TE Vwgh Erkenntnis 2000/5/31 98/08/0098

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Veröffentlicht am 31.05.2000
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §225 Abs1 Z3;
ASVG §227 Abs1 Z1;
ASVG §231;
ASVG §232;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 98/08/0101 E 21. November 2001

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der O in W, vertreten durch Dr. Georg Grießer und Dr. Roland Gerlach, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Köllnerhofgasse 6/2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. Februar 1998, Zl. MA 15-II-J 3/98, betreffend Beitragsentrichtung für Studienzeiten gemäß § 227 Abs. 1 und 3 ASVG (mitbeteiligte Partei:

Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten,

Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin begehrte mit Antrag vom 26. Juni 1996 die Beitragsentrichtung zwecks Leistungswirksamkeit von Ersatzzeiten für Schul- und Studienzeiten.

Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt gab mit Schreiben vom 10. Juni 1997 dem Antrag insofern statt, als die Beschwerdeführerin für "24 Monate mittlere/höhere Schule" Beiträge entrichten könne. Über Ersuchen der Beschwerdeführerin sprach die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt mit Bescheid vom 21. November 1997 über die Beitragsentrichtung für Studienzeiten ab. Mit diesem Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Beitragsentrichtung für Studienzeiten abgelehnt. Begründend wurde ausgeführt, die Anrechnung eines Hochschulstudiums als Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG sei erst nach Verlassen der Schule bzw. Beendigung der Ausbildung möglich, sofern eine sonstige Versicherungszeit nachfolge. Die Beschwerdeführerin habe nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ihr Studium noch nicht beendet bzw. abgeschlossen. Die Voraussetzung für eine Beitragsentrichtung für die Hochschulzeit sei daher nicht erfüllt.

Die Beschwerdeführerin erhob Einspruch. Darin führte sie aus, aus den §§ 227 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4 sowie 231 ASVG sei ersichtlich, dass für die Zulässigkeit des Nachkaufes von Schul- bzw. Ausbildungszeiten als Ersatzzeiten in erster Linie das Nachfolgen von Beitragszeiten nach diesen Ersatzzeiten maßgebend sein solle. Entscheidend sei jedoch nicht, dass die Ausbildung endgültig beendet worden sei. Sie stehe seit 1. März 1996 in einem Dienstverhältnis und sei weiterhin inskribiert. Nach § 231 ASVG sei die Beitragszeit der Pflichtversicherung einer Ersatzzeit gegenüber vorrangig. Dies habe zur Folge, dass ihr Studium, solange es sich mit der Pflichtversicherung decke, aus pensionsrechtlicher Sicht zu keiner Anrechnung von Ersatzzeiten oder einer wie immer gearteten Auswirkung für ihre Pension führe. Durch die seit 1. März 1996 vorliegende Beitragszeit würden aber die vorangehenden reinen Studienzeiten zu leistungswirksamen Ersatzzeiten, weil der Tatbestand der nachfolgenden Versicherungszeit erfüllt sei und darüber hinaus zu diesem Zeitpunkt bereits das Höchstmaß von 12 anrechenbaren Semestern vorliege. Es sei der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 30. November 1993, 92/08/0205) zu folgen, wonach der Gesetzeswortlaut der genannten Bestimmungen keinen Anhaltspunkt dafür biete, dass eine leistungswirksame Beitragsentrichtung nicht möglich sein solle, weil trotz Vorliegens der Voraussetzungen im Zeitpunkt der Antragstellung das Studium fortgesetzt werde.

Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt legte den Einspruch mit Schreiben vom 22. Jänner 1998 der belangten Behörde vor. In diesem Schreiben führte sie zum Einspruchsvorbringen aus, die Beschwerdeführerin studiere seit dem Wintersemester 1989/90 als ordentliche Hörerin an der Universität Wien. Die Beschwerdeführerin habe Versicherungsmonate in der Pflichtversicherung als Angestellte erworben und zwar für die Zeiten 8/88, 7/89 bis 9/89, 7/90, 9/90 bis 9/95 und ab 11/95 bis laufend. Unbestritten sei, dass die Beschwerdeführerin das Studium nicht abgeschlossen oder abgebrochen habe, sondern laufend weiter betreibe. Aus § 227 Abs. 1 ASVG ergebe sich, dass eine Studienzeit dann anzurechnen sei, wenn die Hochschule beendet bzw. verlassen worden sei. Diese Voraussetzung erfülle die Beschwerdeführerin nicht. Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. November 1993 gehe insofern fehl, weil die Beschwerdeführerin im Unterschied zu dem dem Erkenntnis zu Grunde liegenden Sachverhalt bis zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Nachkauf der Hochschulzeiten ohne Unterbrechung inskribiert gewesen sei und parallel dazu Versicherungszeiten erworben habe. Die Gesetzeswendung, dass die sonstige Versicherungszeit nach dem Verlassen der Hochschule vorliegen müsse, stelle auf eine zeitliche Aufeinanderfolge von Hochschulbesuch und sonstiger Versicherungszeit ab. Eine solche Aufeinanderfolge liege im gegenständlichen Fall aber nicht vor.

Die Beschwerdeführerin nahm zu diesem Vorbringen mit Schreiben vom 11. Februar 1998 Stellung. Darin führte sie u.a. aus, es gehe "selbstverständlich um den Einkauf von reinen Studienzeiten, wo parallel dazu keine Versicherungszeiten erworben" worden seien.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch als unbegründet ab und bestätigte den bekämpften Bescheid. In der Begründung führt die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und Wiedergabe des § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG aus, aus den Formulierungen des § 227 ASVG sei zu entnehmen, dass die Anerkennung einer zurückgelegten Schul-, Studien- oder Ausbildungszeit als Ersatzzeit an das Vorliegen einer sonstigen Versicherungszeit nach Verlassen der Schule bzw. Beendigung der Ausbildung geknüpft sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe in dem von der Beschwerdeführerin erwähnten Erkenntnis zwar nicht auf das Erfordernis eines (Hoch)Schulabschlusses nach den einschlägigen (hoch)schulrechtlichen Vorschriften abgestellt, sehr wohl aber auf die zeitliche Aufeinanderfolge von (Hoch)Schulbesuch und sonstiger Versicherungszeit. Im vorliegenden Fall sei unstrittig, dass die Beschwerdeführerin noch laufend an der Universität Wien inskribiert sei. Da die Beschwerdeführerin somit die Hochschule nicht verlassen bzw. die Ausbildung nicht beendet habe, seien die in § 227 ASVG normierten Voraussetzungen nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Erwerb von (pensions-)leistungswirksamen Versicherungszeiten nach dem ASVG für die Zeiten des Hochschulstudiums gemäß § 227 ASVG verletzt. In Ausführung des so umschriebenen Beschwerdepunktes hält sie im Wesentlichen ihren im Verwaltungsverfahren eingenommenen Standpunkt aufrecht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist nicht strittig, dass die Beschwerdeführerin seit dem Wintersemester 1989/90 als ordentliche Hörerin an der Universität Wien inskribiert ist. Ebenso steht nicht in Streit, dass sie seither die im Schreiben der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 22. Jänner 1998, mit dem der Einspruch der belangten Behörde vorgelegt wurde, genannten Versicherungsmonate, nämlich 7/90, 9/90 bis 9/95 und ab 11/95 bis laufend erworben habe.

Festzuhalten ist daher, dass die Beschwerdeführerin vom Oktober 1989 bis Juni 1990 keine Versicherungsmonate in der Pflichtversicherung als Angestellte erworben hat, in dieser Zeit aber Studienzeiten im Sinn des § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG aufzuweisen hat. Dies gilt auch für den Monat Oktober 1995.

Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen zu Recht davon aus, dass die §§ 231 und 232 ASVG bei verschiedenen Arten von einander überschneidenden Versicherungszeiten auch außerhalb des Leistungsverfahrens (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. September 1999, 99/08/0041, mit weiteren Nachweisen) zur Anwendung kommen. Nach dieser Regelung gehen Beitragszeiten der Pflichtversicherung den Ersatzzeiten vor. Eine Beitragsentrichtung für die Studienzeiten kann die Beschwerdeführerin daher nur für die aufgezählten Monate in Anspruch nehmen, in denen keine Pflichtversicherung vorlag.

