Entscheidungsdatum
28.08.2017Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art. 130 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Hornschall über die Maßnahmenbeschwerde der Frau D. M., vertreten durch VertretungsNetz – Sachwalterschaft, dieses vertreten durch Frau N. C., betreffend Verletzung in Rechten infolge Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Festnahme und Vorführung in das Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände zur Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen am 22.4.2017 durch Organe der Landespolizeidirektion Wien
zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 28 Abs. 1 und 6 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Festnahme und die Vorführung in das Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände zur Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen am 22.4.2017 durch Organe der Landespolizeidirektion Wien für rechtswidrig erklärt.
II. Gemäß § 35 VwGVG i.V.m. § 1 Ziffer 1 der Verwaltungsgerichts-Aufwandsersatzverordnung hat die Landespolizeidirektion Wien der Beschwerdeführerin, Frau D. M., als obsiegender Partei den Schriftsatzaufwand in der Höhe von € 737,60 binnen 14 Tagen ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz – VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG unzulässig.
Entscheidungsgründe
Gang des Verfahrens
Die Beschwerdeführerin, Frau D. M., vertreten durch VertretungsNetz – Sachwalterschaft, dieses vertreten durch Frau N. C., brachte mit Schreiben vom 30.5.2017 die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde beim Verwaltungsgericht Wien ein. Darin wird nach Schilderung des Sachverhaltes und Wiedergabe der Rechtslage im Wesentlichen ausgeführt, dass die Strafbescheide, welche der vollzogenen Ersatzfreiheitsstrafe zu Grunde liegen, der Beschwerdeführerin nicht rechtmäßig zugestellt wurden. Weiters sei der Vollzug einer Freiheitsstrafe am psychisch kranken Personen nicht zulässig und die angefochtene Maßnahme unverhältnismäßig. Die Beschwerdeführerin habe im Rahmen der Amtshandlung mitgeteilt, dass eine Sachwalterschaft durch das VertretungsNetz – Sachwalterschaft bestehe, weswegen nicht ohne weiteres von einer Uneinbringlichkeit der offenen Strafbeträge ausgegangen werden konnte. Der Beschwerde war der diesbezügliche Beschluss des Bezirksgerichtes vom 1.6.2016, GZ: 45 P 110/15v – 33, die Betrauung von Frau N. C. vom 6.6.2016 und das psychiatrisch-neurologische Gutachten des Herrn Univ.Doz. Dr. M. vom 25. vierten 2016 beigelegt.
In ihrer Gegenschrift vom 2.8.2017 bestritt im Wesentlichen die belangte Behörde, die Landespolizeidirektion Wien, die behauptete Mangelhaftigkeit der Zustellung der von ihr stammenden Strafbescheide. Unabhängig davon trat die belangte Behörde jedoch der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass bei besachwalteten Personen nicht ohne weitere Abklärung von der Uneinbringlichkeit von Strafbeträgen ausgegangen werden kann, nicht entgegen. Deshalb werde die behauptete Rechtswidrigkeit der Festnahme nicht bestritten. Zwar sei die Bestellung eines Sachwalters für die Beschwerdeführerin der belangten Behörde nicht bekannt gewesen, jedoch hätte sich die Beschwerdeführerin anlässlich der Vorführung gegenüber den Organen der belangten Behörde in diesem Sinne geäußert. Diese hätten zwar eine sofortige Abklärung versucht, was aber mit Rücksicht auf die Tageszeit gescheitert wäre. Das ändere freilich – zumindest im vorliegenden Fall – nichts an der Verpflichtung zur vorherigen Abklärung der von der Beschwerdeführerin aufgestellten Behauptung.
Beide Parteien begehrten im Falle ihres Obsiegens einen Kostenzuspruch gemäß § 35 VwGVG.
Feststellungen
Das Verwaltungsgericht Wien stellt folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:
Die Beschwerdeführerin, Frau D. M., wurde am 22.4.2017 gegen 22:00 Uhr in ihrer Wohnung in Wien, K.-Straße, von Organen der Landespolizeidirektion Wien festgenommen und sodann in das Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände zur Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen vorgeführt.
