TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/9 W182 1418393-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.01.2018
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Entscheidungsdatum

09.01.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9

Spruch

W182 1418393-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017, Zl. 543375501/14464449, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I. Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines

Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991 idgF, sowie §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9, 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Sohn eines tschetschenischen Vaters und einer ukrainischen Mutter, Muslim, hat im Herkunftsstaat bei seiner Mutter in der Stadt XXXX in der Region XXXX gewohnt, reiste am 20.01.2011 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 21.01.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Den Antrag begründete der BF in einer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 21.01.2011 sowie in einer Einvernahme beim Bundesasylamt am 01.03.2011 im Wesentlichen damit, dass ein halbes Jahr vor seiner Ausreise das Auto seines Bruders mehrfach beschossen worden sei. Nachgefragt konnte der BF dazu weder angeben, ob der Bruder zu den Tatzeitpunkten überhaupt im Auto gewesen wäre, noch konnte er weitere Details zu den Vorfällen angeben. Der BF habe am 17.01.2011 XXXX verlassen. Der BF wäre alleine (und nicht mit seinem Bruder) geflüchtet, weil das Geld für die Ausreise zweier Personen gefehlt hätte. Als Grund für seine Ausreise gab der BF an, dass er aufgrund seiner unstabilen Lebensverhältnisse keine Ausbildungs- oder Erwerbsmöglichkeiten gehabt hätte und ihn der Vorfall seinen Bruder betreffend zur Ausreise bewogen hätte. Wegen der seinerzeitigen Probleme seines Vaters wolle er nicht mehr in die Russische Föderation zurückkehren, da er aus diesem Grund um sein Leben fürchten würde. Ausdrücklich hielt der BF jedoch fest, dass er persönlich keine Probleme gehabt hätte und gegen ihn persönlich bis zu seiner Ausreise keinerlei Verfolgungshandlungen gesetzt worden wären. Der Vater des BF halte sich seit 2002 in Österreich auf. Seine Mutter und sein Bruder würden nach wie vor in XXXX leben. Der BF sei in XXXX geboren, würde jedoch seit 1993 im Kerngebiet der Russischen Föderation leben, zuerst im Oblast XXXX , dann bis zu seiner Ausreise in XXXX .

Der BF legte dem Bundesasylamt zum Nachweis seiner Identität einen russischen Inlandsreisepass vor.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.03.2011, Zl. 11 00.679-BAE, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und wurde ihm der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt. Weiters erkannte das Bundesasylamt dem BF gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies diesen gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation (Spruchpunkt III.) aus. Begründend ging das Bundesasylamt im Wesentlichen davon aus, dass die Befürchtungen des BF unglaubwürdig seien und er aus persönlichen Gründen die Heimat verlassen habe, um die Möglichkeit zu erhalten, sich in Österreich ein neues Leben aufzubauen, zumal sich sein Vater hier als anerkannter Flüchtling aufhält.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde. Im Rahmen des Schriftsatzes wurde ausgeführt, dass der BF aufgrund der seinerzeitigen Verfolgung seines Vaters nunmehr Verfolgung befürchte. Der BF sowie sein Bruder wären seitens des FSB massiven Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen und die beiden Brüder seien Gefahr gelaufen als Geiseln des FSB genommen zu werden, um die Familie zur Zusammenarbeit mit dem FSB zu bewegen und den in Österreich befindlichen Vater zur Heimreise zu bewegen. Zwischenzeitlich hätte auch der Bruder des BF seine Heimat verlassen und würde sich in Österreich aufhalten. Zwischenzeitlich hätten mehrere Besuche des FSB stattgefunden. Der Bruder des BF hätte die Zusammenarbeit mit dem FSB abgelehnt und wäre ihm infolge sein Pass abgenommen worden, wobei bereits vorher auf dessen Auto geschossen worden wäre, als sich dieser darin befand. Auch der BF selbst hätte stets Probleme bei der Ausstellung eines Reisepasses gehabt, zuletzt wäre dem BF kein neuer Pass ausgestellt worden.

Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 13.05.2011, Zl. D13 418393-1/2011/2E, gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009 hinsichtlich aller Spruchpunkte als unbegründet abgewiesen. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen mit der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des BF begründet. Das Erkenntnis wurde dem BF am 18.05.2011 zugestellt und rechtskräftig.

Im März 2012 wurde gegen den BF gemäß § 74 Abs. 2 Z 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl I. Nr. 100/2005 idF BGBl. I. Nr. 122/2009, ein Festnahmeauftrag erlassen. Beim versuchten Vollzug des Festnahmeauftrages an dessen Wohnort am 16.03.2012 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes wurde dessen Bruder angetroffen, der angab, keinen Kontakt mehr zum BF zu haben, wobei dieser angeblich in XXXX sei. Laut Angaben des Vaters des BF am 19.03.2012 bei einer Polizeiinspektion habe der BF Österreich vor 6 Monaten verlassen und sei in die Ukraine zurückgegangen.

