Index
E3L E06302000;Norm
31989L0665 Rechtsmittel-RL Art1 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie Hofrat Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision der P GmbH in W, vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen den am 7. Juni 2016 mündlich verkündeten und am 29. November 2016 schriftlich ausgefertigten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes, W149 2125787-2/26E, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Parteien:
1. Bundesaltlastensanierungsges.m.b.H. in Wien, vertreten durch MMag. Dr. Claus Casati, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 1b/17, 2. Bietergemeinschaft bestehend aus G GmbH und
H GmbH in W, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Vorgeschichte
1 Die Bundesaltlastensanierungsges.m.b.H. (Auftraggeberin, erstmitbeteiligte Partei) führte im Jahr 2015 ein offenes Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich mit dem Leistungsgegenstand der Sanierung einer näher bezeichneten Altlast durch. Die P GmbH (Revisionswerberin) legte ebenso wie die Bietergemeinschaft G GmbH / H GmbH (zweitmitbeteiligte Partei) ein Angebot. Mit Schreiben vom 29. September 2015 gab die Auftraggeberin bekannt, dass das Angebot der zweitmitbeteiligten Partei ausgeschieden und der Zuschlag der Revisionswerberin erteilt werde.
2 Mit Erkenntnis vom 26. April 2016 gab das Bundesverwaltungsgericht den Anträgen der zweitmitbeteiligten Partei auf Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung und der Zuschlagsentscheidung jeweils statt und erklärte die beiden genannten Entscheidungen für nichtig.
Hinsichtlich der Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung hielt das Verwaltungsgericht fest, dass das Angebot der zweitmitbeteiligten Partei, soweit in näher bezeichneten Eventualpositionen jeweils "ALSAG-freie Leistungen" angeboten und die Formblätter K7 und K9 entsprechend ausgefüllt worden seien, nicht ausschreibungswidrig sei. Das Ausscheiden könne daher nicht auf § 129 Abs. 1 Z 7 Bundesvergabegesetz 2006 (BVergG 2006) gestützt werden. Im Hinblick auf die Vorlage der Erklärung einer befugten Verwertungsanlage als Subunternehmer könne auch nicht von einer fehlenden Befugnis oder technischen Leistungsfähigkeit ausgegangen werden, weshalb die Ausscheidensentscheidung nicht auf § 129 Abs. 1 Z 2 BVergG 2006 gestützt werden könne. Angesichts der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auslegung der Ausschreibungsunterlagen zu den Eventualpositionen könne auch keine fehlende Plausibilität des von der zweitmitbeteiligten Partei angebotenen Gesamtpreises erkannt werden, weshalb die Ausscheidensentscheidung nicht auf § 129 Abs. 1 Z 3 BVergG 2006 gestützt werden könne.
Da das im Vergabeverfahren verbliebene Angebot der zweitmitbeteiligten Partei keiner Bewertung gemäß den in der Ausschreibung niedergelegten Zuschlagskriterien unterzogen worden sei, sei auch die Zuschlagsentscheidung rechtswidrig.
3 Mit seinem Beschluss VwGH 12.9.2016, Ra 2016/04/0063, wies der Verwaltungsgerichtshof die dagegen erhobene Revision der
P GmbH zurück, weil in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen worden seien, denen grundsätzliche Bedeutung zukomme.
2. Angefochtener Beschluss
4 Bereits zuvor hatte die Auftraggeberin mit Zuschlagsentscheidung vom 28. April 2016 ihre Absicht erklärt, den Zuschlag im gegenständlichen Vergabeverfahren der zweitmitbeteiligten Partei zu erteilen. Die Revisionswerberin hatte daraufhin mit Schriftsatz vom 9. Mai 2016 die Nichtigerklärung dieser Zuschlagsentscheidung beantragt.
5 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht diesen Nichtigerklärungsantrag zurück und den Antrag auf Pauschalgebührenersatz ab. Die ordentliche Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
Der Revisionswerberin mangle es an der Antragslegitimation, weil ihr Angebot gemäß § 129 Abs. 1 Z 7 BVergG 2006 zwingend auszuscheiden gewesen wäre. Die Revisionswerberin habe in Verkennung der Ausschreibungsunterlagen "in diesen Positionen" keine Eventualleistungen angeboten. Dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. April 2016 sei aber zu entnehmen, dass in den "Positionen unter 07" jedenfalls Eventualpositionen anzubieten gewesen wären. Da eines der Angebote, nämlich jenes der zweitmitbeteiligten Partei, ausschreibungskonform gewesen sei, läge auch kein zwingender Widerrufsgrund vor.
