TE Bvwg Erkenntnis 2018/1/10 W239 2161211-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.01.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

10.01.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W239 2161211-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX, geb. XXXX alias XXXX, StA. Ukraine alias Armenien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.05.2017, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 21 Abs. 5 erster Satz BFA-VG wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Ukraine alias Armenien, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 16.12.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu ihrer Person liegt zu Deutschland ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 (Asylantragsstellung) vom 26.06.2014 vor.

Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.12.2016 gab die Beschwerdeführerin zu ihren persönlichen Daten und ihrem bisherigen Leben an, sie sei in XXXX der Ukraine geboren, habe dort von 2005 bis 2011 die Grundschule besucht, sei ukrainische Staatsangehörige, gehöre zur Religionsgemeinschaft der Jesiden und ihre Muttersprache sei Jesidisch, sie spreche aber auch Russisch und Deutsch. Von 2012 bis 2014 habe sie die Hauptschule in Deutschland besucht, habe die Berufsausbildung zur Friseurin gemacht und sie habe zuletzt bis 2016 auch als Friseurin gearbeitet. Sie leide an keinerlei Krankheiten oder gesundheitlichen Beschwerden. Als Angehörige, die sich in Österreich oder einem anderen EU-Staat aufhalten würden, nannte die Beschwerdeführerin ihre Mutter, ihre Schwester und zwei Brüder. Die Familie habe im Jänner 2012 gemeinsam den Entschluss zur Ausreise aus dem Herkunftsland Ukraine gefasst und sie seien zu dem Zeitpunkt von ihrem Wohnort in der Ukraine weggefahren. Ihr Zielland sei Deutschland gewesen, da es zuhause Probleme gegeben habe. Sie hätten sich eine Woche in ihr unbekannten Ländern aufgehalten und hätten dann ca. fünf Jahre in Deutschland gelebt. Die Beschwerdeführerin sei in Deutschland gut behandelt worden, sie habe dort einen Asylantrag gestellt, doch sei dieser abgelehnt worden, weshalb sie auch nicht nach Deutschland zurück wolle. Ihr Ziel sei nunmehr Österreich, da sie schon Deutsch gelernt habe und sich hier zurechtfinden könne.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 30.12.2016 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Deutschland.

Mit Schreiben vom 05.01.2017 stimmte die deutsche Dublin-Behörde diesem Ersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-VO ausdrücklich zu. Als Alias-Daten gab die deutsche Behörde abweichend von den Angaben, die die Beschwerdeführerin in Österreich gemacht hatte, eine andere Schreibweise des Namens der Beschwerdeführerin, ein anderes Geburtsdatum sowie einen anderen Geburtsort in der Ukraine und einen anderen Geburtsort in Armenien bekannt, woraus sich für die Beschwerdeführerin als Alias-Staatsbürgerschaft auch Armenien ergibt.

Nach durchgeführter Rechtsberatung fand am 02.03.2017 im Beisein einer Rechtsberaterin die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem BFA statt. Hierbei gab die Beschwerdeführerin zu Protokoll, sich psychisch und physisch in der Lage zu sehen die Einvernahme durchzuführen.

Befragt, wie es ihr gesundheitlich gehe, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie gerne zu einem Psychologen gehen würde. Sie wolle weder in die Ukraine noch nach Deutschland zurück. Ihre Eltern würden ihr mit dem Umbringen drohen. Ihr Vater sei in der Ukraine, sie habe allerdings keinen Kontakt zu ihm. Sie habe vor ein paar Wochen mit ihm telefoniert und er habe ihr gesagt, dass sie sich bei der ukrainischen Botschaft Papiere besorgen solle, um nach Hause zu kommen. Auch ihre Mutter habe sie schon nach Hause schicken wollen. Die Beschwerdeführerin habe ihre Religion gewechselt und deshalb habe sie ihrem Vater gesagt, dass sie nicht nach Hause kommen werde. Ihre Eltern hätten ihr gesagt, dass es nur zwei Möglichkeiten gebe, wenn man die Religion wechsle: Entweder werde man umgebracht oder man müsse sich umbringen. Der Vater der Beschwerdeführerin sei im Oktober wieder in die Ukraine zurückgekehrt, und sie, ihre Mutter und ihre Brüder seien nach Österreich gekommen, da sie in Deutschland einen negativen Bescheid erhalten hätten. Die Eltern hätten in der Ukraine keine Probleme gehabt, sie seien nur wegen des Geldes nach Europa gekommen. Die einzige Wahrheit in deren Angaben im Asylverfahren sei gewesen, dass der Bruder der Beschwerdeführerin verstorben sei. Alles andere sei gespielt gewesen. Die Beschwerdeführerin sei in Deutschland gegen ihren Willen mit einem Jesiden verlobt gewesen. Ihre Eltern hätten sie zusammengeschlagen und gesagt, dass sie der Hochzeit zustimmen müsse, wenn der Mann wieder komme. Sie habe keine Wahl gehabt. Sie sei aufgrund der ganzen Situation sehr gestresst und emotional sehr belastet. Deshalb wolle sie einen Psychologen aufsuchen.