1.2. Am Am 03.09.2013 brachte der BF beim Bundesasylamt einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz (1. Folgeantrag) ein.

In einer Erstbefragung am 03.09.2013 und zwei Einvernahme beim Bundesasylamt am 17.09.2013 sowie am 25.09.2013 begründete der BF seine neuerliche Antragstellung im Wesentlichen damit, dass seine Fluchtgründe, die er bei seiner Antragstellung angegeben habe, nach wie vor aufrecht seien. Der BF sei ungefähr im Mai 2011 zu seiner Mutter nach XXXX zurückgekehrt, sei dann am 08.07.2012 nach einer Polizeikontrolle in seiner Heimatstadt, bei der er sich nicht ausweisen habe können, zur lokalen Polizeidienstelle gebracht und bis zum nächsten Tag angehalten worden. Am nächsten Tag sei er von FSB-Beamten zum Aufenthaltsort seines Vaters und seines Bruders befragt worden. Als er gesagt habe, dass er es nicht wisse, sei er stark verprügelt worden. Als er dann erneut gefragt worden sei, habe er gesagt, dass er vermute, dass sie in Österreich seien. Die Leute vom FSB hätten dies aber ohnehin gewusst. Am Ende sei dem BF mitgeteilt worden, dass der tschetschenische FSB mit ihm sprechen wolle, er eine Ladung bekommen werde und XXXX nicht verlassen dürfe. Nachdem er freigelassen worden sei, sei der BF zu einem ihm zuvor nicht bekannten Arzt gegangen, wo ihn erste Hilfe erteilt worden sei. Als eine Freundin seiner Mutter, die er kaum kenne und an deren Adresse er scheingemeldet gewesen sei, eine Ladung für ihn bekommen habe, habe der BF einen Tag vor dem Ladungstermin am 18.07.2012 das Herkunftsland verlassen und sei in die Ukraine gefahren, wo er bis zum 02.09.2013 geblieben sei. Manchmal habe ihn seine Mutter Geld geschickt, manchmal der Freund seines Vater Geld gegeben. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, gab der BF an, dass er im Herkunftsland wegen der Probleme seines Vaters mit den "Kadyrov-Leuten" umgebracht werde. Bei ihnen sei es üblich, dass die ganze Familie verfolgt werde, deswegen sei auch sein Bruder nach Österreich gekommen. Deswegen sei auch der BF nach Österreich gekommen, denn er wolle mit seinen Angehörigen zusammen sein. In der Ukraine könne er ja nicht sein ganzes Leben in einem Zimmer sitzen. 8 Jahre lang könne er schon nichts machen und sich nichts aufbauen. Er wolle mit seinem Vater und seinem Bruder zusammen leben. Er möchte in Österreich die Schule besuchen und hier arbeiten. Wenn er in Russland gearbeitet habe, dann habe er immer nur schwarzgearbeitet, eine offizielle Arbeit könne er nirgends bekommen. Er habe nur 7 Klassen Schulbildung.

Der BF legte dazu eine handschriftliche ärztliche Bestätigung eines Traumatologen mit Stempel vom 09.07.2012 mit der Diagnose Prellungen am ganzen Körper, Hämatome im Gesicht, am Oberkörper und oberen und unteren Extremitäten sowie eine behördliche Ladung gemäß Artikel 188 StPO der Russischen Föderation für den 19.07.2012 vor.

Mit Bescheid vom 23.10.2013, Zl. 13 12.703 EAST Ost, wies das Bundesasylamt den zweiten Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (= Spruchpunkt I.) und wies den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (= Spruchpunkt II.). Begründend führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, dass sich aus den Angaben kein neuer entscheidungswesentlicher Sachverhalt im Vergleich zum Erstverfahren ergebe. Der BF habe das Fortbestehen eines Sachverhaltes behauptet, der bereits rechtskräftig als unglaubwürdig und nicht asylrelevant bewertet worden sei. Da weder in der maßgeblichen Sachlage, noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lasse, stehe die Rechtskraft des Erstverfahrens dem neuerlichen Antrag entgegen.

Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis es Asylgerichtshofes vom 13.11.2013, Zl. D13 418393-2/2013/3E, in allen Spruchpunkten abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem behaupteten, in der Heimat nach wie vor bestehenden Verfolgungssachverhalt kein glaubhafter Kern zukomme und davon auszugehen sei, dass sich in der Russischen Föderation kein neuer Sachverhalt ergeben habe, über welchen nicht bereits im früheren Asylverfahren rechtskräftig abgesprochen worden sei.