Zu diesem Zeitpunkt war für die Beschwerdeführerin durch Beschluss des Bezirksgerichtes vom 1.6.2016, GZ: 45 P 110/15v – 33 das VertretungsNetz – Sachwalterschaft als Sachwalter - unter anderem für die Vertretung vor Gerichten und Behörden - bestellt. Dieser Beschluss gehört nach wie vor dem Rechtsbestand an. Die Beschwerdeführerin gab im Zuge der Amtshandlung gegenüber den handelnden Organen auch an, dass eine Sachwalterschaft bestehe.
Nicht festgestellt werden konnte, dass die Organe der belangten Behörde konkrete Ermittlungen über das Bestehen einer Sachwalterschaft und die tatsächliche Uneinbringlichkeit der Geldstrafen durchführten.
Beweiswürdigung
Diese Feststellungen ergeben sich übereinstimmend aus der gegenständliche Maßnahmenbeschwerde, der Gegenschrift und dem vorgelegten Akt der belangten Behörde. Dass der der Beschluss des Bezirksgerichtes vom 1.6.2016 nach wie vor den Rechtsverstand angehört, wurde durch Anfrage beim Bezirksgericht verifiziert.
Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
Maßgebliche Rechtslage
Gemäß § 9 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG ist, insoweit die persönliche rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten infrage kommt, sie von der Behörde (…) nach Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.
Gemäß § 268 Abs. 1 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch – ABGB ist, vermag eine volljährige Person, die an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist (behinderte Person), alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, ihr auf ihren Antrag oder von Amts wegen dazu ein Sachwalter zu bestellen. (…)
Gemäß § 54b Abs. 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG ist, soweit eine Geldstrafe uneinbringlich ist oder dies mit Grund anzunehmen ist, die dem ausstehenden Betrag entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen. (...)
Gemäß § 37 AVG ist Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. (…)
Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG hat, wenn im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen, das Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. (…)
Rechtliche Beurteilung
Ad I.
Das Verwaltungsgericht Wien hat festgestellt, dass die Beschwerdeführerin im Zuge der gegenständlichen Amtshandlung gegenüber den handelnden Organen angab, dass eine Sachwalterschaft bestehe.
Eigenberechtigte, volljährige Personen verlieren ab Bestellung eines Sachwalters insoweit ihre Handlungs- und Prozessfähigkeit als die Vertretungsbefugnis des Sachwalters reicht (Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.3.2011, GZ: 2007/13/0100).
Deshalb wären die Organe der belangten Behörde gemäß § 37 AVG verpflichtet gewesen, vor Festnahme und Vorführung der Beschwerdeführerin vor die Strafvollzugsbehörde Ermittlungen anzustellen, ob für die Beschwerdeführerin tatsächlich eine Sachwalterschaft für die Vertretung vor Behörden besteht. Tatsächlich war am 22.4.2017 für die Beschwerdeführerin durch Beschluss des Bezirksgerichtes gemäß § 268 Abs. 1 ABGB das VertretungsNetz – Sachwalterschaft als Sachwalter - unter anderem für die Vertretung vor Gerichten und Behörden - bestellt. Daher war die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die in beschwerdegezogenen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt prozessunfähig und hätte der gerichtlich bestellte Sachwalter beigezogen werden müssen.
Ebenso wurden von den Organen der belangten Behörde entgegen § 54b Abs. 2 VStG iVm § 37 AVG keine amtswegigen Ermittlungen angestellt, ob die gegen die Beschwerdeführerin verhängten Geldstrafen tatsächlich uneinbringlich waren. Es wurde auch von der belangten Behörde kein Grund ins Treffen geführt, der auf eine Uneinbringlichkeit schließen hätte lassen.
Somit war spruchgemäß gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG die Festnahme und Vorführung der Beschwerdeführerin vor die Strafvollzugsbehörde am 22.4.2017 als rechtswidrig zu erklären. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte eine öffentliche mündliche Verhandlung entfallen.
Ad II.
Gem. § 35 VwGVG iVm den Bestimmungen der Verwaltungsgerichts-Aufwandsersatzverordnung war der belangten Behörde der Aufwandsersatz gegenüber der Beschwerdeführerin als obsiegender Partei aufzutragen.
Ad III.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Maßnahmenbeschwerde; Strafvollzug; Ersatzfreiheitsstrafe; Sachwalter; Sachwalterschaft; Besachwalterung; Festnahme; Vorführung; Haftunfähigkeit; psychisch kranke PersonEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.102.012.7671.2017Zuletzt aktualisiert am
23.01.2018