmitgliedern gelegenen Gründen erfolgt ist.
b) Verbringung des BF nach Pakistan
Der BF brachte weiter vor, von den Taliban nach Pakistan "entführt" worden zu sein und dort über 12 Jahre für die Taliban gearbeitet zu haben; konkret habe er Opium gekocht. Er gab an, er habe sich mit etwa 50 bis 70 anderen Personen in einer großen Garage befunden, die er nicht habe verlassen dürfen (Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 5). Dennoch war es "grundsätzlich möglich auszugehen" (Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 9). Dies habe er jedoch nicht getan, weil ihm Angst vor der Dorfbevölkerung gemacht worden sei (Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 9).
Der BF gab sodann einerseits an, er habe mit 20 Jahren aus dieser Garage "flüchten" können, andererseits gab er an, sich erst mit 20 Jahren "getraut" zu haben, in das Dorf zu gehen. Nach seiner Aussage sei es leicht gewesen zu flüchten, man habe sich aus der Garage hinausschleichen können (vgl. dazu die Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seiten 8 f). Der BF gab jedoch nicht an, dass er einen Widerstand hätte überwinden müssen, um aus der Garage zu gelangen; vielmehr habe er leicht nach draußen gelangen können.
Dieses Vorbringen ist widersprüchlich. Zusammengefasst gab der BF an, es sei ihm möglich gewesen, auszugehen, anderseits habe er fliehen müssen. Zwar ist verständlich, dass der BF als kleiner Junge kaum an ein Entkommen gedacht haben mag – nicht verständlich ist jedoch, wieso der BF, als er schon etwas älter war, nicht schon viel früher einfach aus der Garage, in der er sich aufhielt, weggegangen ist. Dieser Widerspruch ließ sich auch in der mündlichen Verhandlung nicht auflösen und ließ schon aus diesem Grund Bedenken an der Glaubwürdigkeit des BF aufkommen.
Wieder anders stellte der BF die Situation in der mündlichen Verhandlung dar:
Hier brachte der erstmals BF vor, eines Tages hätten die Bewohner eines nahen Dorfes dies Garage gestürmt; so hätten diese "die Garage aufgebrochen"; der BF habe diese Gelegenheit genutzt, um sich "so schnell wie möglich" von dort zu entfernen (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 11). Die Schilderung, dass die Garage aufgebrochen werden musste, passt nicht mit der früheren Erzählung des BF zusammen, dass man sich leicht hätte aus der Garage hinausschleichen können; das Vorbringen ist daher auch in diesem Punkt widersprüchlich. In der mündlichen Verhandlung wurde der BF zwei Mal zu seinem Entkommen aus der Garage gefragt; zwei Mal gab er knapp und nahezu wortident an, was passiert sei. Lebensnahe Details gab es im Zuge dieser Schilderung jedoch nicht. So konnte der BF nichts Genaues zur Zahl der Dorfbewohner sagen, die in die Garage eingedrungen sind und konnte auch nichts dazu sagen, ob auch andere Personen aus der Garage entkommen sind (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 11). Es erstaunt, dass der BF zu den anderen Personen nichts sagen konnte, weil der BF in seiner Einvernahme vor dem BFA noch angegeben hat, mit 50 bis 70 Personen in der Garage gewesen zu sein und ist nicht nachvollziehbar, wie dem BF entgangen sein konnte, was mit den zahlreichen anderen Personen geschah.
Damit konfrontiert, warum der BF erst in der mündlichen Verhandlung von einer Stürmung der Garage in Pakistan durch die Dorfbewohner erzählte, gab er an, die gleiche Geschichte auch beim BFA erzählt zu haben und nicht zu wissen, warum dies nicht so protokolliert wurde (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 10). Aus dem Einvernahmeprotokoll vor dem BFA ergibt sich jedoch, dass die Einvernahme dem BF rückübersetzt wurde und er mit seiner Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift bestätigte (Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seiten 11 f); in der mündlichen Verhandlung gab er zudem an, dass es keine Schwierigkeiten mit der Übersetzung gab (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 3). Es ist daher nicht anzunehmen, dass der BF diese Schilderung bereits vor dem BFA tätigte; vielmehr handelt es sich dabei um eine – weitere – Variante der Erzählung, wie der BF aus der Garage in Pakistan gelangt sei.
Das Vorbringen des BF ist nicht überzeugend: Insgesamt blieb die Beschreibung des Aufenthalts in der Garage in Pakistan und das Entkommen daraus äußerst vage und detailarm. Das, was der BF dazu erzählt hat, ist in sich widersprüchlich. Zudem schilderte der BF in der mündlichen Verhandlung sein Entkommen aus der Garage deutlich anders als in der früheren Befragung des BFA. Insgesamt war das Vorbringen des BF daher in weiten Teilen unglaubwürdig.