Das Erkenntnis wurde dem BF am 21.11.2013 zugestellt und rechtskräftig.

2.1. Am 18.03.2014 stellte der BF neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz (2. Folgeantrag).

Diesen begründete der im Bundesgebiet verbliebene BF in einer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.03.2014 wie folgt: "Am 07.03.2014 bekam ich einen Anruf meiner Mutter, dass die Polizei in ihrer Wohnung in XXXX (Russland), nach mir gefragt/gesucht hat. Am 09.03.2014 kamen erneut Leute zu ihr. Sie sagten, sie kämen vom FSB, die durchsuchten die Wohnung und erkundigten sich erneut nach mir und auch meinem Bruder XXXX , und meinem Vater, die auch hier in Österreich leben. Meine Mutter wurde dann mitgenommen und über Nacht festgehalten und befragt. Am nächsten Tag wurde sie freigelassen, sie hat mich dann von diesen Vorfällen informiert. Seither leide ich an psychischen Problemen und kann nicht mehr schlafen, ich bekomme panische Angst wenn ich die russische oder tschetschenische Sprache höre." Der BF habe bei einem Telefonat mit seiner Mutter am 07.03.2014 sowie am 10.03.2014 davon erfahren, dass nach ihm gesucht werde. Er habe vor 6 Monaten eine Ladung des Innenministeriums vorgelegt. Ein Onkel sei 2010 getötet worden. Bei einer Rückkehr ins Herkunftsland befürchte er festgenommen und getötet zu werden. Eigentlich werde nach seinem Vater gesucht. Nach tschetschenischer Tradition werde, wenn der Vater nicht gefunden werde, auch nach den Söhne gesucht.

In weiterer Folge wurde ein psychiatrischer Befundbericht XXXX vom 06.02.2014 vorgelegt, welcher hinsichtlich des BF im Wesentlichen die Diagnosen schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, PTSD, nicht organische Insomnie, Albträume und anhaltende somatoforme Schmerzstörung enthält. Als Medikation wurde Abilify 5 mg und Mirtabene 30 mg empfohlen. Weiters sei die Einleitung einer traumaspezifischen Psychotherapie nach Erreichung einer ausreichenden Stabilisierung angedacht. Die psychische Veränderung stehe im zeitlichen Zusammenhang mit Misshandlungen 2011 und sei somit Ausdruck einer posttraumatischen Belastungsstörung. Da der BF durch seine Rückkehr nach Tschetschenien und die dortige Inhaftierung massiv traumatisiert worden sei, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Retraumatisierung bei einer neuerlichen Inhaftierung.

Weiters wurde ein ÖSD-Zertifikat Deutsch B1 vom 09.01.2015 sowie ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag als Hilfskraft in einer XXXX für 39 Wochenstunden mit einer Bruttoentlohnung von € 1.200 vom 25.9.2017 vorgelegt.

