Entscheidungsdatum
11.01.2018Norm
ASVG §4Spruch
L510 2104487-1/272E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über den Antrag der XXXX, vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer RAe, vom 05.09.2014, auf Feststellung dahingehend, dass die Tätigkeit von XXXX, XXXX, als Handelsvertreter für die XXXX vom Zeitpunkt der Antragstellung bis laufend nicht gem. § 4 Abs. 2 ASVG der Sozialversicherung unterliege, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, beschlossen:
A)
Der Antrag wird mangels österreichischer Zuständigkeit aufgrund der Vorlage einer A1-Entsendebescheinigung zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Die Antragstellerin, XXXX, vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer RAe, stellte während laufender GPLA neben weiteren Feststellungsanträgen den im Spruch bezeichneten Feststellungsantrag in Bezug auf Herrn XXXX (im Folgenden auch bezeichnet als "Herr G."). Die XXXX Gebietskrankenkasse (im Folgenden auch kurz bezeichnet als "GKK") wurde diesbezüglich säumig und legte mit Schreiben vom 19.03.2015 die von der Antragstellerin fristgerecht eingebrachte Säumnisbeschwerde betreffend Herrn G. (neben weiteren Säumnisbeschwerden) dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.
2. Mit Erkenntnis des BVwG vom 09.06.2015, GZ: L510 2104487-1/8E, wurden die Beschwerden der Antragstellerin wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG abgewiesen.
3. Mit Erkenntnis des VwGH v. 25.11.2015, Zl. Ra 2015/08/0102, wurde das durch die Antragstellerin bekämpfte Erkenntnis des BVwG aufgehoben und festgestellt, dass das BVwG im fortzusetzenden Verfahren aufgrund der der Behörde anzulastenden Säumnis über die Feststellungsanträge zu entscheiden habe.
4. Mit Beschluss des BVwG vom 04.03.2016, GZ: L510 2104487-1/28E, wurde das Verfahren infolge vermeinter Antragsrückziehung eingestellt.
5. Mit Erkenntnis des VwGH v. 28.04.2016, Zl. Ra 2016/08/0064-6, wurde der durch die Antragstellerin bekämpfte Beschluss des BVwG aufgehoben und festgestellt, dass gegen die sich aus der Rechtskraft des Erkenntnisses v. 25.11.2015 ergebende Bindungswirkung i.S.d. § 63 VwGG verstoßen wurde. Im fortgesetzten Verfahren wird das BVwG mit den Parteien eine allfällige Einschränkung oder Änderung der Feststellungsanträge zu erörtern haben.
6. Am 28.11.2016 wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und aufgrund der Anordnung des VwGH mit den Parteien eine allfällige Einschränkung oder Änderung der Feststellungsanträge erörtert. Dabei wurde durch die Vertretung der Antragstellerin dargelegt, dass sich der Antrag in Bezug auf Herrn G. auf den Zeitraum ab Antragstellung bis laufend bezieht.
7. Im Zuge des Verfahrens zur Feststellung der Versicherungspflicht legte Herr G. eine A1-Ensendebescheinigung vor. Als Status wurde Selbständiger in zwei oder mehr Staaten vermerkt. Als Arbeitgeber wurde Herr G. selbst als selbständig erwerbstätig angeführt. Anfangs- und Enddatum wurden mit 01.07.2014 bis 31.03.2019 festgelegt und sind nach dieser Bescheinigung die Rechtsvorschriften von Deutschland anzuwenden.
8. Seitens der GKK wurde im Verfahren dazu vorgebracht (VH-Protokoll v. 15.02.2017), dass Herr G. laut ZMR-Anfrage noch in Österreich, Zell am See, gemeldet ist.
9. Seitens der Antragstellerin wurde im Verfahren nichts Gegenteiliges vorgebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Antragstellerin stellte mit 05.09.2014 einen Antrag auf Feststellung dahingehend, dass die Tätigkeit von Herrn G. als Handelsvertreter für die XXXX vom Zeitpunkt der Antragstellung bis laufend nicht gem. § 4 Abs. 2 ASVG der Sozialversicherung unterliege.
