TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/17 W171 2156186-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.01.2018
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Entscheidungsdatum

17.01.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z2
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W171 428994-1/27E

W171 2156186-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX ,

2.) XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , beide StA Russische Föderation, vertreten durch RA Dr. Gerhard MORY, gegen die Bescheide 1.) des Bundesasylamtes vom 14.08.2012, Zl. XXXX , 2.) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.04.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.12.2017,

A)

I. beschlossen:

Die Beschwerdeverfahren gegen Spruchpunkt I. und II. der angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

II. zu Recht erkannt:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG wird den Beschwerden gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

XXXX und XXXX wird gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Erstbeschwerdeführerin reiste zusammen mit ihren Eltern und zwei minderjährigen Brüdern zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal ins Bundesgebiet. Sie stellte am 14.12.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der am 14.12.2011 durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Vater der Erstbeschwerdeführerin hinsichtlich seiner Fluchtgründe an, er sei während des ersten Tschetschenienkrieges im Jahr 1996 unter Waffenandrohung dazu gezwungen worden, außerhalb des Krankenhauses für einen Verletzten medizinische Hilfe zu leisten. Im Sommer 2011 sei er erneut gezwungen worden ärztliche Hilfe zu leisten. Man habe ihm einen Sack über den Kopf gestülpt, damit er nicht sehe, wohin man ihn gebracht habe. Als er zurückgekommen sei, habe er dies unvorsichtigerweise seinen Kollegen erzählt und in der Folge hätten offensichtlich die Kadyrow-Leute erfahren, dass er Rebellen unterstütze. Im Oktober 2011 sei er zusammengeschlagen worden als er mit seinem Auto vom Krankenhaus nach Hause gefahren sei. Später sei dann sein Sohn verschwunden, dies bringe er mit seiner Hilfeleistung in Zusammenhang.

Die Erstbeschwerdeführerin machte keine eigenen Fluchtgründe geltend.

I.2. Am 05.06.2012 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Eltern vor dem Bundesasylamt statt.

I.3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , Zahl XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Erstbeschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung jeweils des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) und die Erstbeschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, das Vorbringen des Vaters der Erstbeschwerdeführerin sei widersprüchlich und enthalte nicht nachvollziehbare bzw. unrealistische Passagen. Die geltend gemachte Bedrohungssituation entspreche offensichtlich nicht den Tatsachen. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass sie im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland in eine Notsituation geraten würden.

I.4. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.08.2012 wurde fristgerecht am 24.08.2012 Beschwerde erhoben.

I.5. Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet und stellte am 01.09.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Noch am selben Tag wurde er niederschriftlich befragt.

I.6. Für den 14.10.2014 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Der Vater und die Mutter der Erstbeschwerdeführerin erschienen zu dieser Verhandlung.

I.7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , Zahl XXXX wurde die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 3 AsylG hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids als unbegründet abgewiesen, die Beschwerde jeweils gemäß § 8 AsylG hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids als unbegründet abgewiesen und Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids aufgehoben und gemäß § 75 Abs. 20 AsylG das Verfahren hinsichtlich der Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

I.8. Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.02.2015 wurde fristgerecht außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht.

I.9. Am 28.06.2015 wurde die Tochter der Erstbeschwerdeführerin, XXXX , im Bundesgebiet geboren. Ihre Mutter stellte für sie als gesetzliche Vertreterin am 24.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des BFA vom 04.11.2015 wurde XXXX gemäß § 34 Abs. 2 iVm § 3 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt, da der Vater des Kindes, XXXX , in Österreich asylberechtigt ist.

I.10. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom XXXX , Ra XXXX bis XXXX und Ra XXXX , eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 12.11.2015, wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.02.2015 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Das Bundesverwaltungsgericht hatte zu Unrecht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Erörterung der Fluchtgründe des Bruders der Erstbeschwerdeführerin verzichtet, sondern sich ausschließlich auf die Aussagen des Vaters und der Mutter der Erstbeschwerdeführerin in der Verhandlung gestützt.

I.11. Am 21.01.2017 wurde die Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren. Die Erstbeschwerdeführerin stellte für sie als gesetzliche Vertreterin am 08.02.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.12. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahl XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Zweitbeschwerdeführerin vom 08.02.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). In Spruchpunkt III. des Bescheides wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.).