In einer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 27.09.2017 wurde der BF erneut zu den Gründen für seine Antragstellung befragt. Dazu gab der BF an: "In Russland fahndet man nach meinem Bruder. Ein Strafverfahren wurde eingeleitet. Es wurde etwas im Jahr 2015 gegen meinen Bruder erfunden, obwohl er hier in Österreich war. 2013 habe ich alle Beweise vorgelegt, dass gegen mich gefahndet wurde. Als ich einen negativen Bescheid bekommen habe, habe ich mir eine rechtliche Vertretung genommen, habe die Erstbefragung gemacht, die weiße Karte bekommen und abgewartet." Dazu befragt, was er 2014 bei der Erstbefragung angegeben habe, gab der BF an: "Ich habe gesagt, dass zu meiner Mutter Leute gekommen sind, die nach mir gefahndet haben. Sie hatten eine Ladung zu einer Einvernahme. Nachdem ich nicht erschienen bin, sind sie zu meiner Mutter gekommen. Ich habe mich nicht mehr getraut nach Russland zu fahren. Nach meinen Vater wird gefahndet. Nach meinem Bruder wird offiziell in ganz Russland gefahndet und daher traue ich mich nicht zurückzukehren. Ich möchte auch hier bleiben, ich bin integriert. Ich möchte hier arbeiten. Ich will keine Sozialleistungen bekommen. Ich habe nur einmal in Traiskirchen Geld bekommen und ein Monat als ich im Heim gewohnt habe. Seit 2014 habe ich nie eine Leistung bekommen." Die Frage nach weiteren Fluchtgründen wurde vom BF verneint und auf das verwiesen, was er damals gesagt habe. Die Ladungen habe er 2013 vorgelegt. 2014 habe ihn seine Mutter angerufen und ihm gesagt, dass nach ihm gesucht werde. Seine Mutter sei gezwungen gewesen, umzuziehen. Sie sei an einer Adresse gemeldet und wohne an einer anderen. Danach befragt, warum er in Russland gesucht werde, gab der BF an: "Das gehört alles zu den Gründen von 2013. Ich wurde 2012 verhaftet, geschlagen und mir wurde verboten die Stadt zu verlassen. Der Grund war, weil ich ohne Ausweise gelebt habe, ich hatte keine Dokumente. Bis sie meine Identität festgestellt haben, werde ich inhaftiert bleiben. Ich wurde nach meinem Vater und Bruder befragt. Es werden Leute aus Tschetschenien kommen, die mit mir sprechen wollen." Bei der Rückkehr habe er Angst, dass er verhaftet und ermordet werde. Der BF sei ledig und habe keine Kinder. In Russland habe er bei seiner Mutter gelebt und davor auch mit seinem Bruder. Letzterer lebe seit 2011 in Österreich und habe vor einigen Monaten einen Aufenthaltstitel (Rot-Weiß-Rot Karte) bekommen. Sein Bruder habe in Österreich eine Lebensgefährtin. Seine Eltern seien geschieden. Sein Vater habe in Österreich eine neue Frau und zwei Töchter, die Halbschwestern des BF. Sein Vater habe einen positiven Asylbescheid bekommen. Der BF telefoniere 4-5 Mal im Monat mit seiner Mutter. Im Herkunftsland würden sich weiters Onkel und Tanten väterlicherseits sowie viele Cousins und Cousinen aufhalten. Der BF habe in Russland sieben Klassen Schule absolviert und auch gearbeitet. Er sei Verkäufer auf dem Markt gewesen, habe in einem Geschäft Türen verkauft und zuletzt in einem Café eines Freundes gearbeitet. Der BF helfe in Österreich manchmal seinem Bruder. Mit Helfen meine der BF, dass er für ihn Sachen abholen. Wenn er die Möglichkeit habe, wolle der BF dort arbeiten, wo sein Bruder arbeite. Außer den Deutschkursen habe er keine Kurse in Österreich besucht. Er sehe seinen Vater ein bis zweimal die Woche und übernachte manchmal bei ihm. Seinen Bruder sehe er oft. Er habe ein paar tschetschenische und auch österreichische Freunde. Zum psychiatrischen Befundbericht gab der BF an, dass er innerhalb von einem Monat mehrmals dort gewesen sei und nachher nicht mehr beim Arzt gewesen sei. Er habe eine Woche lang Medikamente eingenommen. Gesundheitlich gehe es dem BF gut.

In einer Stellungnahme der rechtlichen Vertretung des BF vom 11.10.2017 wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Angaben des BF zu der drohenden Verfolgungsgefahr mit den Länderberichten übereinstimmen würden. Beispielsweise würde die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) berichten, dass insbesondere Personen, die aus dem Ausland nach Tschetschenien zurückkehren, bzw. denen Kontakte mit dem Ausland vorgeworfen werde, in Gefahr seien. Dazu wurden Ausführungen aus den genannten Bericht zu Personen, die in der Russischen Föderation verdächtig seien, kritische Informationen ins Ausland zu kommunizieren, zitiert. Dazu wurden weiters Ausführungen zu Personen zitiert, die Kritik an Kadyrov oder Putin ausüben und deshalb gefährdet seien, wobei diesbezüglich auch Personen mit niedrigem Profil gefährdet seien. Im Übrigen wurde zur allgemeinen Menschenrechtslage in Tschetschenien aus dem genannten Bericht zitiert, aus dem Fälle von Verschleppungen, außergerichtlichen Tötungen und systematischen Folterungen durch die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus und insbesondere in Tschetschenien hervorgehen, wobei diese Vorfälle auch nicht geahndet werden würden. Viele der Menschrechtsverletzungen würden nicht dokumentiert werden, da die Berichterstattung schwierig und äußerst gefährlich sei. Eine Person mit anerkanntem Expertenwissen zu Tschetschenien habe in einem Interview mit der SFH erwähnt, dass Tschetscheninnen und Tschetschenen sich generell nicht an die Behörden wenden würden aus Angst, selber verdächtigt und verfolgt zu werden. Dazu wurde weiters ausgeführt, dass auch ansonsten aus den Länderberichten hervorgehe, dass von einer Verbesserung der Situation in Tschetschenien nichts zu erkennen sei, im Gegenteil seien wesentliche Verschlechterungen zu erblicken. Die Militäreinheiten Kadyrovs seien weiterhin für viele Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, wobei Kadyrov in Tschetschenien ein repressives, autoritäres Regime führe und Gewalt und Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung bleiben würden. Es herrsche ein Regime der Angst und Einschüchterung. Auch wenn der Einfluss der islamistischen Untergrundbewegungen in Tschetschenien zurückgegangen sei, würden Gewaltmaßnahmen des Sicherheitsbehörden, insbesondere Entführungen, Folter und Tötungen vorkommen, insbesondere im Zusammenhang mit Kollektivstrafen gegen Familienangehörige und Unterstützern von vermeintlichen Terroristen. Die vom BF geschilderten Verfolgungshandlungen seien daher vor diesem Hintergrund realistisch und asylrelevant. Außerdem verfüge der BF über keinerlei adäquates soziales oder familiäres Auffangnetz in seiner Heimat mehr. Er sei aus seiner Heimat entwurzelt und im Falle einer Rückkehr wäre davon auszugehen, dass er in eine ausweglose Lage geraten würde. Hinsichtlich der Integration des BF sei festzustellen, dass er sich bereits in beeindruckender Weise in Österreich eingefunden und angepasst habe. Er sei nunmehr schon seit über vier Jahren in Österreich, spreche fließend Deutsch und könne sich im Alltag problemlos verständigen. Er sei ebenso arbeitswillig wie arbeitsfähig und habe auch bereits einen konkreten Arbeitsplatz in Aussicht.