Herr G. legte im Zuge des Verfahrens die o. a.
A1-Entsendebescheinigung vor, wonach die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften für den Zeitraum 01.07.2014 - 31.03.2019 bindend festgelegt wurde (Formular vom 18.09.2012 bzw. vom 18.06.2015).
2. Beweiswürdigung:
Der für die gegenständliche Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht relevante Sachverhalt ergibt sich aus der vorliegenden Aktenlage zweifelsfrei und wurde durch die Parteien nicht bestritten.
Die entsprechende A1-Entsendebescheinigung liegt in Kopie im Akt auf. Deren Echtheit wurde von den Parteien nicht in Zweifel gezogen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt gem. § 414 Abs. 2 ASVG iVm § 410 Abs. 1 ASVG Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Zurückweisung des Antrages wegen Bindungswirkung der A1-Entsendebescheinigung
Maßgebliche Rechtsgrundlagen:
Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist mit 01.05.2010 in Kraft getreten und gilt samt der dazu ergangenen Durchführungsverordnung VO 987/2009 ab diesem Zeitpunkt für Staatsangehörige der EU-Staaten im Verhältnis zu den einzelnen EU-Staaten.
Gemäß Art 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit [VO 883/2004] unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
Gemäß Abs. 3 lit. a leg. cit. unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats, vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16.
Gemäß Art. 12 Abs. 1 leg. cit. unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere entsandte Person ablöst.
Gemäß Art. 12 Abs. 2 leg. cit. unterliegt eine Person, die gewöhnlich in einem Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt und die eine ähnliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaates, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Tätigkeit 24 Monate nicht überschreitet.
Gemäß Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit [DVO 987/2009], der das Verfahren bei der Anwendung von Artikel 11 Absatz 3 Buchstaben b und d, Artikel 11 Absatz 4 und Artikel 12 der Grundverordnung (über die Unterrichtung der betroffenen Träger) regelt, unterrichtet, sofern nicht in Artikel 16 der Durchführungsverordnung etwas anderes bestimmt ist, der Arbeitgeber einer Person, die ihre Tätigkeit in einem anderen als dem nach Titel II der Grundverordnung zuständigen Mitgliedstaat ausübt, oder die betreffende Person selbst, wenn diese keine Beschäftigung als Arbeitnehmer ausübt, den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften die Person unterliegt, darüber; diese Unterrichtung erfolgt im Voraus, wann immer dies möglich ist. Dieser Träger stellt der betreffenden Person die Bescheinigung nach Artikel 19 Absatz 2 der Durchführungsverordnung aus und macht dem von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, bezeichneten Träger unverzüglich Informationen über die Rechtsvorschriften zugänglich, denen diese Person nach Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe b oder Artikel 12 der Grundverordnung unterliegt.
Gemäß Art 19 Abs. 2 DVO 987/2009 bescheinigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der Grundverordnung anzuwenden sind, auf Antrag der betreffenden Person oder ihres Arbeitgebers, dass und gegebenenfalls wie lange und unter welchen Umständen diese Rechtsvorschriften anzuwenden sind.
Gemäß Art. 5 Abs. 1 DVO 987/2009 sind vom Träger eines Mitgliedstaats ausgestellte Dokumente, in denen der Status einer Person für die Zwecke der Anwendung der Grundverordnung und der Durchführungsverordnung bescheinigt wird, sowie Belege, auf deren Grundlage die Dokumente ausgestellt wurden, für die Träger der anderen Mitgliedstaaten so lange verbindlich, wie sie nicht von dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgestellt wurden, widerrufen oder für ungültig erklärt werden.
[...]
Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:
Wurde in einem Mitgliedstaat gemäß Art. 19 Abs. 2 DVO 987/2009 ein A1-Dokument ausgestellt, wonach eine Person den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften dieses Mitgliedstaates unterworfen ist, so ist der zuständige Träger eines anderen Mitgliedstaats gemäß Art. 5 Abs. 2 DVO 987/2009 an die Angaben in der Bescheinigung gebunden und kann den fraglichen Arbeitnehmer nicht seinem eigenen System der sozialen Sicherheit unterstellen, so lange die Bescheinigung nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird (VwGH 19.12.2012, 2009/08/0255; 12.09.2012, 2010/08/0085; 23.05.2012, 2009/08/0204; 16.03.2011, 2010/08/0231; 26.11.2008, 2006/08/0346; 20.09.2006, 2004/08/0087).
