Index
E1E;Norm
11992E048 EGV Art48;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des M Ö, (geboren am 11. Juni 1975), in Wien, vertreten durch Dr. Michael Swoboda, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 24, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. Jänner 1997, Zl. SD 1042/96, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 10. Jänner 1997 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.
Der Beschwerdeführer sei am 17. September 1993 ohne erforderlichen Sichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist. Sein am 14. Dezember 1993 gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei rechtskräftig (nach Ausweis der Verwaltungsakten: mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. September 1995) abgewiesen worden. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers sei daher seit seiner Einreise unrechtmäßig. Wenn er vorbringe, dass er seit 26. Mai 1993 einer geregelten Beschäftigung (in Österreich) nachgehe, und sich auf Art. 6 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 (ARB) stütze, so verhelfe dieses Vorbringen seiner Berufung nicht zum Erfolg, weil unter "ordnungsgemäßer Beschäftigung" im Sinn des Art. 6 Abs. 1 ARB - dieser Beschluss sei in Österreich seit dem Beitritt zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 unmittelbar anwendbar - nur eine Beschäftigung zu verstehen sei, die in Einklang mit den arbeitserlaubnisrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates stehe. Da der Beschwerdeführer am 1. Jänner 1995 mangels Aufenthaltsberechtigung nicht "ordnungsgemäß" beschäftigt gewesen sei, könne er aus diesem Beschluss kein Recht zum Aufenthalt in Österreich ableiten. Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz FrG seien daher gegeben.
Was die Zulässigkeit der Ausweisung nach § 19 FrG betreffe, so sei auf Grund der Beschäftigung des Beschwerdeführers und im Hinblick auf seine familiären Bindungen zu seinem Bruder und seinem Vater von einem mit dieser Maßnahme verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Ausweisung des Beschwerdeführers zum Schutz der öffentlichen Ordnung, im Besonderen auf dem Gebiet des Fremdenwesens, dringend geboten. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein besonders hoher Stellenwert zu. Dies habe zur Folge, dass jedenfalls ein unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden im Bundesgebiet, dem, wie im vorliegenden Fall, nie ein rechtmäßiger vorangegangen sei, eine Beeinträchtigung des bezeichneten maßgeblichen öffentlichen Interesses von solchem Gewicht darstelle, dass die Ausweisung dringend geboten und damit zulässig im Sinn des § 19 leg. cit. sei. Hinzu komme, dass dem Beschwerdeführer - mangels Erfüllung der im § 6 Abs. 2 erster Satz Aufenthaltsgesetz normierten Voraussetzung, dass ein Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach diesem Gesetz vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen sei - auch nicht die erforderliche Bewilligung nach diesem Gesetz erteilt werden dürfe. Bei Abstandnahme von der Ausweisung könnte sich der Beschwerdeführer unter Umgehung der genannten Bestimmung den tatsächlichen, jedoch nicht rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens zuwiderlaufen würde.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zunächst ist festzuhalten, dass dem angefochtenen Bescheid nach den wiedergegebenen unbestrittenen Sachverhaltsfeststellungen kein Bescheid zugrunde liegt, mit dem die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung (§ 6 AufG) versagt oder mit dem der Verlust einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 AufG) verfügt wurde; die Übergangsbestimmung des § 114 Abs. 5 des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75, kommt vorliegend daher nicht zum Tragen.