2.2. Mit den nunmehr angefochtenen, oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF vom 18.03.2014 gemäß § 68 Abs. 1 AVG idgF wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 idgF nicht erteilt, gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.), wobei gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt III.).

Im Bescheid wurde im Wesentlichen festgestellt, dass die Identität des BF feststehe und er an keiner lebensbedrohlichen Krankheiten leide. Er sei seinen eigenen Angaben zufolge erstmals Mitte 2011 illegal nach Österreich eingereist und nach negativem Ausgang seines ersten Asylverfahrens wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Danach sei er erneut im Dezember 2013 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Vor der gegenständlichen Asylantragstellung habe er in Österreich bereits zuvor zwei Asylanträge gestellt und habe er seinen Aufenthalt ausschließlich mit der Stellung von Asylanträgen legalisiert. Sein erster Asylantrag vom 21.01.2011 sei mit Bescheid des Bundesasylamtes zur Zahl 1100679 abgewiesen und er aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen worden. Die Beschwerde sei vom Asylgerichtshof als unbegründet abgewiesen worden. Am 03.09.2013 brachte er seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz ein, welcher vom Bundesasylamt wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und die Beschwerde als unbegründet abgewiesen worden sei. Am 18.03.2014 brachte er den gegenständlichen dritten Antrag ein. Der BF sei in Österreich nicht straffällig geworden. Anlässlich des gegenständlichen Asylverfahrens habe der BF keine neuen bzw. glaubhaften Fluchtgründe dargelegt. Auch hinsichtlich Art. 2, 3 und 8 EMRK hätten sich keinerlei Veränderungen hinsichtlich der letzten Einvernahme ergeben. Der BF habe keinen neuen und insbesondere für die Entscheidung relevanten Sachverhalt beim Bundesamt dargelegt, welcher sich nach rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens ergeben habe. Auch habe sich die Situation in der Russischen Föderation seit dem rechtskräftigen Abschluss seines ersten Asylverfahrens nicht verändert. Der BF habe seinen Vater, seinen Bruder und zwei Halbgeschwistern in Österreich. Er lebe nicht mit seinen Familienangehörigen in einer gemeinsamen Wohnung. Er habe erfolgreich einen Deutschkurs B1 absolviert und spreche mittlerweile gut Deutsch. Es bestehe zu keiner Person eine finanzielle Abhängigkeit. Er habe in Österreich soziale Anknüpfungspunkte. Er gehöre keinem Verein oder sonstigen Organisationen an. Der BF habe in Russland gearbeitet und sich so sein Leben finanziert. Er sei im arbeitsfähigen Alter und sei es ihm zuzumuten, sich mithilfe der eigenen Arbeitsleistung und Unterstützung seiner dort lebenden Angehörigen den Lebensunterhalt zu sichern. Der BF habe im Herkunftsland familiäre Anknüpfungspunkte (Mutter, Onkel und Tanten). Es könne nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