I.13. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 28.04.2017 Beschwerde erhoben.

I.14. Am 26.09.2017 langte ein mit "Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz" betiteltes Schreiben beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde beantragt, der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund der Asylberechtigung ihres Vaters XXXX gemäß § 34 Abs. 2 iVm § 3 AsylG den Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Dem Schreiben lagen die Geburtsurkunde der Zweitbeschwerdeführerin sowie ein Auszug aus dem Geburtseintrag bei.

I.15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.12.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, wobei die Erstbeschwerdeführerin, ihre Eltern und Brüder befragt wurden.

Dabei gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie habe vor ca. einen Monat mit dem Sprachkurs A1 begonnen. Bei ihrem jüngeren Kind sei XXXX nicht als Vater eingetragen, er sei jedoch als Vater registriert. Sie wohne alleine und sorge für ihre beiden Kinder, wobei sie von ihren Eltern unterstützt werde. Sie sei mit der Hausarbeit beschäftigt und besuche zwei Mal pro Woche zu je drei Stunden einen Deutschkurs. Sie sehe den Vater der Kinder an den freien Tagen, jetzt wieder öfter, etwa einmal in der Woche. Sie sei mit dem Kindesvater traditionell verheiratet gewesen, sie hätten sich scheiden lassen. Standesamtlich seien sie niemals verheiratet gewesen. Sie hätten allerdings wieder vor, zu heiraten. Sie habe in Österreich noch nicht gearbeitet. Sie habe nur einen Schulabschluss, eine konkrete Berufsausbildung habe ich nicht. Sie sei mit einer Bosnierin befreundet, die gut Deutsch spreche. Darüber hinaus habe sie eine Zeit lang die HTL besucht, um Deutsch zu lernen. Aus dieser Zeit kenne sie auch ein paar Mädchen.

Sie habe eine eigene Wohnung, die sei allerdings in unmittelbarer Nähe der Wohnung ihrer Eltern. Die Miete werde über die Volkshilfe abgerechnet. Sie bekomme ca. 300 Euro Unterstützung und 300 Euro zahle der Kindesvater. Der Kindesvater habe seine eigenen Geschäfte, seine eigene Arbeit. Er studiere und arbeite auch.

Sie sei ca. jeden zweiten Tag bei ihren Eltern zu Gast. In ihrem Heimatland habe sie nur noch Kontakt mit einer Cousine. Sie habe in Braunau gemeinsam mit ihrem ältesten Bruder vor drei Jahren den A1-Kurs besucht. Danach habe sie geheiratet und sei nach Salzburg gegangen. Sie habe ihren Mann bei der Arbeit in einer Pension unterstützt.

Die Erstbeschwerdeführerin konnte der Verhandlung teilweise in Deutsch folgen, die Heranziehung des Dolmetschers war jedoch immer wieder notwendig. Sie konnte sich in einfachem Deutsch vorstellen und hat während der Verhandlung stets Bemühen gezeigt, ohne Übersetzung der deutschen Frage zu antworten.

I.16. Mit Schreiben vom 06.12.2017 zogen die Beschwerdeführerinnen die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. und II. der angefochtenen Bescheide (Entscheidungen nach § 3 und § 8 AsylG) zurück und hielten nur die Beschwerden gegen die Rückkehrentscheidungen nach § 10 AsylG § 55 FPG aufrecht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Aufgrund jener der Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehören der Volksgruppe der Tschetschenen an und sind muslimischen Glaubens. Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung.

Die Erstbeschwerdeführerin reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 14.12.2011 Anträge auf internationalen Schutz. Sie hält sich seitdem durchgängig im Bundesgebiet auf.

Am 28.06.2015 wurde die Tochter der Erstbeschwerdeführerin, XXXX , im Bundesgebiet geboren. Mit Bescheid des BFA vom 04.11.2015 wurde XXXX gemäß § 34 Abs. 2 iVm § 3 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt, da der Vater des Kindes, XXXX , in Österreich asylberechtigt ist.

Am 21.01.2017 wurde die Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren. Die Erstbeschwerdeführerin stellte für sie als gesetzliche Vertreterin am 08.02.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es kann nicht festgestellt werden, ob Anzor MUSEAV ebenfalls der Vater der Zweitbeschwerdeführerin ist.