Auf Nachfrage erklärte die Beschwerdeführerin, bisher nicht in Behandlung zu sein und keine Medikamente zu nehmen. Sie habe in Deutschland Verwandte, habe allerdings keinen Kontakt zu diesen. Sie habe dort Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Auch ein Onkel ihrer Eltern befinde sich in Deutschland. In Österreich würden sich nur ihre mitgereiste Mutter und ihre mitgereisten minderjährigen Geschwister befinden. Die Beschwerdeführerin wohne in Österreich jetzt bei einer guten Bekannten, die wie ein Familienmitglied für sie sei. Die Wohnung habe fünf Zimmer. Außer der Bekannten würden noch deren Mann und deren drei Kinder dort leben. Sie habe eine sehr gute Beziehung zu dieser Frau und kenne sie seit etwa 19 Jahren, noch aus der Zeit in der Ukraine, als die Beschwerdeführerin ganz klein gewesen sei. Die Bekannte habe sie einmal in Deutschland besucht, habe aber damals nicht gewusst, welche Probleme die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie habe.

Über Nachfrage gab die Beschwerdeführerin an, dass sie derzeit keiner Beschäftigung nachgehe. Sie sei auch kein Mitglied in einem Verein oder in sonstigen Organisationen. Über Vorhalt, dass aufgrund der vorliegenden Zustimmung Deutschlands geplant sei, sie dorthin außer Landes zu bringen, erklärte die Beschwerdeführerin, dass dort sehr viele Verwandte von ihr wohnen würden. Sie würden wissen, dass sie zum Islam konvertiert sei und das sei beschämend für sie. Außerdem habe die Beschwerdeführerin ihre Verlobung gelöst. Ihr sei zwar gesagt worden, dass die Polizei sie schützen könne, aber das Ziel ihrer Verwandten sei es, sie umzubringen. Über Nachfrage nannte die Beschwerdeführerin die Aufenthaltsorte ihrer Verwandten in Deutschland und ergänzte, dass die Verwandten überall jemanden kennen würden. Es sei eine Katastrophe für alle Jesiden, das sie konvertiert sei, und diese Schande werde ihr nicht verziehen.

Ihrer Ausweisung nach Deutschland stehe entgegen, dass sie fünf Jahre in Deutschland gelebt habe und während dieser Zeit sehr oft zusammengeschlagen worden sei. Bei den Jesiden sei es so, dass die Männer ihre Frauen schlagen würden. Eine Frau sei etwas, was man verkaufen könne. Als dieser Mann um ihre Hand angehalten habe, hätten ihre Eltern sie vier Tage lang geschlagen, sodass die Nachbarin in Deutschland sie dann abgeholt habe. Ihr Chef im Friseursalon habe das auch gewusst. Sie habe den ganzen Tag gearbeitet und habe nicht zu spät nach Hause kommen dürfen, sonst hätte ihr Vater sie gleich gefragt, ob sie sich mit einem Jungen getroffen habe. Wenn sie schon in Europa so von ihrem Vater zusammen geschlagen werde, dann wisse sie, dass er sie in der Ukraine wie ein Schaf schlachten wolle. Sie habe große Angst gehabt, zur Polizei zu gehen. Ihr Chef habe ihr zwar dazu geraten, aber sie habe Angst gehabt.

Die Beschwerdeführerin habe sich fünf Jahre in Deutschland aufgehalten. Außerhalb der Familie habe sie keine Probleme gehabt. Sie habe ja auch nirgendwo alleine hingehen dürfen, außer in die Arbeit und wieder nach Hause. Sie habe Angst, dass ihr Leben in Gefahr sei, wenn sie nach Deutschland zurückkehre. Sie habe dort einen Asylantrag gestellt und habe eine negative Entscheidung erhalten. Ihre ganze Familie habe in die Ukraine ausreisen müssen.

Abschließend gab die Beschwerdeführerin unter anderem an, dass sie dankbar wäre, wenn ihre Familie von hier abgeschoben werden würde. Ihre Mutter habe geschworen, sie umzubringen, da sie die Beschwerdeführerin für eine Hure halte. Die Beschwerdeführerin habe gegen ihre Mutter am 19.02.2017 bei der Polizei eine Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Die Polizei habe die Anzeige aufgenommen und ihrer Mutter in der Folge verboten, sich der Beschwerdeführerin zu nähern. Seit ihre Mutter erfahren habe, dass die Beschwerdeführerin die Verlobung gelöst habe, habe sie sogar schon zum Messer gegriffen. Ihre Mutter sei nicht psychisch krank, sie sei nur eine gute Schauspielerin. Sie wisse genau, was sie tun und was sie sagen müsse. Die Beschwerdeführerin wurde sodann angewiesen, die Anzeigebestätigung bis spätestens 06.03.2017 vorzulegen.

