Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Mag. Edda Ofner, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15–19, 1100 Wien, vertreten durch Köhler Draskovits Unger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 5.450 EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 2. August 2017, GZ 35 R 105/17a-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Hernals vom 2. März 2017, GZ 25 C 328/16k-16, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die bei der beklagten Gebietskrankenkasse versicherte Klägerin unterzog sich am 12. 10. 2015 im Bereich des rechten Beins einer sogenannten Hallux-Operation. Sie vereinbarte für den 27. 10. 2015 um 8:00 Uhr bei der G***** Krankenbeförderung GesmbH (in der Folge als „Fahrtendienst“ bezeichnet) die Bereitstellung eines Fahrzeugs, da sie an diesem Tag um 9:00 Uhr einen Kontrolltermin im Spital wahrnehmen wollte.
Infolge der Operation war sie gehbehindert. Als sie vom Fahrtendienst abgeholt wurde, trug sie einen Spezialschuh, der vorne offen war und ein steifes Fußbett aufwies. Die Gehbehinderung der Klägerin war offensichtlich. Der Fahrer des Fahrtendienstes läutete bei der Gegensprechanlage und begleitete die Klägerin über die Fahrbahn zu dem auf der anderen Straßenseite geparkten Fahrzeug. Der Fahrer stieg auf der Fahrerseite ein, während die Klägerin ohne Begleitung des Fahrers um das Fahrzeug zur Beifahrertür ging.
Beim Fahrzeug des Fahrtendienstes handelte es sich um einen PKW Kombi. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin zum Lenker gesagt hätte, sie könne alleine zur Beifahrertüre gehen und der Fahrer des Fahrtendienstes möge sie nicht begleiten. Die Klägerin sprach mit dem Lenker des Fahrtendienstes nicht weiter. Sie hielt in der rechten Hand eine Tasche mit Getränken und medizinischen Unterlagen sowie eine Rucksack-Handtasche. Sie stützte sich mit der linken Hand am Fahrzeug ab und war kurz vor Erreichen der Beifahrertüre, als sie mit dem verbundenen Bein im Bereich des Parkstreifens hängen blieb, stolperte und stürzte. Durch den Sturz zog sie sich eine Knochenabsplitterung im Bereich des Mittelfingers der linken Hand zu. Der Lenker brachte die Klägerin in das Spital, wo diese an ihrem rechten Bein und im Bereich der Verletzung des Mittelfingers der linken Hand untersucht wurde. Die Klägerin wurde hinsichtlich dieser Verletzung medizinisch versorgt und erhielt eine Schiene sowie Schmerzmittel. Nach zwei Tagen erhielt sie eine kleinere Schiene. Sie litt an Schmerzen und nahm in der Folge Schmerzmittel. Sie absolvierte im Rehab-Zentrum Penzing eine Physiotherapie, wobei sie bei mehreren Terminen sowohl hinsichtlich des rechten Fußes als auch hinsichtlich des Mittelfingers der linken Hand behandelt wurde.
Laut Informationsblatt der beklagten Partei (Stand 1. 12. 2014), sind durch den Fahrtendienst ua folgende Serviceleistungen vertraglich sichergestellt:
„- Die Fahrerin/der Fahrer des Fahrdienstes hilft beim Abholen von der Wohnung und bei der Rückbeförderung (z.B. Begleitung in die Wohnung, usw.) ...“
Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung von 5.450 EUR samt Zinsen, bestehend aus 5.400 EUR Schmerzengeld und 50 EUR pauschalen Unkosten. Sie habe einen Vertragsfahrtendienst der Beklagten in Anspruch genommen. Dem Lenker des Fahrtendienstes habe die Gehbehinderung der Klägerin bekannt sein müssen, weil diese der Grund für die Inanspruchnahme des Dienstes und aufgrund des verbundenen Beins offensichtlich gewesen sei. Zugesagt werde durch die Beklagte als Serviceleistung, dass der Fahrer des Fahrtendienstes beim Abholen von der Wohnung und bei der Rückbeförderung helfe, und zwar ausdrücklich „Begleitung in die Wohnung usw.“, also eine Absicherung von Tür zu Tür. Die Klägerin habe einer Abholung ab der Haus- und nicht der Wohnungstür zugestimmt. Zwischen ihr und dem Fahrtendienst sei kein Vertrag entstanden. Die beklagte Partei hafte infolge des zwischen den Parteien bestehenden Vertrags für das Verschulden des Lenkers des Fahrzeugs des Fahrtendienstes als ihren Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313a ABGB.
Die Beklagte wendete ein, sie bediene sich des Fahrtendienstes nicht zur Erfüllung von vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Klägerin, sondern beteilige sich lediglich an den Transportkosten. Demgemäß hafte die beklagte Partei nicht nach § 1313a ABGB für ein allfälliges Fehlverhalten des Fahrers des Fahrtendienstes. Die Haftung bestünde nur bei einem – nicht gegebenen – Auswahlverschulden. Der Fahrtendienst besitze nämlich eine aufrechte Konzession für die gewerbsmäßige Beförderung von Personen. Die Klägerin treffe am Unfall wegen Unachtsamkeit das Alleinverschulden, jedenfalls aber das überwiegende Mitverschulden.