Die GKK lehnt eine Bindungswirkung mit der Begründung ab, dass Herr G. noch aufrecht in Österreich gemeldet ist.
In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, welche auf der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union basiert.
Demnach bindet ein ausgestelltes A1-Dokument den zuständigen Träger des Beschäftigungsstaats in Bezug auf die anzuwendenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften, solange es nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt worden ist. Der an das A1-Dokument gebundene Mitgliedstaat kann bei Zweifeln an der Richtigkeit des diesem zugrunde liegenden Sachverhalts oder dessen rechtlicher Bewertung eine Überprüfung durch den ausstellenden Träger verlangen und - sofern es zu keiner Übereinstimmung kommt - die Verwaltungskommission um Vermittlung anrufen. Führt dies nicht zum Erfolg, kann er schließlich ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258ff AEUV anstrengen (VwGH 19.12.2012, 2009/08/0255; 12.09.2012, 2010/08/0085; 23.05.2012, 2009/08/0204; 16.03.2011, 2010/08/0231; 26.11.2008, 2006/08/0346; 20.09.2006, 2004/08/0087, jeweils unter Hinweis auf EuGH 30.03.2000, C-178/97, Banks u.a., RZ 39 ff; 10.02.2000, C-202/97, Fitzwilliam FTF, RZ 52ff; 26.01.2006, C-2/05, Herbosch Kiere NV, RZ 23ff). Auch ein Gericht des Beschäftigungsstaats ist nicht befugt die Gültigkeit einer Entsendebescheinigung zu überprüfen (EuGH 26.01.2006, C-2/05, Herbosch Kiere NV, RZ 33).
Die Rechtsprechung des EuGH zur Bindungswirkung ist zur Verordnung VO (EWG) 1408/71 und ihrer Durchführungsverordnung (EGW) 574/72 ergangen. Der Unionsrechtssetzer hat diese Rechtsprechung in die VO 883/2004 und DVO 987/2009 übernommen und in Art. 5 Abs. 1 DVO 987/2009 normiert, dass Dokumente, worunter auch das A1-Dokument zu subsumieren ist, sowie Belege, auf deren Grundlage die Dokumente ausgestellt wurden, für die Träger der anderen Mitgliedstaaten so lange verbindlich sind, wie sie nicht von dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgestellt wurden, widerrufen oder für ungültig erklärt werden.
Aus Sicht des BVwG ist somit davon auszugehen, dass diese Rechtsprechung auf die nunmehrige VO 883/2004 und DVO 987/2009 Anwendung findet, und daher jedenfalls von einer absoluten Bindungswirkung eines ausgestellten A1-Dokumentes auszugehen ist, welche auch das BVwG bindet.
Die A1-Entsendebescheinigung umfasst den gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum der Tätigkeit und ist auch nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt worden.
Lediglich die Angabe der GKK, dass Herr G. nach wie vor laut ZMR in Österreich gemeldet ist, kann zu keiner gegenteiligen Entscheidung führen.
Es ist somit keine Zuständigkeit eines österreichischen Sozialversicherungsträgers und auch keine Zuständigkeit des BVwG gegeben, was sich aus dem vorliegenden Bescheinigungsmittel ergibt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es fehlt an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, in wie weit die Rechtsprechung des EuGH zur absoluten Bindungswirkung sowie zur Rückwirkung von A1-Dokumenten, welche zur VO 1408/71 sowie zur DVO 574/72 ergangen ist, auf die VO 883/04 und die DVO 987/2009 übertragbar ist.
Schlagworte
Bindungswirkung, Revision zulässig, Unionsrecht, Zurückweisung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L510.2104487.1.00Zuletzt aktualisiert am
24.01.2018