Die Rechtsberaterin führte in der Folge aus, dass es der Beschwerdeführerin psychisch sehr schlecht gehe, was man auch daran erkenne, dass sie während der Rechtsberatung und während der Einvernahme geweint habe. Daher werde die Einholung eines PSY-III-Gutachtens beantragt. Weiters werde die Zeugeneinvernahme der Mitbewohnerin und Freundin der Beschwerdeführerin beantragt, zum Beweis für die enge, familienähnliche Beziehung zwischen den Frauen. Die Beschwerdeführerin habe nur noch diese Frau, die sie als Tochter ansehe, da die gesamte Familie gegen sie sei. In Deutschland drohe der Beschwerdeführerin Verfolgung durch ihre Verwandten. Aus all diesen Gründen werde daher der Selbsteintritt Österreichs beantragt. Für den Fall einer dennoch geplanten Überstellung müsse jedenfalls sichergestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in Deutschland nicht von ihren Verwandten gefunden werde.

Im Zuge der Einvernahme legte die Beschwerdeführerin folgende Dokumente vor:

-

Meldezettel

-

Bestätigung über die Konvertierung zum Islam vom 12.02.2017

Die Beschwerdeführerin wurde sodann am 21.04.2017 sowie am 11.05.2017 einer ärztlichen Untersuchung unterzogen. Der abschließenden gutachterlichen Stellungnahme (PSY-III-Gutachten) zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ist als Begründung zur psychologischen Schlussfolgerung Folgendes zu entnehmen: Die Beschwerdeführerin sei wegen der Diskrepanz zwischen dem eigenem Eindruck der Gutachterin und einem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie mit der Diagnose "PTSD F 43.1, sowie mittelschwere depressive Episode" ein zweites Mal zur Befundaufnahme eingeladen worden. Bei beiden Terminen zur Befundaufnahme hätten sich keine typischen Symptome der (auswärts diagnostizierten) PTSD gefunden, insbesondere seien keine Kriterien C und D (Vermeidung und Hyperarousal) feststellbar gewesen. Das Kriterium B (Intrusionen) sei sehr fraglich, nicht emotional begleitet, keine Änderung in Prosodie und/oder Affekt. Laut Foerster/2009 (Forensisch-psychiatrische Tagung Salzburg) müsse das Phänomen der Intrusion diagnostisch eng gefasst werden. Gedanken an das Ereignis, Erinnerungen, dem Ereignis nachzuhängen oder darüber nachzugrübeln, seien keine Intrusionen (Foerster). Daher könne bestenfalls ein subjektives Leiden als Reaktion durch Belastungen (Anpassungsstörung, längere depressive Reaktion, F 43.2) diagnostiziert werden. Sonstige psychische Krankheitssymptome lägen nicht vor. Therapeutische und medizinische Maßnahmen seien nicht anzuraten. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei nicht sicher auszuschließen. Eine akute Suizidalität sei bei beiden Terminen zur Befundaufnahme nicht vorgelegen.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 22.05.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zur Lage in Deutschland traf das BFA folgende Feststellungen (unkorrigiert und nunmehr gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

Allgemeines zum Asylverfahren

In Deutschland existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 16.11.2015; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle). Im Jahr 2016 hat das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 695.733 Asylanträge entschieden. Das ist ein Anstieg von ca. 146% gegenüber 2015 (282.726 Entscheidungen). 2016 wurden 745.545 Asylanträge entgegengenommen, 268.869 mehr als im Vorjahr. Insgesamt 256.136 Personen erhielten 2016 internationalen Schutz (36,8% der Antragsteller), 153.700 Personen (22,1%) erhielten subsidiären Schutz und 24.084 Personen (3,5%) Abschiebeschutz (BAMF 11.1.2017).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 3.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (11.1.2017):

Jahresbilanz 2016,

http://www.bamf.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2017/20170111-asylgeschaeftsstatistik-dezember.html, Zugriff 6.2.2017

Dublin-Rückkehrer

Es gibt keine Berichte, dass Dublin-Rückkehrer in Deutschland Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren hätten (AIDA 16.11.2015).

Quellen:

-

- AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 3.2.2017

Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable

Gemäß Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher werden unbegleitete Kinder und Jugendliche auf Grundlage einer bundes- und landesweiten Aufnahmepflicht gleichmäßig in Deutschland verteilt. Das Mindestalter zur Begründung der Handlungsfähigkeit im Asylverfahren wurde von 16 auf 18 Jahre hinaufgesetzt (BR 26.10.2015).

