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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde der 1951 geborenen F C in Izmit (Türkei), vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. August 1997, Zl. 106.662/5-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin stellte am 4. Jänner 1994 beim österreichischen Generalkonsulat in Istanbul einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der am 14. März 1994 beim Magistrat der Stadt Wien einlangte. Als Aufenthaltszweck gab die Beschwerdeführerin Familienzusammenführung bzw. Familiengemeinschaft mit ihrem Ehegatten an.
Mit dem im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 28. August 1997 wies der Bundesminister für Inneres den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2, § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, nach der Aktenlage stehe fest, dass die von der Beschwerdeführerin als ortsübliche Unterkunft bezeichnete Wohnung eine Größe von 35 m2 habe, aus einem Zimmer, Küche, Bad mit WC bestehe und drei Personen als Unterkunft dienen solle. Erhebungen des statistischen Zentralamtes für 1995 hätten ergeben, dass für Wien eine durchschnittliche Größe der Wohnnutzfläche, aufgeschlüsselt nach dem Jahr der Errichtung des Wohnbaus, zwischen 59 und 89 m2 je Wohneinheit betrage. Auf die Ausstattungskategorien (A bis D) bezogen liege der niedrigste Durchschnittswert bei 29 m2 für die Kategorie C und bei 89 m2 für die Kategorie A. Die durchschnittliche Anzahl der Bewohner pro Wohnheit liege in Wien bei 2,05 (Durchschnittswert für Österreich 2,53). 310.300 von insgesamt 765.300 der Wiener Haushalte würden nach dieser Statistik nur von einer einzigen Person bewohnt. Zur Beurteilung der Frage, ob eine ortsübliche Unterkunft vorliege, könnten auch die Vergaberichtlinien für Wiener Gemeindewohnungen herangezogen werden, weil in diesen Richtlinien speziell definiert werde, unter welchen Voraussetzungen eine ortsübliche Unterkunft nicht mehr gegeben sei und daher eine Anwartschaft auf Zuweisung einer Gemeindewohnung erworben werden kann. Demnach sei bereits von einem Überbelag zu sprechen, wenn zwei Personen unterschiedlicher Generationen ein Wohnraum zur Verfügung steht oder drei Personen nur zwei Wohnräume, fünf Personen drei Wohnräume oder sieben Personen nur vier Wohnräume. Als Wohnraum werde demnach ein Raum mit einer Mindestgröße von 8 m2 definiert, für Wohnküchen gelte, dass diese nur dann als Wohnraum gewertet würden, wenn abzüglich der Kochnische mindestens 8 m2 verbleiben. Unter Bezugnahme auf die Vergaberichtlinien für Wiener Gemeindewohnungen sei die von der Beschwerdeführerin als gesicherte Unterkunft genannte Wohnung als nicht ortsüblich zu bezeichnen, weil bei Unterkunftnahme von drei Personen in der genannten Wohnung ein nicht mehr ortsüblicher Überbelag vorläge. Bei Unterkunftnahme von drei Personen (Eltern und minderjähriges Kind im Alter von knapp 11 Jahren) in einer Wohnung von ca. 35 m2, die nur ein Zimmer aufweise, weshalb dem Kind nicht ein eigenes Zimmer oder ein eigener abgegrenzter Bereich zur Verfügung stehe, könne nicht von einer im Sinn des Aufenthaltsgesetzes auch für Inländer ortsüblichen Unterkunft gesprochen werden. Da somit für die Beschwerdeführerin ein ortsüblicher Wohnsitz für die Dauer einer Bewilligung nicht gesichert sei, könne für sie entsprechend § 5 Abs. 1 AufG keine Bewilligung erteilt werden. Schließlich legte die belangte Behörde dar, weshalb die Versagung der Bewilligungserteilung vorliegendenfalls mit Art. 8 MRK in Einklang stehe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Weder nach der Aktenlage noch nach dem Beschwerdevorbringen verfügte die Beschwerdeführerin jemals über eine Aufenthaltsbewilligung. Ihr Antrag war daher nicht als Verlängerungsantrag zu werten. Der angefochtene Bescheid ist demnach auch nicht mit Ablauf des 31. Dezember 1997 gemäß § 113 Abs. 6 oder 7 des Fremdengesetzes 1997 außer Kraft getreten.
Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist im Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Erlassung das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 201/1996 maßgeblich.
§ 5 Abs. 1 AufG lautete:
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."
Der Behörde steht bei der Beurteilung der Frage der Ortsüblichkeit der Wohnung eines Antragstellers kein Ermessen zu. Sie hat diese Frage vielmehr in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zl. 97/19/1352).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, wenn sie die Ortsüblichkeit einer von einem Antragsteller als ihm zur Verfügung stehend angegebenen Wohnung im Sinn des § 5 Abs. 1 AufG in Zweifel zieht, zu ermitteln und darzulegen, ob Inländer mit vergleichbarer Familienstruktur in vergleichbaren Wohngegenden (Bezirksteilen) zu einem noch ins Gewicht fallenden Anteil vergleichbare Wohnungen so nutzen, wie es die Beschwerdeführerin mit ihrer insgesamt dreiköpfigen Familie beabsichtigt (vgl. dazu grundlegend das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1997, Zlen. 95/19/0566 bis 0571, das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1999 sowie das hg. Erkenntnis vom 5. Mai 2000, Zl. 99/19/0010).
Derartige Feststellungen hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid jedoch unterlassen. Sie hat sich zwar, ausgehend von einer unrichtigen Rechtsauffassung, mit der allgemeinen Wohnsituation in Wien auseinander gesetzt, hat es jedoch entgegen der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes versäumt, die Wohnsituation von Inländern mit vergleichbarer Familienstruktur in vergleichbaren Wohngegenden bzw. Bezirksteilen, wie oben dargelegt, festzustellen. Ein bloßer Vergleich der Wohnsituation der Beschwerdeführerin (nach Erteilung der von ihr angestrebten Bewilligung) mit dem Durchschnitt der Wiener Bevölkerung bzw. mit dem gesamt österreichischen Durchschnitt trägt dem durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes geprägten Verständnis des § 5 Abs. 1 AufG hingegen nicht Rechnung. Gleiches gilt auch für die im angefochtenen Bescheid herangezogenen Vergaberichtlinien des Magistrats der Stadt Wien für Gemeindewohnungen, weil diese, zumindest soweit sie im angefochtenen Bescheid wiedergegeben werden, ebenfalls nicht nach Familienstruktur und Wohngegenden differenzieren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. August 1999, Zl. 97/19/1522).
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren an umsatzsteuerpflichtigen Barauslagen war abzuweisen, weil ein derartiger Ersatz weiterer Kosten neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes nicht vorgesehen ist. Wien, am 2. Juni 2000
Schlagworte
ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998190076.X00Im RIS seit
02.05.2001