Dazu wurden in weiterer Folge umfassende Feststellungen zum Herkunftsland getroffen. Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF im nunmehrigen Asylantrag sich betreff seiner Motivation sein Heimatland verlassen zu haben auf die selben Beweggründe wie in den vorangegangenen Verfahrensgängen bezogen habe. Er stütze sich im Kern nach auf seine ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe, ohne dass er in seinen Ausführungen auch nur ein Indiz für eine Andersbewertung seiner persönlichen Glaubwürdigkeit bzw. der Glaubhaftigkeit seines ursprünglichen Fluchtvorbringens aufzuzeigen vermocht habe. Schon in den bisherigen Verfahrensgängen sei seinen Angaben jegliche Glaubhaftigkeit abgesprochen worden. Im laufenden Asylverfahren habe er vorgebracht, dass nach seinen in Österreich lebenden Bruder gefahndet würde. Deswegen hätte er Angst in seine Heimat zurückzukehren. Wie er selbst angegeben habe, gehöre dies zu den Fluchtgründen, die er 2013 vorgebracht habe, welche für nicht glaubhaft befunden worden seien. Daher sei auch diesem Vorbringen die Glaubhaftigkeit abzusprechen, weshalb im Ergebnis keine wesentliche Sachverhaltsänderung vorliege. Bezüglich der Stellungnahme der rechtlichen Vertretung des BF vom 11.10.2017 in Hinblick auf seine Fluchtgründe werde auch seitens des BF auf die prekäre Situation (Sicherheitslage in Tschetschenien) eingegangen. Die Behörde könne der Stellungnahme keine neuen, nicht bereits gewürdigten Erkenntnisse entnehmen. Im Übrigen wurde auf die getroffenen Länderfeststellungen hingewiesen. Die getroffenen Feststellungen zum Privat- und Familienleben und, dass der BF über gute Sprachkenntnisse in Deutsch verfüge, keiner Erwerbstätigkeit nachgehe und wenig integriert sei, beruhe auf seinen diesbezüglichen glaubhaften Angaben bei den Befragungen, der gesamten Aktenlage mit dem Akt inkludierten Beweismitteln sowie auf dem persönlichen Eindruck des zur Entscheidung berufenen Sachwalters.

Mit Verfahrensanordnung vom 30.11.2017 wurde dem BF ein Rechtsberater zugewiesen.

2.3. Gegen den Bescheid wurde binnen offener Frist in vollem Umfang Beschwerde erhoben. Darin wurden unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht. Dazu wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF als Begründung des neuen Asylantrages angeführt habe, dass die allgemeine Situation in seiner Heimat weiterhin eine Rückkehr nicht zulasse, dass er immer noch einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei, aufgrund von Ereignissen, die nach Abschluss seines Vorverfahrens entstanden seien, wie er in der Einvernahme näher erklärt habe. Davon abgesehen habe der BF mittlerweile jeglichen Bezug zu seiner Heimat verloren und er wäre in Gefahr, im Falle einer Abschiebung in eine existenzielle Notlage zu geraten, wohingegen er sich in Österreich bereits hervorragend integriert habe und zahlreiche enge Verwandte hier aufhältig seien. Daher habe der BF neuerlich in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellen müssen. Das Bundesamt behaupte, es liege eine entschiedene Sache vor, doch habe es in seiner Beweiswürdigung die tatsächliche Prüfung, ob ein solcher Sachverhalt vorliege, versäumt. Wenn eine tatsächliche Prüfung der vorgebrachten Sachverhaltsänderungen stattgefunden hätte, hätte das Bundesamt angesichts seiner eigenen Länderberichte und der Situation in der Russischen Föderation sowie der persönlichen Situation des BF feststellen müssen, dass ein solcher maßgeblich veränderter Sachverhalt vorliege und eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages nicht unterlassen werden könne. Hinsichtlich der Länderberichte sei weiters festzustellen, dass eine aktuelle Beurteilung durch das Bundesamt nicht stattgefunden habe, sondern nur darauf verwiesen werde, dass sich nichts geändert habe, obwohl die eigenen Berichte selber deutlich zeigen würden, dass Personen wie der BF, die nach Europa geflüchtet seien, keine Zukunftsperspektive in der Russische Föderation haben und eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung stehe. Vom Bundesamt seien keinerlei Recherchen zu den vorgebrachten Fluchtgründen getätigt worden. Der BF sei in seiner Einvernahme nicht einmal explizit nach den Neuerungen in seinem Fall befragt worden. Das Bundesamt sei zur Sicherung der Qualität der Verfahren angehalten, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse im Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat ins Verfahren einzuführen. Der Bescheid des Bundesamtes erfülle diese Anforderungen mangels aktueller Recherche im Heimatstaat des BF nicht und stelle dies eine Verletzung des Willkürverbotes dar. Dies zumal auch die Länderberichte dem BF in seinen Befürchtungen bestätigen würden, da die Repressivität der russischen Regierung keine Anzeichen des Nachlassens zeige. Dazu wurde im Wesentlichen - wie bereits in der Stellungnahme vom 11.10.2017 - der Bericht der SFH zitiert. Unrichtig sei weiters die Abwägung des Bundesamtes zwischen den öffentlichen Interessen Österreichs und dem Privat- und Familienleben des BF. Der BF sei schon seit ca. fünf Jahren hier aufhältig, integrations- und arbeitswillig. Diesbezüglich habe jedoch keinerlei Beurteilung seitens des Bundesamtes stattgefunden, obwohl sich hinsichtlich seiner Integration und auch hinsichtlich seines umfangreichen Familienlebens zweifellos Änderungen ergeben haben, die eine Neubeurteilung erforderlich gemacht hätten. Beispielsweise habe der Bruder des BF, zu dem er eine sehr enge Bindung habe, mittlerweile in Österreich ein Aufenthaltsrecht erhalten, ebenso wie sein Vater legal in Österreich aufhältig sei und dessen in Österreich geborene Kinder. Der BF habe bereits die deutsche Sprache erlernt, er habe vielfältige soziale und familiäre Kontakte und er habe mittels Vorlage des Arbeitsvorvertrages nachweisen können, dass er im Falle der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung keine Belastung für die Gebietskörperschaft darstellen würde. Die Beurteilung der Schutzwilligkeit des Privat-und Familienlebens des BF sei daher nicht verständlich und hätte jedenfalls eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erklärt werden müssen. Zusammenfassend sei festzustellen, dass es dem Bundesamt aus den genannten Gründen in keiner nachvollziehbaren Weise gelungen sei, die Glaubwürdigkeit des BF zu widerlegen und seien die vom BF vorgebrachten Sachverhaltsänderungen sowie die Veränderungen der Sicherheitslage in Tschetschenien seit der Rechtskraft des Vorverfahrens nicht in die Beweiswürdigung eingeflossen. Das Bundesamt habe sich in seiner Beweiswürdigung auf das Zitieren vorgeformter, formelhafter Textbausteine beschränkt, ohne den Fall des BF konkret zu beurteilen. Den Erklärungen dazu fehle jeglicher Begründungswert. Das Vorbringen des BF entspreche der Wahrheit, sei glaubwürdig und gründlich substantiiert. Dem BF drohe in seiner Heimat Verfolgung im Sinne der GFK und es wäre ihm daher Asyl zu gewähren gewesen. Allenfalls wäre aufgrund der katastrophalen Sicherheitslage in Tschetschenien und aufgrund der Unmöglichkeit für Tschetschenen in andere Landesteile der Russischen Föderation auszuweichen, subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Unter anderem wurde der Antrag gestellt, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu gewähren.