Im deutschen Asylverfahren gelten Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ohne Begleitung als Unbegleitete Minderjährige. Unbegleitete Minderjährige, die nach dem 1. November 2015 in Deutschland eingereist sind, werden zunächst durch das vor Ort zuständige Jugendamt in Obhut genommen. Im Rahmen dieser vorläufigen Inobhutnahme werden sie bei einer geeigneten Person (Verwandte oder Pflegefamilien) oder in einer geeigneten Einrichtung (sogenannte Clearinghäuser, die auf die Betreuung von Unbegleiteten Minderjährigen spezialisiert sind, oder Jugendhilfeeinrichtungen) untergebracht. Im Zuge der vorläufigen Inobhutnahme findet auch das sogenannte Erstscreening des Gesundheitszustands statt und stellt auch das Alter der Minderjährigen fest. Die dafür verwendeten Methoden reichen von einer reinen Altersschätzung über körperliche Untersuchungen bis hin zu radiologischen Untersuchungen, der Handwurzel, des Gebisses oder des Schlüsselbeins. Darüber hinaus schätzt das zuständige Jugendamt ein, ob die Durchführung des späteren Verteilungsverfahrens in physischer oder psychischer Hinsicht das Kindeswohl gefährden könnte. In diesem Zusammenhang wird auch die Möglichkeit einer Familienzusammenführung mit in Deutschland lebenden Verwandten geprüft. Bestehen enge soziale Bindungen zu anderen Unbegleiteten Minderjährigen, prüft das Jugendamt, ob eine gemeinsame Unterbringung sinnvoll ist. Um eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung, Versorgung, Betreuung und Unterstützung der Unbegleiteten Minderjährigen sicherzustellen, gibt es ein bundesweites Verteilungsverfahren, das innerhalb von 14 Tagen durchgeführt wird. Nach dieser Verteilung ist neue Jugendamt für die weitere Inobhutnahme zuständig. Die Unterbringung erfolgt wieder bei einer geeigneten Person oder in einer geeigneten Einrichtung (siehe oben). Im Anschluss daran werden die Beantragung einer Vormundschaft, weitere medizinische Untersuchungen, die Ermittlung des Erziehungsbedarfs sowie eine Klärung des Aufenthaltsstatus veranlasst. Für Unbegleitete Minderjährige muss vom Familiengericht ein Vormund oder Pfleger bestellt werden. Eine Vormundschaft besteht in der Regel bis zur Volljährigkeit. Dabei orientiert sich die Volljährigkeit an dem Recht im Herkunftsland des Minderjährigen und nicht am deutschen Recht. Tritt also nach diesem Recht die Volljährigkeit erst nach Vollendung des 18. Lebensjahrs ein, endet die Vormundschaft auch erst zu diesem Zeitpunkt. Im anschließenden Clearingverfahren werden weitere Schritte im Bereich des Jugendhilferechts oder des Aufenthaltsrechts eingeleitet. Es umfasst unter anderem die Klärung des Aufenthaltsstatus. Auf dessen Basis wird entschieden, ob ein Asylantrag gestellt wird. Ist ein Asylverfahren nicht erfolgversprechend, kann die zuständige Ausländerbehörde auch eine Duldung ausstellen. Kommt auch dies nicht in Frage, berät die Ausländerbehörde über andere aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten. Falls ein Asylantrag gestellt werden soll, ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BMF) die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Innerhalb des Asylverfahrens gelten für die Bestimmung der Volljährigkeit die nationalen Vorschriften. Das heißt: Asylwerber müssen mit Vollendung des 18. Lebensjahrs ihren Asylantrag selbst stellen. Ein etwaiger Vormund kann in diesem Fall aber weiterhin das Asylverfahren begleiten. Asylwerber unter 18 Jahren sind im Asylverfahren nicht handlungsfähig und ein Asylantrag muss vom Jugendamt oder Vormund schriftlich gestellt werden. Da Unbegleitete Minderjährige als besonders schutzbedürftige Personengruppe mit besonderen Garantien für ihr Asylverfahren gelten, werden ihre Asylverfahren von Sonderbeauftragten betreut, die für eine sensibilisierte Herangehensweise geschult wurden. Anhörungen finden grundsätzlich in Anwesenheit des Vormunds statt. Zusätzlich kann auch ein Beistand, z. B. eine Betreuerin oder ein Betreuer bei den Anhörungen anwesend sein. Unterbringung, Versorgung - hierzu gehört auch die sozialpädagogische Begleitung und Betreuung, Gesundheitsversorgung sowie Rechtsberatung - sind gesetzlich sichergestellt (BAMF 1.8.2016a; vgl. IAM 30.5.2016).

In Deutschland wurden 2015 42.309 UM in staatliche Obhut genommen,

22.255 davon stellten Asylanträge. 2016 gab es rund 50.300 Inobhutnahmen und 35.939 Asylanträge von UM (BAMF 31.12.2016; vgl. FRA 1.2017). Vergleicht man die Zahl der Inobhutnahmen von UM mit der Anzahl der von ihnen gestellten Asylanträge, wird deutlich, dass ein relevanter Teil der Minderjährigen auf einen Asylantrag verzichtet und sie (bzw. ihre gesetzlichen Vertreter) einen anderen aufenthaltsrechtlichen Weg suchen (BAMF 31.12.2016).

Es gibt keine gesetzliche Vorschrift zur Identifizierung Vulnerabler, mit Ausnahme von unbegleiteten Minderjährigen. Alle AW durchlaufen eine medizinische Untersuchung, die aber mehr dem Aufspüren ansteckender Krankheiten dient. Manchmal melden medizinisches Personal oder andere Mitarbeiter in den Unterbringungszentren, dass sie Anzeichen von Traumata entdeckt haben, das ist aber keine systematische Prüfung. Einige Bundesländer haben Pilotprojekte für die Identifizierung vulnerabler Asylwerber eingeführt. Vom BAMF erlassene Richtlinien sehen vor, dass insbesondere UM, Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung sowie Opfer von Folter und traumatisierte Asylwerber besonders sensibel und bei Bedarf von speziell ausgebildeten Referenten behandelt werden sollen. Die Einführung dieser Spezialisten (80 für UMA, 40 für Traumatisierte und 40 für Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung) hat die Handhabung derartiger Verfahren etwas verbessert, wobei es aber auch Beispiele gibt, wonach Hinweise auf Traumata bzw. sogar Folter nicht zur Konsultierung solcher Spezialisten geführt haben (AIDA 16.11.2015; vgl. FRA 1.2017).