Soweit die Revisionswerberin geltend mache, "das Angebot der (zweit)mitbeteiligten Partei sei (aus tw. neuen Gründen) sehr wohl - auch - auszuscheiden gewesen", verwies das Verwaltungsgericht "auf die formelle und materielle Rechtskraft" seines Erkenntnisses vom 26. April 2016. Auch die Behauptung, es handle sich um Ausscheidensgründe, die "im besagten Vorgängerverfahren nicht geprüft worden seien", führe zu keiner anderen Einschätzung. Das Verwaltungsgericht sei nämlich gehalten, auch solche Ausscheidensgründe zu prüfen, die sich aus den Akten oder indirekt aus dem Vorbringen oder vorgelegten Beweismitteln ergeben könnten. Weder die Revisionswerberin noch die Auftraggeberin hätten Hinweise gegeben, dass in Bezug auf das Angebot der zweitmitbeteiligten Partei noch weitere Ausscheidensgründe vorgelegen haben könnten. Es sei also davon auszugehen, "dass mit dem rechtskräftigen Erkenntnis im Vorgängerverfahren (vom 26. April 2016) abschließend über etwaige Ausscheidungsgründe auf Seiten des Angebots der jetzigen präsumtiven Zuschlagsempfängerin (der zweitmitbeteiligten Partei) entschieden" worden sei.
Ein anderer zwingender Widerrufsgrund sei nicht zu erkennen. Die von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Auslegung der Ausschreibung durch das Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 26. April 2016 sei kein erst nachträglich bekannt gewordener Umstand, der im Sinn des § 139 Abs. 1 Z 2 BVergG 2006 zwingend zum Widerruf der Ausschreibung führen müsse.
3. Revision
6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Sowohl die Auftraggeberin als auch die zweitmitbeteiligte Partei erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der die Zurückweisung, in eventu die Abweisung dieser Revision beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
4. Zulässigkeit
8 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit vor, dass ihr - abgesehen davon, dass ihr Angebot nicht auszuscheiden gewesen wäre - schon deshalb die Antragslegitimation zukomme, weil auch das Angebot der zweitmitbeteiligten Partei auszuscheiden (und das Vergabeverfahren zwingend zu widerrufen) gewesen wäre. Das Verwaltungsgericht hätte die von der Revisionswerberin geltend gemachten Ausscheidensgründe (hinsichtlich der zweitmitbeteiligten Partei) prüfen müssen. Zudem sei das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass mit der Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung im ersten Verfahren rechtskräftig die Ausschreibungskonformität des Angebotes der zweitmitbeteiligten Partei festgestellt worden sei. Zu diesen Fragen fehle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
9 Die Revision ist schon im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig.
5. Antragslegitimation eines auszuscheidenden Bieters 10 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in
seinem Urteil EuGH 4.7.2013, Fastweb, C-100/12, zur Frage der Antragslegitimation eines (behaupteter Maßen) auszuscheidenden Bieters Folgendes ausgesprochen:
"Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 EWG (...) ist dahin auszulegen, dass er, wenn im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens der erfolgreiche Bieter, dem der Auftrag erteilt wurde und der Widerklage erhoben hat, eine auf die fehlende Klagebefugnis des klagenden Bieters gestützte Einrede der Unzulässigkeit geltend macht, weil dessen Angebot wegen seiner Nichtübereinstimmung mit den in den Verdingungsunterlagen festgelegten technischen Anforderungen vom öffentlichen Auftraggeber hätte zurückgewiesen werden müssen, dem entgegensteht, dass die Klage nach der Vorabprüfung dieser Unzulässigkeitseinrede für unzulässig erklärt wird, ohne dass darüber entschieden wird, ob das Angebot des erfolgreichen Bieters, dem der Auftrag erteilt wurde, und dasjenige des Bieters, der Klage erhoben hat, den technischen Anforderungen entsprechen."
Nach den Ausführungen des EuGH könne die Widerklage des erfolgreichen Bieters dann nicht zur Abweisung der Klage eines Bieters führen, wenn die Ordnungsmäßigkeit des Angebots jedes dieser Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen desselben Verfahrens und aus gleichartigen Gründen in Frage gestellt wird. In einem solchen Fall könne sich jeder Wettbewerber auf ein berechtigtes Interesse am Ausschluss des Angebots der jeweils anderen berufen, was zu der Feststellung führen könne, dass es dem öffentlichen Auftraggeber unmöglich ist, ein ordnungsgemäßes Angebot auszuwählen (Rn. 33).
11 In seinem Urteil EuGH 5.4.2016, PFE, C-689/13, Rn. 29, hat der EuGH festgehalten, dass die Zahl der Teilnehmer am Vergabeverfahren ebenso wie die Zahl der Teilnehmer, die Klagen erhoben haben, und die Unterschiedlichkeit der von ihnen geltend gemachten Gründe für die Anwendung des sich aus dem Urteil Fastweb, C-100/12, ergebenden Rechtsgrundsatzes unerheblich ist.
12 Ausgehend davon ist das Verwaltungsgericht dem Grunde nach zutreffend davon ausgegangen, dass es für die Frage der Antragslegitimation der - seiner Ansicht nach auszuscheidenden - Revisionswerberin von Relevanz ist, ob auch alle anderen Angebote auszuscheiden gewesen wären (vgl. VwGH 24.6.2015, Ra 2014/04/0021, in dem es der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf das Urteil Fastweb, C-100/12, als maßgeblich angesehen hat, dass keine Hinweise darauf bestünden, dass sämtliche Angebote auszuscheiden gewesen wären).