Das Erstgericht beurteilte mit Zwischenurteil die Klageforderung als dem Grunde nach zu Recht bestehend. Es traf die wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, durch den zwischen den Parteien bestehenden Vertrag habe die Beklagte die Verpflichtung getroffen, die Klägerin gefahrlos zu befördern. Durch das der Beklagten zuzurechnende Verhalten des Lenkers des Fahrtendienstes habe die Beklagte dieser Verpflichtung nicht entsprochen. Der Verpflichtete habe auch für das Verschulden anderer Unternehmer, deren er sich insbesondere in Erfüllung einer Vertragspflicht bediene, gemäß § 1313a ABGB einzustehen. Dem Lenker des Fahrtendienstes sei ein Fehlverhalten anzulasten, da er die offensichtlich gehbehinderte Klägerin nicht bis zur Beifahrertür begleitet habe.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Nach herrschender Ansicht in Rechtsprechung und Lehre hafte die Krankenkasse für Fehlleistungen ihrer Vertragsärzte nicht nach § 1313a ABGB, sondern lediglich für Auswahlverschulden. Die Krankenkasse habe nicht selbst die ärztliche Hilfe zu leisten, sondern sei nur verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die ärztliche Hilfe von einem Dritten, nämlich ihrem Vertragspartner, geleistet werde. Ein Grund anzunehmen, dass die Krankenkasse zwar die ärztliche Hilfe nicht selbst leisten müsse, den nötigen Transport der Patienten jedoch schon, sei nicht ersichtlich. Auch hier hafte die Krankenkasse nach § 1313a ABGB nur dann, wenn die Transportleistung im Rahmen der selbst betriebenen Anstalt bzw innerhalb der eigenen Organisation erbracht werde. Dies sei hier nicht der Fall gewesen.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Haftung der Krankenkasse für Fahrtendienste keine höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere und zur vergleichbaren Frage der Haftung der Krankenkasse für Fehlleistungen ihrer Vertragsärzte nur vereinzelte Entscheidungen vorlägen.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin bringt vor, aus dem Informationsblatt der Beklagten gehe hervor, dass sich diese gegenüber dem Sozialversicherungsnehmer vertraglich zu diversen Leistungen verpflichtet habe. Dazu gehöre auch, dass der Fahrer des Fahrtendienstes beim Abholen entsprechende Hilfe leiste. Die Beklagte hafte daher für den Fahrtendienst gemäß § 1313a ABGB.
Hierzu wurde erwogen:
1. Gehilfenzurechnung allgemein
Voraussetzung einer Gehilfenzurechnung nach § 1313a ABGB ist, dass das schuldhafte Verhalten des Erfüllungsgehilfen innerhalb des vom Geschäftsherrn übernommenen Pflichtenkreises liegt (RIS-Justiz RS0028582 [T1]). Die Haftung für den Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 1313a ABGB setzt voraus, dass die Verpflichtung zu einer Leistung gegenüber dem Geschädigten besteht, die der Verpflichtete, statt sie selbst zu erfüllen, durch einen Dritten erbringen lässt (RIS-Justiz RS0028582 [T5]). Unter dieser Voraussetzung kann dann auch eine Haftung für das Verhalten eines Gehilfen eines Gehilfen bestehen (RIS-Justiz RS0021803; „Gehilfenkette“). Beim Gehilfen kann es sich auch um einen selbständigen Unternehmer handeln (RIS-Justiz RS0028563 [T2]).
Keine Gehilfenzurechnung besteht aber dann, wenn die Leistung auf Grund vertraglicher Verpflichtung nur in der Beistellung eines Dritten bestand (RIS-Justiz RS0028713). Entscheidend ist also, ob sich jemand zu einer Leistung verpflichtet oder ob er nur jemand anderen auswählen soll, der die Leistung auf Grund eines eigenen Vertrags mit dem Auftraggeber erbringt (RIS-Justiz RS0028713 [T2]). Erfüllungsgehilfe ist daher nur derjenige, dessen sich jemand zur Erfüllung einer ihm obliegenden Verpflichtung bedient (RIS-Justiz RS0019170 [T1]). Der Gehilfe muss mit Willen des Schuldners im Rahmen der dem Schuldner obliegenden Verbindlichkeit tätig werden (RIS-Justiz RS0028566; RS0028729 [T1]).