     Gemäß § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG gelten als Ersatzzeiten nach dem

31. Dezember 1955 "in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem

die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt, die Zeiten, in denen

nach Vollendung des 15. Lebensjahres eine ... inländische

Hochschule ... in dem für die betreffende Studienart

vorgeschriebenen normalen Studiengang besucht wurde, ... sofern

nach dem Verlassen der Schule ... eine sonstige Versicherungszeit

vorliegt; hiebei werden höchstens ... zwölf Semester des Besuches

einer Hochschule ... berücksichtigt und jedes ... Studiensemester

mit vier Monaten, gerechnet ab dem in das betreffende Semester fallenden 1. Oktober bzw. 1. März, ...". Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem von den Parteien erwähnten Erkenntnis vom 30. November 1993, 92/08/0205, zu dieser Gesetzesstelle ausgeführt, dass nach dem Wortlaut zur Anrechnung nicht erforderlich ist, dass das vorgesehene Bildungsziel erreicht bzw. das Studium in der in der Studienordnung vorgesehenen Art beendet wurde. Gefordert wird lediglich, dass während der Hochschulzeit keine Pflichtbeitragszeiten erworben wurden und eine sonstige Versicherungszeit der Hochschulzeit nachfolgt. Die Hochschulzeit gilt in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit liegt, als Ersatzzeit.

Der Verwaltungsgerichtshof hält an dieser Auffassung fest. Diese Voraussetzungen sind im Beschwerdefall für die Studienzeit des Wintersemesters 1989/90 und des Sommersemesters 1990 erfüllt, schließt sich doch an diese Studienzeiten mit Juli 1990 bzw. ab September 1990 eine Beitragszeit in der Pflichtversicherung der Angestellten an.

Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin bei der Antragstellung noch ihrem Studium oblag, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Zwar spricht das Gesetz von einer sonstigen Versicherungszeit "nach dem Verlassen der Schule", was bedeuten könnte, die Voraussetzung des Vorliegens einer "sonstigen Versicherungszeit" könne vorher nicht erfüllt werden und eine Berücksichtigung als Ersatzzeit setze daher das Verlassen der Schule - sei es auch, im Sinne der zitierten Judikatur, ohne Erreichung des Ausbildungsziels - voraus. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte zeigt aber, dass das nicht gemeint ist. Nach der ursprünglichen Fassung der Bestimmung wurde nämlich vorausgesetzt, es müsse "spätestens innerhalb dreier Jahre nach dem Verlassen der Schule" eine sonstige Versicherungszeit vorliegen. Diese Voraussetzung wäre (arg. "spätestens") auch durch eine Versicherungszeit vor dem Verlassen der Schule erfüllt gewesen. In den Erläuternden Bemerkungen wurde ausgeführt, zwischen dem Verlassen der Schule und einer nachfolgenden Versicherungszeit sollten "nicht mehr als drei Jahre liegen, damit der Zusammenhang des Schulbesuchs mit der versicherungspflichtigen Beschäftigung als schulmäßige Vorbereitung für diese nachgewiesen ist" (599 BlgNR VII. GP 71). Dieses Erfordernis wurde mit der 29. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 31/1973, aus EDV-technischen Gründen beseitigt (vgl. hiezu 404 BlgNR XIII. GP 98). Dass der dabei übrig gebliebene sprachliche Rest der Formulierung ("nach dem Verlassen" statt "spätestens innerhalb dreier Jahre nach dem Verlassen") nun gewährleisten solle, dass es sich nicht um Zeiten vor dem Verlassen der Schule handle, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes - anders als nach der Deutung, von der der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 9. Mai 1995, 10 ObS 88/95, ausging - nicht anzunehmen.

Die Abweisung des gesamten Begehrens der Beschwerdeführerin ist daher mit dieser Rechtslage nicht in Einklang zu bringen. Dazu kommt aber auch, dass nach der Aktenlage die Beschwerdeführerin von der Möglichkeit, diese Zeiten als Beitragszeiten gemäß § 225 Abs. 1 Z. 3 ASVG zu erwerben, keinen Gebrauch gemacht hat. Die Auffassung der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt, ein Nachkauf von Studienzeiten könne nur in einem Verfahren und dann über sämtliche Studienzeiten erfolgen, findet im Gesetz keine Grundlage.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 31. Mai 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998080098.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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