2. Die Beschwerde bringt vor, dass der Beschwerdeführer seit 2. Oktober 1992 in Österreich lebe und vom 26. Mai 1993 bis 25. Mai 1996 auf Grund einer Beschäftigungsbewilligung in einem näher bezeichneten Unternehmen als Lehrling zum Herrenkleidermacher ausgebildet worden sei. Nach Beendigung der Lehre habe er bis zum 31. Juli 1996 im selben Unternehmen gearbeitet. Seither sei er in einem anderen Unternehmen beschäftigt. Er habe am 18. Juli 1996 eine Arbeitserlaubnis erhalten, die bis zum 17. Juli 1998 gültig sei. Bis zum 1. Juli 1993 sei der Eintritt in den regulären Arbeitsmarkt im Sinn des Art. 6 Abs. 1 ARB einzig und allein von der Innehabung einer Beschäftigungsbewilligung abhängig gewesen, weil die Bestimmung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, die für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung eine gültige Aufenthaltsbewilligung voraussetze, erst an diesem Tag in Kraft getreten sei. Da auch Lehrlinge als Arbeitnehmer im Sinn dieser Bestimmung zu betrachten seien, gehöre der Beschwerdeführer seit 26. Mai 1993 ununterbrochen dem ordentlichen Arbeitsmarkt (in Österreich) an und erfülle er die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich ARB. In diesem Fall komme der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nur deklaratorischer Charakter zu. Der Beschwerdeführer halte sich daher rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
3. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Auf ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB können sich nämlich nur solche türkische Arbeitnehmer berufen, die während der in dieser Bestimmung angeführten Zeiträume auf die dort näher umschriebene Weise ordnungsgemäß beschäftigt waren. Dies setzt nach der Rechtsprechung des EuGH eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt voraus. Während der in Art. 6 Abs. 1 ARB genannten Zeiträume muss daher sowohl die Beschäftigung des betroffenen türkischen Arbeitnehmers in Einklang mit den arbeitserlaubnisrechtlichen, als auch sein Aufenthalt mit den nicht nur eine vorübergehende Position sichernden aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates gestanden haben. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Juni 1999, Zl. 96/21/0382, mwH auf die Judikatur des EuGH.)
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Feststellungen der belangten Behörde, dass er ohne einen erforderlichen Sichtvermerk in Österreich eingereist sei - ob der Beschwerdeführer, wie im angefochtenen Bescheid festgestellt wurde, seit 17. September 1993 oder, wie die Beschwerde vorbringt, bereits seit 2. Oktober 1992, in Österreich aufhältig sei, bedarf in diesem Zusammenhang keiner näheren Klärung - und sein am 14. Dezember 1993 gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung rechtskräftig abgewiesen worden sei. Da der Beschwerdeführer niemals (insbesondere weder im Zeitpunkt des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union mit 1. Jänner 1995 noch zu einem späteren Zeitpunkt) über eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz oder über eine andere nicht nur eine vorübergehende Position sichernde Aufenthaltserlaubnis verfügt hat, kann er schon deshalb kein Aufenthaltsrecht aus Art. 6 Abs. 1 ARB - oder aus Art. 7 Abs. 2 ARB - ableiten (vgl. etwa das vorzitierte Erkenntnis und das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1999, Zlen. 95/21/1000, 1001, mwN).
Die Auffassung der belangten Behörde, dass sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig in Österreich aufhalte und vorliegend der Tatbestand des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz FrG erfüllt sei, begegnet daher keinen Bedenken.
4. Vor diesem Hintergrund kann es dahingestellt bleiben und erübrigte es sich, auf die in der Beschwerde aufgeworfene Frage einzugehen, ob Lehrlinge als Arbeitnehmer im Sinn des Art. 6 ARB anzusehen sind. Ebenso war die Anregung des Beschwerdeführers auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zur Frage, ob Personen, für die lediglich eine Beschäftigungsbewilligung und denen in der Folge eine Arbeitserlaubnis erteilt worden sei, als Arbeitnehmer mit "ordnungsgemäßer Beschäftigung" im Sinn des Art. 6 Abs. 1 ARB bzw. Art. 48 EGV gelten oder ob diese noch zusätzliche Voraussetzungen erfüllen müssten, nicht aufzugreifen, weil diese Frage in Ansehung von Fremden, denen, wie dem Beschwerdeführer, die Einreise in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union bzw. der Aufenthalt dort nicht gestattet wurde, geklärt ist (vgl. in diesem Zusammenhang etwa die Urteile des EuGH vom 30. September 1997 in der Rechtssache C-36/96, Günaydin, RN 22, 23, 41, und vom 10. Februar 2000 in der Rechtssache C-340/97, Nazli, RN 32).
5. Aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheides hegt der Gerichtshof auch keinen Einwand gegen die - im Übrigen nicht bekämpfte - Auffassung der belangten Behörde, dass § 19 FrG im vorliegenden Fall der Ausweisung nicht entgegenstehe.
6. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 31. Mai 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1997180104.X00Im RIS seit
09.11.2001Zuletzt aktualisiert am
15.11.2011