§ 1313a ABGB soll eine Schlechterstellung des Gläubigers verhindern, wenn sich der Schuldner zur Erfüllung seiner eigenen Verpflichtungen eines anderen bedient (RIS-Justiz RS0028495 [T1]). Entscheidend ist daher, welche konkreten Leistungspflichten bzw Schutz- und Sorgfaltspflichten der Geschäftsherr gegenüber seinem Vertragspartner übernommen hat (RIS-Justiz RS0028425 [T9]). Dies erfordert eine interpretative Ermittlung der jeweils übernommenen Leistungs- und Sorgfaltspflichten, zu deren Erfüllung man sich eines Gehilfen bedient (RIS-Justiz RS0123055).
2. Zur Gehilfenzurechnung bei Krankenkassen
2.1. Ärzte
Eine Krankenkasse haftet für das Verschulden eines in ihrem Ambulatorium angestellten Arztes (1 Ob 712/30 SZ 12/276 = RIS-Justiz RS0028671). Ansonsten haftet sie nach langjähriger ständiger Rechtsprechung für ihre Vertragsärzte aber nicht nach § 1313a ABGB, sondern nur nach § 1315 ABGB (1 Ob 991/26 = ZBl 1927/176; 1 Ob 1082/30 SZ 12/226 = RIS-Justiz RS0028669; 2 Ob 1280/32 = JBl 1933, 300; 2 Ob 576/51 SZ 24/262 = RIS-Justiz RS0028658; 1 Ob 66/59 = JBl 1959, 595). Nach dieser Judikatur hat die Krankenkasse nicht selbst die ärztliche Hilfe zu leisten, sondern ist nur verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sie von einem Dritten dem Versicherten geleistet wird. In einem solchen Fall ist für die Anwendung des § 1313a ABGB kein Raum, weil die Leistung der Krankenkasse in dem Augenblick erfüllt ist, in dem die Krankenkasse den Partner an den Dritten gewiesen und diesen verpflichtet hat, ärztliche Hilfe zu leisten („Bereitstellung“). In der Entscheidung SZ 24/262 wird auch ausdrücklich die hier vom Berufungsgericht zitierte Gegenmeinung von Wolff in Klang² VI 87 abgelehnt.
Diese Rechtsprechung wird – jedenfalls betreffend die Nichtanwendbarkeit des § 1313a ABGB – von der herrschenden Lehre gebilligt (vgl nur Schramm in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 86 ASVG [2017] Rz 3 mwN aus der Lehre).
2.2. Fahrtendienst
Nach Ansicht des Senats ist kein Grund ersichtlich, die Haftung der Krankenkasse für Fahrtendienste anders zu behandeln als die Haftung für Ärzte. Auch hierbei handelt es sich um eine Sachleistung. Die Krankenkasse übernimmt nur die Kosten für die Leistungen der Fahrtendienste, schuldet diese Leistungen aber nicht selbst. Daran ändert auch entgegen den Revisionsausführungen der Hinweis im Informationsblatt (Beilage ./A), die Serviceleistung der Hilfe beim Abholen von der Wohnung sei „vertraglich sichergestellt“, nichts, weil damit auf den Vertrag zwischen der Krankenkasse und dem jeweiligen Fahrtendienst (vgl Beilage ./1) Bezug genommen wird. Darin sind auch die Pflichten des Fahrtendienstes gegenüber den zu Befördernden umschrieben.
Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der im Sozialversicherungsrecht herrschenden Ansicht, wonach zwischen Hauptleistung (hier die Behandlung im Spital) und dem Transport dorthin ein untrennbarer Zusammenhang besteht; es handelt sich um eine „akzessorische Leistung“ (Ficzko/Schruf, GSVG [2016] § 103; Schober in Sonntag, GSVG6 § 103 Rz 1; vgl den Hinweis im Informationsblatt, die Kosten für die Krankenbeförderung würden nur dann übernommen, wenn auch die Behandlung übernommen werde). Wenn die Beklagte für die Behandlung nicht haftet, kann für den Transport zur Behandlung nichts anderes gelten.
Die zwischen Sozialversicherungsträger, niedergelassenem Vertragsarzt und von diesem beauftragten Vertreter vereinbarten Abrechnungsmodalitäten für die vertretungsweise ärztliche Behandlung von Kassenpatienten sind für die aufgrund von Behandlungsverträgen zu lösenden Haftungsfragen im Allgemeinen nicht von Belang (RIS-Justiz RS0123061). Ebenso kommt auch im vorliegenden Fall den Abrechnungsmodalitäten keine entscheidende Bedeutung für die Frage zu, ob die Beklagte für ein Fehlverhalten eines Mitarbeiters des Fahrtendienstes einzustehen hat.
3. Als Ergebnis wird festgehalten:
Die Krankenkasse haftet ihren Versicherten nicht nach § 1313a ABGB für das Verschulden eines nicht von der Krankenkasse selbst betriebenen Fahrtendienstes, dessen Kosten sie zu tragen hat.
4. Das Berufungsgericht hat daher das Klagebegehren zu Recht abgewiesen.
5. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E120460European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00223.17P.1221.000Im RIS seit
29.01.2018Zuletzt aktualisiert am
25.01.2019