Auch die Schilderung des BF zur angeblichen Tätigkeit des Opiumkochens bei den Taliban war – wegen des Auslassens eines wesentlichen Arbeitsschritts (Filtern) – unglaubwürdig (vgl. Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 8 und die im Akt befindlichen "Recommended Methods for testing Opium, Morphine and Heroin" der UN auf Aktenseite 391).
Es konnte sohin lediglich festgestellt werden, dass der BF sich nach der Zerstörung des Elternhauses in Pakistan bei den Taliban aufhielt und Arbeit für die Taliban leistete. Der BF vermochte jedoch nicht glaubwürdig darzulegen, sich nach einer Entführung in tatsächlicher Gefangenschaft der Taliban befunden zu haben. Die Erzählung, wie der BF aus der Garage gelangt ist, war widersprüchlich und unglaubwürdig. Es war nicht ersichtlich, dass oder inwieweit sich diese Erlebnisse in Pakistan auch auf Afghanistan auswirken. Das Vorbringen des BF trägt sohin keine Feststellung, dass wegen seines Aufenthalts und seiner Arbeit in Pakistan, mag dies auch durch die Taliban initiiert worden sein, eine Bedrohungslage des BF durch die Taliban in Afghanistan gegeben ist.
c) Verhältnis zwischen BF und Taliban
Der BF gab an, anhand des Zustands des Hauses nach dem Talibanangriff gewusst zu haben, dass niemand überlebt haben konnte (Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 10); jedoch war seine Mutter zu diesem Zeitpunkt nicht im Haus (Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 9). Der wusste BF wusste daher, dass zumindest ein Teil seiner Familie, von den Taliban getötet wurde.
Der BF brachte dennoch vor, es bestehe keine persönliche Feindschaft zu den Taliban und er gehe nicht davon aus, von den Taliban gesucht zu werden (Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seiten 8 und 10). Der BF gab auch an, keine persönliche Feindschaft gegenüber den Taliban zu haben und sich selbst nicht an diesen rächen zu wollen (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 12). Dennoch gab der BF an, nach wie vor Angst vor den Taliban zu haben (Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 10) und dass er sich sorge, in Afghanistan von den Taliban gefunden zu werden (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 13).
Der BF führte aus, seine Mutter habe ihm davon abgeraten, nach Afghanistan zu gehen; dies deutete er als "Indiz", es könne für ihn eine Gefahr bestehen, wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde (vgl. Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 11). Eine substantiierte Befürchtung hinsichtlich einer Bedrohung oder Gefährdung durch die Taliban im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan äußerte der BF jedoch nicht (vgl. Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 10: "Ich habe einfach Angst vor den Taliban."). Auch machte der BF – abgesehen von seiner Verbringung nach Pakistan – nichts geltend, was als individuell gegen den BF gerichtete Drohung durch die Taliban verstanden werden könnte.
Der BF verdeutlichte sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung und gab an, es bestehe die Gefahr, dass die Taliban erfahren werden, dass der Sohn des Mannes zurückgekehrt ist, den diese umgebracht haben, worauf die Taliban auf den Gedanken kommen könnten, dass er sich an ihnen rächen wolle (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 12).
Dieses Vorbringen war, insbesondere vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, nicht geeignet festzustellen, dass dem BF überall in Afghanistan eine konkret gegen ihn gerichtete Gefahr durch die Taliban droht:
Das Vorbringen des BF hinsichtlich einer möglichen Bedrohung durch die Taliban ist nicht stringent, zeigt bloße Möglichkeiten auf und beruht überwiegend auf den Erzählungen und Aussagen seiner Mutter, nicht aber auf eigene Erfahrungen.