Medizinische Spezialbehandlung für Traumatisierte und Folteropfer kann durch einige Spezialisten und Therapeuten in verschiedenen Behandlungszentren für Folteropfer gewährleistet werden. Da die Plätze in diesen Zentren begrenzt sind, ist der Zugang nicht immer garantiert. Da die Behandlungskosten von den Behörden nur teilweise übernommen werden (Übersetzerkosten werden etwa nicht gedeckt), sind die Zentren zu einem gewissen Grad auf Spenden angewiesen. Große geographische Distanzen zwischen Unterbringung und Behandlungszentrum sind in der Praxis auch oft ein Problem (AIDA 16.11.2015).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 3.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (1.8.2016a):

Unbegleitete Minderjährige,

http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/UnbegleiteteMinderjaehrige/unbegleitete-minderjaehrige-node.html, Zugriff 26.1.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (31.12.2016):

Unbegleitete Minderjährige (UM), http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Asyl/um-zahlen-entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 26.1.2017

-

BR - Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland (26.10.2015):

Effektive Verfahren, frühe Integration, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/10/2015-10-15-asyl-fluechtlingspolitik.html, Zugriff 3.2.2017

-

FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (1.2017):

Monthly data collection: January 2017, http://fra.europa.eu/en/theme/asylum-migration-borders/overviews/january-2017, Zugriff 3.2.2017

-

IAM - Informationsverbund Asyl und Migration (30.5.2016): Die Rechte und Pflichten von Asylsuchenden. Aufenthalt, soziale Rechte und Arbeitsmarktzugang während des Asylverfahrens, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1464681466_basisinf-3-160415fin.pdf, Zugriff 26.1.2017

Non-Refoulement

Im Oktober 2015 wurden Albanien, Montenegro und Kosovo der Liste sicherer Herkunftsstaaten hinzugefügt, was auch Kritik hervorrief, besonders im Hinblick auf Personen aus der Gruppe der Roma. Deutschland gewährt Personen, die sich nicht für internationalen Schutz qualifizieren mitunter auch subsidiären oder humanitären Schutz. Freiwilligen Rückkehrern wird Hilfe gewährt (USDOS 13.4.2016).

Kann weder Asyl noch Flüchtlingsschutz gewährt werden, dann prüft das BAMF im Asylverfahren auch, ob subsidiärer Schutz gewährt wird oder ein Abschiebungsverbot vorliegt. Außerhalb eines Asylverfahrens werden mögliche Abschiebungsverbote durch die zuständige Ausländerbehörde, die eine fachliche Stellungnahme des BAMF einholt, geprüft (BMdI o.D.).

Quellen:

-

BMdI - Bundesministerium des Innern (o.D.): Asyl- und Flüchtlingspolitik in Deutschland, http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Migration-Integration/Asyl-Fluechtlingsschutz/Asyl-Fluechtlingspolitik/asyl-fluechtlingspolitik_node.html, Zugriff 1.2.2017

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Germany, http://www.ecoi.net/local_link/322521/461998_de.html, Zugriff 1.2.2017

Versorgung

Bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen erhalten AW Verpflegung, Unterkunft, Krankenversorgung und Verbrauchsartikel. Der notwendige Bedarf wird durch Sachleistungen gedeckt. Wenn das nicht möglich ist werden Wertgutscheine oder ähnliches bis hin zu Geldleistungen gewährt. Werden alle notwendigen persönlichen Bedarfe durch Geldleistungen gedeckt, so beträgt der Geldbetrag zur Deckung aller notwendigen persönlichen Bedarfe monatlich:

(...)

Anstelle der Geldleistungen können auch Leistungen in Form von unbaren Abrechnungen, Wertgutscheinen oder Sachleistungen gewährt werden. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat wird gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht. Es gibt Leistungen für Bildung etc. (AsylbLG 23.12.2016, §3).

In Deutschland gibt es grundsätzlich 3 verschiedene Arten der Unterbringung: Erstaufnahmezentren, Gemeinschaftsunterkünfte und dezentralisierte Unterbringung in Wohnungen. Der Betrieb dieser Einrichtungen ist Ländersache. In den Jahren 2014 und 2015 waren aufgrund der zahlreichen Migranten auch Notunterkünfte gebräuchlich (AIDA 16.11.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Zum Teil sind Notunterkünfte immer noch in Verwendung (Pro Asyl 10.1.2017).