Die Erstbeschwerdeführerin hat bisher keine Deutschprüfungen abgelegt, war jedoch in der Lage, der mündlichen Verhandlung am 01.12.2017 zumindest teilweise auf Deutsch zu folgen.

Die Beschwerdeführerinnen beziehen Leistungen aus der Grundversorgung. Die Erstbeschwerdeführerin war bisher in Österreich nicht berufstätig.

Die volljährige Erstbeschwerdeführerin ist unbescholten.

Zu den Eltern und Brüdern der Erstbeschwerdeführerin, welche ebenfalls am 14.12.2011 Asylanträge gestellt hatten, ergeht ein gesondertes Erkenntnis.

Die Beschwerdeführerinnen leben mit den Eltern und Brüdern der Erstbeschwerdeführerin nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Es besteht jedoch regelmäßiger Kontakt, die Eltern unterstützen die Erstbeschwerdeführerin bei der Betreuung ihrer beiden Kinder.

Die Beschwerdeführerinnen zogen mit Schreiben vom 06.12.2017 die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. und II. der angefochtenen Bescheide zurück.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Identität der Beschwerdeführerinnen steht aufgrund der vorgelegten Identitätsdokumente fest.

In die Geburtsurkunde der Zweitbeschwerdeführerin wurde kein Vater eingetragen. Auch ein Vaterschaftsanerkenntnis liegt nicht vor. Im Gegensatz zu ihrer Schwester XXXX trägt die Zweitbeschwerdeführerin auch nicht den Nachnamen von XXXX . Es kann daher nicht festgestellt werden, ob es sich bei XXXX um den Vater der Zweitbeschwerdeführerin handelt.

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen sowie zu ihrer Schulbildung beruhen auf den gleichbleibenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren.

Die Deutschkenntnisse der Erstbeschwerdeführerin ergeben sich aus ihren eigenen Angaben sowie dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zur persönlichen Situation der Beschwerdeführerinnen sowie deren Integration in Österreich ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Rahmen des Verfahrens sowie aus den vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellung, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus dem aktuell eingeholten Strafregisterauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Zu Spruchpunkt I.:

Wird eine Beschwerde zurückgezogen, so ist das diesbezügliche Verfahren einzustellen (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 13 Rz 42; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, § 28 Anm. 5). Der behördliche Bescheid erlangt sodann formelle Rechtskraft.

Nachdem die Beschwerdeführerinnen ihre Beschwerden, soweit sie sich gegen Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide richteten, mit Schriftsatz vom 06.12.2017 rechtswirksam zurückgezogen haben, waren die Beschwerdeverfahren in diesem Umfang sohin gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG einzustellen (Vgl. hierzu B VwGH 29. 4. 2015, Fr 2014/20/0047).

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

Mit der Zurückziehung der Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. am 06.12.2017 sind die mit den angefochtenen Bescheiden vorgenommenen Abweisungen der Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz bzw. subsidiären Schutz in Rechtskraft erwachsen.

Gegenstand des nunmehrigen Verfahrens bildet daher allein ein Abspruch über die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, wobei in diesem Kontext grundsätzlich § 10 AsylG 2005, § 9 BFA-VG sowie die entsprechenden Bestimmungen des FPG anzuwenden sind.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

§ 55 AsylG 2005 lautet:

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

§ 57 AsylG 2005 lautet:

"§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt."

§ 58 AsylG 2005 lautet:

"§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitel gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird."

Die maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

§ 52 (1) [...]

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

[...]

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt."

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

der Grad der Integration,

die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführerinnen weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch die Beschwerdeführerinnen Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurden. Weder haben die Beschwerdeführerinnen das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Die Beschwerdeführerinnen verfügen über umfassende familiäre bzw. private Anknüpfungspunkte in Österreich. Die Eltern und Brüder der Erstbeschwerdeführerin (zu denen ein separates Erkenntnis ergeht) leben in Österreich. Die minderjährige Tochter der Erstbeschwerdeführerin ist in Österreich asylberechtigt und lebt mit ihrer Mutter und Schwester in einem gemeinsamen Haushalt. Im vorliegenden Fall kann daher von einer engen Verbundenheit der Beschwerdeführerinnen zu ihrer rechtmäßig in Österreich aufhältigen Tochter bzw. Schwester ausgegangen werden

Die Erstbeschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten. Sie befindet sich seit sechs Jahren, die Zweitbeschwerdeführerin seit ihrer Geburt in Österreich; die lange Verfahrensdauer ist den Beschwerdeführerinnen nicht zuzurechnen.

