Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AufG 1992 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des 1968 geborenen M A in Wien, vertreten durch Dr. D, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Juli 1996, Zl. 109.058/3-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer verfügte nach der Aktenlage über einen von der Österreichischen Botschaft in Kairo ausgestellten, vom 1. August 1990 bis 18. August 1990 gültigen, Einreisesichtvermerk sowie über einen von der Bundespolizeidirektion Wien ausgestellten Wiedereinreisesichtvermerk mit einer Gültigkeitsdauer vom 8. Jänner 1991 bis 30. März 1991. Er stellte in weiterer Folge am 11. Dezember 1992 bei der Bundespolizeidirektion Wien einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes, in welchem er die "bescheidmäßige Erledigung" beantragte, "da die ägyptische Botschaft die Ausstellung eines neuen Reisepasses verweigert."
Dieser Antrag wurde von der Bundespolizeidirektion Wien nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes mit Verfügung vom 30. August 1993 gemäß § 7 Abs. 7 FrG an die erstinstanzliche Aufenthaltsbehörde weitergeleitet und langte bei dieser am 9. September 1993 ein.
Der Landeshauptmann von Wien wies mit dem im zweiten Rechtsgang ergangenen Bescheid vom 20. September 1995 diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AufG mangels einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft ab.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18. Juli 1996 wies der Bundesminister für Inneres diese Berufung gemäß § 4 Abs. 1 AufG sowie § 1 Abs. 1 FrG iVm §§ 2 Abs. 1 und 7 Abs. 1 FrG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 2 Abs. 1 FrG bräuchten Fremde für die Einreise, während des Aufenthaltes und für die Ausreise einen gültigen Reisepass, soweit nicht bundesgesetzlich oder durch zwischenstaatliche Vereinbarungen anderes bestimmt werde oder internationalen Gepflogenheiten entspreche. Gemäß § 4 Abs. 1 AufG könne Fremden eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, sofern kein Ausschließungsgrund gemäß § 5 AufG vorliege. Gemäß § 7 Abs. 1 FrG könne einem Fremden auf Antrag ein Sichtvermerk erteilt werden, sofern ein gültiges Reisedokument vorliege und kein Versagungsgrund gemäß § 10 leg. cit. gegeben sei. Der Beschwerdeführer sei im August 1990 mit einem gültigen Sichtvermerk, ausgestellt von der Österreichischen Botschaft Kairo, in das Bundesgebiet eingereist. Der Reisepass des Beschwerdeführers sei am 6. Juni 1990 ausgestellt worden und bis 31. Dezember 1990 gültig gewesen, es habe sich dabei um einen "Studentenpass" gehandelt. Bis dato habe sich jedoch die Botschaft der Republik Ägypten nach den Angaben des Beschwerdeführers geweigert, ihm einen neuen Reisepass auszustellen bzw. seinen alten Reisepass zu verlängern. Der Beschwerdeführer habe jedoch keinerlei Gründe angegeben, die klarstellen könnten, warum die Ausstellung eines Reisepasses verweigert werde.
Da der Beschwerdeführer somit nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses sei, welchen er gemäß § 2 Abs. 1 FrG zum Aufenthalt benötige, könne ihm keine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz erteilt werden, weil gemäß § 7 Abs. 1 FrG zur Erteilung eines solchen (offensichtlich gemeint: eines Sichtvermerkes) ein gültiges Reisedokument erforderlich sei. § 10 Abs. 4 FrG könne im Fall des Beschwerdeführers keine Anwendung finden, weil es nicht im Sinn des Gesetzgebers sein könne, jedem Fremden, der kein gültiges Reisedokument vorlegen könne, ohne dies zu begründen, eine Aufenthaltsberechtigung in Bescheidform zu erteilen.
Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers sei zu sagen, dass durch den Aufenthalt seiner Gattin im Bundesgebiet unabsprechbare private und familiäre Beziehungen zu Österreich bestünden. Bei Abwägung der öffentlichen Interessen und der privaten Interessen des Beschwerdeführers im Rahmen des Art. 8 MRK sei auf Grund des angeführten Sachverhaltes den öffentlichen Interessen Priorität einzuräumen gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 2. August 1996) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der Novelle zum Aufenthaltsgesetz BGBl. Nr. 201/1996 maßgeblich.
§ 10 Abs. 1 AufG lautete (auszugsweise):
"§ 10. (1) Fremde, die eine Bewilligung haben, sind zur Einreise und für deren Geltungsdauer zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Die Bewilligung ersetzt einen gemäß dem Fremdengesetz notwendigen Sichtvermerk und ist als österreichischer Sichtvermerk zu erteilen...."
§ 7 und § 10 FrG 1992 lauteten (auszugsweise):
"§ 7. (1) Ein Sichtvermerk kann einem Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern ein gültiges Reisedokument vorliegt ...
...
(4) Der Sichtvermerkswerber hat der Behörde die für die Feststellung des Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel vorzulegen; er hat über Verlangen der Behörde vor dieser persönlich zu erschienen. Der Antrag ist zurückzuweisen, sofern der Sichtvermerkswerber kein gültiges Reisedokument vorlegt; § 10 Abs. 4 bleibt unberührt.
...
(6) Der Sichtvermerk ist im Reisedokument des Fremden ersichtlich zu machen.
§ 10.
...
(3) Die Behörde kann einem Fremden trotz Vorliegens eines Sichtvermerksversagungsgrundes gemäß Abs. 1 Z 2 oder 3 oder gemäß Abs. 2 einen Sichtvermerk erteilen,
1. in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen oder
...