Die Überlegung des BF, bei einer Rückkehr würden die Taliban glauben, er werde sich wegen der Tötung seines Vaters rächen, was ein Grund sein "könnte", dass sie ihn töten wollen (Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA, Seite 11 und Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 12), zeigt lediglich eine Möglichkeit, nicht aber eine aktuell bestehende konkrete Gefährdung oder Bedrohung des BF durch die Taliban auf.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die angesprochene Gefahr sich verwirklicht, ist äußerst gering:
Der BF gab an, nach dem Talibanangriff wegen des Zustands des Hauses gewusst zu haben, dass die Taliban einen Teil seiner Familie umgebracht haben. Die Taliban hätten aber bereits damals befürchten können, der BF wolle sich deswegen an ihm rächen. Hätten die Taliban aber jemals die Sorge gehabt, der BF würde sich eines Tages an diesen wegen der Ermordung u.a. seines Vaters rächen wollen, hätten sie ihn kaum am Leben lassen. Die Taliban hätten zudem bereits nach der Zerstörung des Elternhauses des BF die Möglichkeit gehabt, diesen zu töten, weil er damals ein Kind war. Die Taliban haben den BF jedoch gerade nicht getötet, sondern nach Pakistan mitgenommen. Auch während dieser Zeit hätten die Taliban den BF töten können, hätten sie Sorge vor seiner Rache gehabt. Dies ist aber nicht geschehen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das nunmehr anders sein sollte, auch unter Berücksichtigung der Tatsachen, dass der BF seit fünf Jahren nicht mehr in Pakistan und seit fast 20 Jahren nicht mehr in Afghanistan war. Der BF hat auch nicht von einer gesonderten Bedrohungshandlung durch die Taliban berichtet. Der BF hat somit nicht nachvollziehbar und nicht glaubwürdig dargelegt, wieso die Taliban nunmehr – anders als früher – Sorge vor der möglichen Rache des BF haben könnten und ihn deswegen verfolgen und töten sollten.
Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass die Taliban den BF in Afghanistan finden:
Zwar gab der BF an, die Taliban seien überall in Afghanistan (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 12). Angesichts des fehlenden Meldewesens in Afghanistan ist es jedoch schon grundsätzlich wenig wahrscheinlich, dass der BF von den Taliban ausfindig gemacht werden könnte. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass die Taliban eine Person gezielt suchen und töten, gerade weil die Taliban unterschiedliche Möglichkeiten haben, um an Informationen zu gelangen (vgl. Beschwerde, Seite 27). Doch sind keine besonderen Gründe hervorgekommen, warum die Taliban gerade den BF in Afghanistan suchen, verfolgen und letztlich töten sollten. Bloß weil der Vater des BF Dorfältester und ein in der Provinz Kunduz nach Angaben des BF ein bekannter Mann war, heißt das nicht, dass der BF automatisch überall in Afghanistan einer Verfolgung oder Gefahr durch die Taliban ausgesetzt wäre und diese den Aufwand betreiben würden, eine einzelne Person ausfindig zu machen.
Der BF meinte noch, die Taliban würden ihn kennen ("Sie kennen mich.", Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 12). Doch verließ der BF vor beinahe 20 Jahren Afghanistan und war seither nicht mehr dort. Er pflegt auch keine Kontakte nach Afghanistan. In der Zwischenzeit hat er sich vom Kind zum Mann entwickelt und es ist sehr unwahrscheinlich, dass ihn in Afghanistan noch jemand erkennt. Zwischen seiner Ausreise aus Pakistan in den Iran und nach Österreich sind zumindest fünf Jahre vergangen. Der BF legte nicht dar, wieso trotz dieser großen zeitlichen Differenz für ihn – ginge man davon aus, dass überhaupt eine Bedrohung gegen ihn gegeben war – auch nach wie vor eine Bedrohung durch die Taliban ausgehen würde. Zwar führte der BF aus, dass sein Vater in der Herkunftsprovinz ein sehr bekannter Mann gewesen sei (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 13). Jedoch ergaben sich keine Hinweise darauf, dass die Bekanntheit eines Dorfältesten auch nach etwa 20 Jahren noch so maßgeblich ist, dass dem BF nach wie vor eine konkrete Gefährdung drohen würde.
Vor diesem Hintergrund fehlt dem Vorbringen des BF auch der erforderliche zeitliche Zusammenhang zum ursprünglichen Grund der Ausreise aus Afghanistan für die Feststellung eines aktuellen Bestehens einer Gefährdungslage des BF durch die Taliban.
Die Feststellung einer aktuellen und konkret gegen den BF gerichteten Bedrohung des BF durch die Taliban in Afghanistan war daher nicht möglich.
d) Asylgewährung zu Gunsten des Bruders
Die Beschwerde deutet an, dem BF könne Gefahr in Afghanistan drohen, weil seinem Bruder in Österreich Asyl gewährt wurde (vgl. Beschwerde, Seiten 5 und 35); die belangte Behörde habe in diesem Zusammenhang beweiswürdigende Überlegungen unterlassen. Dieses Vorbringen erfuhr keine weitere Konkretisierung; es war nicht ersichtlich, dass die Asylgewährung zu Gunsten des Bruders des BF dem BF in Afghanistan zum Nachteil gereichen oder eine Gefahr für diesen darstellen würde. Feststellungen konnten daher nicht dazu getroffen werden.