Asylwerber müssen bis zu 6 Monate in den Erstaufnahmezentren bleiben. Wenn die Pflicht zum Aufenthalt im Erstaufnahmezentrum endet, werden AW normalerweise in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, das sind generell Unterbringungszentren im selben Bundesland. AW müssen während des gesamten Asylverfahrens in der Gemeinde aufhältig sein, die von der Behörde festgelegt wurde. Die Verantwortung für diese Art der Unterbringung wurde von den Bundesländern oftmals den Gemeinden und von diesen wiederum auf NGOs oder Privatunternehmen übertragen. Manche Gemeinden bevorzugen dezentralisierte Unterbringung in Wohnungen (AIDA 16.11.2015; vgl. auch BAMF 10.2016)

Deutschland verfügt mittlerweile bundesweit über 24 Ankunftszentren. Dort werden viele, bis dahin auf mehrere Stationen verteilte Schritte im Asylverfahren, gebündelt. Nach Möglichkeit findet das gesamte Asylverfahren unter dem Dach des Ankunftszentrums statt - von der ärztlichen Untersuchung, über die Aufnahme der persönlichen Daten und der Identitätsprüfung, der Antragstellung und Anhörung bis hin zur Entscheidung über den Asylantrag. Bei Menschen mit sehr guter Bleibeperspektive sowie Antragstellenden aus sicheren Herkunftsländern mit eher geringen Bleibeaussichten kann in der Regel vor Ort innerhalb von 48 Stunden angehört und über den Asylantrag entschieden werden (BAMF o.D,a). Neben der Bearbeitung von neuen Anträgen, werden in den Ankunftszentren seit Sommer 2016 auch ältere Verfahren bearbeitet und Anhörungen durchgeführt. Somit werden die BAMF-Außenstellen in der jeweiligen Region entlastet. Asylsuchende werden schon während der Bearbeitung ihres Antrags über die Teilnahme an Integrationskursen des Bundesamtes am jeweiligen Wohnort informiert. Sie erhalten ebenfalls eine Beratung zum möglichen Arbeitsmarktzugang durch die örtliche Bundesagentur für Arbeit (BAMF 1.8.2016b).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 10.01.2017

-

AsylbLG - Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das durch

Artikel 20 Absatz 6 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3324) geändert worden ist (23.12.2016): § 3 Grundleistungen, https://www.gesetze-im-internet.de/asylblg/BJNR107410993.html, Zugriff 2.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2016): Ablauf des deutschen Asylverfahrens,

http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 2.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (o.D.a):

Ankunftszentren,

http://www.bamf.de/DE/DasBAMF/Aufbau/Standorte/Ankunftszentren/ankunftszentren-node.html, Zugriff 2.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (1.8.2016b):

Ankunftszentren,

http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/Ankunftszentren/ankunftszentren-node.html, Zugriff 2.2.2017

-

Pro Asyl (10.1.2017): Ein Leben ohne Privatsphäre? Sammelunterbringung darf nicht zum Dauerzustand werden, https://www.proasyl.de/news/ein-leben-ohne-privatsphaere-sammelunterbringung-darf-nicht-zum-dauerzustand-werden/, Zugriff 2.2.2017

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Germany, http://www.ecoi.net/local_link/322521/461998_de.html, Zugriff 1.2.2017

Medizinische Versorgung

NGOs kritisieren dass die medizinische Versorgung von Asylwerbern nur bei akuten Erkrankungen oder Schmerzen kostenlos ist. Einige Gemeinden und private Gruppen initiierten zusätzliche Gesundheitsprojekte. Einige Bundesländer stellen Krankenversicherungskarten zur Verfügung (USDOS 13.4.2016).

Die Gesetze sehen medizinische Versorgung für AW in Fällen akuter Erkrankung oder Schmerzen vor, welche Behandlung (auch Zahnbehandlung), Medikation etc. umfasst. Schwangere und Wöchnerinnen sind eigens im Gesetz erwähnt. Deutsche Gerichte haben sich in verschiedenen Fällen der Sichtweise angeschlossen, dass von diesen Bestimmungen auch chronische Erkrankungen abgedeckt werden, da auch diese Schmerzen verursachen können. Krankenscheine bekommen AW beim medizinischen Personal der Erstaufnahmeeinrichtung oder später auf dem zuständigen Sozialamt. Bei letzteren wird von Problemen aufgrund von Inkompetenz des Personals berichtet. Unabdingbare medizinische Behandlung steht auch Personen zu, die - aus welchen Gründen auch immer - kein Recht auf Sozialunterstützung mehr haben. Nach 15 Leistungsmonaten im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes haben AW Zugang zu Versorgung nach dem Sozialgesetzbuch. Das beinhaltet auch Zugang zu Gesundheitsversorgung nach denselben Bedingungen wie für deutsche Staatsbürger (AIDA 16.11.2015).

Deutschland garantiert allen AW ein Mindestmaß an Gesundheitsversorgung. Das gilt auch für zurückgewiesene AW bis zum Tag ihres Transfers. Die Bundesländer können autonom die elektronische Gesundheitskarte für Asylwerber einführen. Die gesetzlichen Krankenkassen können demnach von den Ländern verpflichtet werden, gegen Kostenerstattung die Krankenbehandlungen bei Asylwerbern zu übernehmen. Der Leistungsumfang und die Finanzierung der medizinischen Versorgung erfolgt unverändert im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes (BMdI 29.9.2015; vgl. BMG 3.11.2015).