(4) Ein Sichtvermerk kann im Inland aus den Gründen des Abs. 3 Z 1 auch in Bescheidform erteilt werden, wenn der Fremde nicht in der Lage ist, sich ein Reisedokument seines Heimat- oder Aufenthaltsstaates zu beschaffen. ..."
Der Beschwerdeführer verfügte nach der Aktenlage weder über eine Aufenthaltsbewilligung noch über eine am 1. Juli 1993 gültige Aufenthaltsberechtigung. Die belangte Behörde wertete seinen Antrag daher zu Recht nicht als Verlängerungsantrag. Ein Fall des § 113 Abs. 6 oder 7 FrG 1997 liegt nicht vor. Der angefochtene Bescheid blieb vom Inkrafttreten des FrG 1997 unberührt.
Der Beschwerdeführer bringt gegen die erstmals von der belangten Behörde herangezogenen Abweisungsgründe vor, ihm hätte eine Aufenthaltsbewilligung in Bescheidform nach § 10 Abs. 4 FrG erteilt werden können, weil er sich seit August 1990 im Bundesgebiet aufhalte, in dieser Zeit stets selbst für seinen Lebensunterhalt aufgekommen sei, seit März 1995 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei und gegen ihn keinerlei verwaltungsstrafrechtliche oder strafrechtliche Beanstandungen vorlägen. Auf Grund seiner weit gehenden Integration durch seinen sechsjährigen Aufenthalt, das Erlernen der deutschen Sprache und die Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen lägen die humanitären Gründe vor, die gemäß § 10 Abs. 4 FrG die Ausstellung eines Sichtvermerkes in Bescheidform erlaubten.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
Die Aufenthaltsbewilligung ist als österreichischer Sichtvermerk zu erteilen (§ 10 Abs. 1 zweiter Satz AufG). Ein solcher kann - nach den einschlägigen Bestimmungen des FrG - erteilt werden, sofern ein gültiges Reisedokument vorliegt, und ist in letzterem ersichtlich zu machen (§ 7 Abs. 1 und 6 FrG). Wird kein gültiges Reisedokument vorgelegt, ist der Antrag gemäß § 7 Abs. 4 zweiter Satz erster Halbsatz FrG zurückzuweisen, doch bleibt nach der ausdrücklichen Anordnung des zweiten Halbsatzes die Bestimmung des § 10 Abs. 4 leg. cit., derzufolge ein Sichtvermerk in Bescheidform unter bestimmten Voraussetzungen erteilt werden kann, unberührt.
Nach dem Vorgesagten ist die Anwendung des § 10 Abs. 4 FrG im Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht ausgeschlossen. Die Anordnung des § 10 Abs. 1 AufG, wonach die Aufenthaltsbewilligung "als österreichischer Sichtvermerk" zu erteilen ist, führt nämlich nicht nur zur Anwendbarkeit des § 7 Abs. 4 zweiter Satz erster Halbsatz FrG, sondern auch zur Anwendbarkeit des § 10 Abs. 4 leg. cit. Ist ein Fremder demnach nicht in der Lage, sich ein Reisedokument seines Heimat- oder Aufenthaltsstaates zu beschaffen, kann ihm bei Vorliegen der im § 10 Abs. 3 Z. 1 FrG genannten Gründe eine Aufenthaltsbewilligung in Bescheidform erteilt werden (vgl. das zur Erteilung eines Sichtvermerkes im Bescheidform ergangene hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1993, 93/18/0252). Auf die Frage, warum der Fremde kein gültiges Reisedokument vorlegen kann, kommt es nur insoweit an, als zu prüfen ist, ob der Fremde, der kein Reisedokument besitzt, alle ihm zumutbaren Schritte gesetzt hat, um ein solches zu erlangen.
Die belangte Behörde hat vorliegendenfalls den Beschwerdeführer nach den Gründen gefragt, weshalb er über keinen Pass verfüge (Note vom 25. Juni 1996). Er teilte hierauf mit Schreiben vom 27. Juni 1996 mit, die Botschaft der Republik Ägypten verweigere ihm die Ausstellung eines neuen Reisepasses, wie er bereits in seinem Antrag vom 10. Dezember 1992 ausgeführt habe. Hätte die belangte Behörde den Verdacht gehabt, dass die Weigerung der ägyptischen Botschaft, dem Beschwerdeführer einen Reisepass auszustellen, auf die Unterlassung einer diesem zumutbaren Mitwirkung am (dortigen) Verfahren zurückzuführen wäre, so hätte sie die Gründe, die die ägyptische Botschaft zu dieser Weigerung bewogen, amtswegig zu ermitteln gehabt. Im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht hätte der Beschwerdeführer konkret auf diese Gründe abzielende Fragen zu beantworten gehabt.
Da die belangte Behörde es, wie dargestellt, unterlassen hat, Feststellungen darüber zu treffen, ob der Beschwerdeführer in der Lage gewesen wäre, sich einen Reisepass seines Heimatstaates zu beschaffen und (in weiterer Folge) ob die in § 10 Abs. 3 Z. 1 FrG 1992 genannten Gründe vorliegen, hat sie maßgebliche Sachverhaltsfeststellungen unterlassen, bei deren Vornahme sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz war abzuweisen, weil die Beschwerde nur in zweifacher Ausfertigung einzubringen war. Wien, am 2. Juni 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1996192600.X00Im RIS seit
31.01.2002