Somit ergibt sich aus all den dargelegten Umständen unzweifelhaft, dass die Beschwerdeführerinnen die Kriterien, die bei der Abwägung der betroffenen Interessen maßgeblich zu berücksichtigen sind, erfüllen und diese besonders intensiven privaten und familiären Interessen auch die öffentlichen Interessen an der Ausweisung überwiegen. Die Beschwerdeführerinnen führen ein Familienleben hoher Intensität mit ihrer in Österreich asylberechtigten Tochter bzw. Schwester.

Vor dem Hintergrund der getroffenen Sachlage ist unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur (Erk. d. VfGH vom 05.03.2008, B1859/07ua) im Rahmen einer Interessensabwägung gem. § 75 Abs. 20 AsylG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das erkennende Gericht auf Dauer unzulässig ist. Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im Rahmen einer Güterabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das private Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Familien- und Privatlebens der Beschwerdeführerinnen dennoch höher zu bewerten, als das öffentliche Interesse an einer Ausweisung. So ist auch keine ausreichende Rechtfertigung zu erkennen, warum öffentliche Interessen es zwingend erfordern würden, dass die Beschwerdeführerinnen Österreich verlassen müsste.

Da im Hinblick auf diese Abwägungen zum Entscheidungszeitpunkt die privaten Interessen der Beschwerdeführerinnen an der Aufrechterhaltung vor allem ihres Familienlebens in Österreich im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt, erweist sich die im angefochtenen Bescheid angeordnete Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat als unzulässig.

Daher war festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

3.4. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ("Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK") von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wird.

Auch das BVwG darf - in jeder Verfahrenskonstellation - über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 absprechen. Die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels ist vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst, weshalb in einem zu entscheiden ist (siehe ErläutRV 582 BlgNR 25. GP).

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Das Modul 1 dient gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 NAG dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung. Die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 hat gemäß § 14 Abs. 3 NAG der Integrationsvereinbarung hat der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen. Ziel des Deutsch-Integrationskurses (Modul 1 der Integrationsvereinbarung) ist gemäß § 7 Abs. 1 IV-V die Erreichung des A2-Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, wie im Rahmencurriculum für Deutsch-Integrationskurse (Anlage A) beschrieben. Den Abschluss des Deutsch-Integrationskurses bildet gemäß § 7 Abs. 2 IV-V eine Abschlussprüfung, zumindest auf dem A2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, durch den ÖIF. Als Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß §§ 14a Abs. 4 Z 2 oder 14b Abs. 2 Z 1 gelten gemäß § 9 Abs. 4 IV-V Zeugnisse des ÖIF nach erfolgreichem Abschluss einer Prüfung auf A2-Niveau oder B1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

3.4.1. Die Erstbeschwerdeführerin hat keinen Sprachnachweis des ÖIF vorgelegt (§ 14a Abs. 4 Z 1 NAG). Sie verfügt weder über einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG (§ 14a Abs. 4 Z 4 NAG), noch über einen Schulabschluss, der der allgemeinen Universitätsreife iSd § 64 Abs. 1 UG 2005 entspricht (§ 14a Abs. 4 Z 3 NAG). Sie hat auch keine allgemein anerkannten Sprachdiplome oder Kurszeugnisse, insbesondere vom "Österreichisches Sprachdiplom Deutsch", "Goethe-Institut e.V." oder der "Telc GmbH" (§ 9 Abs. 2 IV-V) vorgelegt. Sie übt zum Entscheidungszeitpunkt auch keine erlaubte Tätigkeit aus, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird.

Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 im Falle der Beschwerdeführerinnen in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit einer diese betreffenden Rückkehrentscheidung gegeben sind, war ihnen gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den Beschwerdeführerinnen den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, sondern ausschließlich das Resultat einer eingehenden diskursiven Glaubwürdigkeitsauseinandersetzung basierend auf den konkret im Verfahren präsentierten Angaben des Beschwerdeführers darstellt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bereits wiedergegebenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung, Rechtsanschauung des VwGH,
Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig, Zurückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W171.2156186.1.00

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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