Die medizinische Versorgung von Asylwerbern ist zwischen den verschiedenen Kommunen und Bundesländern unterschiedlich organisiert. Während in manchen Ländern fast alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für Antragsteller zur Verfügung stehen, muss in anderen Ländern vor vielen Untersuchungen beim Amt um Kostenübernahme angefragt werden. In dringenden Notfällen dürfen Ärzte immer behandeln, unabhängig von den Papieren. Meistens aber müssen Asylsuchende ins zuständige Sozialamt, bevor sie einen Arzt aufsuchen dürfen. Dort erhalten sie einen Behandlungsschein, mit dessen Hilfe Ärzte ihre Kosten abrechnen können. Hinzu kommt, dass der Behandlungsschein in manchen Kommunen nur für den Hausarzt gültig ist. Wollen die Betroffenen zum Facharzt, müssen sie vor jeder Überweisung die Zustimmung des Amts einholen. In manchen Ländern erhalten Asylwerber eine elektronische Gesundheitskarte einer Krankenkasse, mit der sie direkt zum Arzt gehen können. Die Krankenkasse organisiert nur die medizinische Versorgung der Antragsteller, die Kosten tragen trotzdem die Behörden. Wenn Asylwerber länger als 15 Monate in Deutschland sind, können sie sich eine gesetzliche Krankenversicherung aussuchen, die Behörden bezahlen die Beiträge. Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. freiwillige Zusatzleistungen der Krankenkassen) werden sie dann behandelt wie alle gesetzlich Versicherten. Erst wenn die Antragsteller eine Arbeit finden und selbst einzahlen, klinkt sich der Staat aus ihrer medizinischen Versorgung aus (SO 22.3.2016; vgl. BMG 6.2016).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 10.01.2017

-

BMdI - Bundesministerium des Innern (29.9.2015): Änderung und Beschleunigung von Asylverfahren beschlossen, http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2015/09/kabinett-beschliesst-asylverfahrensbeschleunigungsgesetz.html, Zugriff 3.2.2017

-

BMG - Bundesministerium für Gesundheit (3.11.2015): Verbesserung der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen, http://www.bmg.bund.de/ministerium/meldungen/2015/asylverfahrensbeschleunigungsgesetz.html, Zugriff 3.2.2017

-

BMG - Bundesministerium für Gesundheit (6.2016): Ratgeber Gesundheit für Asylwerber in Deutschland, http://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Broschueren/Ratgeber_Asylsuchende_DE_web.pdf, Zugriff 3.2.2017

-

SO - Spiegel Online (22.3.2016): So werden Flüchtlinge medizinisch versorgt,

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/fluechtlinge-so-laeuft-die-medizinische-versorgung-a-1081702.html, Zugriff 3.2.2017

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Germany, http://www.ecoi.net/local_link/322521/461998_de.html, Zugriff 1.2.2017

Begründend führte das BFA unter anderem aus, der Antrag auf internationalen Schutz sei zurückzuweisen, weil gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-VO Deutschland für die Prüfung des Antrages zuständig sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass im Fall der Beschwerdeführerin schwere psychische Störungen und/oder schwere oder ansteckende Krankheiten bestehen würden. Sie leide lediglich an einer Anpassungsstörung bzw. an einer längeren depressiven Reaktion (F 43.2). Akute Suizidalität sei zu keinem der beiden Begutachtungszeitpunkte vorgelegen, therapeutische oder medizinische Maßnahmen seien laut Gutachten nicht angeraten. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen, betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung der Beschwerdeführerin ernstlich für möglich erscheinen ließe, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben. Es seien auch weder schützenswerte familiäre, noch besondere private Anknüpfungspunkte in Österreich gegeben, weshalb die Außerlandesbringung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht nach Art. 8 EMRK darstelle.

3. Gegen den Bescheid des BFA vom 22.05.2017 erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde. Gleichzeitig wurde der Antrag gestellt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Die Beschwerdeführerin hielt fest, dass sie an einer schweren psychischen Störung mit Krankheitswert leide. Dem Gutachten sei nicht zu entnehmen, weshalb die vom BFA herangezogene Sachverständige zu einem anderen Ergebnis gelangt sei als der Wahlarzt der Beschwerdeführerin. Abgesehen davon sei dem Gutachten zusammenfassend zu entnehmen, dass eine Abschiebung gesundheitliche Schäden nach sich ziehe bzw. eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht ausgeschlossen werden könne. Das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft, zumal die Behörde das Gutachten nicht zur Gänze gewürdigt habe.

Die Beschwerdeführerin habe schlüssig und nachvollziehbar vorgebracht, dass aufgrund des rechtskräftig entschiedenen Asylverfahrens in Deutschland eine Abschiebung in ihre Heimat vorgenommen worden wäre, wenn sie Deutschland nicht verlassen hätte. Eine Abschiebung nach Deutschland hätte zur Folge, dass Deutschland eine Rückkehr in ihre Heimat veranlassen werde. Eine Abschiebung bzw. eine Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Deutschland stelle eine eindeutige Verletzung des Art. 3 EMRK dar. Sie werde in Deutschland von ihren Tanten und Onkel gesucht und habe das ausreichend geschildert. Ihre Familie sei in die Ukraine abgeschoben worden und warte nun auf ihre Rückkehr, um sie zwangsverheiraten zu können.