2.4. Der Vater des BF stellte im September 2004 einen Asylantrag im Bundesgebiet und wurde ihm mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 24.11.2008, Zl. D13 263685-0/2008/9E, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) BGBl. I Nr. 1997/76 idF BGBl. I Nr. 101/2003, Asyl gewährt.

Der Bruder des BF stellte im März 2011 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde dieser zuletzt nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.04.2017 mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.06.2017, Zl. W236 1421109-1/24E, sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, gleichzeitig wurde festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, und ihm ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt. Der Bruder des BF behauptete in der Verhandlung am 19.04.2017 u.a., dass er von seiner Mutter erfahren hätte, dass im Jahr 2015 ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden sei und er zur föderalen Fahndung ausgeschrieben worden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Der BF, der Sohn eines tschetschenischen Vaters und ein ukrainischen Mutter, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und hat sich im Herkunftsland in einer Stadt in der Region XXXX aufgehalten. Seine Identität steht fest.

Der BF reiste erstmals im Jänner 2011 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 21.01.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen mir der Verfolgung seines Bruders, auf dessen Auto mehrmals geschossen worden wäre, sowie einer Verfolgung aufgrund der seinerzeitigen Verfolgung seines Vaters. Dem Vorbringen wurde seitens des Bundesasylamtes kein Glauben geschenkt, sein Antrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.03.2011, Zl. 11 00.679-BAE, abgewiesen und eine Ausweisung ausgesprochen. Eine dagegen erhobene Beschwerde, in der der BF sein Vorbringen im Wesentlichen noch dahingehend steigerte, das sowohl er als auch sein Bruder vom FSB verfolgt werden würden, weshalb inzwischen auch der Bruder nach Österreich geflüchtet sei, wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 13.05.2011 (zugestellt am 18.05.2011), Zl. D13 418393-1/2011/2E, rechtskräftig in allen Spruchpunkten abgewiesen, wobei von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens ausgegangen wurde.

