TE Lvwg Erkenntnis 2018/1/12 405-4/1734/1/8-2018

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.01.2018
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Entscheidungsdatum

12.01.2018

Index

90/02 Kraftfahrgesetz

Norm

KFG 1967 §103 Abs2
KFG 1967 §84 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat durch den Richter Mag. Walter Oberascher über die Beschwerde des Herrn AA, p.A. ZZ GmbH, AD, AC, Deutschland, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 13.12.2017, Zahl 30206-369/46507-2017.1,

z u R e c h t e r k a n n t :

I.       Gemäß §§ 38 und 50 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II.      Gemäß § 52 Abs 1 und 2 VwGVG hat der Beschwerdeführer einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von € 24 zu leisten.

III.     Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der belangten Behörde Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 13.12.2017 wurde dem Beschwerdeführer angelastet, er habe als Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 Abs 1 Verwaltungsstrafgesetz - VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Zulassungsbesitzerin ZZ GmbH zu verantworten, dass diese auf schriftliches Verlangen der Behörde vom 25.9.2017, zugestellt am 27.9.2017, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung keine nachvollziehbare Auskunft darüber erteilt hat, wer am 25.8.2017 um 23:46 Uhr das Kraftfahrzeug in Puch bei Hallein, A 10, bei Str-Km 011,840 Richtung Salzburg gelenkt hat.

Dadurch habe er eine Verwaltungsübertretung gemäß § 9 Abs 1 VStG iVm § 103 Abs 2 Kraftfahrgesetz – KFG begangen und wurde gemäß § 134 Abs 1 KFG eine Geldstrafe in der Höhe von € 120 (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) gegen ihn verhängt.

Dagegen brachte der Beschuldigte innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde ein, beantragte darin "die Einstellung des Verfahrens und Rücknahme der Straferkenntnis" und führte als Begründung Folgendes aus:

"Die Verwaltungsstrafe ist unzulässig.

Mit der Lenkererhebung vom 25.09.17 wollten Sie Erkenntnisse erzwingen, die gegen die Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Ihr Ersuchen kann nicht darauf abstellen, dass nach Ihrer Gesetzgebung Rechte der Auskunftsverweigerung zurücktreten. Diese würde auch gegen geltende Rechtsprechung der EU verstoßen.

Weiter wurde die Auskunft weder verweigert (Vgl. Email vom 28.09.17) noch nicht fristgemäß zugestellt, noch ungenau oder unrichtig erteilt. Richtig ist: Die Auskunft, die
gegeben werden konnte auf Basis der geltenden Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland wurde erteilt. Es konnte nach österreichischem Ersuchen lediglich nur deswegen keine Person benannt werden, weil es in Deutschland verboten ist, Daten über Personen zu erfassen, die ihr Einverständnis darüber nicht gegeben haben. Da der Wagen nicht auf einer Dienstfahrt war und die Privatnutzung griff, durfte und konnte die Einsatzplanung den Lenker nicht erfassen, da dies in Deutschland strafbar ist.

Wir sehen hier einen Konflikt zwischen den Gesetzgebungen innerhalb der EU. Es kann innerhalb der EU nicht strafbar sein, wenn die die Vermeidung der Strafe eine Straftat voraussetzt. Das widerspricht der europäischen Gesetzgebung.

Weiter hat die Behörde selbst versäumt, das Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen.

Wir erwiderten bereits in der Mail vom 11.12.17:

'Sie hatten am 25-09-17 eine Lenkererhebung veranlasst, jedoch versäumt, die Verkehrsübertretung nach § 84 KFG 1967 im Informationsschreiben zu benennen. Auch die Rechtsvorschrift, gegen die verstoßen wurde, wurde nicht genannt. Auch die Geräte, die eine Verkehrsübertretung erfasst haben, wurden nicht weiter benannt.'

Darauf hat die Behörde in Ihrem Schreiben vom 13.12.17 nichts erwidert. Damit hat die Behörde selbst ihre Auskunftspflicht verletzt. Erst im Schreiben vom 13.12.17 wurde erstmal ersichtlich, dass es sich um eine Geschwindigkeitsüberschreitung handelt. Ein Beweisfoto bzw. Geräte oder Zeugen, die die angebliche Übertretung registriert haben, wurden abermals nicht angegeben. Daher ist davon auszugehen, dass die Übertretung nicht nachweisbar ist. Unabhängig von einer nachweisbaren Schuld wurde jedenfalls versäumt die Beschuldigung im Zusammenhang mit der Lenkerermittlung vorzubringen, obwohl dies bei ausländischen Kennzeichen Pflicht gewesen wäre (Vgl. § 84 KFG 1967 Grenzüberschreitende Verfolgung von Verkehrsübertretungen)."

In dieser Beschwerdesache beraumte das Landesverwaltungsgericht Salzburg eine öffentliche mündliche Verhandlung an, in der der Beschuldigte gehört werden sollte. Nach Erhalt der Ladung teilte dieser mit, nicht persönlich an der Verhandlung teilnehmen zu können, er habe alles, was er zum Sachverhalt sagen könne, bereits mitgeteilt und weder etwas hinzuzufügen noch wegzunehmen. In weiterer Folge verzichtete der Beschwerdeführer ausdrücklich auf die Verhandlung und ersuchte um Entscheidung auf Basis der Aktenlage.

Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat hiezu in einer gemäß § 2 VwGVG durch einen
Einzelrichter zu treffenden Entscheidung Folgendes festgestellt und erwogen:

Der Beschuldigte ist Geschäftsführer der ZZ GmbH mit Sitz in AD, AC, Deutschland. Nach einer Anzeige der Verkehrsabteilung der Landespolizeidirektion Salzburg vom 21.9.2017 wegen einer Geschwindigkeitsübertretung wurde die ZZ GmbH als Zulassungsbesitzerin (Fahrzeughalterin) des Kraftfahrzeuges mit dem Kennzeichen XXX (D) mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 25.9.2017 aufgefordert, binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens mitzuteilen, wer am am 25.8.2017 um 23:46 Uhr das Kraftfahrzeug in Puch bei Hallein, A 10, bei Str-Km 011,840 Richtung Salzburg gelenkt hat. Darüber hinaus wurde in diesem der ZZ GmbH nachweislich am 27.9.2017 zugestellten Aufforderungsschreiben ausgeführt wie folgt:

"Wenn Sie diese Auskunft nicht selbst erteilen können, sind Sie verpflichtet, uns den Namen und die vollständige Adresse der Person bekannt zu geben, die die Auskunft erteilen kann. Diese trifft dann die Auskunftspflicht.

Wenn Sie diese Auskunft nicht fristgerecht erteilen, müssen wir gegen Sie ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Verletzung der Auskunftspflicht einleiten. Das gilt auch, wenn Sie eine ungenaue oder unrichtige Auskunft erteilen."

Mit E-Mail vom 28.9.2017 teilte die ZZ GmbH dazu Folgendes mitgeteilt:

"Wir können weder ermitteln noch mitteilen, wer zum angegebenen Zeitpunkt und Ort gelenkt hat. In Deutschland sind wir nicht verpflichtet, die Lenker zu erfassen bei Fahrzeugen, die auch privat genutzt werden können. Daher gibt es auch kein Fahrtenbuch. Mitarbeiter sind uns gegenüber nicht auskunftspflichtig. Eine Erfassung wäre unter anderem ein Verstoß gegen nationale Datenschutzgesetze in Deutschland. Dienstwagen dürfen grundsätzlich ohne Nachweis privat verwendet werden, sofern der Arbeitgeber nichts anderes festlegt. Die Versicherung des Wagens deckt Fahrer mit Führerschein ab 23 Jahren ohne Einschränkung des Personenkreises ab.

Wir sehen die angeforderte Auskunftspflicht nach Ihrer nationalen Gesetzgebung damit erfüllt."

In der Folge erließ die Bezirkshauptmannschaft Hallein am 5.12.2017 gegen den Beschuldigten als Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der ZZ GmbH eine Strafverfügung wegen der Nichterteilung der Lenkerauskunft (Übertretung der Bestimmung des § 103 Abs 2 KFG). In dem dagegen eingebrachten Einspruch vom 11.12.2017 führte der Beschuldigte als Begründung aus wie folgt:

"Sie hatten am 25?09?17 eine Lenkererhebung veranlasst, jedoch versäumt, die Verkehrsübertretung nach § 84 KFG 1967 im Informationsschreiben zu benennen. Auch die Rechtsvorschrift, gegen die verstoßen wurde, wurde nicht genannt. Auch die Geräte, die eine Verkehrsübertretung erfasst haben, wurden nicht weiter benannt.

Der Geschäftsführer hat es gerade nicht nach § 9(1) VStG unterlassen oder versäumt, Auskunft zu geben. Dass die Auskunft für Sie nicht befriedigend war, rechtfertigt nicht die Strafverfügung. Der Geschäftsführer legte sowohl telefonisch als auch per Mail dar, dass zum Zeitpunkt der Verkehrsordnungswidrigkeit das Fahrzeug in privater Nutzung war. Die Privatnutzung ist aus datenschutzrechtlichen Gründen in Deutschland nicht zu erfassen. Der Nutzerkreis ist zudem nicht festgelegt. Der Wagen ist keinem festen Fahrer zugeordnet. Gleichwohl ist die GmbH der nach Ihrer nationalen Gesetzgebung erforderlichen Pflicht der Auskunft nachgekommen."

Daraufhin erging das nunmehr angefochtene Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hallein vom 13.12.2017.

Dieser vom Beschwerdeführer unbestrittene Sachverhalt war der insoferne unbedenklichen Aktenlage der belangten Behörde zu entnehmen und der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde zu legen.

In rechtlicher Hinsicht ist dazu Folgendes auszuführen:

Die Bestimmungen des § 84 Abs 1 bis 4 Kraftfahrgesetz 1967 – KFG, BGBl Nr 267/1967 idF BGBl I Nr 40/2016, haben folgenden Wortlaut:

"Grenzüberschreitende Verfolgung von Verkehrsübertretungen

(1) Wenn bei den in § 47a Abs 3 Z 1 bis 8 genannten die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsübertretungen der Lenker eines Fahrzeuges mit ausländischem Kennzeichen nicht sofort festgestellt werden kann und das Kennzeichen des Fahrzeuges vorliegt, hat die Behörde im Wege eines automationsunterstützten Abrufs im Sinne des Art 4 der Richtlinie 2015/413/EU unter Angabe des vollständigen Kennzeichens im Wege der nationalen Kontaktstelle (§ 47a) den Fahrzeughalter (Zulassungsbesitzer) des Fahrzeuges zu ermitteln, mit dem die Verkehrsübertretung begangen worden ist.

(2) Wenn die Behörde die Daten des Fahrzeughalters (Zulassungsbesitzers) über die nationale Kontaktstelle in Erfahrung gebracht hat und beschließt Folgemaßnahmen einzuleiten, hat sie diesem ein Informationsschreiben zu übermitteln. Dieses Informationsschreiben hat jedenfalls zu enthalten

1.   die Verkehrsübertretung,

2.   den Ort, das Datum und die Uhrzeit der Verkehrsübertretung,

3.   die Bezeichnung der Rechtsvorschrift, gegen die verstoßen wurde sowie die Sanktion,

4.   gegebenenfalls Angaben zu dem zur Feststellung der Verkehrsübertretung verwendeten Gerät.

(3) Bei Verkehrsübertretungen für die die Behörde gemäß § 49a VStG eine Verordnung zur Ahndung im Wege von Anonymverfügungen erlassen hat, gilt das Informationsschreiben als Anonymverfügung, sofern die an die Anonymverfügung geknüpften Erfordernisse des § 49a VStG eingehalten werden.

(4) Die Behörde kann das Informationsschreiben gemäß Abs 2 mit einer Lenkererhebung gemäß § 103 Abs 2 verbinden. In diesem Fall hat das Schreiben Informationen über die Folgen der Nichtbekanntgabe oder einer unrichtigen oder unvollständigen Angabe über den Lenker zu enthalten."

Gemäß § 103 Abs 2 KFG kann die Behörde Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt oder einen nach dem Kennzeichen bestimmten Anhänger verwendet hat bzw zuletzt vor einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt hat. Diese Auskünfte, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer – im Falle von Probe- oder Überstellungsfahrten der Besitzer der Bewilligung – zu erteilen; kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann, diese trifft dann die Auskunftspflicht; die Angaben des Auskunftspflichtigen entbinden die Behörde nicht, diese Angaben zu überprüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheint. Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht gegeben werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen. (Verfassungsbestimmung) Gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, treten Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass für die Beurteilung des verfahrensgegenständlichen Sachverhaltes österreichisches Recht anzuwenden ist, zumal der Tatort der der Beschuldigten zur Last gelegten Verwaltungsübertretung in Österreich liegt (vgl VwGH verstärkter Senat vom 31.1.1996, 93/03/0156; 26.5.1999, 99/03/0074 mit weiteren Hinweisen). Dass die deutsche Rechtsordnung eine Lenkerauskunft im Sinne des § 103 Abs 2 KFG nicht kennt, spielt keine Rolle, wenn der Tatort in Österreich gelegen ist (VwGH vom 27.6.1997, 97/02/0220).

Nach der österreichischen Rechtslage treten im Fall einer Lenkeranfrage gemäß der zitierten Bestimmung des Kraftfahrgesetzes Aussageverweigerungsrechte auf Grund einer besonderen Verfassungsbestimmung ausdrücklich zurück. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in gleich gelagerten Sachverhalten (Verstöße gegen nationale Verpflichtungen zur Lenkerauskunft) in zwischenzeitlich ständiger Rechtsprechung keine Verletzung gegen das sich aus Art 6 Abs 1 EMRK ergebende "Recht zu Schweigen" festgestellt (vgl zB EGMR vom 3.5.2005, Nr 52.167/99, Fischbach-Mavromatis gegen Österreich; EGMR vom 10.1.2008, Nr 58.452/00 und 61.920/00, Lückhof und Spanner gegen Österreich bzw EGMR vom 29.6.2007, Nr 15.809/02 und 25.624/02, O'Halloran und Francis gegen das Vereinigte Königreich zur vergleichbaren englischen Rechtslage).

Die Bestimmung des § 103 Abs 2 KFG beinhaltet eine Sondervorschrift über die Aussagepflicht, die nach ihrem Inhalt nicht nur die Anwendung des § 38 VStG über das Entschlagungsrecht, sondern auch des § 33 VStG über die Unzulässigkeit der Erzwingung der Beantwortung einer an den Beschuldigten gestellten Frage ausschließt (vgl zB VwGH vom 18.5.1984, 84/02/0166). Die Verpflichtung zur Lenkerauskunft ist durch die Verfassungsbestimmung des letzten Satzes des Abs 2 gedeckt (VfGH vom 29.9.1988, G 72/88). In diesem Erkenntnis führte der Verfassungsgerichtshof uA Folgendes aus:

"Schließlich handelt es sich bei der vom VfGH in Prüfung gezogenen Rechtsvorschrift des
§ 103 Abs 2 KFG um ein unentbehrliches Instrument zur Kontrolle und Überwachung des fließenden Verkehrs bzw zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung und des Kraftfahrgesetzes. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass zahlreiche Vorschriften der Straßenverkehrsordnung und des Kraftfahrgesetzes letztendlich ebenfalls dem Schutz von Rechtsgütern bzw Rechten dienen, welche durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger bzw durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantiert sind. …

Aus dem Gesagten folgt, dass die in Prüfung stehende Regelung durch die Verfassungsbestimmung des letzten Satzes des § 103 Abs2 KFG idF BGBl. 106/1986 verfassungsrechtlich gedeckt ist, weshalb sie weder Art 90 Abs 2 B-VG noch Art 6 MRK – den der VfGH (bloß) in seiner innerstaatlichen Maßstabfunktion anzuwenden hat – verletzt. Sie ist daher nicht als verfassungswidrig aufzuheben."

Zur behaupteten Europarechtswidrigkeit ist generell auszuführen, dass aus Art 6 Abs 2 EUV nicht ableitbar ist, dass die Rezeption der EMRK in das Gemeinschaftsrecht durch den EUV bewirkt hätte, dass es zu einer generellen Verdrängung entgegenstehender nationaler Vorschriften (also über den Bereich der Vollziehung von Gemeinschaftsrecht hinaus) gekommen wäre. Eine Rechtsverletzung durch die Anwendung des § 103 Abs 2 KFG liegt daher mangels Zusammenhang mit der Vollziehung von Gemeinschaftsrecht nicht vor (vgl VwGH vom 26.4.1999, 97/17/0334). Darüber hinaus hat die Europäische Kommission für Menschenrechte in der Entscheidung vom 5.9.1989 über die Beschwerden Nrn 15.135/89, 15.136/89 und 15.137/89 (siehe ÖJZ 1990, 216) festgestellt, dass die Auskunftspflicht nach § 103 Abs 2 KFG nicht gegen Art 6 EMRK verstößt (VwGH vom 26.5.2000, 2000/02/0115).

Auch kann der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen in Bezug auf die Bestimmungen des § 84 KFG nichts für seinen Standpunkt gewinnen. Diese Vorschriften über die grenzüberschreitende Verfolgung von Verkehrsübertretungen dienen der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/413 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2015 zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte, welche die Zielsetzung verfolgt, allen Straßenverkehrsteilnehmern in der Union ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten, indem der grenzüberschreitende Informationsaustausch über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte und dadurch die Durchsetzung von Sanktionen erleichtert wird, wenn die Delikte mit einem in einem anderen Mitgliedstaat als dem Deliktsmitgliedstaat zugelassenen Fahrzeug begangen werden (Art 1). Geschwindigkeitsübertretungen fallen gemäß Art 2 lit a in den Geltungsbereich dieser Richtlinie. Nach Art 5 Abs 1 der Richtlinie informiert der Mitgliedstaat, in dem das Delikt begangen wurde, in dem Fall, dass dieser beschließt, in Bezug auf das Verkehrsdelikt Folgemaßnahmen einzuleiten,
"in Übereinstimmung mit seinen nationalen Rechtsvorschriften den Eigentümer, den Halter des Fahrzeugs oder die anderweitig identifizierte Person, die des die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikts verdächtig ist". Bei der Übermittlung des Informationsschreibens fügt der Deliktsmitgliedsstaat gemäß seinem Recht alle einschlägigen Informationen, insbesondere die Art des betreffenden die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikts, den Ort, das Datum und die Uhrzeit des Delikts, den Titel der Rechtsvorschriften des einzelstaatlichen Rechts, gegen das verstoßen wurde, sowie die Sanktion und gegebenenfalls Daten zu dem zur Feststellung des Delikts verwendeten Gerät bei, wobei das im Anhang II enthaltene Musterformblatt verwendet werden kann (Art 5 Abs 2 der Richtlinie). In diesem Formblatt für das Informationsschreiben ist ua Folgendes angeführt:

"Die Geldbuße/Geldstrafe für dieses die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikt beträgt ………… EUR/Landeswährung.

Zahlungstermin: ……………………

Falls Sie diese Geldbuße/Geldstrafe nicht zahlen, füllen Sie bitte das angehängte Antwortformular (Seite 4) aus und senden Sie es an die angegebene Anschrift."

Sowohl daraus als auch aus dem ersten Satz der Bestimmung des § 84 Abs 2 KFG lässt sich entnehmen, dass die Übermittlung eines Informationsschreibens (nur) dann zu erfolgen hat, wenn die Behörde "Folgemaßnahmen" beschließt. Aus der Zielsetzung und dem Inhalt der Richtlinie im Zusammenhalt mit dem Inhalt des Musterformblattes für das Informationsschreiben ergibt sich, dass mit solchen Folgemaßnahmen in Bezug auf die angezeigte Geschwindigkeitsübertretung nur die Einleitung eines Strafverfahrens gemeint sein kann. Dies steht auch im Einklang mit der Bestimmung des § 84 Abs 3 KFG, wonach bei Verkehrsübertretungen, für die die Behörde gemäß § 49a VStG eine Verordnung zur Ahndung im Wege von Anonymverfügungen erlassen hat, das Informationsschreiben als Anonymverfügung gilt, sofern die an diese geknüpften Erfordernisse des § 49a VStG eingehalten werden.

Im verfahrensgegenständlichen Fall wurde jedoch weder ein Strafverfahren gegen die Zulassungsbesitzerin des Kraftfahrzeuges noch gegen den Beschuldigten als Geschäftsführer der ZZ GmbH noch gegen eine andere Person wegen des die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikts (hier: Geschwindigkeitsübertretung) eingeleitet. Vielmehr wurde lediglich ein Auskunftsbegehren an die ZZ GmbH als Zulassungsbesitzerin (Fahrzeughalterin) des Kraftfahrzeuges gerichtet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Aufforderung zur Auskunftserteilung jedoch keine Verfolgungshandlung wegen einer Verwaltungsübertretung, sondern eine vom Vorwurf eines Deliktes völlig unabhängige, administrative Maßnahme dar, die wie oben dargestellt in Übereinstimmung mit den inländischen Verfassungsbestimmungen und der EMRK das Anliegen des Gesetzgebers unterstützt, eine effektive Verkehrsüberwachung und damit größtmögliche Verkehrssicherheit zu gewährleisten (VwGH vom 11.5.1973, 867/72, VwSlg 8414 A/1973; 9.11.1984, 84/02B/0029; 18.3.2003, 2002/11/0259; 22.7.2010, 2010/11/0061). Nach ständiger oberstgerichtlicher Judikatur rechtfertigt es das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit, durch die Anwendung von Zwang außerhalb eines Strafverfahrens Informationen zu erlangen, die es der Behörde ermöglichen, bestimmte Personen, wie etwa Zeugen eines Vorfalles oder den verantwortlichen Lenker eines Kraftfahrzeuges jederzeit ohne langwierige und umfangreiche Erhebungen festzustellen (vgl zB VwGH vom 23.4.2010, 2010/02/0090, mwH). Die Bestimmung des § 103 Abs 2 KFG schützt das Interesse an einer jederzeit und ohne unnötige Verzögerung möglichen Ermittlung von Personen, die im Verdacht stehen, eine straßenpolizeiliche oder kraftfahrrechtliche Übertretung begangen zu haben, mithin das Interesse an einer raschen und lückenlosen Strafverfolgung (zB VwGH vom 22.3.2000, 99/03/0434, mwH; 19.12.2014, Ra 2014/02/0081).

Für die Auskunftserteilung im Sinne des § 103 Abs 2 KFG ist das Verlangen der Behörde Tatbestandsmerkmal. Ein derartiges Verlangen ist Gegenstand eines Administrativverfahrens und darf daher grundsätzlich mit einem Verwaltungsstrafverfahren nicht vermengt werden; in diesem Administrativverfahren ist der Zulassungsbesitzer nicht berechtigt, durch Nichtbeantwortung der an ihn gestellten Anfrage die Aussage zu verweigern (zB VwGH vom 2.3.1972, 0527/71; 11.5.1973, 0867/72, VwSlg 8414 A/1973; 19.6.1978, 0439/78).

Da das Verfahren, in dem die Aufforderung zur Auskunftserteilung gemäß § 103 Abs 2 KFG ergeht, sohin ein Administrativverfahren ist, in dem der Zulassungsbesitzer Partei und nicht Beschuldigter ist, finden die Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2015/413 und des § 84 KFG über das Informationsschreiben auf dieses Verfahren keine Anwendung und geht das Vorbringen des Beschwerdeführers daher ins Leere.

Dessen ungeachtet handelt es sich beim Verfahren wegen einer Übertretung des § 103 Abs 2 KFG durch Verletzung der dort vorgeschriebenen Auskunftspflicht durch den Zulassungsbesitzer nicht um ein Administrativverfahren, sondern um ein Verwaltungsstrafverfahren (zB VwGH vom 21.6.2013, 2013/02/0097). Diese Verwaltungsübertretung fällt jedoch nicht in der Anwendungsbereich der zitierten EU-Richtlinie (vgl Art 2 der Richtlinie und § 84 Abs 1 iVm § 47a Abs 3 Z 1 bis 8 KFG).

Gegenstand eines Verwaltungsstrafverfahrens nach § 103 Abs 2 KFG ist allein die Frage, ob die zur Auskunft verpflichtete Person eine dem Gesetz entsprechende, vollständige und richtige Auskunft innerhalb der vom Gesetzgeber festgesetzten Frist erteilt hat. Auf die Ursachen und Gründe einer nicht gesetzesgemäßen Auskunftserteilung kommt es nicht an. Der objektive Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach § 103 Abs 2 KFG ist erfüllt, wenn eine Lenkerauskunft des Zulassungsbesitzers nicht richtig und vollständig erfolgt ist (vgl zB VwGH vom 3.11.2000, 2000/02/0194; 19.12.2014, Ra 2014/02/0081; 25.2.2015, Ra 2014/02/0179; 7.7.2016, Ra 2016/02/0141).

Die gesetzliche Auskunftspflicht gemäß § 103 Abs 2 KFG 1967 ist auch nicht davon abhängig, dass rechtmäßiger Weise eine Bestrafung des Lenkers wegen einer Verwaltungsübertretung erfolgen darf (vgl zB VwGH vom 11.5.1990, 89/18/0177; 19.12.2014, Ra 2014/02/0081; VfGH vom 2.6.1973, B 71/73, VfSlg 7056). Die Lenkeranfrage darf seitens der Behörde lediglich nicht grundlos und somit willkürlich erfolgen (zB VwGH vom 15.1.1992, 91/03/0349; 12.7.1994, 92/03/0200), wofür angesichts der für die Lenkeranfrage Anlass gegeben habenden Verwaltungsübertretung kein Hinweis besteht.

Bei der Übertretung der zitierten Bestimmung des Kraftfahrgesetzes handelt es sich um ein Ungehorsamsdelikt im Sinne des § 5 Abs 1 VStG und genügt dafür daher fahrlässiges Verhalten (vgl zB VwGH vom 6.3.1979, 2093/77; 2.9.1992, 92/02/0170). Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu ausgesprochen, dass für deutsche Staatsbürger spätestens im Zeitpunkt, als diese ernsthaft mit der Verbringung des Kraftfahrzeuges nach Österreich rechnen mussten, Anlass besteht, sich mit den einschlägigen Normen der österreichischen Rechtsordnung vertraut zu machen (VwGH vom 3.9.2003, 2003/02/0012, mwN). Im Übrigen wurde in der Lenkeranfrage auf die bestehende Auskunftsverpflichtung und die Folgen der Nichtbeantwortung ausdrücklich hingewiesen.

Ist bei einer juristischen Person keine Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs 2 VStG erfolgt, so ist jeder zur Vertretung nach außen Berufene der juristischen Person für die Beantwortung einer Anfrage nach § 103 Abs 2 KFG zuständig und für die Nichterteilung der Auskunft strafrechtlich verantwortlich (vgl zB VwGH vom 30.6.1982, 82/03/0032). Auch wenn die Lenkeranfrage nicht an den handelsrechtlichen Geschäftsführer einer GmbH, sondern an die GmbH ergangen ist, ist der Geschäftsführer gemäß § 9 Abs 1 VStG somit für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch die Gesellschaft verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich (zB VwGH vom 14.12.1994, 94/03/0138; 17.12.1999, 98/02/0384).

Im verfahrensgegenständlichen Fall war die Lenkeranfrage der Behörde unmissverständlich; die Anführung der konkreten Verwaltungsübertretung ist nicht erforderlich, diese wäre lediglich eine zulässige Information über den Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahrens, in dessen Rahmen die Anfrage erfolgt (VwGH vom 12.12.2001, 2000/03/0235; 10.10.2014, Ro 2014/02/0114).

Gegenständlich wurde ohne Zweifel der Auskunftspflicht im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen nicht nachgekommen, zumal innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen keine Auskunft darüber erteilt worden ist, wer das Kraftfahrzeug zum angeführten Zeitpunkt gelenkt hatte. Der Lenker wurde auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht bekannt gegeben. Da auf die Lenkeranfrage (innerhalb der gesetzlichen Frist) keine Auskunft erteilt worden ist, war ohne Zweifel von der Tatbildlichkeit des vorliegenden Sachverhaltes im Sinne der dem Beschuldigten vorgeworfenen Übertretung auszugehen (zB VwGH vom 22.12.1969, 1104/69, ZVR 1970/199; 17.3.1982, 81/03/0021; 19.11.1982, 82/02/0171; 29.1.1992, 91/02/0128). Es ist somit festzustellen, dass die Bestrafung des Beschuldigten durch die belangte Behörde zu Recht erfolgt ist. Dem Beschuldigten war jedenfalls eine fahrlässige Begehung der Tat anzulasten.

Zur Strafbemessung ist auszuführen:

Gemäß § 19 Abs 1 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Nach Abs 2 dieser Norm sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen und ist auf das Ausmaß des Verschuldens besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Nach § 134 Abs 1 KFG ist die zu beurteilende Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe bis zu € 5.000, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu sechs Wochen, zu bestrafen. Über den Beschuldigten wurde sohin eine Geldstrafe in Höhe von 2,4 Prozent der gesetzlichen Höchststrafe verhängt.

Der Bestimmung des § 103 Abs 2 KFG liegt die Absicht des Gesetzgebers zugrunde,
sicherzustellen, dass der verantwortliche Lenker eines Kraftfahrzeuges jederzeit ohne langwierige oder umfangreiche Erhebungen von der Behörde festgestellt werden kann. Der Unrechtsgehalt der zu beurteilenden Tat ist daher erheblich.

Als strafmildernd wurde die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit – zumindest in Österreich – berücksichtigt, besondere Erschwerungsgründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Zu seinen Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnissen machte der Beschuldigte keine Angaben, es war daher von durchschnittlichen und geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen auszugehen.

Unter Berücksichtigung der angeführten Kriterien entspricht die verhängte Strafe, die im untersten Bereich des gesetzlichen Strafrahmens liegt, sohin den Strafbemessungskriterien des § 19 VStG. Sie war aus spezialpräventiven Gründen jedenfalls erforderlich, um dem Beschuldigten das Unrecht der Tat vor Augen zu führen und ihn in Zukunft von ähnlichen Übertretungen abzuhalten. Die Strafhöhe erscheint auch aus generalpräventiven Gründen erforderlich, um zukünftig derartige Verwaltungsübertretungen wirksam zurückzudrängen.

Unter Zugrundelegung obiger Ausführungen erweist sich die Beschwerde des Beschuldigten als unbegründet und war der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses somit zu bestätigen. Gemäß § 52 Abs 1 und 2 VwGVG war als Beitrag des Bestraften zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens ein Betrag in Höhe von 20 Prozent der verhängten Strafe auszusprechen. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist zulässig, weil zur Bestimmung des § 84 Kraftfahrgesetz 1967 bislang keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt.

Darüber hinaus war jedoch keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, und weicht die gegenständliche Entscheidung im Übrigen weder von der ausführlich dargestellten bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 103 Abs 2 KFG ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die dazu vorliegende Rechtsprechung ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Richtlinie 2015/413/EU, Informationsschreiben nicht erforderlich, Lenkeranfrage, Administrativverfahren, Nichterteilung der Lenkerauskunft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGSA:2018:405.4.1734.1.8.2018

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Salzburg LVwg Salzburg, https://www.salzburg.gv.at/lvwg
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