Ad 1.3. Mögliche Risikoprofile nach den UNHCR-Richtlinien
Die Feststellungen zu den denkbaren Risikoprofilen ergeben sich aus den oben genannten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender. Den UNHCR-Richtlinien ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung", vgl. zuletzt etwa VwGH 22.09.2017, Ra 2017/18/0166; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118)
Aus dem Verfahren ging nicht hervor, dass der BF – auch wenn für ihn Risikoprofile relevant sein könnten – einem gesteigerten Risiko hinsichtlich Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierung ausgesetzt zu sein und konnte dies daher nicht festgestellt werden:
Der BF brachte nicht vor, woraus sich gerade für ihn eine gesonderte Gefährdungslage hinsichtlich einer möglichen Zwangsrekrutierung ergeben würde, die sich von der Lage anderer vergleichbarer Personen im Herkunftsstaat unterscheidet. Es sind daher keine Umstände hervorgekommen, die eine Gefährdung des BF durch Zwangsrekrutierungen wahrscheinlicher machen als bei anderen vergleichbaren Personen. Feststellungen zu einer speziell dem BF drohenden Zwangsrekrutierung konnten sohin nicht getroffen werden.
Auch zum Themenbereich der Zwangsarbeit ist anzuführen, dass diese überwiegend jungen (d.h. minderjährigen) Männern (vgl. UNHCR-RL Seite 81 f) und insgesamt Personen unter ungünstigen sozio-ökonomischen Bedingungen (vgl. UNHCR-RL, Seite 83) droht. Der BF fällt wegen seiner Volljährigkeit aus der besonders vulnerablen Gruppe der jungen Männer heraus. Der BF war außerdem im Iran imstande sein Leben zu finanzieren und konnten keine sozio-ökonomische Bedingungen festgestellt werden, die automatisch ein erhöhtes Risiko im Hinblick auf Zwangsarbeit bedeuten würden. Auch hat der BF nicht vorgebracht und gab es im Verfahren auch keinen Hinweis darauf, wodurch der BF mehr als andere vergleichbare Personen gefährdet sein soll, für eine Zwangsarbeit herangezogen zu werden. Feststellungen zu einer speziell dem BF drohenden Verhaltung zur Vollrichtung von Zwangsarbeit konnten sohin nicht getroffen werden.
Es ist auch nicht ersichtlich, warum dem BF wegen seiner politischen Gesinnung oder dem möglichen Entzug einer Zwangsrekrutierung oder Zwangsarbeit eine spezielle Gefährdung in seinem Herkunftsstaat Afghanistan drohen würde, nur weil er in Pakistan einer Arbeit für die Taliban nachgegangen ist und sich vor über fünf Jahren entschieden hat, diese Tätigkeit für die Taliban zu beenden und aus Pakistan auszureisen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Tätigkeit des BF für die Taliban in Pakistan sich auch negativ auf Afghanistan auswirkt (vgl. schon oben Punkt Ad 1.2.).
Ad 1.4. Situation im Herkunftsstaat
Die Feststellungen zu Afghanistan und insbesondere die Herkunftsprovinz des BF sowie die mögliche innerstaatliche Fluchtalternative Kabul gründen sich auf das vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl herausgegebene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Afghanistan – mit Stand vom 25.09.2017. Am 21.12.2017 erfolgte eine Teilaktualisierung des LIB. Diese Informationen beziehen sich auf die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und berichten von einigen Anschlägen, darunter auch in Kabul. Die im aktualisierten LIB enthaltenen Informationen zeigen ein weitestgehend unverändertes Bild von Afghanistan und ermöglichen keine anderen, als die auf Grundlage des LIB vom 25.09.2017 getroffenen, Feststellungen. Die Verweise auf Seiten des LIB beziehen sich auf die Version mit dem Aktualisierungsstand vom 25.09.2017.
Das LIB beruht auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen. In ihrer Kernaussage bieten diese Dokumentationen ein stimmiges Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche. Für das BVwG besteht sohin kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
In der Beschwerde wurde der Vorwurf erhoben, die belangte Behörde habe sich auf – zumindest teilweise – nicht mehr aktuelle Länderberichte gestützt, obwohl der VfGH fordere, dass die Länderfeststellungen nicht nur allgemein gehalten sein dürfen, sondern sich mit der konkreten Situation des BF befassen müssen.
Soweit dem LIB Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass die Länderberichte regelmäßig aktualisiert werden und jene Informationen, die nicht durch neue Berichte ersetzt werden, mangels einer maßgeblichen Änderung der Sachlage nach wie vor relevant für die Lagebeurteilung im Herkunftsstaat sind.