Weiters sei das familiäre und das persönliche Abhängigkeitsverhältnis zu der Freundin, bei der die Beschwerdeführerin wohne, unberücksichtigt geblieben. Es bestehe ein Abhängigkeitsverhältnis zu der Bekannten und deren Familie. Die Beschwerdeführerin sei seit ihrer Ankunft in Österreich bei dieser untergebracht und sei mit ihr verwandt.

Auch habe sie vorgebracht, dass ein strafrechtliches Verfahren in Österreich geführt werde, bei dem die Beschwerdeführerin "zum Opfer iSd Strafprozessordnung" geworden sei. Sie habe daher auch ein berechtigtes Interesse an einem Verbleib in Österreich, zumindest bis zum Ausgang des Strafverfahrens. Bei vollständiger Ermittlung hätte die Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass Österreich die Zuständigkeit des Asylverfahrens übernehmen hätte müssen.

4. Die Beschwerdeführerin wurde am 03.07.2017 nach Deutschland überstellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Ukraine alias Armenien, reiste mit ihren Eltern und ihren Geschwistern illegal nach Deutschland ein, wo sie am 26.06.2014 um die Gewährung von internationalem Schutz ansuchte. Nachdem ihr Antrag in Deutschland negativ entschieden worden war, reiste die mittlerweile volljährige Beschwerdeführerin nach Österreich, wo sie am 16.12.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Das BFA richtete am 30.12.2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Deutschland, dem die deutsche Dublin-Behörde mit Schreiben vom 05.01.2017 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-VO ausdrücklich zustimmte.

Am 03.07.2017 wurde die Beschwerdeführerin nach Deutschland überstellt.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Deutschland an.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Überstellung nach Deutschland Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung, Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Bei der Beschwerdeführerin wurde eine Anpassungsstörung, längere depressive Reaktion (F 43.2) diagnostiziert. Therapeutische und medizinische Maßnahmen sind nicht anzuraten. Die Beschwerdeführerin leidet somit an keiner gravierenden Erkrankung.

Die Beschwerdeführerin lebte im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt mit einer Bekannten und deren Familie. Intensiv ausgeprägte private, familiäre oder berufliche Bindungen bestehen im österreichischen Bundesgebiet nicht.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der Asylantragstellung in Österreich und in Deutschland ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Einvernahmen im Zusammenhang mit der vorliegenden EURODAC-Treffermeldung.

Die Feststellung bezüglich der Zustimmung zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin seitens Deutschlands ergibt sich aus dem durchgeführten Konsultationsverfahren zwischen der österreichischen und der deutschen Dublin-Behörde. Der diesbezügliche Schriftwechsel ist Teil des Verwaltungsaktes.

Der Umstand der am 03.07.2017 erfolgten Überstellung der Beschwerdeführerin nach Deutschland ergibt sich aus dem im Akt befindlichen Bericht der zuständigen Landespolizeidirektion vom selben Tag.

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen. Das BFA hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer nach der Dublin-III-VO) samt dem jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelweg getroffen.

Aus den im angefochtenen Bescheid dargestellten Länderinformationen ergeben sich keine ausreichend begründeten Hinweise darauf, dass das deutsche Asylwesen grobe systemische Mängel aufweisen würde. Insofern war aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere in Bezug auf die Durchführung des Asylverfahrens, die medizinische Versorgung sowie die Sicherheitslage von Asylsuchenden in Deutschland den Feststellungen der erstinstanzlichen Entscheidung zu folgen.

Individuelle, unmittelbare und vor allem hinreichend konkrete Bedrohungen in Deutschland hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert vorgebracht (siehe dazu die weiteren Ausführungen unten).

Dass die Beschwerdeführerin weder unter gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet, noch über besonders ausgeprägte private, familiäre oder berufliche Bindungen zu Österreich verfügt, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt - insbesondere aus den gutachterlichen Schlussfolgerungen im vom BFA in Auftrag gegebenen PSY-III-Gutachten - und aus den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin. Dem Gutachten lässt sich entnehmen, dass trotz der vorliegenden Anpassungsstörung derzeit keine therapeutischen und medizinischen Maßnahmen anzuraten sind, weshalb von einer schweren Krankheit nicht auszugehen ist. Zu allfälligen privaten Anknüpfungspunkten führte die Beschwerdeführerin lediglich die Beziehung zu der Bekannten ins Treffen, bei der sie auch untergebracht war. Sonstige Anknüpfungspunkte kamen im Verfahren nicht hervor. Im Gegenteil gab die Beschwerdeführerin selbst an, hier keiner Beschäftigung nachzugehen und auch kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation zu sein. Eine besonders schützenswerte Integrationsverfestigung ihrer Person in Österreich konnte daher nicht festgestellt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I 70/2015 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentschei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten