RS Vfgh 2017/12/12 V101/2017 (V101/2017-11)

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Veröffentlicht am 12.12.2017
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Index

L9200 Sozialhilfe, Grundsicherung, Mindestsicherung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
Vlbg MindestsicherungsV §5, §6, §7, §13, §14
Vlbg MindestsicherungsG §5, §8

Leitsatz

Abweisung des Antrags des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg auf Aufhebung von Bestimmungen der Vlbg Mindestsicherungsverordnung betreffend den Ersatz von Geld- durch Sachleistungen, die Mindestsicherungssätze für Personen in bestimmten Wohngemeinschaften und die Staffelung für Mehrkindfamilien sowie den Wohnkostenersatz im Hinblick auf die festgelegten Höchstsätze und die Wartefrist für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte; Unsachlichkeit jedoch der Übergangsregelung für Personen mit bereits erlangtem Asyl- oder Schutzberechtigtenstatus

Rechtssatz

Die Bedenken des Landesvolksanwaltes hinsichtlich der Wortfolge "durch Sachleistungen ersetzt sowie" in §5 Abs4 Vlbg MindestsicherungsV (Vlbg MSV) idF LGBl 40/2017 treffen nicht zu.

Gem §8 Vlbg MindestsicherungsG (Vlbg MSG) können anstelle von Geldleistungen Sachleistungen gewährt werden, wenn dadurch der Erfolg der Mindestsicherung besser gewährleistet erscheint. Angesichts des weiten Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers im Bereich der Gewährung von Leistungen der Mindestsicherung bestehen keine Bedenken gegen eine solche Regelung.

Die Regelung des §5 Abs4 Vlbg MSV überschreitet auch nicht die durch §8 Vlbg MSG festgelegte gesetzliche Grundlage.

Hinsichtlich der Differenzierung bei den Mindestsicherungssätzen zwischen Alleinstehenden, Alleinerziehenden, Personen in Krisenbetreuungseinrichtungen und Personen in therapeutischen Wohngemeinschaften, deren Wohnplatz im Rahmen der Integrationshilfe gewährt wird, einerseits und Personen in gewöhnlichen Wohngemeinschaften andererseits (§6 Abs1 lita und litc Vlbg MSV) hat der Verordnungsgeber den Vorgaben des Gesetzes (vgl §5 Abs1, §8 Abs8 Vlbg MSG) entsprochen, wenn er im Rahmen einer Durchschnittsbetrachtung davon ausgeht, dass in Wohngemeinschaften im Verhältnis zu Haushalten von Alleinstehenden grundsätzlich von einem geringeren Aufwand für den Lebensunterhalt pro Person auszugehen ist, da regelmäßig eine Kostenersparnis insbesondere im Bereich des Hausrates, der Heizung und des Stromes anzunehmen ist. Ebenso wenig überschreitet der Verordnungsgeber die gesetzliche Grundlage, wenn er die Armutsgefährdung von alleinerziehenden Personen besonders berücksichtigt und diese Personen hinsichtlich ihres eigenen Bedarfes mit alleinstehenden Personen gleichstellt.

Der Aufenthalt von Personen in therapeutischen Wohngemeinschaften ebenso wie jener in Krisenbetreuungs- oder betreuten Wohnungsloseneinrichtungen ist mit einer herkömmlichen Wohngemeinschaft nicht vergleichbar, da die Gemeinschaft hier ausschließlich auf einen besonderen therapeutischen Bedarf oder eine schwerwiegende Krisensituation zurückzuführen ist. Darüber hinaus besteht das Ziel dieser - vorübergehenden - Wohngemeinschaften in der bestmöglichen Vorbereitung auf ein möglichst rasches selbstständiges Wohnen. Es ist daher nicht unsachlich, wenn der Verordnungsgeber diese Formen von Wohngemeinschaften von herkömmlichen Wohngemeinschaften differenziert und einen höheren Bedarf annimmt.

Ebenso wenig überschreitet der Verordnungsgeber die gesetzliche Grundlage, wenn er in einer Durchschnittsbetrachtung davon ausgeht, dass ein solcher erhöhter Bedarf für Personen in therapeutischen Wohngemeinschaften, deren Wohnplatz im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe finanziert wird, nicht besteht, da es sich dabei im Regelfall um minderjährige Personen handelt, die regelmäßig im Rahmen dieser Wohngemeinschaften keinen eigenen Haushalt führen und darüber hinaus auch durch ermäßigte Kinder- und Jugendtarife geringere Lebensunterhaltskosten aufweisen.

Die degressive Staffelung der Mindestsicherungsbeträge ab der vierten minderjährigen Person, für die ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, (§6 Abs1 litb Vlbg MSV) korrespondiert mit der Erhöhung der Familienbeihilfe bei entsprechender Anzahl der Kinder. Damit knüpft der Verordnungsgeber in Übereinstimmung mit §5 Abs1 Vlbg MSG in sachlicher Weise am Bedarf der jeweiligen Personen an und berücksichtigt die Familienbeihilfe.

Das bundesstaatliche Berücksichtigungsgebot steht der Regelung nicht entgegen: Es handelt sich bei §6 Vlbg MSV um Leistungen mit der Zweckbestimmung der Mindestsicherung des Lebensunterhaltes, bei denen bei einer entsprechend steigenden Anzahl der in einem Haushalt lebenden Kinder beim Bedarf an Lebensunterhaltskosten gewisse Synergieeffekte und mehrfache Nutzungsmöglichkeiten etwa von Kleidung, Spielsachen, Möbeln berücksichtigt werden dürfen. Auch die vom Bund geleisteten, bei Mehrkindfamilien erhöhten Familienbeihilfen verfolgen keine spezifischen, einer Anrechnung entgegenstehenden Ziele.

Mit der Festlegung pauschalierter Höchstsätze für den Wohnbedarf je Haushaltsgröße (§7 Abs1 Vlbg MSV) hat der Vorarlberger Verordnungsgeber im Ergebnis eine nicht zu beanstandende Regelung der Mindestsicherung im Bereich des Wohnbedarfes getroffen, die zum einen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben die Haushaltsgröße berücksichtigt, zum anderen vorschreibt, dass eine allfällige Überschreitung der festgelegten Höchstsätze in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen zu gewähren ist. Auch kann dem vom Vorarlberger Landesgesetzgeber verfolgten Ziel, mit der Änderung der Gesetzeslage im Hinblick auf die Höhe der insgesamt gewährleisteten Mindestsicherungsleistungen grundsätzlich eine entsprechende Relation zu Arbeitseinkommen aus Erwerbstätigkeit zu gewährleisten und damit einen ausreichenden Anreiz zur Arbeitsaufnahme zu schaffen, in sachlicher Weise entsprochen werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Bedarf der hilfsbedürftigen Personen nach sachlichen Kriterien berücksichtigt wird.

Ist der Wohnbedarf durch eine im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen tatsächlich verfügbare Sachleistung abgedeckt, so bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn §8 Vlbg MSG für den Fall der Nichtinanspruchnahme einer zur Verfügung gestellten Wohnmöglichkeit lediglich einen verminderten Betrag als Geldleistung für die Abdeckung des Wohnbedarfes vorsieht.

Auch die für asylberechtigte und subsidiär schutzberechtigte Personen geltende Regelung des §7 Abs1 letzter Satz Vlbg MSV, wonach eine ungerechtfertigte Verweigerung der Abdeckung des Wohnbedarfes durch Unterbringung in der Grundversorgung vorliegt, wenn die hilfsbedürftige Person seit Erlangung des Status als asylberechtigte oder subsidiär schutzberechtigte Person noch nicht mehr als zwei Jahre in einer solchen Einrichtung der Grundversorgung verbracht hat, ist in Anbetracht der ohnedies begrenzten Zeitspanne ebenso wie im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Unterbringung auf dem Wohnungsmarkt durch §8 Abs8 Vlbg MSG gedeckt und sachlich gerechtfertigt. Im Übrigen gilt auch in diesen Fällen die Härteklausel in §7 Abs5 Vlbg MSV.

Auch keine Bedenken gegen §7 Abs4 und Abs5 sowie §13 Abs2 lita Vlbg MSV.

Aufhebung der Wortfolge "Für eine hilfsbedürftige Person, die am 1. Jänner 2017 bereits den Status als asylberechtigte oder subsidiär schutzberechtigte Person erlangt hatte, beginnt die Zweijahresfrist nach §7 Abs1 am 1. Jänner 2017." in §14 Abs12 Vlbg MindestsicherungsV idF LGBl 40/2017 wegen Verstoßes gegen das BVG-Rassendiskriminierung, BGBl 390/1973.

Durch §14 Abs12 Vlbg MSV wird mit der geschaffenen Übergangsregelung eine Differenzierung zwischen solchen Personen, die am 01.01.2017 den Status als asylberechtigte oder subsidiär schutzberechtigte Personen bereits erlangt hatten, und jenen, die diesen Status später erlangten, vorgenommen, die der Landesgesetzgeber nicht vorgesehen hat.

Es ist auch kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb bei jenen asylberechtigten oder subsidiär schutzberechtigten Personen, die am 01.01.2017 diesen Status bereits erlangt hatten, ein - unter Umständen wesentlich - längerer Verbleib in einer Einrichtung der Grundversorgung verlangt werden dürfte bzw im Falle der Verweigerung für einen längeren Zeitraum lediglich der gekürzte Höchstbetrag von € 280,- gewährt werden dürfte.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Mindestsicherung, Berücksichtigungsprinzip, Übergangsbestimmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:V101.2017

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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