Der BF verwies in seiner Beschwerde auf zahlreiche, vorgeblich aktuellere, Quellen, die einer Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz zu Grunde zu legen wären. Diese Quellen vermögen aus folgenden Gründen nicht die Aussagekraft des LIB nicht zu schmälern:
(i) Verschiedene in der Beschwerde zitierte Quellen sind für den vorliegenden Fall nicht relevant. So sind zB Berichte über von den Taliban entführte Kinder (Seiten 7 f der Beschwerde) nicht relevant, weil der BF volljährig ist.
(ii) Soweit sich Quellen wie die UNHCR-Berichte zur Situation in Afghanistan aus Dezember 2016 (Seiten 8 bis 15 der Beschwerde) lediglich auf die allgemeine Situation in Afghanistan beziehen, ergibt sich daraus kein anderes Bild als aus dem LIB. Zudem fehlt bei den Ausführungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan und insbesondere in Kabul der Bezug zur konkreten Lage des BF. Hinsichtlich der im UNHCR-Bericht beschriebenen Lage in Kabul sind zudem seit Dezember 2016 teilweise Besserungen eingetreten. So werden nunmehr in Kabul verstärkt Sicherheitsmaßnahmen gesetzt (LIB, Seiten 9 f).
(iii) Einzelne tragische Ereignisse, wie ein Selbstmordanschlag in Kabul vom 31.05.2017 (Seite 16 der Beschwerde), vermögen das Gesamtbild des Herkunftsstaats, das sich aus dem LIB ergibt, nicht zu verändern. Zudem wurde der vom BF genannte Anschlag bereits im LIB berücksichtigt (vgl. LIB, Seite 15 mwN). Die Beurteilung der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat und konkret in Kabul berücksichtigt daher sehr wohl auch solche sicherheitsrelevante Ereignisse.
(iv) Die ab Seite 16 der Beschwerde häufig zitierten Artikel der Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann "Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" und "Der fehlende Schutz bei Verfolgung und Gewalt durch private Akteure" zeigen auf, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nicht gut ist, dass vor allem Rückkehrer es (am Arbeits- und Wohnungsmarkt) schwer haben und dass die allgemeine wirtschaftliche Lage schlecht ist. Insbesondere Rückkehrer ohne soziales Netz haben müssen diesem Artikel großen Herausforderungen begegnen. Nichts anderes ergibt sich jedoch aus dem LIB und den ins Verfahren eingebrachten UNHCR-Richtlinien.
Der BF monierte außerdem, der bekämpfte Bescheid enthalte überhaupt keine Feststellungen zur Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der afghanischen Sicherheitsbehörden. Es mag dabei zutreffen, dass die afghanische Regierungsführung als besonders schwach angesehen wird, teilweise Korruption zu beobachten ist und die Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten, eingeschränkt ist (Beschwerde, Seite 24 f, unter Verweis auf die UNHCR-RL, Seiten 28 f). Dagegen ist aber einzuwenden, dass von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates nicht bereits dann gesprochen werden kann, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteils aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. dazu grundlegend VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; zuletzt etwa VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119).
Aus dem LIB ergibt sich, dass die Provinzhauptstädte Afghanistans überwiegend unter staatlichem Einfluss stehen und relativ sicher sind, dass die afghanischen Sicherheitsbehörden zahlreich vorhanden sind und trotz Verbesserungsbedarfs in vielen Bereichen immerhin Fortschritte machen; sie reagieren auch rasch auf Gebietsgewinne der Taliban. Auch in den Bereichen Rechtsschutz und Justizwesen gibt es einige Mängel, wenngleich das Justizsystem gerade in städtischen Zentren stärker verankert ist und sich die Situation insgesamt bessert. Gemäß den Informationen des LIB ist der afghanische Staat zwar nicht in der Lage, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter (beispielsweise Taliban) zu schützen; auch steht nicht das gesamte Staatsgebiet Afghanistans unter staatlichem Einfluss. Dies ändert aber nichts an der grundlegenden Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des afghanischen Staats und lässt die Feststellung einer mangelnden Schutzfähigkeit oder –willigkeit Afghanistans nicht zu.
Dem BF wurde die Gelegenheit eingeräumt, zu den Länderfeststellungen vom 25.09.2017 Stellung zu nehmen; er kam dieser Möglichkeit mit Schreiben vom 15.11.2017 nach. Darin wies der BF insbesondere auf die schlechte Sicherheitslage seiner Herkunftsprovinz und die schwierige Lage von Rückkehrern ohne soziales Netz hin (dazu sogleich im nächsten und übernächsten Punkt).
Ad 1.4