Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Jänner 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und Dr. Michel-Kwapinski in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Auslieferungssache des Giorgi J*****, AZ 16 HR 222/16x des Landesgerichts Linz, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 11. Dezember 2017, AZ 8 Bs 230/17f (ON 44 des HR-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Giorgi J***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.
Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.
Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.
Text
Gründe:
Mit Beschluss des Einzelrichters des Landesgerichts Linz vom 22. November 2017 (ON 39) wurde über Giorgi J***** aufgrund des Auslieferungsersuchens des Justizministeriums von Georgien (wegen eines Mordvorwurfs) und eines Haftbefehls des georgischen Bezirksgerichts Isani in Tiflis vom 16. März 1999 (ON 10) die am 8. November 2017 verhängte Auslieferungshaft (ON 33) fortgesetzt.
Mit dem angefochtenem Beschluss gab das Oberlandesgericht Linz der dagegen ergriffenen Beschwerde nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der (bedingt obligatorischen) Haft gemäß § 29 ARHG iVm § 173 Abs 6 (§ 173 Abs 2 Z 1) StPO an.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen ergriffene Grundrechtsbeschwerde des Betroffenen ist – entgegen der Auffassung der Generalprokuratur – teilweise im Recht.
Soweit der Beschwerdeführer Strafbarkeitsverjährung nach georgischem Recht einwendet und dabei auf die angebliche Tatverübung am 1. März 1999, die absolute Verjährungsfrist von 15 Jahren und die erst am 17. April 2015 eingebrachte Anklageschrift hinweist, unterlässt er eine argumentative Auseinandersetzung mit den – durch Verweis auf das als schlüssig erachtete Auslieferungsersuchen (vgl ON 10 AS 5 mit dem Hinweis, dass nach Art 71 des georgischen Strafgesetzbuches eine absolute Verjährungsfrist nicht zum Tragen kommt) getroffenen – gegenteiligen Annahmen des Beschwerdegerichts (BS 2).
Mit der unsubstantiierten Behauptung, der Tatverdacht sei zu Unrecht angenommen worden, werden Begründungsmängel im Sinn der Z 5 oder Z 5a des § 281 Abs 1 StPO (vgl RIS-Justiz RS0110146) nicht deutlich und bestimmt bezeichnet.
Der Einwand der Substituierbarkeit der Haft durch gelindere Mittel bleibt ohne argumentative Auseinandersetzung mit den darauf bezogenen Erwägungen des Oberlandesgerichts (BS 3; zu den Anfechtungskriterien vgl RIS-Justiz RS0116422 [T1]).
Hingegen trifft die Beschwerdekritik zu, wonach das Oberlandesgericht die Voraussetzungen bedingt obligatorischer Haft gemäß § 29 ARHG iVm § 173 Abs 6 (§ 173 Abs 2 Z 1) StPO im Hinblick auf die mangelnde Ausschließbarkeit von Fluchtgefahr willkürlich (vgl RIS-Justiz RS0117806; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 11.98) bejaht hat.
Die Auslieferungshaft dient zur Sicherung des Auslieferungsverfahrens und damit auch der Gewährleistung der (hier) Strafverfolgung im ersuchenden Staat. Die Befürchtung, ob sich der Betroffene der österreichischen Strafverfolgung entziehen könnte, spielt demgemäß keine Rolle (vgl 15 Os 151/07f). Daher kann es bei der (gemäß § 29 Abs 1 ARHG sinngemäß vorzunehmenden) Prüfung der Frage, ob die Auslieferungshaft bedingt obligatorisch zu verhängen oder fortzusetzen ist, nicht ausschließlich auf die Strafdrohungen des Vollstreckungsstaats ankommen (aM Göth-Flemmich in WK2 ARHG § 29 Rz 6 mit Rekurs auf die Entscheidung 15 Os 74/07g, der aber eine dahin gehende Aussage gerade nicht entnommen werden kann). Da für die Auslieferung im Geltungsbereich des ARHG die beiderseitige Strafbarkeit Voraussetzung der Auslieferung ist (§ 11 ARHG), hängt die Anwendbarkeit des § 29 ARHG iVm § 173 Abs 6 StPO konsequenterweise davon ab, dass die Straftat sowohl nach dem Recht des Ausstellungsstaates als auch nach österreichischem Recht mit einer zumindest zehnjährigen Freiheitsstrafe bedroht ist (vgl auch § 29 Abs 6 ARHG, der wortgleich mit der Überschrift zu § 11 ARHG von einer „der Auslieferung unterliegenden strafbaren Handlung“ spricht; für den Bereich der Übergabehaft ebenso Hinterhofer/Schallmoser in WK2 EU-JZG § 18 Rz 9).
Indem das Beschwerdegericht die rechtliche Annahme, es sei gemäß § 173 Abs 6 StPO nicht auszuschließen, dass der in § 173 Abs 2 Z 1 StPO genannte Grund vorliege (zu den unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben bei § 173 Abs 2 und Abs 6 StPO siehe RIS-Justiz RS0113413), allein aus der österreichischen Rechtslage ohne Berücksichtigung des Rechts des Ausstellungsstaates abgeleitet hat, hat es die mangelnde Ausschließbarkeit des Haftgrundes der Fluchtgefahr (§ 29 ARHG iVm § 173 Abs 6 [§ 173 Abs 2 Z 1] StPO in unvertretbarer Weise bejaht.
Dieses Defizit der angefochtenen Entscheidung erfordert die unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen, nicht jedoch die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (§ 7 Abs 1 GRBG; RIS-Justiz RS0119558).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 8 GRBG.
Textnummer
E120442European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00004.18G.0124.000Im RIS seit
26.01.2018Zuletzt aktualisiert am
22.07.2021