Der BF kehrte laut eigenen Angaben im Mai 2011 ins Herkunftsland zurück und reiste Anfang September 2013 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 03.09.2013 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz (1. Folgeantrag). Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er im Juli 2012 in seinem Heimatort von der Polizei auf eine Polizeidienstelle mitgenommen und dort in weiterer Folge vom FSB nach dem Aufenthalt seines Vaters sowie seines Bruders befragt und misshandelt worden sei. Ihm sei mitgeteilt worden, dass er geladen werde, weil der tschetschenische FSB ihn befragen wolle. Als er eine Ladung erhalten habe, sei er noch im Juli 2012 in die Ukraine geflüchtet, von wo aus er im September 2013 nach Österreich gefahren sei.

Mit Bescheid vom 23.10.2013, Zl. 13 12.703 EAST Ost, wies das Bundesasylamt den zweiten Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (= Spruchpunkt I.) und wies den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (= Spruchpunkt II.). Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis es Asylgerichtshofes vom 13.11.2013 (zugestellt am 21.11.2013), Zl. D13 418393-2/2013/3E, in allen Spruchpunkten abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem behaupteten, in der Heimat nach wie vor bestehenden Verfolgungssachverhalt, kein glaubhafter Kern zukomme.

Am 18.03.2014 stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (2. Folgeantrag).

Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er von seiner Mutter erfahren habe, dass Leute vom FSB im März 2014 ihre Wohnung durchsucht, sie nach dem BF, dessen Bruder und Vater erkundigt, und sie für eine Nacht festgehalten und befragt hätten. Weiters würde seit 2015 nach seinem Bruder gefahndet werden, weil gegen ihn ein Verfahren eingeleitet worden sei. Das Vorbringen weist keinen glaubwürdigen Kern auf.

Der 27-jährige BF ist ledig, kinderlos und arbeitsfähig. In Österreich halten sich seit 2011 sein Bruder und zumindest seit 2004 sein Vater sowie Halbgeschwister auf. Dem Vater kommt seit 2008 der Status des Asylberechtigten zu. Dem Bruder des BF, dessen Antrag auf internationalen Schutz zuletzt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.06.2017 sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig abgewiesen wurde, kommt der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu.

Der BF lebt mit seinen Familienangehörigen in Österreich nicht im gemeinsamen Haushalt. Es besteht regelmäßiger Kontakt. Eine eheähnliche Lebensgemeinschaft wurde nicht geltend gemacht. Der BF geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Er verfügt über gute Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 und konnte einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag vorlegen. Er hat einen inländischen Freundes- und Bekanntenkreis. Er ist unbescholten.

In Herkunftsland halten sich die Mutter sowie Onkel und Tanten väterlicherseits sowie viele Cousins und Cousinen auf. Zur Mutter besteht regelmäßiger Kontakt.

Nicht festgestellt werden kann, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten sind, wonach der BF allein aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage ohne Hinzutreten individueller Faktoren in der Russischen Föderation aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder dass ihm im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Der BF leidet an keinen zwischenzeitlich aufgetretenen akut lebensbedrohlichen oder im Herkunftsland nicht behandelbaren Krankheiten und befindet sich aktuell auch in keiner medizinischen Behandlung.

In der Beschwerde wurde kein neuer Sachverhalt dargetan.

1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den zutreffenden Feststellungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid ausgegangen, welche unter Berücksichtigung der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes (vgl. VwGH 19.09.2017, Zl. Ra 2017/20/0059-14, Rz 13) im Wesentlichen nachfolgend wiedergegeben werden:

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1 Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind – wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat – also Teufelsstaat – übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens‘, bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS – v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats – festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen – der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia – hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.7.2017b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 21.7.2017

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FAZ (26.4.2017):"Erst der Anfang", http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anschlag-in-st-petersburg-russland-steht-im-visier-von-terror-14989012.html, Zugriff 21.7.2017

-

FP – Foreign Policy (4.5.2017): Putin has a new secret weapon in Syria: Chechens,

http://foreignpolicy.com/2017/05/04/putin-has-a-new-secret-weapon-in-syria-chechens/, Zugriff 21.7.2017

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ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad?

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf, S. 16-18, Zugriff 21.7.2017

-

ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

-

Mena Watch (10.5.2017): Russland setzt auf sunnitische Soldaten in Syrien,

http://www.mena-watch.com/russland-setzt-auf-sunnitische-soldaten-in-syrien/, Zugriff 21.7.2017

-

Standard (25.4.2017): Al-Kaida reklamiert Anschlag auf U-Bahn in St. Petersburg für sich,

https://derstandard.at/2000056544365/Al-Kaida-reklamiert-Anschlag-auf-U-Bahn-in-St-Petersburg?ref=rec, Zugriff 21.7.2017

-

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 21.7.2017

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SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

-

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

1.1. Nordkaukasus allgemein

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt e

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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