13 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht seinem Beschluss zugrunde gelegt, dass die Angebote aller Bieter bis auf jenes der zweitmitbeteiligten Partei (somit der präsumtiven Zuschlagsempfängerin) auszuscheiden gewesen wären. Entscheidend ist daher, ob die Begründung des Verwaltungsgerichtes, wonach das Angebot der zweitmitbeteiligten Partei jedenfalls nicht auszuscheiden gewesen wäre, tragfähig ist.
6. Prüfung der Ausschreibungskonformität des Angebotes der präsumtiven Zuschlagsempfängerin
14 Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes ist mit seinem in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnis vom 26. April 2016, mit dem die Ausscheidensentscheidung der Auftraggeberin betreffend die zweitmitbeteiligte Partei vom 29. September 2015 für nichtig erklärt worden ist, abschließend über etwaige Ausscheidensgründe auf Seiten des Angebotes der zweitmitbeteiligten Partei entschieden worden.
15 Dieser Auffassung vermag sich der Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Gründen nicht anzuschließen:
16 Gegenständlich im hier zugrunde liegenden Nachprüfungsverfahren ist die Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin. Im Zuge der Beurteilung der Antragslegitimation der Revisionswerberin war dabei nach den oben dargestellten Grundsätzen (u.a.) zu prüfen, ob auch das Angebot der zweitmitbeteiligten Partei auszuscheiden gewesen wäre.
Gegenstand des (vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführten) Erkenntnisses vom 26. April 2016 war aber nicht eine abschließende und umfassende Beurteilung der Ausschreibungskonformität dieses Angebotes der zweitmitbeteiligten Partei, sondern die Nichtigerklärung einer konkreten Ausscheidensentscheidung der Auftraggeberin vom 29. September 2015 betreffend dieses Angebot. Eine rechtskräftige Entscheidung dahingehend, dass das Angebot der zweitmitbeteiligten Partei aus keinem Grund auszuscheiden bzw. in jeder Hinsicht ausschreibungskonform war, wurde mit dem genannten Erkenntnis nicht getroffen. Daran vermag auch die vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführte Verpflichtung, aus den Akten ersichtliche Ausscheidensgründe aufzugreifen, nichts zu ändern.
17 Es ist dem Verwaltungsgericht zwar unbenommen, Ermittlungsergebnisse, die etwa in einem früheren Nachprüfungsverfahren betreffend dasselbe Vergabeverfahren erzielt worden sind, begründend heranzuziehen bzw. zu verwerten.
Aber zum einen beschränkt sich das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss nicht auf ein derartiges Vorgehen, sondern es erachtet eine Prüfung der Ausschreibungskonformität des Angebotes der zweitmitbeteiligten Partei im Hinblick auf die Rechtskraft des genannten Erkenntnisses vom 26. April 2016 als nicht notwendig.
Zum anderen verweist das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss selbst darauf, dass die Revisionswerberin im gegenständlichen Verfahren auch neue (somit im Verfahren über die Ausscheidensentscheidung vom 29. September 2015 nicht behandelte) Ausscheidensgründe geltend gemacht habe. Soweit die zweitmitbeteiligte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung in diesem Zusammenhang ausführt, das Verwaltungsgericht habe sich bei seiner Entscheidung gerade nicht auf die Rechtskraft des Erkenntnisses vom 26. April 2016 gestützt, sondern sei vielmehr davon ausgegangen, dass die Revisionswerberin für ihren Standpunkt im nunmehrigen Verfahren nichts "Neues" vorgebracht habe, vermag sich dem der Verwaltungsgerichtshof angesichts des oben auszugsweise wiedergegebenen Wortlautes des angefochtenen Beschlusses nicht anzuschließen. Im Hinblick auf die Geltendmachung "neuer" Ausscheidensgründe könnte daher fallbezogen mit einem Heranziehen der Ergebnisse aus dem genannten ersten Verfahren ohnehin nicht das Auslangen gefunden werden.
18 Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die - vorliegend im Rahmen der Antragslegitimation der Revisionswerberin im Nachprüfungsverfahren betreffend die Zuschlagsentscheidung zugunsten der zweitmitbeteiligten Partei zu prüfende - Frage, ob das Angebot der zweitmitbeteiligten Partei (als präsumtiver Zuschlagsempfängerin) auszuscheiden gewesen wäre, durch das rechtskräftige Erkenntnis vom 26. April 2016 abschließend und bindend entschieden worden ist.
7. Ergebnis
19 Der angefochtene Beschluss war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
20 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil das Verwaltungsgericht - ein Tribunal im Sinn des Art. 6 EMRK und ein Gericht im Sinn des Art. 47 GRC - eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat und somit weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC der Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof entgegenstehen (siehe VwGH 11.5.2017, Ra 2016/04/0048, mwN).
21 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 20. Dezember 2017
Gerichtsentscheidung
EuGH 62012CJ0100 Fastweb VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017040003.L00Im RIS seit
23.01.2018Zuletzt aktualisiert am
01.02.2018